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Mit dir wird alles anders, Baby!

Briefe eines werdenden Vaters an sein Kind

AutorDennis Betzholz
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783426454145
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Dennis Betzholz' Leben steht in Kürze auf dem Kopf: Er wird Vater. Und er will ein guter sein. Doch wie rüstet man sein Kind am besten für die Welt da draußen? In 42 Briefen, mindestens einer pro Schwangerschaftswoche, bereitet er sich auf seine Vaterrolle vor - mit großen Gefühlen, klugen Gedanken und einem guten Schuss Humor. Worauf kommt es im Leben an? Dennis Betzholz wird diese Frage bald jeden Tag beantworten müssen. Er wird Vater. In 42 Briefen an sein Kind denkt er darüber nach, wie es ihm gelingen kann, einen guten Menschen großzuziehen. Mal witzig, mal tiefsinnig, mal kämpferisch geht er auf die Suche nach dem Kern des Mensch-Seins: Er philosophiert über Werte, den Zufall, die Liebe und Dankbarkeit, aber auch Besitztum, Ressourcen und Freiheit. Er erzählt Geschichten von sich und von Weggefährten - und erkennt, dass er mit seinen Lebensweisheiten auch danebenliegen kann. Ein charmantes Plädoyer, sich angesichts der Verantwortung nicht kirre machen zu lassen, eine Liebeserklärung an die nächste Generation und ein Glücks-Beschleuniger für werdende Eltern.

Dennis Betzholz, geboren 1985 in Oberhausen, lebt als Journalist, Autor und Verleger in Hamburg. Er schrieb für den 'Stern', den 'Spiegel' und diverse große Tageszeitungen, derzeit ist er Redakteur bei der 'Welt/Welt am Sonntag'. Für seine Reportagen war er bereits für den Deutschen Reporterpreis sowie den Henri-Nannen-Preis nominiert und gewann mehrere weitere Preise. Doch sein größtes Geschenk ist seine kleine Tochter.

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Leseprobe

Über die Briefe der nächsten Wochen


Liebes Kind!

Das erste Mal, als ich über dich nachgedacht habe, warst du eine Zeichnung in einem Aufklärungsbuch. Es hieß Peter, Ida und Minimum. Familie Lindström bekommt ein Baby. Ich legte es tagelang nicht aus der Hand, erforschte die nackten Körper, die sich im Bett rekelten, ohne zu verstehen, was sie taten. Sie sahen glücklich dabei aus. Es musste wohl schön sein, ein Baby zu bekommen.

Beim zweiten Mal warst du eine kindlich-naive Idee vom Leben. Wie ich mir die Zukunft vorstelle, fragte mich das Freundschaftsbuch eines Schulkameraden. Ich trug mit meinem Füller ein: Abitur machen, studieren, eine Familie gründen. Dein Papa war schon mit neun ein elender Spießer.

Beim dritten Mal warst du die Drohung meines Vaters, der mir mit 18 vorsichtshalber ein Kondom zusteckte. Es war ein Werbegeschenk, das er von einer Dienstreise mitbrachte. »Wir freuen uns, wenn Sie kommen«, stand darauf. Darunter die Adresse eines Kfz-Betriebs. Na ja. Als ich das Verhüterli eines Tages endlich hätte gebrauchen können, war es längst abgelaufen.

Beim vierten Mal warst du eine Zahl. Ich war gerade ein paar Monate mit deiner Mama zusammen, da fragte sie mich: »Wie viele Kinder willst du eigentlich mal haben?« Diese Frage klingt zwar unschuldig, aber sie kann, im schlimmsten Fall, über die Zukunft einer Partnerschaft entscheiden. Ich überlegte daher kurz, aber gewissenhaft. Und antwortete taktisch: dass wir doch am besten mit dem ersten Kind anfangen sollten.

Beim fünften Mal warst du schließlich ein fester Plan. Wir wollten ein Kind. Aber zunächst wollten wir heiraten. Meine Freunde nannten diese Abfolge ganz schön konservativ, meine Eltern alternativlos, und mein Opa fragte, wie es denn sein könne, dass wir, ohne verheiratet gewesen zu sein, überhaupt zusammenwohnten.

Und nun, beim sechsten Mal, bist du ein Zeitpunkt. Noch ein Jahr, bis du kommst. Ob ich ein Hellseher bin, fragst du dich? Nein, nein. Lass mich dir das genauer erklären.

 

Es war ein warmer Samstagvormittag im August, als mir klar wurde, dass du unser Leben auf den Kopf stellen wirst und ich mich schleunigst darauf vorbereiten muss. Gute Freunde hatten ihre Liebsten zu einem Brunch in ein ländliches Café auf einem ehemaligen Bauernhof eingeladen. Sie waren vor gut einem Jahr Eltern geworden. Ob sie nun die Geburt feierten oder das Leben an sich oder das Glück, trotz des Kindes noch ein paar Hundert Euro für einen Brunch übrig zu haben, erschloss sich mir aus der Einladung nicht.

Ich ging trotzdem hin, allerdings ohne deine Mama, die ihren Chef auf eine Segelregatta nach Dänemark begleiten musste. Zuvor aber hatte sie noch eine Karte besorgt, auf der stand: Leben bedeutet, Dinge von der To-do-Liste auf die Scheiß-egal-Liste zu verschieben. Wir hatten keinen blassen Schimmer, wie unpassend diese Granatenweisheit für junge Eltern ist. Aber dazu gleich.

Zunächst solltest du wissen, dass sich die Spezies Eltern notgedrungen mit ihresgleichen umgibt. Schwangerschaftsvorbereitung, Kreißsaal, Rückbildungsgymnastik, PEKiP-Kurse, Spielplätze, Kita-Anmeldung, überall lauern hormonüberschüssige Gleichgesinnte, die ebenfalls Menschen suchen, mit denen sie sich austauschen können. Gerne auch bei einem Ingwertee und veganem Kuchen. Unsere Freunde zogen diese Menschen offenbar magisch an. Zu ihrem Unter-freiem-Himmel-Brunch kamen 40 Erwachsene und 20 Kleinkinder. Eine Armada an Kinderwagen reihte sich zwischen den Holztischen auf. Plastikbagger und Förmchen lagen wie Tretminen auf dem Rasen. Auf den Tischen stapelten sich, je nach Alter des Kindes, Spucktücher oder Bilderbücher. Ich saß an einem Bilderbuchtisch.

Neben mir nahmen junge Eltern Platz. Er trug Sonnenbrille und Dreitagebart, sie ein blumiges Sommerkleid und Sohn Jonathan auf dem rechten Arm. Ein Paar wie vom Cover der Nido. Dachte ich.

»Kannst du bitte mal Jonathan eincremen?«, fragte Jonathan-Mama Jonathan-Papa.

»Ich mache das doch schon unter der Woche vor der Kita«, nörgelte der zurück.

Jonathan-Mama zog eine Schnute. Wäre sie jetzt allein mit ihm zu Hause, so verriet ihr Blick, würde sie ihm nun aufzählen, was sie so den ganzen Tag als Vollzeitmutti leistet und dass er ja wohl auch das Kind haben wollte. Stattdessen kramte sie wortlos die Tube aus einem Jutebeutel und rieb Jonathan derart viel mit Sonnenmilch ein, dass er aussah wie Michael Jackson in seinen blassesten Tagen.

Um Eltern kennenzulernen, muss man nur einem einzigen Gebot folgen: Sei aufmerksam! Eltern füttern ihr Kind, wechseln seine Windeln, lesen ihm vor, suchen es, rennen ihm hinterher, gehen mit ihm spazieren, ziehen ihm eine Mütze auf, ziehen sie wieder ab, trösten es, erklären ihm die Welt, säubern seine Kleidung, verjagen Wespen, legen es schlafen, ein Leben wie eine nicht enden wollende To-do-Liste, doch irgendwo dazwischen wenden sie sich für einen winzigen Augenblick von ihrem Kind ab und den Tischnachbarn zu. Und genau das ist der Moment, in dem man sie ansprechen sollte.

»Habt ihr eigentlich viele Erziehungsratgeber gelesen?«, fragte ich interessiert in die Runde. Die Alphadaddys winkten belustigt, fast schon trotzig ab, als hätte ich wissen wollen, ob sie seit der Schwangerschaft Viagra benötigen. Außer Jonathan-Papa. Dem rutschte einen Tick zu schnell heraus: »Nur zwei Bücher.« Noch im selben Moment bereute er seine Ehrlichkeit und lächelte verlegen bis grenzdebil. »Aber nicht bis zum Ende«, schob er entschuldigend hinterher. Man musste jedoch kein Verhaltensforscher sein, um zu erkennen, dass er damit unter den Männern am Tisch in der Nahrungskette auf das Niveau einer Ameise zurückgefallen war.

Der Brunch war in vollem Gange, da gesellte sich auch die Gastgeberin an unseren Tisch. Sie arbeitete bei einem großen deutschen Handelsunternehmen. Ihr Vertrag war auf 15 Monate befristet, ihr Mann arbeitete ebenfalls Vollzeit. Das Kind brachten sie mit zwölf Monaten in die Kita. Unsere Freundin haderte mit der Doppelbelastung und dass sie ihr Kind unter der Woche nur für die Gutenachtgeschichte sehe. Ihr Mann, der früher Feierabend hat, betreue das Kind. Und dann sei da ja noch das Grundstück, das sie gekauft haben und für das sie noch ein Fertighaus auswählen müssten. »Aber dafür finden wir seit Monaten keine Zeit. Mit Kind«, sagte sie, »hat man nie Zeit!«

Mit diesen Eindrücken fuhr ich zurück nach Hamburg. Ich dachte dabei an dich. Ich fragte mich, ob du für uns auch eine Belastung sein wirst, eine nicht enden wollende To-do-Liste, von der nichts, aber auch rein gar nichts auf die Scheiß-egal-Liste zu verschieben ist. Und ob deine Mama und ich uns auch deinetwegen ankeifen werden? Ich war in meinem Leben viel zu oft ein Zauderer. Ich wägte so lange die Vorteile und Nachteile einer Idee ab, bis die Chance vorüber war. Typisch Generation Y. In dieser Sache aber nicht. Diesmal habe ich keinen Zweifel: Ich will dein Vater werden. Ich will dich kennenlernen, so bald wie möglich.

Doch eines habe ich an diesem Tag begriffen: dass ich auf dieses erste Treffen vorbereitet sein will. Bevor sich mein Leben verändert und ich mich womöglich mit ihm und der Alltag zwischen Windelnwechseln und Karriere die guten Vorsätze frisst. Wenn du mich fragst, worauf es ankommt im Leben (und das wirst du täglich tun, ohne es auszusprechen), will ich dir eine gute Antwort geben. Doch dafür brauche ich Zeit. Zeit, um dir Gefühle zu beschreiben und dir die Welt zu erklären. Zeit, dich an einen bestimmten Ort zu führen oder zu einem bestimmten Menschen. Zeit, dir von mir und anderen zu erzählen, von früher, heute oder morgen. Wenn es stimmt, was die anderen sagen, werde ich diese Zeit nicht mehr haben, wenn du da bist. Deshalb will ich dir vorab Briefe schreiben. Sie sollen mir und dir als Grundpfeiler dienen, als Inspiration, als Erinnerung an das, was ich vor deiner Geburt gefühlt habe, die Ängste eines werdenden Vaters ebenso wie dessen unbändige Vorfreude.

Das hat noch einen weiteren Vorteil. Denn bist du erst bei mir, werde ich in dir nicht mehr den Menschen sehen, der du sein wirst. Ich werde dich dann zu lieb haben. Ich werde mich, falls du Fußball spielst, mit deinem Trainer anlegen, wenn er dich wieder nicht eingewechselt hat, obwohl jeder andere sieht, dass du – wie ich früher – aus fünf Metern Entfernung einen abgestellten Umzugswagen verfehlst. Ich hingegen sehe nur deine Enttäuschung, wie du dein nicht verschwitztes Trikot in die Sporttasche stopfst und auf dem Heimweg wortlos aus dem Autofenster starrst.

Ich werde dir Vorschriften machen, die keinen Sinn ergeben, und sauer werden, wenn du dich ihnen widersetzt. Ich werde Sätze sagen, wie »Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst …«, und mir insgeheim wünschen, dass du niemals ausziehst.

Ich werde Angst um dich haben. Und meine Angst wird mich die Dinge enger sehen lassen, meine Perspektiven werden dich beschränken wie einen Goldfisch in einem viel zu kleinen Aquarium. Dabei sollst du den Ozean kennenlernen, seine Farbenpracht, seine Weite, seine Artenvielfalt, seine Stille, das Getriebenwerden und Treibenlassen, aber auch seine Gefahren, seine Dunkelheit, seine Verletzlichkeit.

Ich will dir ein guter Vater sein. Ich will das wirklich gut machen. Aber was ist das eigentlich: ein guter Vater? Und wie rüsten gute Eltern ihr Kind für die Welt, die da draußen lauert? Was will ich dir beibringen? Was kann ich dir überhaupt beibringen?

Nach dem Brunch machte ich noch einen Abstecher über die Mönckebergstraße, Hamburgs berühmte Einkaufsmeile. An jeder Ecke buhlen dort Kleinkünstler um die...

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