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Die Weiße Rose. Formen des Widerstands im Dritten Reich

Mit einer Abhandlung über den Gang und Stand der einschlägigen Forschung

AutorAndrea Dorscheid
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl163 Seiten
ISBN9783638544191
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 1998 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nationalsozialismus, II. Weltkrieg, Note: 1,0, Universität zu Köln (Seminar für Geschichte und Philosophie, Erziehungswissenschaftliche Fakultät), 182 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus ist bis heute im historischen Bewußtsein der deutschen Bevölkerung unzureichend und oft nur durch einzelne Schlagworte verankert. Die unterschiedlichen Intentionen und Motive, welche die Widerstandskämpfer und -gruppen zu ihren Taten bewegten und veranlaßten, aus der Reihe der Mitläufer herauszutreten und den Weg des passiven oder aktiven Widerstandes zu gehen, werden oftmals unter dem weitreichenden und dehnbaren Begriff 'Widerstand im dritten Reich' zusammengefaßt und keiner differenzierten Betrachtung unterzogen. Dieser Umstand ist insoweit problematisch, als daß der Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime keine einheitliche Bewegung war. So unterschieden sich sowohl die Formen des Widerstandes, die Begründungen, welche die Widerstandstätigkeit rechtfertigten, die Intensität des Widerstandes, als auch die Beweggründe, welche ihn motivierten. Letztere reichten nämlich von schlichter Empörung über die Rechtsbrüche des Diktators und der Partei bis zu der festen Überzeugung, Hitler sei der 'Antichrist', dem jeder gläubige Christ widerstehen und entgegenwirken müsse. Juristische und politische, ethische und religiöse Aspekte beeinflußten die unterschiedlichen Formen des Widerstandes und motivierten deren praktische Umsetzung. Die Materie erfordert also eine genaue Differenzierung dieser verschiedenen Merkmale, um den einzelnen Widerstandskämpfern und -gruppen in angemessener Weise gerecht werden zu können. [...]

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Leseprobe

B. Herkunft und Jugend der Per­sönlichkeiten der Widerstands­bewegung die „Weisse Rose“


 

Die fünf Persönlichkeiten der Widerstandsbewegung Weiße Rose hatten zum Zeitpunkt ihrer Hinrichtung, d.h. am 22. Februar, 13. Juli und 12. Oktober 1943, das Alter von 25 Jahren ausnahmslos noch nicht überschritten. Alexander Schmorell, der Älteste, war 25 Jahre alt, Sophie Scholl, die einzige Frau des engeren Kreises der Widerstandsgruppe, war mit ihren 21 Jahren das jüngste Mitglied. Hans Scholl und Willi Graf waren im Alter von 24 Jahren auf das Schafott geführt worden, Christoph Probst hatte im November 1942 seinen 23. Geburtstag gefeiert.

 

Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, zunächst Kindheit und Jugend der ein­zelnen Personen näher zu untersuchen, die Familienverhältnisse zu durchleuch­ten und nach den ersten und, wenn man das Alter des Todes berücksichtigt, auch den entscheidenden Eindrücken zu forschen, welche die Mitglieder beein­flußten, prägten und in ihren Handlungen motivierten.[6]

 

Es gilt nicht nur die Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, welche die Charaktere ver­banden, angefangen bei den bürgerlichen Elternhäusern, über die literarischen, musischen und künstlerischen Neigungen, die die Mitglieder auszeichneten, bis zu dem gemeinsamen Wunsch der freien und persönlichen Entfaltung des Indi­viduums. Darüber hinaus kommt es darauf an, die Unterschiede zu verdeutli­chen, welche natürlich zwischen diesen fünf Persönlichkeiten bestanden haben.

 

I. Hans und Sophie Scholl


 

Hans Scholl wurde am 22. September 1918 als zweites Kind und ältester Sohn der Familie in Ingersheim an der Jagst geboren.[7] Sophie Scholl, am 9. Mai 1921 in Forchtenberg im Kochertal zur Welt gekommen, war das vierte Kind und die jüngste Tochter der Familie Scholl.[8] Gemeinsam verlebten Hans und Sophie ihre Kindheit und Jugend in einer „liberal-protestantischen Atmosphäre eines schwäbischen Bürgerhaushaltes“[9] mit den Eltern Robert und Magdalene Scholl, sowie mit ihren drei Geschwistern, Inge, Elisabeth und Werner.[10] Der Vater bekleidete, zunächst in Ingersheim, später auch in Forchtenberg, das Amt des Bürgermeisters, bis er 1930 als Wirtschaftsprüfer in Ulm tätig wurde und 1932 die Übernahme eines Treuhandbüros für Wirtschafts- und Steuerberatung einen Umzug in die Domstadt unumgänglich machte.

 

Die Kindheit der Geschwister wird als unbeschwert und sehr glücklich beschrie­ben. Inge Scholl weiß zu berichten: „Das beschauliche Städtchen im Kochertal, in dem wir unsere Kindertage verbrachten, schien von der großen Welt verlas­sen. Die einzige Verbindung war eine gelbe Postkutsche, die die Bewohner in langer, rumpelnder Fahrt zur Bahnstation brachte […]. Uns erschien die Welt dieses Städtchens nicht klein, sondern weit und groß und herrlich. Wir hatten auch bald begriffen, daß sie am Horizont, wo die Sonne auf- und unterging, noch lange nicht zu Ende war.“[11] Ähnlich äußerte sich auch H. Steffahn: „Das Kocherstädtchen wurde die erste richtige Heimat der Scholl-Kinder; hier gingen sie eins nach dem anderen in die Schule, streiften durch die Weinberge und Mischwälder.“[12]

 

Die Mutter war, wie Ricarda Huch es formuliert, „heiter, voll unerschöpflicher Liebe, sie verbreitete Wärme und Wohlsein, der Vater war ernst und zurückhal­tend. Gab die Mutter das Gefühl der Geborgenheit, so war der Vater Stütze und Gerüst“.[13]

 

Die Scholl-Kinder genossen eine offene und liberale Erziehung in einem natur­verbundenen Umfeld. Der religiöse Einfluß ging hauptsächlich von der Mutter aus. Der Vater gehörte -so jedenfalls R. Huch- zu „den Protestanten, für die das Religiöse im Sittlichen aufgegangen ist und die die aus dem Christentum er­wachsene, im Abendland gültige Sittlichkeit aus der Philosophie oder unmittel­bar aus der Vernunft ableiten“.[14] Er wirkte durch seine Einstellung der Religion jedoch nicht entgegen; die Kinder durften sich vielmehr in allen Bereichen gei­stig und körperlich frei entfalten.[15]

 

Dieser Umstand führte 1933, als Folge der Tatsache, daß zuerst Hans Scholl und später auch seine Geschwister in die Hitlerjugend eintraten, zu massiven Konflikten innerhalb der Familie.[16] Der liberale, kosmopolitisch eingestellte und durch seine Arbeit im Treuhandbüro mit den Problemen der Weltwirtschafts­krise vertraute Robert Scholl erkannte offenkundig, weshalb so viele in ihrer Not auf den Führer der NSDAP hofften, der das wirtschaftliche Massenelend zu überwinden versprach. Er selbst sah in Hitler jedoch nicht die Rettung, sondern lehnte das NS-Regime in entschiedenster Weise ab.[17] Robert Scholl war „unwillig“[18], und -wie Inge Scholl berichtet- entsetzt über die Begeisterung, die die neue Regierung in seinen Kindern zu erzeugen vermochte, bezeichnete er die nationalsozialistische Machthabung von Anfang an als „Wölfe und Bärentrei­ber“, die das „deutsche Volk“ schrecklich „mißbrauchen“[19]. Trotz aller War­nungen verfielen die Geschwister Scholl zunächst „den irrationalen Lockun­gen“[20] der NSDAP. Sowohl jugendliche Naivität als auch politische Unerfah­renheit verhinderten, daß sie, wie viele andere auch, die hohlen Versprechungen und die propagandistischen Tricks der Nationalsozialisten zu Beginn der Machtergreifung durchschauten. Des weiteren unterschied sich die Hitlerjugend, die sich 1933 noch im Aufbau befand, beträchtlich von ihren späteren Erschei­nungsformen. Charakterisierend waren hauptsächlich Elemente, die Jugend­bewegungen auszeichneten, wie das Fahrten- und Lagerleben, und so natürlich eine große Masse von Jugendlichen ansprach und in ihrer Freizeit magnetisch anzog.[21] Selbstverantwortung, Gemeinschaft und Abgrenzung vom Elternhaus waren tragende Gedanken; Fahrt und Lager, Tracht und Brauchtum mit klang­vollen Liedern waren -so H. Steffahn- „ihr schmückendes Beiwerk“[22] und boten zahlreiche Anknüpfungspunkte für die heranwachsende Generation auf dem Weg zur Selbständigkeit. Inge Scholl erinnert sich an die Faszination, die so­wohl von der damaligen Hitlerjugend als auch vom Führer selbst ausging: „Hitler, so hörten wir überall, Hitler wolle diesem Vaterland zu Größe, Glück und Wohlstand verhelfen; er wolle sorgen, daß jeder Arbeit und Brot habe; nicht ruhen und rasten wolle er, bis jeder einzelne Deutsche ein unabhängiger, freier und glücklicher Mensch in seinem Vaterland sei. Wir fanden das gut, und was immer wir dazu beitragen konnten, wollten wir tun. Aber noch etwas anderes kam dazu, was uns mit geheimnisvoller Macht anzog und mitriß. Es waren die kompakten Kolonnen der Jugend mit ihren wehenden Fahnen, den vorwärts­gerichteten Augen und dem Trommelschlag und Gesang.“[23]

 

Die Geschwister Scholl beteiligten sich fasziniert an Heimabenden und ausge­dehnten Wanderungen, durchdrungen von einem Gefühl engster Zusammenge­hörigkeit und Verbundenheit. Überzeugt, einer großen Idee zu dienen, waren sie stolz, ein kleiner Teil der großen Organisation zu werden, die scheinbar alle Mitglieder in gleicher Weise umfaßte und würdigte. So weiß Inge Scholl zu berichten: „Wir fühlten uns beteiligt an einem Prozeß, an einer Bewegung, die aus der Masse Volk schuf. Wir wurden ernst genommen, in einer merkwürdigen Weise ernst genommen, und das gab uns einen besonderen Auftrieb“.[24]

 

Die Begeisterung Hans Scholls als auch die der anderen Scholl-Kinder dauerte an, bis immer deutlicher wurde, daß gerade „die Chance der freien Entfaltung des Individuums“[25], welche sie sich vom nationalsozialistischen Gedankengut versprochen hatten, ausgeschlossen und pure Utopie war. Immer häufiger wur­den sie in der Hitlerjugend, Hans Scholl war bereits zum Fähnleinführer aufge­stiegen[26] und Sophie gehörte dem Jungvolk an[27], mit widersprüchlichen und unerklärlichen Verhaltensweisen der Nationalsozialisten konfrontiert. Hans, der einen „Liederschatz“[28] gesammelt hatte, wurde beispielsweise verboten, Volks­lieder aus anderen Ländern und Völkern anzustimmen, oder weiterhin „undeutsche“ Literatur von seinem Lieblingsdichter Stefan Zweig zu studieren.[29] Nachrichten von Verhaftungen bekannter Lehrer, die ihre Meinung „zu laut“ kundgetan hatten,[30] und Ausschlüsse ausländischer Freunde aus der Hitler­jugend[31] boten ebenfalls Nährböden für die erste aufkeimende Kritik.

 

Zu dieser Zeit, im September 1935, wurde Hans Scholl, der im Gegensatz zu Sophie schon äußerlich völlig dem nationalsozialistischen Idealtyp entsprach[32], mit der ganz besonderen „Ehre“ ausgezeichnet, die Fahne seines Standortes zum Parteitag nach Nürnberg zu tragen. Trotz aller Bedenken, die ihn und seine Ge­schwister immer öfter quälend erfüllt hatten, nahm er voller Stolz und Freude den...

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