3 SPEZIELLE RELATIVITÄTSTHEORIE
3.1 Die neuen Tatsachen
3.1.1 Der Fizeau-Versuch
Wir stehen hier nicht nur vor sehr interessanten, sondern auch vor enorm schwierigen Fragen. Schon die Vorfrage nach der Lichtgeschwindigkeit überhaupt, ganz gleich ob im ruhenden oder im bewegten System, erfordert zu ihrer Beantwortung einen außerordentlichen Scharfsinn in der Versuchsanordnung und zugleich die allergrößte Genauigkeit und Sorgfalt in der praktischen Ausführung. Es ist nun sogar durch verschiedene voneinander unabhängige, sowohl astronomische als auch physikalische Methoden gelungen, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes mit erstaunlicher Genauigkeit zu bestimmen. Sie beträgt bekanntlich ziemlich genau 300.000 km in der Sekunde; das Licht braucht also für die Strecke Köln — Königsberg genau 1/300 Sekunde, würde den Erddurchmesser in noch nicht 1/20 Sekunde durchqueren und eilt von der Erde bis zum Mond in noch nicht 11/2 Sekunden. Es erscheint auf den ersten Blick ganz ausgeschlossen, festzustellen, ob und wie sich diese enorme Geschwindigkeit von den vergleichsweise ganz winzigen irdischen Geschwindigkeiten beeinflussen lässt. Beträgt doch selbst die Geschwindigkeit des schnellsten Geschosses in dem Augenblick, wo es die Mündung des Laufes verlässt, nur knapp 1 km in der Sekunde, um dann sehr schnell abzunehmen.
In der Tat würde die Lösung unseres experimentellen Problems nicht gelungen sein, wenn uns nicht hierfür eine ganz außerordentlich empfindliche Methode zur Verfügung stände. Es ist die sogenannte Interferenzmethode, die darin besteht, Lichtgeschwindigkeiten nicht etwa absolut zu messen, sondern nur zwei verschiedene miteinander zu vergleichen. Das Licht ist bekanntlich eine Wellenbewegung; die einzelnen Wellen sind außerordentlich klein, auf einen Millimeter gehen etwa 2000, je nach der Farbe etwas mehr oder weniger. Wenn wir uns nun auch von dem inneren Mechanismus des Lichtvorganges und der Lichtfortpflanzung keine anschauliche Vorstellung zu machen vermögen, so wissen wir doch, dass er alle Eigentümlichkeiten der Wellenbewegung hat, dass sich insbesondere zwei Lichtstrahlen verstärken oder addieren, wenn immer Wellenberg des einen auf Wellenberg des andern und Wellental des einen auf Wellental des andern fällt, dass sie sich aber aufheben, also Dunkelheit erzeugen, wenn Wellenberg des einen auf Wellental des andern fällt.
Teilt man nun, was durch einfache optische Hilfsmittel gelingt, einen Lichtstrahl in zwei Arme, die man etwa parallel miteinander eine Wegstrecke hergehen lässt, um sie dann wieder zu vereinigen, so wird, falls die beiden getrennten Lichtstrecken wirklich genau gleich lang waren, der erste der eben genannten Fälle eintreten, beide Strahlen werden sich verstärken, das nun entstandene Licht wird genau so hell sein, als es auch ohne Trennung in zwei Teile gewesen wäre. Verlangsamen wir nun aber, z. B. durch ganz geringfügige Verlängerung des Weges oder auch sonst wie, die Lichtbewegung in dem einen Arm, während sie in dem andern ganz ungeändert bleiben möge, so wird nicht mehr genau Wellenberg auf Wellenberg und Wellental auf Wellental fallen, es wird vielmehr eine Verschiebung eintreten, und diese lässt sich stets so groß bemessen, dass nun Wellenberg auf Wellental fällt, also Dunkelheit eintritt. Man nennt dies „Interferenz“.
Die außerordentliche Größe der Lichtgeschwindigkeit und die winzige Kleinheit einer Lichtwelle bedingen nun, wie leicht zu sehen, eine geradezu unerhört kurze Dauer einer solchen Lichtschwingung, das Licht schwingt in einer Sekunde mehrere Hundert Billionen mal, und wenn bei unserem eben erwähnten Versuch sich die Zeit, die das Licht zu der einen der beiden parallel gehenden Strecken braucht, auch nur um eintausend billiontel Sekunde (1 mit 15 Nullen!) ändert, so würde sich dies deutlich durch die „Interferenz“ bemerkbar machen. Natürlich haben wir hiermit nur die groben Umrisse der Methode wiedergegeben.
Auf diesem Wege versuchte nun zuerst der berühmte französische Physiker Fizeau im Jahre 1851 den Einfluss zu bestimmen, den die Bewegung des Mittels auf die Lichtgeschwindigkeit hat. Er ließ Wasser oder Luft in eine Röhre strömen und verglich die Geschwindigkeit der Lichtfortpflanzung, wenn sie im Sinn der strömenden Luft erfolgt, mit der in ruhender Luft oder mit der im entgegengesetzten Sinn bewegten. Auf die Versuchsergebnisse mit Wasser, in dem die Lichtgeschwindigkeit ohnehin eine ganz wesentlich andere ist als in Luft, und wo noch mancherlei sonst zu berücksichtigen ist, wollen wir hier nicht näher eingehen, für Luft jedoch ergab der Versuch mit voller Sicherheit: Die Bewegung der Luft, in der sich Licht fortpflanzt, hat nicht den geringsten Einfluss auf diesen Vorgang. Ob sich Licht bewegt in einer Luft, die im Sinn der Lichtbewegung strömt, oder im entgegengesetzten, oder ob sie gar nicht strömt, das Licht bewegt sich deswegen noch nicht um den tausendsten Teil einer billiontel Sekunde schneller oder langsamer; es lässt sich anscheinend nicht im geringsten von den Bewegungen seiner Umwelt stören. Erinnern wir uns des eben gebrauchten Beispiels von der Ball- und der Schallbewegung auf dem fahrenden Schiff, so können wir also sagen: Das Licht bewegt sich keineswegs so wie der geworfene Ball, der an der Bewegung des Schiffes selbst teilnimmt und folglich, vom Ufer aus beurteilt, sich schneller zu bewegen scheint, wenn seine Bewegung mit der des Schiffes zusammenfällt, langsamer, wenn sie entgegengesetzt ist. Es verhält sich vielmehr genau so wie der Schall, der, wenn auch auf dem Schiff erzeugt, doch keineswegs die Bewegung des Schiffes mitmacht, sondern sich, vom Ufer aus beurteilt, mit der gleichen Geschwindigkeit in der einen und in der andern Richtung bewegt. Im Anschluss an unsere frühere Ausdrucksweise können wir daher auch sagen: Untersuchen wir die Lichtbewegung in einem bewegten System von einem festgebliebenen System aus, so gehört die Lichtbewegung selber zum festen System .
3.1.2 Der Michelson-Versuch
Das eben besprochene Ergebnis des Fizeau-Versuchs ist die unmittelbare Veranlassung zur Stellung einer neuen Aufgabe, nämlich der Untersuchung der Lichtbewegung durch das bewegte Mittel vom bewegten System aus. Hier müsste doch nun ein Einfluss der Bewegung zu erwarten sein, ganz entsprechend dem Einfluss, den die Schiffsbewegung auf die Fortpflanzung des Schalles hat, wenn dieser Vorgang nicht mit dem feststehenden Ufer, sondern mit dem Schiff selber verglichen wird. Denken wir uns also etwa einen Beobachter, der in die Röhren des Fizeau-Versuchs hineinkriecht und dort zugleich mit der bewegten Luft fortgeblasen wird. Der Mann sei so winzig klein, dass er auch die Röhrenwandungen nicht bemerkt, an denen er seine Fortbewegung etwa vergleichen und feststellen könnte, seine ganze ihm zugängliche Umwelt bewegt sich also im Luftstrom genau wie er, er wird sich also selbst für ruhend halten. Dieser Mann stelle jetzt die Geschwindigkeit eines durch seine Luft hindurch gesandten Lichtstrahls fest. Vergegenwärtigen wir uns nun: Ob der Lichtstrahl zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Punkt angelangt ist oder nicht, ist ganz zweifellos eine absolut objektive Frage, die, wo und wie sich der Beobachter auch befinden möge, unter gar keinen Umständen eine verschiedene Beantwortung finden kann. Da sich nun der Beobachter während der Ausbreitung des Lichtes selbst weiterbewegt hat, so wird er also, diese Folgerung scheint ganz unausweichlich zu sein, in seiner eigenen, ihm vielleicht selbst vorerst noch unbekannten Richtung eine geringere Geschwindigkeit des Lichtes feststellen müssen, als in der entgegengesetzten oder in einer seitlichen Richtung. Und er wird hierdurch imstande sein, Größe und Richtung seiner Bewegung festzustellen, oder sagen wir vielleicht noch deutlicher: Größe und Richtung seiner Bewegung festzustellen im Vergleich oder „relativ“ zu demjenigen System, in dem sich das Licht bewegt.
Wir beabsichtigen nicht, die Versuchsanordnung des Michelson-Versuchs im einzelnen zu schildern, da dies einige, wenngleich sehr einfache, mathematische Kenntnisse voraussetzt, und übrigens oft genug in populären Schriften bereits geschehen ist, wo der mehr verlangende Leser nachlesen kann. Wir bemerken nur Folgendes: Es war deshalb schwierig, eine zweckdienliche Anordnung zu finden, weil die Endpunkte der Strecke, die das Licht im Sinne der Luftbewegung und im entgegengesetzten durchlaufen soll, nicht zusammenfallen werden, die Interferenzmethode aber, wie wir wissen, durchaus die Vereinigung der getrennten Lichtstrahlen verlangt. Zwar gelang es, durch höchst geistvolle geometrische Anordnung diese Schwierigkeit zu überwinden, aber doch nur auf Kosten der Größe des zu erwartenden Versuchsergebnisses. Um überhaupt noch ein messbares Versuchsergebnis zu erhalten, musste daher für die Bewegung des Mittels eine sehr viel schnellere ausfindig gemacht werden, als sie für den Fizeau–Versuch zur Verfügung stand; die schnellste uns zugängliche materielle Bewegung aber ist die fortschreitende Bewegung der Erde, die 80 km in der Sekunde beträgt, was freilich auch erst den zehntausendsten Teil der Lichtgeschwindigkeit ausmacht.
Michelson wählte also zur Vergleichsbewegung die der Erde, die sich auch wegen des großen sonstigen Interesses, das sich an sie knüpft, ohnehin empfohlen hätte. Er stellte sich die Frage: Bewegt sich, natürlich vom mitbewegten Beobachter aus beurteilt, das Licht schneller im Sinne der Erdbewegung oder im entgegengesetzten? Und wie viel beträgt der Unterschied? Es leuchtet ein, wie ungeheuer interessant eine Lösung der Aufgabe auch etwa vom astronomischen Standpunkt aus gewesen wäre. Wir kennen die...