Im zweiten Teil der wissenschaftlichen Arbeit werden die aus den theoretischen Grundlagen entwickelten forschungsleitenden Annahmen durch eine empirische Forschung untersucht und beantwortet.
Grundsätzlich stehen dem Forscher mit der qualitativen und quantitativen Forschung zwei unterschiedliche methodische Ansätze zur Verfügung. Die quantitative Forschung setzt auf vergleichende statistische Auswertungen und orientiert sich an zahlenmäßigen Ausprägungen. Aus diesem Grund wird dem Forscher bei der Datenerhebung ein hohes Maß an Standardisierung abverlangt (Flick, von Kardorff, & Steinke, 2007, S. 24-25).
Im Fall der zu untersuchenden forschungsleitenden Annahmen, die sich insbesondere dem Mittelstand widmen, handelt es sich um ein weitgehend unerschlossenes Themengebiet, folglich stehen nur wenige Experten zur Verfügung und damit ist eine Quantifizierung nicht zweckmäßig (Gläser & Laudel, 2010, S. 37). Vor diesem Hintergrund wählt der Verfasser zur Beantwortung der forschungsleitenden Annahmen eine qualitative Analyse durch Interviews, die bei einem wenig ergründeten Wirklichkeitsbereich zu empfehlen ist (Flick, von Kardorff, & Steinke, 2007, S. 25). Laut Definition wird eine qualitative Analyse gewählt, da die Stichprobe auf sechs Untersuchungsobjekte begrenzt ist (Lamnek, 2005, S. 3). Experteninterviews stellen diesbezüglich eine geeignete qualitative Methode der Datenerhebung dar, um die in Kapitel 2.6 identifizierten Fragen unter Zuhilfenahme von Expertenwissen zu beantworten (Flick, 2007, S. 255).
Im Anschluss an die Entscheidung, Experteninterviews als Forschungsmethode einzusetzen, muss der Standardisierungsgrad festgelegt werden. Die Klassifizierung erfolgt in standardisierte, halbstandardisierte und nichtstandardisierte Interviews, wobei standardisierte Fragestellungen wiederum zu den quantitativen Erhebungsmethoden zählen und halbstandardisierte Interviews von geringer Bedeutung in der Forschung sind (Gläser & Laudel, 2010, S. 41).
Nichtstandardisierte Gespräche können hingegen entlang eines Leitfadens geführt oder auch offen gestaltet werden. Bei Leitfadeninterviews nutzt der Interviewer eine vorgegebene Frageliste, die zur Orientierung dienen soll. Der Leitfaden enthält keine vorformulierten Antwortmöglichkeiten, sondern ermöglicht den Interviewpartnern, die Fragen offen und mit eigenen Worten zu beantworten. Entscheidend ist lediglich die Beantwortung sämtlicher Fragen. Im Gespräch selbst verfügt der Interviewer über einen Spielraum bezüglich der Fragenformulierung und kann unmittelbar Zusatzfragen stellen, um eine vollkommene Beantwortung der Fragestellung zu erreichen. Des Weiteren ist die zuvor festgelegte Reihenfolge der Fragen nicht verpflichtend, so kann der Gesprächspartner ein Thema von selbst aufgreifen und bietet dem Interviewer damit die Möglichkeit, einen Übergang zu schaffen (Gläser & Laudel, 2010, S. 42). Das Leitfadeninterview ist somit das passende Instrument für die Beantwortung der vorliegenden Forschungsfragen: Ausgewählte Experten können einerseits zurate gezogen werden und haben andererseits die Möglichkeit, eigene Aspekte einzubringen.
Zur Vorbereitung von qualitativen Leitfadeninterviews ist es zunächst notwendig, Experten zu identifizieren. Ein Experte zeichnet sich dadurch aus, dass er über Sonderwissensbestände zu einem Themengebiet verfügt (Hitzler & Eberle, 2007, S. 117). Dieses Expertenwissen erlangt er nicht ausschließlich durch eine hervorgehobene Position in einem Unternehmen, so kann beispielsweise ein Automechaniker zum Experten für ein bestimmtes Automodell werden (Gläser & Laudel, 2010, S. 11). Im Falle der Themenschwerpunkte Zahlungsabwicklung, Versand und Lieferung, Retourenmanagement sowie Internationalisierung im Mittelstand ist dieses Sonderwissen bei den jeweiligen Personen zu vermuten, die beruflich in diesen Branchen tätig sind. Hierzu zählen Vertreter von Hausbanken und Logistikdienstleistern, die besonders im Kontakt zu mittelständischen Firmenkunden stehen. Zudem befassen sich kleine und mittlere Online-Händler tagtäglich mit den genannten Themengebieten.
Neben der Recherche auf den Internetseiten relevanter Unternehmen wurden vorrangig persönliche Kontakte zu Branchenangehörigen mit mehrjähriger Berufserfahrung hinzugezogen. Auf diese Weise konnten insgesamt sechs Personen aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern von einem Experteninterview überzeugt werden. Sämtlichen Experten wurde ein teilstandardisiertes Anschreiben zugeschickt, womit den Interviewten eine grundsätzliche Vorstellung von der Zielsetzung des Interviews gegeben werden sollte. Die Gesprächspartner bekamen Informationen zu den übergeordneten forschungsleitenden Annahmen, ausformulierte Leitfragen waren dagegen kein Bestandteil der E-Mail. Das Anschreiben enthielt den Hinweis auf die Aufzeichnung des Gespräches per Tonband und der Möglichkeit einer nachträglichen Anonymisierung auf Wunsch der Experten. Woraufhin ein Experte die Bitte äußerte, nicht namentlich in der wissenschaftlichen Arbeit genannt zu werden. Deshalb wurden aus stilistischen Gründen sämtliche Interviewpartner anonymisiert zitiert.
Tabelle 2: Übersicht der Interviewpartner (Eigene Darstellung)
Der nächste Schritt war die Entwicklung eines Interviewleitfadens. Da die Experten aus verschiedenen Positionen und Branchen stammen und somit über spezifisches Wissen verfügen, wurde auf der Basis des Leitfadens für jede Person ein individueller Fragenkatalog erstellt (Gläser & Laudel, 2010, S. 117). Lediglich bei den beiden Vertretern aus dem Bankwesen war der Leitfaden identisch.
Bei der Konzipierung des Leitfadens wurde darauf geachtet, dass die Formulierung der Fragen möglichst offen, einfach und klar ist. Der Interviewte sollte nicht durch die Fragestellung in seiner Antwort beeinflusst werden (Gläser & Laudel, 2010, S. 131- 142). Dichotome Fragen, bei denen die Struktur der Frage die Antwortmöglichkeit auf Ja oder Nein beschränkt, wurden ebenfalls vermieden (Gläser & Laudel, 2010, S. 131). Die Einleitung der unterschiedlichen Leitfäden durch eine Einstiegsfrage, die einfach zu beantworten war, ermöglichte einen entspannten Gesprächseinstieg. Kritische Fragen standen dagegen erst zum Ende des Experteninterviews an (Mieg & Näf, 2005, S. 11).
Die Durchführung der Interviews erfolgte sowohl telefonisch als auch face-to-face (Gläser & Laudel, 2010, S. 153). Dabei wurden zwei Drittel der Experteninterviews in Form eines persönlichen Gespräches vollzogen. Der konzipierte Leitfaden war auf eine Interviewdauer von ca. 30 Minuten festgelegt, die letztliche Gesprächsdauer lag im Durchschnitt bei 43 Minuten. Das kürzeste Gespräch dauerte 21 Minuten und das längste 65 Minuten.
Wie bereits im Anschreiben angekündigt, wurden die Interviews digital aufgezeichnet. Lediglich ein Experte untersagte die Gesprächsaufzeichnung, folglich wurde durch eine dritte Person die handschriftliche Protokollierung vorgenommen (Gläser & Laudel, 2010, S. 157). Die Aufzeichnungen enthalten weder Vorgespräche noch abschließende Gespräche, sondern ausschließlich die vollzogenen Interviews.
Im Anschluss an die Interviewphase wurden alle Gespräche transkribiert, um eine dauerhafte Verfügbarkeit der durch die Experteninterviews erhaltenen Informationen zu garantieren (Kowal & O'Connell, 2007, S. 438).
Als Form der Verschriftung wurde die Standardorthographie gewählt, die den Fokus auf den Inhalt der Äußerungen legt und damit die Transkription vereinfacht. Fehlende Laute oder aufeinander folgende Laute werden vernachlässigt (Kowal & O'Connell, 2007, S. 441).
Die Auswertung der Transkriptionen erfolgte durch die qualitative Inhaltsanalyse. Im ersten Schritt wurden die als relevant eingeschätzten Informationen aus den Experteninterviews selektiert. Dazu wurde die neue Informationsbasis durch ein Suchraster strukturiert (Gläser & Laudel, 2010, S. 200).
Nach Mayring (2008, S. 57) stellt die Strukturierung den Ausgangspunkt für die weitere Interpretation dar. Größtenteils wurde das Suchraster bereits durch die in den unterschiedlichen Leitfäden behandelten Untersuchungskategorien Zahlungsabwicklung, Versand und Lieferung, Retourenmanagement sowie Internationalisierung bestimmt. In der Zusammenfassung waren folglich alle bedeutungslosen Textpassagen in der Transkription zu entfernen, wobei sich Ausschweifungen oder auch Mehrfachnennungen in Grenzen hielten, was diese Tätigkeit erleichterte.
Der Grundgedanke der qualitativen Inhaltsanalyse beruht auf der beschriebenen Extraktion von relevanten Informationen, die in den Kategorien des Suchrasters gruppiert werden und durch den Forscher individuell geprägt sind. Das Kategoriensystem sollte offen gestaltet sein, damit keine Informationen bereits im Voraus ausgeschlossen werden. So könnten Experten weitere Auskünfte geben, die ansonsten nicht mit den vorgegebenen Kategorien in Einklang zu bringen wären. (Gläser & Laudel, 2010,...