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Einführung in die Nationalökonomie

Was ist Nationalökonomie? + Wirtschaftsgeschichtliches + Die Warenproduktion + Lohnarbeit + Die Tendenzen der kapitalistischen Wirtschaft

AutorRosa Luxemburg
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl280 Seiten
ISBN9788026852889
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Einführung in die Nationalökonomie' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Rosa Luxemburg (1871-1919) war eine einflussreiche Vertreterin der europäischen Arbeiterbewegung, des Marxismus, Antimilitarismus und 'proletarischen Internationalismus'. Aus dem Buch: 'Die Nationalökonomie ist eine merkwürdige Wissenschaft. Die Schwierigkeit und der Streit der Meinungen beginnt schon bei dem ersten Schritt, den man auf ihr Gebiet tut, schon bei der allerelementarsten Frage: Was ist der eigentliche Gegenstand dieser Wissenschaft. Der einfache Arbeiter, der nur eine ganz vage Vorstellung davon hat, was die Nationalökonomie lehrt, wird seine Unklarheit der eigenen mangelhaften allgemeinen Bildung zuschreiben. Doch teilt er sein Mißgeschick diesmal in gewissem Sinne mit vielen gelehrten Doktoren und Professoren, die über die Nationalökonomie dickbändige Werke schreiben und Vorlesungen für die studierende Jugend an den Universitäten halten. So unglaubwürdig es klingt, so ist es doch Tatsache, daß die meisten Fachgelehrten der Nationalökonomie einen sehr verschwommenen Begriff davon haben, was der wirkliche Gegenstand ihrer Gelehrsamkeit ist.'

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Leseprobe

2

Eins steht jedenfalls fest: In all den Definitionen der bürgerlichen Gelehrten, die wir oben angeführt haben, ist stets die Rede von der "Volkswirtschaft". Nationalökonomie ist auch nur ein Fremdwort für Volkswirtschaftslehre. Der Begriff der Volkswirtschaft steht im Mittelpunkt der Ausführungen bei allen offiziellen Vertretern dieser Wissenschaft. Was ist nun eigentlich die Volkswirtschaft? Professor Bücher, dessen Werk über "Die Entstehung der Volkswirtschaft" sich in Deutschland wie im Auslande einer großen Berühmtheit erfreut, gibt darüber die folgende Auskunft:

"Die Gesamtheit der Veranstaltungen, Einrichtungen und Vorgänge, welche die Bedürfnisbefriedigung eines ganzen Volkes hervorruft, bildet die Volkswirtschaft. Die Volkswirtschaft zerfällt wieder in zahlreiche Einzelwirtschaften, welche durch den Verkehr miteinander verbunden und dadurch voneinander mannigfach abhängig sind, daß jede für alle anderen gewisse Aufgaben übernimmt und von anderen für sich solche Aufgaben übernehmen läßt."

Versuchen wir, auch diese gelehrte "Definition" in der Sprache gewöhnlicher Sterblicher zu verdeutschen.

Wenn wir zunächst von der "Gesamtheit der Einrichtungen und Vorgänge" hören, welche die Bedürfnisse eines ganzen Volkes zu befriedigen bestimmt sind, so müssen wir an alles mögliche denken: an Fabriken und Werkstätten, an Ackerbau und Viehzucht, an Eisenbahnen und Warenhäuser, nicht minder aber an Kirchenpredigten und Polizeiwachen, an Ballettdarbietungen, Standesämter und Sternwarten, an Parlamentswahlen, Landesväter und Kriegervereine, an Schachklubs, Hundeausstellungen und Duelle - denn alles dies und noch eine endlose Kette anderer "Einrichtungen und Vorgänge" dient heute dazu, "die Bedürfnisse eines ganzen Volkes zu befriedigen". Die Volkswirtschaft wäre dann alles zusammen, was zwischen Himmel und Erde vorgeht, und die Nationalökonomie würde eine Universalwissenschaft sein "von allen Dingen und noch einigen mehr", wie ein lateinisches Sprichwort sagt.

Die weitherzige Definition des Leipziger Professors muß offenbar eine Einschränkung erfahren. Wahrscheinlich wollte er nur von "Einrichtungen und Vorgängen" sprechen, die zur Befriedigung materieller Bedürfnisse eines Volkes dienen, oder richtiger; zur Befriedigung der Bedürfnisse durch materielle Dinge. Auch dann wäre die "Gesamtheit" noch reichlich zu weit gegriffen und würde wieder leicht ins Nebelhafte verschwimmen. Doch suchen wir uns darin, so gut wir vermögen, zurechtzufinden.

Alle Menschen brauchen, um leben zu können, Speise und Trank, ein schützendes Obdach, in kälteren Zonen Kleidung, ferner allerlei Gerätschaften zum täglichen Gebrauch im Hause. Diese Dinge mögen einfacher oder verfeinerter, spärlicher oder reichlicher bemessen sein, immerhin sind sie für jede menschliche Gesellschaft zur Existenz unentbehrlich und müssen deshalb von den Menschen - da gebratene Tauben nirgends in den Mund fliegen - ständig hergestellt werden. In allen Kulturzuständen kommen noch allerlei Gegenstände hinzu, die der Verschönerung des Lebens und der Befriedigung geistiger, sozialer Bedürfnisse dienen, sowie Waffen zum Schutze vor Feinden: bei den sogenannten Wilden Tanzmasken, Bogen und Pfeil, Götzenbilder, bei uns Luxusgegenstände, Kirchen, Maschinengewehre und Unterseeboote. Zur Herstellung dieser sämtlichen Gegenstände gehören wiederum verschiedenartige Naturstoffe, woraus, und verschiedene Werkzeuge, womit sie hergestellt werden. Auch jene Stoffe, wie Steine, Holz, Metall, Pflanzen usw., werden der Erdrinde durch menschliche Arbeit abgewonnen, und die Werkzeuge, die dabei benutzt werden, sind gleichfalls Produkte menschlicher Arbeit.

Wollen wir uns vorläufig mit dieser grob behauenen Vorstellung zufriedengeben, so könnten wir uns die Volkswirtschaft etwa so denken: Jedes Volk schafft ständig durch eigene Arbeit eine Menge zum Leben notwendiger Dinge - Nahrung, Kleidung, Baulichkeiten, Hausrat, Schmuck, Waffen, Kultgegenstände usw. -, desgleichen Stoffe und Werkzeuge, die für die Herstellung jener unentbehrlich sind. Die Art und Weise nun, wie ein Volk alle diese Arbeit verrichtet, wie es die hergestellten Güter unter seine einzelnen Mitglieder verteilt, wie es sie verbraucht und in ewigem Kreislauf des Lebens von neuem herstellt, all das zusammen bildet die Wirtschaft des gegebenen Volkes, eine "Volkswirtschaft". Das wäre so ungefähr der Sinn des ersten Satzes in der Definition des Professors Bücher. Doch gehen wir in der Erläuterung weiter.

"Die Volkswirtschaft zerfällt wieder in zahlreiche Einzelwirtschaften, welche durch den Verkehr miteinander verbunden und dadurch voneinander mannigfach abhängig sind, daß jede für alle anderen gewisse Aufgaben übernimmt und von anderen für sich solche Aufgaben übernehmen läßt." Hier stehen wir vor einer neuen Frage: Was sind das für "Einzelwirtschaften", in die jene "Volkswirtschaft", die wir uns erst mühsam zurechtgedacht haben, zerfallen soll? Das Nächstliegende ist wohl, daß wir uns darunter die einzelnen Hausstände, Familienwirtschaften zu denken haben. In der Tat besteht jedes Volk in den sogenannten Kulturländern aus einer Anzahl Familien, und jede Familie führt auch in der Regel eine "Wirtschaft" für sich. Diese Privatwirtschaft besteht darin, daß die Familie, sei es aus der Beschäftigung ihrer erwachsenen Mitglieder, sei es aus sonstigen Quellen, gewisse Geldeinnahmen bezieht, womit sie wiederum ihre Bedürfnisse an Nahrung, Kleidung, Wohnung etc. bestreitet, wobei, wenn wir an eine Familienwirtschaft denken, uns gewöhnlich im Mittelpunkt dieser Vorstellung die Hausmutter, die Küche, der Wäscheschrank und die Kinderstube erscheinen. Sollte die "Volkswirtschaft" in solche "Einzelwirtschaften" zerfallen? Wir geraten in eine gewisse Verlegenheit. Bei der Volkswirtschaft, wie wir sie uns eben konstruiert haben, handelt es sich vor allem um die Herstellung all jener Güter, die als Nahrung, Kleidung, Wohnung, Möbel, Werkzeuge und Stoffe zum Leben und zur Arbeit gehören. Im Mittelpunkt der Volkswirtschaft steht die Produktion. In den Familienwirtschaften hingegen handelt es sich nur um den Verbrauch der Gegenstände, die sich die Familie für ihr Einkommen fertig verschafft. Wir wissen, daß sich die meisten Familien in den modernen Staaten heutzutage fast alle Lebensmittel, Kleidung, Möbel usw. in den Läden, auf dem Markte fertig kaufen. In der Hauswirtschaft wird nur aus eingekauften Lebensmitteln die Speise zubereitet, oder es werden höchstens aus gekauften Stoffen Kleider verfertigt. Nur in ganz zurückgebliebenen ländlichen Gegenden findet man noch Bauernfamilien, die sich das meiste zum Leben durch eigene Arbeit in der Wirtschaft verschaffen. Freilich gibt es andererseits auch in den modernen Staaten viele Familien, die gerade zu Hause verschiedene Industrieprodukte in Massen herstellen: so die Hausweber, die Konfektionsarbeiter; es gibt auch, wie wir wissen, ganze Dörfer, wo man Spielzeug und dergleichen in der Hausindustrie verfertigt. Allein gerade hier gehört das von den Familien verfertigte Produkt ausschließlich dem Unternehmer, der es bestellt und bezahlt, nicht das geringste Stück davon geht in den eigenen Verbrauch, in die Wirtschaft der heimarbeitenden Familie über. Für die eigene Wirtschaft kaufen sich die Heimarbeiter aus ihrem kärglichen Lohn genauso alles fertig wie die anderen Familien. Wir kämen also mit dem Bücherschen Satz, die Volkswirtschaft zerfalle in viele Einzelwirtschaften, mit anderen Worten etwa zu dem Resultat: Die Herstellung der Existenzmittel eines ganzen Volkes "zerfällt" in lauter Verbrauch der Lebensmittel durch Einzelfamilien - ein Satz, der stark nach einem blühenden Unsinn aussieht.

Noch ein anderer Zweifel steigt auf. Die "Einzelwirtschaften" sollen nach Professor Bücher auch noch "durch den Verkehr miteinander verbunden" und voneinander gänzlich abhängig sein, da "jede für alle anderen gewisse Aufgaben übernimmt". Welcher Verkehr und welche Abhängigkeit mag damit gemeint sein? Ist es etwa der Verkehr freundschaftlicher und nachbarlicher Art, der zwischen verschiedenen Privatfamilien stattfindet? Doch was sollte dieser Verkehr wohl mit Volkswirtschaft, mit Wirtschaft überhaupt zu tun haben? Ist es doch, wie jede tüchtige Hausfrau behauptet, für die Wirtschaft und den Hausfrieden um so gedeihlicher, je weniger Verkehr von Haus zu Haus mit Nachbarn stattfindet. Und gar was die besagte "Abhängigkeit" betrifft, ist es gar nicht auszudenken, welche "Aufgaben" die Hauswirtschaft des Rentiers Meyer für die Wirtschaft des Gymnasialoberlehrers Schulze "und für alle anderen" übernommen haben soll. Wir sind offenbar ganz vom Wege abgeirrt und müssen die Frage von einem anderen Ende anfassen.

Die einzelnen Familienwirtschaften können es also augenscheinlich nicht sein, in die die "Volkswirtschaft" des Professors Bücher zerfällt. Sollten es nicht die einzelnen Fabriken, Werkstätten, landwirtschaftlichen Betriebe und dergleichen sein? Ein Umstand scheint zu bestätigen, daß wir diesmal auf richtiger Fährte sind. Es wird in allen diesen Betrieben auch wirklich verschiedenes hergestellt, produziert, was zur Erhaltung des ganzen Volkes dient, und es besteht andererseits auch wirklich Verkehr und gegenseitige Abhängigkeit unter ihnen. Eine Hosenknopffabrik zum Beispiel ist gänzlich auf die Schneiderwerkstätten angewiesen, in denen sie Abnehmer für ihre Ware findet, während die Schneider wiederum Hosen nicht gut ohne Hosenknöpfe verfertigen können. Andererseits brauchen die Schneiderwerkstätten Stoffe, und damit sind sie auf Woll- und Baumwollwebereien angewiesen, die ihrerseits von der Schafzucht und vom Baumwollhandel abhängen usw. usw. Hier können...

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