Kapitel IV
Erste Rückführungen
Zweites Seminar
Themen: Traumata, was muss bei Rückführungen beachtet werden, Kindheit und Geburt, Auflösen von Problematiken in der Kindheit.
Das Eintrudeln der Teilnehmer ist diesmal eher verhalten, alle sind müde, jeder will noch seine Ruhe: „Och nö, müssen wir echt direkt loslegen?“
Anders als letztes Mal: „Wo ist heute die Energie, die Spannung?“
Doch die Seminarleitung ist gnadenlos, es geht sofort zur Sache.
Wieder viel Theorie, aber auch wieder in einem angenehmen und guten Verhältnis zu den praktischen Übungen.
Es folgt die erste Rückführung. Oft wird es in den nächsten Monaten so sein, dass einer aus der Gruppe als „Vorzeigeobjekt“ dient und vor der Gesamtgruppe zurückgeführt wird. So folgt nun die erste Vorführ-Sitzung.
Hier wird wohl wieder die richtige Auswahl getroffen, ich wäre sicher zu aufgeregt gewesen vor der Gruppe auf die Couch zu gehen.
Aber Maria lässt sich davon nicht beeindrucken.
Dafür ist die Rückführung in die Kindheit und in den Mutterleib für uns Beobachter umso beeindruckender.
Viele negativ beeindruckende Erfahrungen Marias lassen bei jedem von uns Mitgefühl und zum Teil auch ein wenig Besorgnis aufsteigen.
„Was ist, wenn es mir auch so geht, als Anwender oder Klient, wie gehe ich damit um?“
Insgesamt eineinhalb bis zwei Stunden dauert die Sitzung. Maria ist schon recht mitgenommen, aber auch sichtlich erleichtert.
Sie hat neben vielen Negativerfahrungen auch nicht erwartete Positiverlebnisse. Das vorher sehr negativ geprägte Vaterbild wird erheblich zum Positiven korrigiert.
Es folgt ein Zeremoniell, das sich in den kommenden Monaten einspielen wird:
Ab dem zweiten Wochenende werden die Gruppen nach Impuls „von oben“ zusammengestellt.
Es passt heute - und auch in den kommenden Monaten.
Ich hatte Charlotte am ersten Wochenende nicht so in meinem Blickfeld, deshalb bin ich etwas überrascht über „die Wahl von oben“. Ihr geht es da wohl anders, so begeben wir uns zielstrebig auf den Übungsraum zu.
Unser Thema ist heute die Rückführung in Kindheit und Schwangerschaft.
Was erwartet mich? Meine Jugend und meine Kindheit sind noch verborgen unter einem Schleier des Vergessens.
Und dann kommt sie, wie angeflogen, die große Aufregung. „Ich hoffe, ich kann das, welche Anleitung brauche ich, wo sind welche Blätter, wie geht die Musik an, was kam noch mal zuerst“ und so weiter.
Doch nach wenigen Minuten ist die größte Aufregung vorbei, alles chaotisch in Papierstapeln sortiert und halbwegs klar, wer was macht.
Dann geht es los:
Wir wählen zur Entspannung eine Schwereübung mit anschließendem Weg über eine Wiese.
Es fällt mir jedoch sehr schwer, mir etwas vorzustellen, geschweige denn, etwas zu sehen. So zweifelt mein Kopf – geht’s oder geht’s nicht?
Auch den Weg durch ein imaginäres Tor zu gehen, durch den Nebel der Vergangenheit, alles spannend, aber bei meiner mangelnden Vorstellungskraft und meinem eingemauerten Kopf - doch alles recht schwierig.
„Die anderen können das bestimmt – ob es mir auch gelingt?“ Diese Gedanken erleichtern den Einstieg nicht sonderlich. Im Hinterkopf steckt immer die Furcht zu scheitern, warum weiß ich nicht.
Trotz guter Umsetzung der Entspannungsübung spielt der Kopf doch eine große Rolle, mischt sich immer wieder ein und stellt alles in Frage.
Dennoch geht’s weiter. Ich habe eher das Gefühl – oder auch die Befürchtung: „Es wird nicht viel passieren“, doch dann spüre ich, ich spüre! Während die Mehrzahl der Gruppe „sehen“ kann, spüre und fühle ich.
Ich spüre, wie ich mit einigen anderen Kindern Brennball (ein beliebtes Ballspiel in meinen Jugendtagen) auf einer mir bekannten Wiese spiele, eine Szene, die ich seit Jahrzehnten nicht mehr im Kopf hatte. Es macht Spaß und ich fühle mich ganz gut dabei. Diese Art zu spüren ist anders als das gewöhnliche Spüren. Es ist auf merkwürdige Weise mit Wissen verknüpft. Obwohl ich keine visualisierten Bilder habe, weiß ich genau, was geschieht, es ist schwer in Worte zu fassen.
Dann folgen meine ersten Gehversuche in unserer Küche im Beisein der Mutter, die mir klar mitteilt (durch ihre Gedanken): „endlich – das gab auch endlich Zeit“.
Die Geburt kann ich nicht detailliert beschreiben, ich empfinde, beziehungsweise erkenne einige Einzelheiten. Das Lob der Hebamme nach den Anstrengungen meiner Mutter, die Anwesenheit einer weiteren Person und einiges mehr.
In der Schwangerschaft spüre ich, dass es in der Gebärmutter verdammt eng ist. Dies lässt nach, als es weiter zurückgeht (Monat für Monat).
Die Gefühlswelt der Mutter ist jedoch nicht so berauschend: Ein deutliches Gefühl der Ablehnung lässt nur ein trauriges und ungutes Gefühl zu.
Die weitere Suche nach Bildern und Gefühlen erbringt nichts, wobei die Stimmung nicht deutlich besser wird.
Der zwischenzeitlich herbeigekommene Seminarleiter erkennt die Situation und übernimmt die Führung der Sitzung.
Dass mein Unterbewusstsein alles in härtesten Beton eingegossen hat, ist mir durch meine narkoseähnlichen Schlafzustände und meine vergessenen Träume und Kindheitserlebnisse klar. So schnell lasse ich nichts und niemanden an mich heran.
Ich hatte sicher 35 Jahre lang kaum noch geträumt, beziehungsweise keine Erinnerungen mehr an meine Träume, und das hatte seine Gründe.
Ich hatte als Kind immer wieder die gleichen heftigen, furchterregenden Albträume. Zum einen ertrank ich immer wieder im völlig überfluteten Nachbarort, zum anderen sah ich immer wieder eine furchterregende Szene in einem Waldgebiet, die etwas mit „bösen Menschen (oder einem bestimmten Mann)“ zu tun hatte, aber nicht erklärbar war. Ich wachte dann immer in totaler Panik auf. In einer dieser Situationen wachte ich eines Nachts mal wieder auf, hörte eine Türe knallen und hatte das Gefühl: „Da ist jemand“. In diesem Augenblick sagte ich mir „Du willst das nicht mehr träumen und du willst dich nicht mehr erinnern.“ Und das kam dann ganz genau so. Die Träume waren weg und die Erinnerung ebenso.
Manchmal ist es gut, so abgeschottet zu sein, aber es macht die Welt erheblich kälter, das Leben emotionsloser.
Aus der Tatsache, dass mein Unterbewusstsein nicht willens ist, mehr zuzulassen, fasst der Seminarleiter den Beschluss meine Sitzung vom Ablauf her abzukürzen und mich sofort in das „Lila Feuer der Auflösung“ zu schicken.
Auch hier bin ich nun sehr, sehr skeptisch, ob das wohl klappen wird. „Lila Feuer der Auflösung“, das klingt nicht sonderlich vernünftig und Vertrauen erweckend.
Anfangs, kann ich mir schon ein Feuer vorstellen, auch dass es größer wird. Dann soll ich näher gehen und reinsteigen.
Werde ich das tatsächlich tun? Lieber zweifle ich noch ein wenig. Doch dann bin ich drin- ohne Zweifel; denn was dann „abgeht“, ist mit Worten nicht zu beschreiben.
Sehen kann ich „eigentlich“ wenig, doch habe ich viel Licht, Schatten bis Farben (also doch Sehen) vor meinem dritten Auge.
Und dann folgt ein „Emotionsgewitter“.
Es fängt langsam an und gibt ein so wohliges Gefühl, wie wenn Weihnachten und Ostern bei schönstem Wetter und netten Leuten auf einen Tag fallen. Also etwas ganz Außergewöhnliches.
Doch dann geht es richtig ab: Schmetterlingsgefühl, Hochstimmung, Freude, alles zusammen, immer mehr, wie bei einem Anstieg auf den Mount Everest – etwa zehn bis fünfzehn Minuten.
Charlotte und der Seminarleiter verlassen mich und wollen etwa 25 Minuten wegbleiben. Ich bin froh dies alleine erleben zu dürfen. Das Hochgefühl bleibt etwa zehn bis fünfzehn Minuten, bevor es langsam, ganz langsam nachlässt.
Während dieser Zeit habe ich eine permanente Muskelkontraktion am ganzen Körper – besonders im Kopf-Nackenbereich, bretthart und kein Nachlassen und weiterhin dieses Hochgefühl, unbeschreiblich.
Nach insgesamt gut 20 bis 25 Minuten ebbt es ganz langsam ab, und als die beiden den Raum betreten, bitte ich um weitere fünf Minuten. Die brauche ich auch, da das alles mich sehr (im positiven Sinne) mitgenommen hat. Ich hatte noch nie, auch nicht ansatzweise in irgendeiner Form etwas Ähnliches erlebt.
Es war einfach Wahnsinn, purer Wahnsinn. Als die beiden dann wieder eintreffen, frage ich den Seminarleiter, wie er meine Situation wahrnimmt, denn ich sehe, dass er mein Innerstes erspüren kann.
„Da ist jemand total glücklich“, so lautet seine knappe Zusammenfassung.
Das kann meinen Zustand nicht zusammenfassen, aber glücklich sein, das muss wohl so ähnlich sein. Ich brauche noch einige Zeit, um wieder in halbwegs normale Gefilde zu kommen.
Auch in der Reflexion der Sitzung bin ich noch sehr mitgenommen. Ich weiß eigentlich nicht, wie mir geschehen ist. Was ich weiß, ist, dass es etwas ganz Besonderes war und dass es mich verändern wird.
Danach ist meine...