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Digitale Luft ist teurer
Was Ihre Produkte wert sind und wann der Kunde gerne dafür zahlt.
Wann haben Sie zuletzt nach den Reifen an Ihrem Auto geschaut? Sind Sie sicher, dass alle noch genügend Luft haben? Okay, Sie werden nachher mal hinschauen und rituell gegen die Reifen treten. Aber wenn Sie sicher sein wollen, müssen Sie morgen an der Tankstelle nachmessen. Lästig, oder?
Auf diese Frage hat die Firma Fobo eine Antwort: Sensoren, die man auf die Ventile schraubt und die Ihnen jederzeit den aktuellen Reifendruck auf Ihr Handy senden. Luft ist umsonst, aber diese digitalen Druckwächter kosten im Set ab 140 Euro für ein Auto. Ist es das wert? Manchen Menschen schon. Ob das Motiv nun der Wunsch nach Kontrolle, ein Gefühl von Sicherheit oder der Reiz des Neuen ist: Das Produkt wird gekauft!
Wann haben Sie ein Produkt auf den Markt gebracht, das etwas anbietet, das im Grunde kostenlos vorhanden ist? Auch Eiswürfel kann man leicht und praktisch umsonst selber machen. Aber wer eine Party schmeißt, braucht viel Eis. Und so wurde der Verkauf von Eiswürfeln, trotz großer Skepsis, zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell.
2.1 Wert und Preis
»Price is what you pay. Value is what you get.«
Warren Buffet
Wofür zahlt der Kunde eigentlich? Unternehmen bieten Produkte oder Dienstleistungen an, aber ein Kunde kauft erst, wenn dieses Angebot einen Wert für ihn hat. Der Preis ist das, was der Kunde tatsächlich zahlt. (Kauft niemand das Produkt, dann gibt es genau genommen gar keinen Preis, höchstens ein Angebot.)
Der Wert besteht zum einen aus dem Nutzen, zum anderen aus dem Image. Beim Verkauf an Konsumenten ist jedem klar, wie wichtig dabei die Marke ist. Im B2B wird sie dagegen noch viel zu oft vergessen, dort wird oft rein über den Nutzen argumentiert.
Die Sache mit dem Wert hat ein paar unbequeme Konsequenzen:
- Wert ist subjektiv
Allein der Kunde bestimmt, was ihm etwas wert ist. Was uns die Produktion kostet, welche Vorteile er davon hat – für ihn zählt, was er tatsächlich wahrnimmt. Glücklicherweise gibt es das Marketing, um den Wert zu verdeutlichen. Aber am Ende entscheidet der Bauch des Kunden.
Das bedeutet für Sie: Wenn Sie keinen für den Kunden erkennbaren Mehrwert schaffen, ist Ihr Angebot wertlos.
- Wert ist relativ
Egal wie gut Ihr Angebot ist: Es wird immer mit den Alternativen verglichen.
Das funktioniert in beide Richtungen. Mangelnde Alternativen machen Ihr Angebot unwiderstehlich – wie Wasser für einen Verdurstenden oder das berühmte »Königreich für ein Pferd!« bei Shakespeare. Umgekehrt können Sie banale Güter enorm wertvoll machen, wie abgefülltes Leitungswasser als Tafelwasser (Dasani in England) oder püriertes Dosenobst als Smoothies.
- Der Wert bestimmt den Preis
Der Wert muss für den Kunden immer höher sein als sein Schmerz, Ihnen das Geld zu geben. Sonst findet er Ihr Produkt zwar toll, ist aber nicht bereit, es zu kaufen.
Kommt eine attraktive Alternative auf den Markt kann Ihr Angebot urplötzlich wertlos werden. So sind durch kleine kostenlose Chat-Dienste wie WhatsApp den Telekom-Firmen Milliardenumsätze mit SMS und MMS entgangen. Wenn Sie gerade Milliarden in den Kauf der UMTS-Lizenzen gesteckt haben, ist so ein Einbruch Ihrer Gewinne richtig schmerzhaft.
- Ohne Wert kein Geschäft
Wenn Ihr Produkt keinen erkennbaren Wert mehr hat, wird es nicht gekauft. Egal ob Kodak, Nokia oder Neckermann – wenn ein Angebot keinen relativen Mehrwert mehr bietet, hat der Anbieter keine Existenzberechtigung am Markt.
Natürlich wünscht sich niemand, dass Tausende von Menschen arbeitslos werden. Doch bevor wir uns überlegen, wie Unternehmen den digitalen Wandel überstehen, müssen wir uns erst einmal klar werden, warum sie überleben sollten. Es gibt einfach keinen nennenswerten Markt mehr für Kettenhemden, Postkutschen und Zelluloidfilme. Und auch nicht für MP3-Player, Handys mit Tasten und kleine Digitalkameras. Selbst Navigationsgeräte und Taschenlampen werden durchs Smartphone in die Nische gedrängt.
2.2 Einflussfaktoren
Wenn unsere Unternehmen gedeihen sollen, dann darf der Wert, den wir liefern nicht sinken. Klingt einfach, ist es aber oft nicht. Der Wert wird durch äußere Faktoren beeinflusst, wie die Politik, die Umwelt und vor allem unsere Mitbewerber. Und natürlich gibt es die unerwarteten Innovationen, die das Wertegefüge verschieben.
Doch bevor wir uns mit Innovationen beschäftigen, sollten wir uns deutlich machen, wo und wie ein Unternehmen Wert erschafft. Wenn man genau hinsieht, dann spielen über zwei Dutzend Faktoren eine Rolle für den Wert. Wer Digitalisierung ernst nimmt, sollte sich zu jedem dieser Faktoren die Frage stellen, wie er ihn verbessern kann.
Hier die »greifbaren« Faktoren, die harten Fakten, die für den Kunden den Nutzen Ihres Produktes oder Ihrer Dienstleistung bestimmen:
- Material und Qualität
- Leistung und Geschwindigkeit
- Verbrauch
- Möglichkeiten
- Bedienung und Nutzung
- Individualisierung
- Vernetzung
- Sicherheit
- Haltbarkeit, Lebensdauer, Wartung
- Verfügbarkeit
| - Verfügbarkeit
- Know-how
- Verlässlichkeit
- Daten
- Taten
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Die »weichen« Faktoren rund ums Image behandeln wir im folgenden Kapitel.
2.3 Produkt
Material und Qualität
Kennen Sie den iStone? Das ist ein Stück Granit, geschnitten und poliert in der Form eines iPhones. Der iStone hat nie Probleme mit schlechtem Netz und leerem Akku und nervt uns nicht mit Anrufen. Eine sehr konsequente Form des Digital Detox. Aber was zuallererst auffällt, ist sein schieres Gewicht. Und das gilt für alle Produkte: Der erste Eindruck wird durch Material und Gestaltung bestimmt, durch die Haptik (wie es sich anfasst), das Gewicht, den Geruch, den Klang und so weiter. Einige Beispiele:
- Material
Ein Handy aus Stein ist eher unpraktisch. Aber es gibt durchaus schon Designermöbel aus Beton. Bei elektronischen Geräten wirkt Metall (wie Aluminium oder gebürsteter Edelstahl) heute oft wertiger als Kunststoff. Früher war Plastik das Material der Zukunft, heute ist Holz ein Zeichen für nachhaltige Qualität.
- Gewicht
Ist ein Computer, Smartphone oder Auto besser, wenn es leichter ist, oder wenn es schwerer ist? In alten Zeiten (den 1990er Jahren) wurden noch Metallteile in PCs verbaut, damit diese schwer waren und damit »stark« wirkten. Auch schwere Autos wirken sicher. Schwer kann haltbar und kraftvoll bedeuten, aber auch ineffizient, langsam und unhandlich. Ähnliches gilt für die Größe eines Produkts. Und wer hätte gedacht, dass Männer bei Elektronik eines Tages sagen würden »meins ist aber kleiner als deins!«?
- Geruch
Bei Autos wird sehr genau darauf geachtet, dass sie »neu« riechen, das macht für den Käufer den Charme des neuen Autos aus. Dabei ist der Geruch eigentlich ein unerwünschter Nebeneffekt, das sind die Ausdünstungen der vielen Kunststoffteile. (Die Oberklasse versucht daher, mit Leder zu punkten – auch das muss man dezent riechen können.) Und es gibt sogar eine Duftkerze mit dem Geruch eines neuen Apple-Computers! Bei Plastik-Spielzeug dagegen ist ein starker Geruch ein schlechtes Zeichen, ein Hinweis auf ungesunde Weichmacher.
- Klang
Wussten Sie, dass es Menschen gibt, die dafür sorgen, dass der Keks beim Reinbeißen das richtige Geräusch macht? Oder die Autotüren so gestalten, dass sie mit einem sattem »Wumms« zufallen? Motorradfahrer bauen ihre Schalldämpfer aus und genießen den Krach, der andere zur Weißglut bringt. Im Rolls-Royce erwarten wir dagegen das kraftvolle, aber stille Gleiten. Die Geräusche, die unsere Produkte machen, geben uns eine Menge unbewusster Hinweise auf ihre Eigenschaften.
Sie sehen, dass Qualität immer stark personen- und kontextgebunden ist. Was für den einen solide ist, findet der andere unhandlich und nicht elegant. Allerdings ist ein wesentlicher Aspekt der Digitalisierung die Dematerialisierung. Diesen Begriff hat Karl-Heinz Land geprägt und als Titel eines Buches verwendet. Denn wenn alles digital ist, dann haben wir deutlich weniger greifbare Produkte. Wenn unser Handy mit einer App zum Schlüssel für unser Hotelzimmer, für unser Auto wird – dann hat sich die Frage nach Material und Gestaltung dieser Schlüssel komplett erledigt. E-Books können nicht mit schönem Papier punkten, Zeitunglesen auf dem Tablet muss ohne das Rascheln und den Geruch von...