Kapitel 2
Es kommt darauf an, was wir daraus machen
Der Schubkarrenmann schiebt freudig seinen Schubkarren. Im Schubkarren liegt eine Eichel. Er richtet sein Bewusstsein auf das aus, was aus dieser Eichel werden kann.
„Der Bernie kommt bald in die Schule“, sagt mein Vater zu meiner Mutter, „das kostet wieder einiges an Geld, da machen wir den Dieter gleich mit!“
„Aber der ist doch erst fünf“, wendet meine Mutter ein.
„Ach was, der ist pfiffig, der macht das schon“, meint mein Vater und damit ist es beschlossen.
So ähnlich stelle ich mir das Gespräch meiner Eltern vor und habe viel Verständnis dafür. Das Geld war knapp, nur ein Verdienst, drei Kinder. Da hilft alles nichts, der Monat geht viel zu schnell rum, also wird verständlicherweise darauf geschaut, wohin das Geld fließt.
Dieses „da machen wir den Dieter gleich mit“, habe ich auch bei der Konfirmation sowie bei einer Operation, die bei meinem Bruder notwendig wurde, erlebt. Nun, geschadet hat es mir nicht, denn so habe ich sehr früh interessante Erfahrungen machen können, die für mein weiteres Leben wichtig waren.
Ich wurde also früh eingeschult und da ich im Vorfeld der Schule auch keinen Kindergarten besucht hatte, war ich dementsprechend völlig überfordert mit der Situation. Ich kann mich erinnern, dass ich in den ersten Wochen immer einen Jungen aus der Klasse als meinen Wegweiser benutzte. Ihm folgte ich vom Schulhof ins Klassenzimmer, denn allein hätte ich das zu Beginn nicht gefunden. Blöd war für mich, wenn dieser Junge mal nicht zur Schule kam. Da stand ich dann auf dem Schulhof, bis sich ein Lehrer meiner annahm.
Meine Schulzeit habe ich als sehr anstrengend und sehr kurz erlebt. Zu wenig Lehrer, zu viele Schüler, teilweise bis zu siebzig Kinder in einer Klasse. Zu dieser Zeit gab es die sogenannten Kurzschuljahre, das bedeutete, wir wurden nach acht Monaten in die nächste Klasse versetzt.
Meine Noten? Nun, formulieren wir es mal so. Heute würde ich wahrscheinlich als hochbegabt eingestuft. Meine Eltern hatten nicht die Möglichkeiten mich beim Lernen zu unterstützen, sodass ich mit 14 Jahren von der Hauptschule abging. An meinem letzten Schultag nahm mich mein Lehrer an die Seite und sagte zu mir:
„Dieter, morgen musst du nicht mehr kommen, du bist fertig mit der Schule. Dein Zeugnis kannst du dir nächste Woche im Sekretariat abholen. Auf Wiedersehen.“
Das war‘s dann mit Schule. Ich ging heim und mein Vater meinte zu mir, nun beginne der Ernst des Lebens. Arbeiten gehen sei angesagt.
Er fuhr mich zu einem Bekannten in eine Werkstatt und stellte mir diesen Menschen als meinen Chef vor. Da war ich nun. Ich fuhr brav sehr früh am Morgen ca. 25 Kilometer mit dem Fahrrad arbeiten. Irgendwann fragte ich meinen Vater, wie lange ich denn da noch hinmüsse. Er meinte, erst mal drei Jahre, denn ich hätte ja nun eine Lehre begonnen.
Abends lag ich im Bett und überlegte, was das wohl für eine Lehre sei. Ich hatte schlichtweg keine Ahnung, wie der Beruf sich nennt, den ich da erlerne. Das Einzige, was ich den ganzen Tag zu tun hatte, war die Werkstatt zu kehren, Holzstücke zusammenzuleimen, irgendwelche Dinge anstreichen und für den Meister und die Gesellen Bier und Vesper holen. Ich hatte nicht den Mut nachzufragen.
Nach einem halben Jahr ging es mit der Berufsschule los. Schule! Na toll! Am ersten Tag hatte ich den Mut, meinen Banknachbar zu fragen, was wir hier lernen. Er schaute mich an und sagte: „Wie, was wir hier lernen? Das ist doch nicht dein Ernst, oder?“
„Würde ich dich sonst fragen? Sag schon.“
„Wir werden zum Modellbauer ausgebildet, hast du das wirklich nicht gewusst?“
„Nein, aber danke für die Information.“
Modellbauer also. Ok. Hört sich doch nach was an, oder? Das Problem war, dass ich in dem Betrieb während meiner gesamten Lehrzeit vielleicht drei, vier kleine, einfache Modelle gestalten durfte. Die Gesellenprüfung bestand ich nur deshalb, weil der Meister mir das Gesellenstück zu 80% baute. Er bekam die Note drei.
Ich arbeitete noch einige Jahre ohne große Freude in diesem Beruf. Meine Möglichkeiten waren sehr eingeschränkt, also tat ich das, was zu tun war – ich ging arbeiten.
Eines Tages sprach mich ein Bekannter an.
„Hey Dieter, hast du Lust das große Geld zu machen?“
„Na ja, das große Geld muss es nicht unbedingt sein“, war meine Antwort, „aber ich würde gerne etwas anderes machen. Etwas, das mir Spaß macht und das ich kann!“
„Ja, dann komm mit am Wochenende, ich geh‘ auf eine Veranstaltung, da sagen die dir das genau. Ich finde es toll. Und ich soll andere mitbringen, also was ist?“
“Um was geht es denn?“, ist meine berechtigte Frage.
„Das kann ich dir nicht genau sagen. Hast du Zeit? Kannst es dir ja mal anschauen, was meinst du?“, ist seine ausweichende Antwort.
„Ja, ok, wenn du meinst. Zu verlieren hab‘ ich ja nichts“, sage ich zu.
„Klasse, ich hole dich am Samstagmorgen um neun Uhr ab, wir fahren nach Frankfurt!“, sagt er nun ganz begeistert.
„Nach Frankfurt, da war ich noch nie!“
„Dann wird es ja mal Zeit. Und zieh dir was Gutes an, am besten einen Anzug.“
„So was habe ich nicht. Geht auch eine schöne Jeans mit einem weißen Shirt?“, gebe ich unsicher zurück.
„Hmm, Jeans geht, glaube ich, aber Shirt ist nicht zugelassen. Weißt du was, ich habe ein Hemd und eine Krawatte für dich, das leihe ich dir aus, ok?“
„Ähhh, ja, ok, wenn du meinst“, erwidere ich.
„Und eine Anzugsjacke von meinem Vater liegt auch noch daheim, die sollte dir passen, die nehme ich auch für dich mit“, sagt er und klopft mir kumpelhaft auf die Schulter.
So ausgestattet betrete ich an diesem für mich besonderen Wochenende ein Business-Hotel in Frankfurt. Und ich sollte bei dieser Veranstaltung die Chance meines Lebens bekommen.
Eines wird mir schnell bewusst: diesen Menschen ist meine Schulbildung gleichgültig! Sie wollen mir ihr Produkt verkaufen, alles andere ist unwichtig. Jeder, der das Geld aufbringen kann, ist sozusagen qualifiziert. Ich muss keine Bewerbung schreiben, was ich bis heute auch noch nie getan habe. Ich muss einfach die Vereinbarung unterschreiben, das Produkt einkaufen und somit bin ich dabei. Ich bin im Ölgeschäft!
Diese Menschen gaben mir die Möglichkeit, den Impuls und somit die Erlaubnis, eine bewusste Veränderung in meinem Leben zu initiieren. Ich wurde nicht nach meinen Noten bewertet! Hier zählte ausschließlich mein Einsatz, mein Fleiß, mein Durchhaltevermögen. Und der Willen, es zu schaffen. Und den hatte ich! Es brannte ein Feuer in mir, diese für mich, aus damaliger Sicht, einmalige Chance zu nutzen. Es ging nicht um meine Schulbildung, es ging darum, erfolgreich „seinen Mann“ zu stehen. Und die Erfahrung, etwas in Eigenleistung aufzubauen, trotz meiner Schulbildung und trotz meiner Noten, ist etwas, was mich bis heute prägt.
Ich habe damals begonnen anspruchsvolle Literatur zu lesen und hatte das Glück wunderbare Seminare zu besuchen, die meinen Geist und mein Herz für mich selbst öffneten. Die mir einen Einblick gaben, wie wir Menschen ticken und dass in einem jeden das vollkommene Potential angelegt und vorhanden ist.
Ich wurde innerhalb kürzester Zeit zu einem der erfolgreichsten Verkäufer und dann Vertriebsleiter des Unternehmens. Stand selbst auf der Bühne, reiste als Sprecher durch Europa und verdiente sehr viel Geld. Nach einiger Zeit war ich Manager genau jener Menschen, die mir damals die Chance gaben, ein Feuer in mir zu entdecken.
In den nächsten Jahren gründete ich erfolgreich mehrere Unternehmen. Den fachlichen Background dazu bekam ich mit der Zeit. Ich erfuhr, dass ich mir Fachwissen kaufen kann. Das innere Feuer aber, dass es braucht, um ein Unternehmen wirklich langfristig erfolgreich zu halten, das kannst du dir nicht einkaufen! Das lernst du nicht in der Schule, beim Abi oder im Studium. Dieses innere Feuer (Seelenfeuer) ist etwas, für das du dich mutig und in Selbstliebe entscheiden musst. Für das du auch mal kämpfen und Kante zeigen musst und für das du ein Rückgrat brauchst. Wenn du zu dir stehst, weil dir deine Werte wichtig sind, du dich nicht verbiegst, sondern klar dein Ding machst, dann brennt dieses Feuer in dir und wird auch für andere sichtbar.
Die 2. Botschaft des Schubkarrenmanns
Ab und an haben wir lediglich eine kleine Ressource in unserem Lebens-Schubkarren. Doch selbst aus dieser kleinen Ressource kann etwas Großartiges entstehen, wenn wir unsere Beachtung auf das ausrichten, was wir zur Verfügung haben und nicht auf das, was uns scheinbar fehlt. Auch aus wenig kann sehr viel werden.
Betrachten wir eine Eichel. Aus diesem kleinen Ding kann, falls der Samen auf fruchtbaren Boden fällt und die Bedingungen stimmen, ein großer, eindrucksvoller Baum werden. Ohne Samen – kein Baum. Ohne Erde – keine Basis. Ohne Zeit, Wasser, Nährstoffe und Sonne – kein Wachstum. So einfach ist das.
Die Eichel ist das Symbol für die Ressourcen, die Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen.
Die Erde stellt unsere Aufnahme- und Einsatzbereitschaft dar. Sie ist die Basis für unser Wollen und Streben.
Die Zeit stellt unsere Geduld, unseren Willen, unsere Ausdauer, die Freude am Prozess, Ruhe und Gelassenheit, Selbstliebe und Vertrauen dar, also all die Dinge, die uns dranbleiben lassen.
Damit die Eichel gedeihen und zu einem großen Baum heranwachsen kann, braucht sie Wasser und...