WARENKUNDE & REIFEVERFAHREN
FLEISCHREIFUNG
Wer mag es nicht: ein Stück Fleisch mit vollmundigem Geschmack und einem zarten, saftigen Biss. Wer diesen Genuss schon einmal erlebt hat, schwärmt mit großer Wahrscheinlichkeit von einem gereiften Stück Fleisch.
Bis vor ca. zehn Jahren war die Fleischreifung ein Thema, mit dem sich nur sehr wenige Menschen in Deutschland beschäftigten. In den deutschen Fleischverkaufstheken ging es ausschließlich um das Thema Frische, wollte man die Qualität des Fleisches hervorheben. Alleine die Risikominimierung einer Keimbelastung des Fleisches stand im Marketing – wenn eins betrieben wurde – im Fokus. Die industriellen Massen-Produktions- und Handelsstrukturen erlaubten keine unnötige und damit kostenverursachende Lagerung von Fleisch.
Das Wissen um die geschmacklichen Konsequenzen von nicht gereiftem Fleisch war eher ein unbewusstes: Nur das Filet hatte auch ohne Reifung sicher die gewünschte Zartheit, bei allen anderen Edelteilen war Vorsicht geboten, denn die guten Stücke waren mit hoher Wahrscheinlichkeit zäh.
Doch das Thema Fleischreifung existierte, Spitzenköche und wenige Metzger vom alten Schlag wussten darum, dass gereiftes Fleisch für den Genießer begehrenswert ist und so wurde für den eigenen Gastronomiebetrieb oder auf Vorbestellung für den Metzgereikunden bzw. für den Metzger selbst gereift.
Und wie so oft ist der Prophet im eigenen Lande nichts wert. So kürte eine führende Männergenusszeitschrift im Jahr 2009 das Irish Beef Hereford Prime 21 Tage Dry-aged Ribeye von der Grünen Insel Irland als bestes Steak der Welt. Erstaunlich zum damaligen Zeitpunkt: Das Ribeye/Entrecote setzte sich gegen heimische und internationale Filets durch.
Und damit wurden zwei Trends in Deutschland geboren, die den Sprachgebrauch und das Angebot für den Konsumenten bis heute nachhaltig beeinflussen. Zum einen: Es muss nicht immer Filet sein, zum anderen: Dry-aged Fleisch ist eine Kostprobe allemal wert.
ZIELE DER REIFUNG
Bei der Fleischreifung wird in erster Linie das Ziel verfolgt, das Fleisch sehr zart zu machen. Darum geht es bei allen angewendeten Reifemethoden. Neben der Optimierung der Zartheit hat man durch die Reifung aber auch die Möglichkeit, den Fleischgeschmack positiv zu beeinflussen. Zum einen kann der vorhandene Eigengeschmack des Fleisches konzentriert und damit intensiviert werden, zum anderen ist es aber auch möglich, eine geschmackliche Weiterentwicklung zu erreichen, nämlich dann, wenn neue Geschmacksnuancen den vorhandenen Fleischgeschmack ergänzen.
Grundsätzlich kann man die Reifung als diejenige Phase bezeichnen, in der das Fleisch nach Aufhebung der Totenstarre in einer kontrollierten Umgebung lagert, in der sowohl die hygienischen Bedingungen wie auch die Temperatur überwacht werden. Das Fleisch verbleibt dort so lange, bis sich der gewünschte Zustand im Hinblick auf Zartheit und Geschmack eingestellt hat.
AUSFLUG IN DIE GESCHICHTE DER FLEISCHREIFUNG – EIN BLICK ZURÜCK
Voraussetzung für eine erfolgreiche Fleischreifung ist die schon beschriebene Umgebung, in der die Hygiene und die Temperatur überwacht werden. Eine Temperaturüberwachung gibt es erst seit der Erfindung des Kühlschrankes, also etwa seit dem Jahr 1930. Vorher gab es Eisschränke, Höhlen oder gar keine Möglichkeit, Lebensmittel sicher kühl zu lagern. Zwar wurde Fleisch auch schon vor der Existenz des Kühlschrankes, der die Möglichkeit einer sicher gleichbleibend gekühlten Umgebung bietet, gelagert, aber üblich war es, Fleisch zusätzlich direkt zu konservieren – sei es durch Salzen, Räuchern oder Einkochen.
Erst mit dem Einzug von Kühlkammern in die Fleischverarbeitung bot sich somit die Möglichkeit, Fleisch länger gekühlt zu lagern.
Bis Ende der 1960er-Jahre fand so die Reifung des Fleisches in Kühlkammern statt. Die Tiere hingen komplett oder nach Grobzerlegung in Vorderviertel, Rücken und Hinterviertel in der Kammer. Aus dieser Zeit stammt der Begriff „am Knochen reifen“, da die Feinzerlegung zu diesem Zeitpunkt noch nicht stattgefunden hatte. In erster Linie hatte das den praktischen Grund, dass das Fleisch so besser geschützt vor Austrocknung und Verkeimung war im Vergleich zur Lagerung in verkaufsfertigen, kleinen Portionen. Einen festgeschriebenen Standard für die Reifezeit gab es zu dieser Zeit nicht, wir können davon ausgehen, dass die Reifedauer durch Abverkauf und sicherlich durch individuelle Erfahrungen geprägt war.
Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre gab es den nächsten Technologiesprung: vakuumiertes Fleisch. Durch das Verpacken und die Lagerung von Fleisch in Vakuumbeuteln ergaben sich zwei Vorteile. Erstens eine deutlich längere, sichere Lagerdauer, da nach dem Verpacken keine weitere zusätzliche Verkeimung mehr stattfinden konnte und zweitens das Verhindern des Gewichtsverlustes, da es nicht mehr weiter austrocknete. Dem Metzger bot sich also die Möglichkeit, das Fleisch günstiger anzubieten.
Diese beiden Vorteile waren für die Fleischindustrie so überzeugend, dass das vakuumierte Fleisch in kurzer Zeit zur dominanten Verpackungsart wurde.
Zu diesem Zeitpunkt überwogen die praktischen Gründe für Vakuumierung, Gesichtspunkte des Genusses spielten noch keine Rolle.
Wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Thema Fleischreifung stammen zumeist aus den 1980er- und 1990er-Jahren sowie aus heutiger Zeit.
Gereiftes, vakuumiertes Fleisch wurde uns Deutschen dann Anfang der 1970er-Jahre präsentiert. Auch wenn es damals und heute so nicht beworben wird. Die neue Verpackung in Vakuumbeuteln machte es möglich, Fleisch aus Südamerika nach Deutschland zu importieren. Dieses Fleisch war mehrere Wochen im Vakuumbeutel unterwegs und kam somit perfekt gereift auf die Teller der neu entstehenden südamerikanischen Steakhäuser. Binnen kurzer Zeit hatten die aus Argentinien importierten Steaks den Ruf, die besten zu sein, die man in Deutschland bekommen konnte. Sie waren ganz einfach wesentlich zarter als unser ungereiftes deutsches Fleisch.
Wenn über gereiftes Fleisch gesprochen wird, muss man natürlich auch einen Blick in die Rindfleischnation USA werfen. Auch hier machte der Fortschritt nicht halt und so stellte die Fleischindustrie ab dem Jahr 1967 auf Vakuumbeutel um. Im Unterschied zu Deutschland führte die ausgeprägte Steakhouse-Kultur allerdings dazu, dass trocken gereiftes Fleisch weiterhin verfügbar war. Nahezu alle bekannten Steakhäuser sind für die eigene Reifung nach dem Dry-aging-Verfahren bekannt. Schon in den 1980er-Jahren erlebte diese Vorgehensweise einen Boom.
So konnte der deutsche Tourist die Vorzüge eines dry-aged Steaks genießen und dieses Erlebnis mit nach Deutschland bringen. Ein Export von dry-aged Fleisch aus den USA war und ist bis dato nicht möglich.
Eines der ersten Steakhäuser nach US-Vorbild in Deutschland, das das Thema Dry-aging aufgegriffen hat, war die 2011 gegründete Meatery in Hamburg. Küchenchef Hendrik Maas konnte vorher im Steakhouse Wolfgang’s in New York Einblicke in die Steakhouse-Fleischreifung gewinnen.
Ein Filmteam aus Deutschland, das das schimmelbefallene Fleisch aus den Reifekammern des Wolfgang’s in die deutschen Wohnzimmer brachte, erregte weitere Aufmerksamkeit für das Thema Dry-aging.
So populär – und auch spektakulär – das Dry-aging auch sein mag, aber auch in Irland war die dominierende Form der Fleischreifung das Wet-aging. Allerdings wurde auch hier, genau wie in den USA, die Kunst des Dry-aging über die Steakhouse- und Metzger-Kultur aufrechterhalten.
In Irland rückte das Thema Dry-aging dann Anfang des neuen Jahrtausends in den erweiterten Fokus der Gastronomie und damit der Produzenten, die dann ein paar Jahre später begannen, trocken gereiftes Fleisch auf das europäische Festland zu exportieren.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in der Vergangenheit das Thema Fleischreifung ausschließlich beim Rindfleisch im öffentlichen Fokus stand.
GRUNDLAGEN ZUR FLEISCHREIFUNG
Grundsätzlich kann jedes Fleisch gereift werden.
SOLLTE JEDES FLEISCH GEREIFT WERDEN?
Wenn wir uns die Ziele des Reifens anschauen, dann versuchen wir ja, über die Reifung die Zartheit zu erhöhen und den Geschmack zu verbessern.
Die Verbesserung der Zartheit über den Reifeprozess macht natürlich nur bei denjenigen Stücken Sinn, bei denen wir auch eine verbesserte Zartheit wahrnehmen können. Damit sind wir bei den Kochverfahren. Vom Gesichtspunkt der Zartheit ausgehend macht es nur Sinn, Stücke zu reifen, die kurzgebraten werden können. Schmorstücke zu reifen, ist nicht sinnvoll, da hier durch den langen Garprozess die Grundzartheit des Ausgangsproduktes keine wahrnehmbare Rolle mehr spielt.
Aus diesem Grund werden die sogenannten Edelteile, insbesondere die Rückenstücke, gereift und nicht die Ober- oder Unterschale, aus denen Rouladen und Gulasch geschnitten werden.
Schauen wir uns die verschiedenen Tierarten an, so gilt auch hier, dass grundsätzlich jede Tierart gereift werden kann. Geläufig ist uns die Reifung bei Rind. Die meisten wissen auch, dass Wild in der Decke abhängen kann....