2.1.1 Umweltrechtliche Rahmenbedingungen für Industrieunternehmen
Als sozioökonomische Ursachen für die angesprochene Umweltproblematik können der Kollektivgutcharakter der Umwelt und das Auftreten externer Effekte identifiziert werden. Umweltgüter weisen – wie öffentliche Güter (Kollektivgüter) – die Eigenschaften der Nicht-Rivalität des Konsums und der Nicht-Ausschließbarkeit auf.[10] Niemand kann durch Marktpreise von deren Nutzung ausgeschlossen und sie können von allen gleichermaßen in Anspruch genommen werden.[11] Jeder kann also von Umweltgütern profitieren, ohne etwas zu ihrer Bereitstellung beitragen zu müssen. Daraus resultiert das Problem des free-riding (Freifahrerverhalten), da für das Individuum der Anreiz besteht, sich an der Finanzierung von Umweltgütern nicht zu beteiligen, als „Trittbrettfahrer“ aber von den Beiträgen anderer zu profitieren.[12] Diese Problematik ist ursächlich für ein Unterangebot an öffentlichen Gütern, was in besonderem Maße auch für das öffentliche Gut Umweltqualität gilt.[13]
Unter externen Effekten[14] werden die Auswirkungen individueller Entscheidungen von Wirtschaftssubjekten auf die Nutzenfunktionen unbeteiligter Dritter verstanden, die nicht über den Marktpreis vermittelt werden.[15] Erfolgt eine Monetarisierung dieser externen Effekte, wird von externen Kosten gesprochen. Sie bezeichnen die Kosten, die den Betroffenen entstehen, ohne Eingang in die Wirtschaftsrechnung des Verursachers zu finden.[16] Somit ergibt sich eine Differenz zwischen den gesamt anfallenden Kosten (sozialen Kosten) und den für die Produktionsentscheidung relevanten privaten Produktionskosten. Die Lenkungsfunktion des Preissystems versagt, was zu einer zu hohen Produktionsmenge des Verursachers führt.[17] Diese Fehlallokation hat eine Übernutzung von Ressourcen zur Folge, so dass Wohlfahrtsverluste entstehen.[18]
Staatliche Eingriffe zur Steuerung der Allokationsmechanismen mit dem Ziel der Korrektur der externen Effekte und der Regulierung der Bereitstellung öffentlicher Güter sind erforderlich. Um das zuvor beschriebene Marktversagen mit den einhergehenden Fehlallokationen zu vermeiden, wird eine Internalisierung der externen Kosten angestrebt. Hierdurch können die Grenzkosten des Verursachers erhöht werden, worauf sich ein pareto-optimales Marktgleichgewicht einstellt.[19] Eine Internalisierung externer Kosten wird auch als ökonomisches Verursacherprinzip bezeichnet.
Das Verursacherprinzip findet im Abfallrecht in dem Konstrukt der umfassenden Produktverantwortung der Hersteller seine Anwendung.[20] Diese Produktverantwortung erfährt im „Gesetz zur Förderung einer abfallarmen Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen“ (KrW-/AbfG) zum ersten Mal eine gesetzliche Verwirklichung. Das KrW-/AbfG etabliert in seinem dritten Teil (§§ 22 bis 26) die abfallrechtliche Produktverantwortung der Hersteller und Vertreiber für die von ihnen in Umlauf gebrachten Erzeugnisse. Sie bildet ein Kernstück des Gesetzes und umfasst unter anderem die Entwicklung, Herstellung und das Inverkehrbringen von wieder verwendbaren und entsorgungsfreundlichen Erzeugnissen,[21] den vorrangigen Einsatz von Sekundärrohstoffen in der Produktion[22] und die Rücknahme der Erzeugnisse nach deren Gebrauch mit anschließender Verwertung oder Beseitigung.[23] Im Rahmen dieser erweiterten Produktverantwortung nimmt die Rücknahmeverpflichtung für Altprodukte eine besondere Stellung ein, da hierdurch eine Verschiebung der Entsorgungsverantwortung für Güter erfolgt. Lag zuvor die Entsorgungspflicht noch beim Letztbesitzer eines Produktes, so geht diese nun durch die Rücknahmeverpflichtung an den Hersteller über. Der so entstandene Feedback-Loop zwischen Entwicklungs- und Entsorgungsphase eines Produktes veranlasst den Hersteller, im eigenen Interesse dessen Entsorgungseigenschaften in sein Kosten-Nutzen-Kalkül aufzunehmen und bereits in der Produktentwicklung zu berücksichtigen.[24] Dadurch ist ein ökonomisches Anreizsystem für die Entwicklung abfallarmer und recyclingfreundlicher Produkte geschaffen. Die verbleibenden Entsorgungskosten werden im Marktpreis reflektiert und so an den Endkunden weitergegeben.[25] Auf kompetitiven Märkten mit hoher Nachfrageelastizität führt dies zu einem starken Anreiz für den Hersteller, die anfallenden Entsorgungskosten durch entsprechende Produkteigenschaften zu minimieren, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die Ausdehnung der Verantwortung auf den gesamten Produktlebenszyklus zwingt zur Abkehr von traditionellen end-of-pipe-Technologien, die lediglich nachsorgende Maßnahmen zur Verringerung der Umweltwirkungen von Abfall darstellen. Sie erfordert einen Wandel hin zu einer vermeidungsorientierten, integrierten Betrachtungsweise von Abfällen mit geschlossenen Stoffkreisläufen.[26] Die umfassende Produktverantwortung des KrW-/AbfG stellt allerdings keine unmittelbar verpflichtende Vorschrift, sondern lediglich einen allgemeinen Rechtsgrundsatz dar. Seine Konkretisierung in Bezug auf Produktart, Adressatenkreis und Umfang hat mittels Rechtsverordnungen zu erfolgen.[27] Bisher wurden bereits Rechtsverordnungen für Güterverpackungen (VerpackV), Batterien (BattV), Altfahrzeuge (AltautoV) und Elektroschrott (ElektroG) seitens des Gesetzgebers erlassen, wobei die beiden letzteren im Folgenden vorgestellt werden sollen.
Für Altfahrzeuge werden die durch das KrW-/AbfG geforderten abfallwirtschaftlichen Ziele durch die AltautoV (Verordnung über die Überlassung, Rücknahme und umweltverträgliche Entsorgung von Altfahrzeugen) formuliert. Diese erlegt den Herstellern umfangreiche Rücknahme- und Recyclingziele für ihre Altfahrzeuge auf. Sie sind dazu verpflichtet, Altfahrzeuge ihrer Marke unentgeltlich zurückzunehmen[28] und zu diesem Zweck ein flächendeckendes Sammelsystem einzurichten.[29] Spätestens ab dem 1. Januar 2006 sind mindestens 85 Gewichtsprozent[30] der Altautos einer Verwertung zuzuführen. Dieser Anteil steigt ab dem 1. Januar 2015 auf 95 Gewichtsprozent an.[31]
Das „Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten“ (ElektroG) legt auf Basis zweier EU-Richtlinien Anforderungen an die Produktverantwortung für Hersteller von Elektro- und Elektronikgeräten fest. Es reagiert damit auf die überproportional stark wachsende Menge von Elektronikschrott,[32] der aufgrund seiner Schadstoffhaltigkeit einer besonders sensiblen Entsorgung bedarf. Im Gegensatz zu der für Altfahrzeuge auferlegten alleinigen Produktverantwortung der Hersteller sieht die Regelung des ElektroG eine geteilte Produktverantwortung vor. Während bei der Sammlung der Altgeräte auf die bestehenden Sammelstrukturen der Kommunen zurückgegriffen wird,[33] sind die Hersteller verantwortlich für die darauf folgende Behandlung der Geräte.[34] Hierbei ist gefordert, dass ein möglichst hoher Anteil wieder verwendet oder stofflich verwertet wird.[35] Je nach Typ des Altgerätes sieht das Gesetz Verwertungsquoten von 50 bis 80 Prozent vor.[36]
2.1.2 Ökonomische Vorteile durch erneute Nutzbarmachung
Neben den angeführten gesetzlichen Auflagen zur Sammlung und Behandlung von Altprodukten existieren direkt und indirekt ökonomisch motivierte Gründe, die Hersteller zu einer freiwilligen Rücknahme ihrer Produkte veranlassen. Zur Sicherung eines stetigen Rücklaufs qualifizierter Produkte werden ihren Letztbesitzern häufig monetäre Anreize für die Rückgabe offeriert.[37] Den bedeutendsten Beweggrund für eine freiwillige Produktrücknahme stellt das Kosteneinsparpotential dar, das eine Aufarbeitung ganzer Produkte oder dessen Komponenten sowie das Recycling von Wertstoffen bergen.[38] So kann eine Substitution von primären durch sekundäre Produktionsfaktoren zu einer Senkung der Produktionskosten beitragen.[39] Diese rein ökonomisch motivierte Produktrücknahme findet sich traditionell bei Herstellern langlebiger Gebrauchs- und hochwertiger Industriegüter, ist aber zunehmend auch bei kurzlebigen elektronischen Geräten anzutreffen.[40]
Zu den indirekt ökonomisch motivierten Gründen für eine Produktrücknahme können marketing- und wettbewerbsstrategische Überlegungen der Hersteller gezählt werden. Ihre Produktverantwortung dient den Herstellern als Medium, das eigene Umweltbewusstsein und ihr ökologisch orientiertes Unternehmensprofil zu kommunizieren.[41] Dadurch soll das eigene Produkt für die steigende Anzahl umweltbewusster Kunden attraktiv gemacht werden. Zwar fragt der Verbraucher in erster Linie eine Funktionserfüllung und erst nachgeordnet ein bestimmtes Umweltverhalten nach, doch müssen die Produkte zunehmend auch ökologischen Ansprüchen gerecht werden, um...