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E-Book

Dyskalkulie

Ein Ratgeber für Eltern, Lehrer und Therapeuten

AutorSilvia Pixner
VerlagSchulz-Kirchner Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl64 Seiten
ISBN9783824807949
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR


Silvia Pixner ist Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin. Ihr Schwerpunkt ist die Erforschung der Entwicklung der Zahlenverarbeitung und des Rechnens bei Kindern und Jugendlichen mit oder ohne Rechenstörung. In ihren meist internationalen Publikationen befasst sie sich neben der Zahlenforschung mit dem Einfluss der Sprache, der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses auf unterschiedliche kognitive Prozesse. Ihr Bemühen gilt den Kindern und das versucht sie in ihrer praktischen Arbeit mit betroffenen Kindern wie auch in ihren Studien zum Ausdruck zu bringen.

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Leseprobe

Wie lernen Kinder,
sich in der Welt der Zahlen zu orientieren?

Zahlen oder Mengen spielen nicht nur in unserer modernen Gesellschaft eine entscheidende Rolle. Vielmehr benutzten bereits primitive Völker Zahlwörter und zum Teil sogar symbolische Darstellungen von Mengen. Der Umgang mit Mengen ist jedoch nicht nur den Menschen vorbehalten. Wissenschaftliche Untersuchungen konnten zeigen, dass viele Tierarten Mengen mit unterschiedlichen Anzahlen von Objekten unterscheiden können. So ist es für einen Fisch lebenswichtig zu entscheiden, wohin der größere Schwarm schwimmt (um sich diesem anzuschließen). Je größer der Schwarm, desto höher die Überlebenschance des Einzelnen. Ähnliche Beispiele könnte man für unzählige andere Tierarten anführen. Kehren wir aber lieber zum Menschen zurück und verfolgen die Entwicklung eines Säuglings.

Säuglinge können bereits in den ersten Monaten kleinere Mengen unterscheiden. Diese Leistung geht jedoch nicht primär auf die Kenntnis von Anzahlen oder auf rechnerische Fertigkeiten zurück. Vielmehr ist diese frühkindliche Fertigkeit durch das Phänomen der „Kontinuität der Menge“ erklärbar. Damit bezeichnet man die Vorstellung, dass drei Birnen einen größeren Raum einnehmen als eine Birne. Obwohl sich Säuglinge sehr stark nach diesem Prinzip orientieren, sind sie unter gewissen Umständen auch fähig, sich nach anderen Kriterien zu richten. Untersucht man in der Forschung den Zusammenhang von Objektgröße und Mengenbeurteilung, können bereits 6 Monate alte Kleinkinder Mengen unterscheiden, die in einem Verhältnis von mindestens 1:2 stehen (d.h. die Kinder erkennen, dass 2 größere Birnen numerisch weniger sind als 4 kleinere Birnen). Ein weiteres Experiment konnte zeigen, dass Babys auf Veränderungen der numerischen Menge reagieren. Die Forscher ließen Babys zwei Puppen beobachten. Dann wurde ein Vorhang vorgezogen und eine Hand nahm – gut sichtbar für das Baby – von der Seite eine Puppe weg. Hat man danach den Vorhang wieder entfernt, haben die Babys irritiert reagiert, wenn die Menge (also zwei Puppen) unverändert war. Weil auch Säuglinge oder Tiere ohne spezifisches Training solche Aufgaben beherrschen, wird angenommen, dass gewisse Aspekte der numerischen Mengenverarbeitung bereits angeboren sind. Lange bevor die Kinder in der Schule oder im Kindergarten an einem spezifischen Unterricht teilnehmen, erwerben sie bereits im Rahmen von Alltagsaktivitäten spielerisch wichtige numerische Kompetenzen.

Die Kinder machen schon sehr früh ihre ersten Erfahrungen mit (An-)Zahlen und Mengen. Dies wird zum Beispiel bei Kinderliedern wie „Backe, backe Kuchen … der muss haben sieben Sachen“ oder „1, 2, 3 im Sauseschritt“ deutlich. Beim Spielen machen Kinder die ersten Erfahrungen mit Mengen. Lange bevor die Kinder Objektmengen abzählen können, können sie die einzelnen Zahlwörter rezitieren. Dies geschieht anfangs meist in zufälliger Anordnung (eins, drei, fünf …), mit zunehmender Übung jedoch bald in der richtigen Reihenfolge (ein, zwei, drei …). Dieses Prinzip wird auch als das Prinzip der stabilen Reihenfolge (also die korrekte Abfolge der Zahlenwörter) bezeichnet. Bereits vor vielen Jahren haben Wissenschaftler die Zählprinzipien beschrieben. Es sind Regeln, die ein Kind im Laufe der Entwicklung entdeckt und anzuwenden lernt und die notwendig sind, um den Zählprozess korrekt durchführen zu können. Dieses oben beschriebene rezitierende Zählen ist aber noch nicht mit dem Zählen eines Schülers vergleichbar. Das initiale Zählen ist vielmehr wie ein Gedicht, das von den Kindern in diesem frühen Alter (wir sprechen hier von 2- bis 3-jährigen Kindern) ohne Verständnis für die dahinterstehende Anzahl (bzw. numerische Menge) aufgesagt wird. Beobachtet man ein 3- bis 4-jähriges Kind beim Zählen, kann man noch sehr oft sehen, dass dieses gesprochene „Gedicht“ und die gezählten Objekte noch nicht synchronisiert werden (zeitlich übereinstimmt), was zwingend zu einem falschen Ergebnis führt. Ein häufiger Zählfehler ist beispielsweise die Zuordnung von zwei Zahlwörtern zu einem Objekt (siehe Abbildung 1). Die Kinder entdecken in diesem Stadium das weitere Zählprinzip und zwar die Eins-zu-eins-Zuordnung. Zu jedem Objekt kann nur ein Zahlwort zugeordnet werden, damit die Zählprozedur zum Erfolg führt.

Die Kleinkinder erforschen mit einer enormen Motivation die Welt. Entdecken sie etwas Neues, üben sie oft unermüdlich weiter. Sie sortieren Gegenstände nach Größe, Farbe oder Form und bald zählen sie die ersten kleineren Objektmengen und ordnen ihnen die ersten Zahlwörter zu. Bei diesen Spielen entdecken sie oft weitere Zählprinzipien. Sie lernen zum Beispiel, dass dieses „Gedicht“ aufeinanderfolgender Zahlwörter auch noch eine weitere wichtige Information liefert: Die letzte genannte Zahl bildet die gezählte Menge ab. Liegen also 5 Legosteine auf dem Tisch und dem Kind gelingt es, diese Menge von 5 Legosteinen korrekt zu zählen, heißt das noch lange nicht, dass das Kind auch begreift, dass die Zahl Fünf die zu zählende Menge von 5 Legosteinen abbildet. Dieses Kind würde die Fünf lediglich dem letzten Legostein in der Reihe zuordnen. Fragen Sie dieses Kind, wie viele Legosteine auf dem Tisch liegen, würde es keine adäquate Antwort geben können. Erst mit der Zeit begreifen Kinder, dass das Ergebnis des Zählens die zu zählende Menge widerspiegelt. Sind die zu zählenden Objekte linear angeordnet, fällt es den Kindern meist leichter, diese zu zählen, als wenn die Anordnung der Objekte ungeordnet ist (siehe auch Abbildung 2).

Bei der ungeordneten bzw. irregulären Anordnung müssen Kinder (so wie auch Erwachsene) den Zählprozess genauer überwachen. Das Kind muss sich also genau merken, welche Objekte es bereits gezählt hat. Dafür braucht es gewisse Strategien. Gelingt es dem Kind nicht, eine irreguläre Menge zu zählen, ist dies nicht unbedingt ein Hinweis für das Vorliegen einer Dyskalkulie. Mögliche Ursachen für Zählfehler können vielschichtig sein. Korrektes Zählen erfordert beispielsweise gute Aufmerksamkeitsleistungen und gute Steuerungsmechanismen (so muss man sich erinnern, welches Objekt in der Menge bereits gezählt wurde und welches noch nicht). Das bedeutet, dass fehlerhaftes Zählen nicht immer ein Hinweis für schlechtes Mengenverständnis sein muss, sondern auch durch eine mangelnde Aufmerksamkeitssteuerung verursacht sein kann.

Eine interessante Beobachtung konnten Wissenschaftler bei einer Untersuchung machen, bei der Kinder beurteilen sollten, ob ein vom Versuchsleiter demonstrierter Zählprozess richtig oder falsch ist. Dazu wurden den Kindern Steine in zwei unterschiedlichen Farben vorgelegt. Der Versuchsleiter zählte zunächst die blauen und erst dann die grauen Steine (ohne einen Stein auszulassen oder doppelt zu zählen). Im Vergleich zu Kindern ohne Dyskalkulie beurteilten Kinder mit Dyskalkulie diese Zählweise signifikant häufiger als falsch. Dieses Ergebnis zeigt, dass Kinder mit Dyskalkulie kein Gefühl für die Menge haben und daher nicht mit Sicherheit bestätigen können, dass eine nicht lineare Zählweise zu einem korrekten Ergebnis führt, wenn die restlichen Zählprinzipien eingehalten werden.

Um Mengen vergleichen zu können, benutzen Kinder anfangs eine weitere Eigenschaft, die mit jeder natürlichen (Objekt) Menge verknüpft ist – die räumliche Ausdehnung (siehe auch Abbildung 3). Fragt man ein Kind, ob oben mehr blaue oder mehr weiße Smileys sind, wird das Kind schnell erkennen, dass auf beiden Seiten gleich viele Smileys sind. Schiebt man nun vor den Augen des Kindes die blauen Smileys auseinander, werden manche Kinder auf die gleiche Frage eine andere Antwort geben. Sie werden fest davon überzeugt sein, dass es mehr blaue Smileys sind, da diese nach der Veränderung der Zwischenräume eine längere Reihe bilden (und somit mehr Raum einnehmen) als die weißen. Zählt man mit diesen Kindern die Smileys nach und kommt bei beiden Reihen auf das gleiche Zählergebnis, werden die Kinder ihre Meinung, dass es mehr blaue Smileys sind, trotzdem nicht korrigieren. Bis zu einem bestimmten Alter (bis 5 Jahre) ist dieser Zählfehler, der durch die bevorzugte Wahrnehmung der räumlichen Ausdehnung der Objekte zustande kommt, eine Stufe der normalen Entwicklung. Die Kinder müssen also zuerst lernen, das Raumvolumen und die Anzahl zu trennen. Deswegen wird Ihr Sprössling auch viel mehr Freude über 10 einzelne Cent Münzen zeigen als über eine 1-Euro Münze (dies kann auch noch in der ersten Klasse beobachtet werden).

Mit wachsender Kompetenz im Umgang mit Anzahlen wechseln Kinder von einer konkreten Mengenrepräsentation (konkrete Objekte) zu einer abstrakten Repräsentation von Anzahlen (mentaler Zahlenstrahl). Eine geläufige Vorstellung ist, dass die Zahlen in unserem Gehirn auf einem mentalen Zahlenstrahl angeordnet sind. Wir sind uns dieses mentalen Zahlenstrahls nicht immer bewusst, nutzen ihn aber, wenn wir Zahlen vergleichen, ordnen oder auch manche Rechenoperationen durchführen (wie zum Beispiel beim Subtrahieren). Dieser Zahlenstrahl...

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