Vermutlich handelt es sich bei dem ca. 1,4 Kilo schweren Organ, das sich unter unserer Schädelplatte befindet, um die Materie mit der komplexesten Struktur des Universums. Schätzungsweise eine Billion Nervenzellen stecken darin, jede von ihnen hat bis zu 10.000 Verbindungen zu anderen Zellen.
Als Maschine für logische Denkoperationen wäre unser Gehirn eine Fehlkonstruktion. Sehr vieles, was in unserem Hirn geschieht, ist sogar höchst irrational. Und das ist auch gut so: Denn wir brauchen unser Gehirn nicht so sehr, um damit logisch und widerspruchsfrei zu denken, sondern um in der
Welt, in der wir leben, einigermaßen zurechtzukommen.
Denkt unser Gehirn irrational?
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Natürlich kann unser Gehirn auch höchst rationale Gedanken produzieren. Nämlich dann, wenn es zweckmäßig ist. Oftmals ist es aber nicht zweckmäßig. Wir würden viel zu viel Zeit verlieren, wenn wir bei jeder Entscheidung eine rationale Kosten-Nutzen-Analyse durchführen würden. Also lassen wir es in den meisten Fällen bleiben und nehmen gewissermaßen eine Abkürzung.
Dabei spielen unsere Gefühle eine wichtige Rolle. Was den rationalen Entscheidungstheoretikern ein Gräuel sein dürfte, hat sich in der Praxis gut bewährt: Auch wenn wir nicht nach dem Lehrbuch der Entscheidungstheorie vorgehen, gelangen wir oftmals zu höchst vernünftigen Lösungen. Die wir dann
im Nachhinein mit unserer Vernunft trefflich begründen können.
Unser Gefühl sagt uns, was wir tun sollen und was wir unbedingt vermeiden müssen, es treibt uns zu bestimmten Handlungen an und verhindert andere, in erster Linie solche, die uns schädigen würden. Ignorieren wir unsere Gefühle, führt dies zu Fehlentscheidungen und kann uns krank machen.
Beispiel
Wie wichtig der „Motor" der Emotionen für uns und unsere Entscheidungsfähigkeit ist, darauf hat der Neurologe Antonio Damasio hingewiesen. Einige seiner Patienten waren zwar in der Lage, ohne Einschränkung rational zu denken. Ihre Intelligenz war vereinzelt sogar überdurchschnittlich. Was ihnen jedoch fehlte war der gefühlsmäßige Bezug zu ihren Gedanken. Die Auswirkung war katastrophal: Auch wenn ihnen die verheerende Konsequenz einer Entscheidung rational vollkommen einleuchtete, waren sie nicht in der Lage, sich „vernünftig" zu entscheiden.
Wie sehr dürfen Sie Ihren Gefühlen vertrauen?
Im Idealfall stehen Vernunft und Gefühle im Einklang. Genau dies ist mit dem Schlagwort der „Emotionalen Intelligenz" gemeint. Allerdings ist diese Harmonie oftmals nicht gegeben. Unsere Gefühle können auch sehr „unvernünftig" sein und unseren Interessen im Weg stehen.
- Gefühle können übermächtig werden, alle anderen Gedanken verdrängen und uns lähmen. Dies trifft vor allem auf Angstgefühle zu.
- Gefühle können unkontrolliert ausbrechen. Vor allem Wutausbrüche, aber auch maßlose Sympathiebekundungen helfen uns in aller Regel nicht weiter, sondern zeigen nur eines: dass wir unbeherrscht sind.
- Wir können die „falschen" Gefühle haben. Eine gefährliche Situation erscheint uns harmlos, einen Mitmenschen, auf den wir dringend angewiesen sind, finden wir unsympathisch und lehnen seine Hilfe ab.
Gefühle haben einen tiefen Anker. Wir können sie nicht ein- und ausschalten, wenn sie uns nicht recht sind. Es hat auch keinen Sinn, sie beiseite schieben zu wollen. Wir müssen uns mit ihnen arrangieren. Denn sie sind Teil unseres Wesens. Auf der anderen Seite sollten wir uns gerade bei Entscheidungen bemühen, dass uns unsere Gefühle nicht überwältigen. Ein Mensch, der „emotionale Intelligenz" besitzt, ist im Grunde das glatte Gegenteil eines Gefühlsmenschen, der seinen Emotionen freien Lauf lässt.