Vorwort
Die Digitale Transformation stellt Unternehmen vor Herausforderungen, die Kernstrategien, Unternehmenskultur, Organisation, Wertschöpfungsketten und Prozesse grundlegend verändern. Für Kunden und Verbraucher sind digitale Innovationen längst Teil des Alltags (wie etwa die Nutzung von WhatsApp oder Netflix) und werden in erstaunlichem Tempo adaptiert. Die Reaktionsgeschwindigkeiten der betroffenen Unternehmen sind hingegen äußerst unterschiedlich: Manche agieren seit Jahren (teilweise gezwungenermaßen) mit einer erfolgreichen Strategie zur Digitalisierung, andere beginnen erst zu ahnen, dass auch sie von diesem größten Wandlungsprozess seit der Industrialisierung betroffen sein könnten. Brian Solis umschreibt die Herausforderung der Digitalisierung in diesem Zusammenhang treffend mit »When technology and society evolve faster than the ability of companies to adapt« (Solis, 2015).
Die notwendigen Veränderungen betreffen dabei selten nur einzelne Bereiche, sondern die gesamte Unternehmensstrategie, die Unternehmenskultur, die Organisation und alle operativen Prozesse. Die mit der Digitalisierung einhergehenden Gesetzmäßigkeiten betreffen den Kern eines jeden Unternehmens. Aus diesem Grund ist es nicht verwunderlich, dass anfangs vermeintlich isolierte Digitalprojekte schnell einen kompletten Change-Prozess in allen Unternehmensbereichen erfordern, oftmals verbunden mit einer operativen Restrukturierung. Der Versuch einer Digitalen Transformation bei gleichzeitiger Verteidigung des Bestehenden ist hingegen meist zum Scheitern verurteilt.
Gefragt ist vor diesem Hintergrund umso mehr systematisches Handlungs- und Orientierungswissen, im Sinne von: Was unterscheidet erfolgreiche Unternehmen von nicht erfolgreichen? Welche Themen und Herausforderungen sollten in welcher Form, in welcher Schrittfolge, mit welchen Teilprojekten angegangen werden? Um es deutlich zu sagen: Es geht hier nicht darum, den nächsten »kreativen Meisterstreich« herbeizusehnen, noch permanent dem neuesten Buzzword hinterherzujagen. Es zeigt sich bei den meisten Unternehmen, dass gerade platitüdenhafte Schreckensszenarien, gepaart mit hysterischer Endzeitstimmung à la »digitaler Darwinismus« eher zu blindem Aktionismus führt, der wiederum in einer Vielzahl gescheiterter Projekte mündet. Vielmehr geht es um die systematische Suche nach Strategien und Erfolgsfaktoren, die Unternehmen helfen, Erfolge schrittweise und systematisch in der Digitalen Transformation zu realisieren. Die laufenden Veränderungen bergen enorme Potenziale, gleichzeitig sind Umfang und Tempo für die meisten (etablierten) Organisationen beängstigend bzw. nur schwer zu bewältigen.
Die Vielzahl an Projekten über die letzten fast 30 Jahre zeigen: Digitalisierung ist vordinglich eine Führungsaufgabe, die durch das gesamte Unternehmen getragen werden muss. Alle Teile der Wertschöpfungskette sind durch digitale Veränderungen betroffen: Kommunikation, Marketing, Vertrieb, Produktion (Industrie 4.0) oder auch grundlegende Technologien. Erfolgreiche Digitale Transformationen verfügen deshalb über spezielle Organisationskonzepte, beachten digitale Potenziale und Risiken in ihrer strategischen Planung und stimmen IT-Planung und Unternehmensstrategie eng aufeinander ab. Dem gegenüber steht in den meisten Unternehmen eine seit der Industrialisierung perfektionierte funktionale Spezialisierung. Deren Vorteile: klare Aufgaben-, Kompetenz- und Verantwortungsbereiche, Synergieeffekte durch Funktionsbündelung sowie die Verhinderung von Redundanzen und Kostendegression (Skaleneffekte). Die Digitalisierung erfordert nunmehr das Aufbrechen funktionaler und langjährig etablierter (lieb gewonnener) Silostrukturen, etwa im Zusammenspiel zwischen Fachbereichen und IT, um die teilweise schwierige Zusammenarbeit zwischen den Funktionsbereichen (Koordinationsaufwand), ein damit einhergehendes fehlendes Verständnis für andere Bereiche (Bereichsegoismus und Ressortdenken, z. B. Konflikt zwischen Marketing, Produktion und IT) und einen oftmals immensen Zeitbedarf bis zur Entscheidungsfindung zu überwinden. Mit anderen Worten: Obwohl es in der Organisationstheorie bereits seit Jahrzehnten eine Vielzahl an Studien gibt, die etwa die Vorteile crossfunktionaler Teamarbeit belegen (Tjosvold, 1984), war die Unternehmenspraxis eher geprägt durch funktionale Silostrukturen. Dies unabhängig von der Größe und Branche der jeweiligen Unternehmen. Die Einfachheit in der Umsetzung und die Klarheit der funktionalen Spezialisierung in der Aufbauorganisation hat die damit einhergehenden Nachteile in der Ablauforganisation meist (kurzfristig) überdeckt. Die anstehenden tiefgreifenden Veränderungen können nicht kurzfristig durch crossfunktionale Arbeitsgruppen im Sinne von »… die sollen sich mal darum kümmern …« realisiert werden, sondern müssen auf der Basis klarer Entscheidungsvorlagen aus dem Management crossfunktional vorangetrieben werden.
Erfolgreiche Digitale Transformationen basieren selten auf dem Bauchgefühl, sondern sind kennzahlengetrieben. Der Erfolg hängt dabei wesentlich von der operativen Exzellenz auf allen Ebenen ab und setzt ein effizientes KPI-Management voraus. Je effektiver diese KPIs zwischen den Abteilungen geteilt werden, desto zielgerichteter und leistungsfähiger ist das Unternehmen im digitalen Wettbewerb. Nur die vollkommene Transparenz aller relevanten Kennzahlen ermöglicht eine schnelle und effiziente Anpassung an sich ändernde Marktbedingungen. Die Digitale Transformation erfordert hierfür ein deutliches Umdenken: Statt Fehler um jeden Preis zu scheuen, sollten diese als Ausdruck eines bereits seit den 1960er-Jahren vielfach beschriebenen Organizational Learning aktiv gefördert werden (Strauß, 1996). Auch hier zeigt sich: Während in der Organisations- und Führungsliteratur die grundlegenden Konzepte etwa zum Organizational Learning bereits seit vielen Jahren vorliegen, wurden diese in der Praxis meist nicht umgesetzt bzw. sind die hierzu aufgesetzten Projekte meist gescheitert. Die Herausforderung ist immer wieder: »Altes« mit »Neuem« zu verbinden, etwa Konzepte zur serviceorientierten Architektur in der IT mit modernen Anwendungsszenarien in der Kundeninteraktion. Meistens ist das eine nicht per se »falsch« und das andere nicht per se »richtig«, sondern vielmehr in unterschiedlichen Anwendungskontexten immer wieder neu und verschiedenartig miteinander zu kombinieren.
Der Hemmschuh: Für viele technologische Innovationen existieren keine belastbaren Marktdaten. Über einen Minimum-Viable-Product-Ansatz können Innovationen zu geringen Kosten und Risiken getestet werden, um zu überprüfen, ob ein Produkt auf dem Markt bestehen kann, um nachfolgend gezielt und schrittweise auch höhere Investitionen zu tätigen. Ein solcher Proof of Concept zahlt sich nachhaltig aus und bewahrt meist davor, unübersichtliche Risiken einzugehen. Doch das Karussell dreht sich weiter: Die Digitalisierung und die hier entstehenden Möglichkeiten verkürzen in bester Schumpeter’scher Tradition die Halbwertszeit von Geschäftsmodellen und -prozessen zunehmend. Was heute noch wichtig und richtig war, wird morgen schon wieder durch ein neues Geschäftsmodell und Innovation verdrängt. In der Folge müssen sich Unternehmen und Mitarbeiter immer schneller neu erfinden. Die zwingende Voraussetzung für einen solchen kontinuierlichen Change-Prozess ist der Wandel von einem prozess- zu einem projektgetriebenen Geschäftsansatz. Unternehmen mit einem exzellenten (crossfunktionalen) Projektmanagement bringen daher oftmals auch die notwendigen Voraussetzungen für einen erfolgreichen digitalen Wandel mit.
Als wir im Jahr 2000 am Ende des »Dot-Com-Hypes« die Studie »eReality« zur Ermittlung des betriebswirtschaftlichen Nutzens und der Erfolgsfaktoren der Digitalisierung durchgeführt haben, war noch nicht absehbar, mit welcher Geschwindigkeit die Entwicklung zur Net Economy weiter voranschreiten wird – auch wenn die ersten Anzeichen für die zukünftige Entwicklung bereits überdeutlich waren (Strauß/Schoder, 2001). Mit »Digital Business Excellence« (Strauß, 2013) haben wir in Anlehnung an Peters/Waterman »In Search of Excellence« (Peters/Waterman 2004) in einer quantitativen Untersuchung Erfolgsfaktoren der Digitalisierung analysiert und diese durch eine Vielzahl an Unternehmens- und Projektbeispielen untermauert. Das vorliegende Buch greift nunmehr die Erfolgsfaktorenanalysen als auch die Vielzahl von Projekterfahrungen der letzten fast 30 Jahre auf, erweitert und ergänzt diese um Einzelinterviews, um hieraus ein erweitertes Bausteinkonzept zu entwickeln. Hatte die erste Auflage »Digital Business Excellence« noch den Fokus auf die Beschreibung der (eher statischen) Bausteine, steht nachfolgend die Betrachtung im Mittelpunkt, wie man sich als Unternehmen im Sinne einer Transformation von A nach B entwickeln kann.
Ohne es vorwegnehmen zu wollen, belegt die Vielzahl an Analysen und Projekten eindrucksvoll: Obwohl sich je nach Branche und Unternehmensgröße unterschiedliche...