Im deutschen Gesundheitswesen entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) darüber, welche Medikamente, Therapien oder Behandlungsmethoden im Sinne des § 12 SGB V notwendig, hilfreich und wirtschaftlich sind. Der GBA ist ein Gremium, das sich aus Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenkassen sowie aus Patientenvertretern zusammensetzt und unter der Aufsicht der Gesundheitsministerin steht. Der Ausschuss trifft im Rahmen der gesetzlichen Ausgestaltung des SGB demokratische Entscheidungen darüber, welche neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zur Regelleistung der Krankenkassen avancieren und die Kassen damit bezahlen müssen. Er kann jedoch auch bereits eingeführte Behandlungsmethoden aus dem Leistungskatalog der GKV ausschließen, wenn sich diese als unwirksam erwiesen haben (§ 34 SGB V). Der Ausschuss entscheidet also vor dem Hintergrund des therapeutischen Nutzen speziell darüber, welche Methode Ärzte bei einer Erkrankung benutzen sollten und welche nicht.
Diesen Entscheidungsprozessen des GBAs liegen die Ziele zugrunde, die finanziellen Belastungen für die Versicherten gering zu halten und den Nutzen der neuen Methoden für die Patienten zu sichern. Grundlage dieser Ziele im Gesundheitswesen sind die steigenden Gesundheitskosten, die zu einem Finanzierungsproblem in der GKV führen. Problematisch ist es jedoch ferner, dass mit steigenden Gesundheitskosten keine adäquate Verbesserung der Gesundheit erzielt wird. Offensichtlich verschwenden Kostenträger ihre begrenzten finanziellen Mittel für wenig wirksame Versorgungsleistungen bzw. für indikationsspezifische Interventionen, die bei bestimmten Patientengruppen kontraindiziert sind. Die Ressourcen im Gesundheitswesen sind begrenzt, was nach einer effizienten Mittelverwendung verlangt. In diesem Zusammenhang spielt die Bewertung der Kosten-Effektivität von Public-Health-Interventionen eine zunehmend signifikante Rolle[3].
Die Kosten-Effektivitäts-Analyse ist ein Analysetyp der gesundheitsökonomischen Evaluation, die Aussagen darüber machen möchte, ob sich der Einsatz einer medizinischen Intervention lohnt. Die Evaluation mit vergleichendem Charakter stellt die Kosten der zu evaluierenden medizinischen Interventionen dem Nutzen gegenüber mit dem Ziel, Informationen für eine rationale Allokationsentscheidung zu liefern. Die gesundheitsökonomische Evaluation wendet jedoch den inkrementellen Ansatz an. Danach ermitteln Ökonomen die Kosten pro zusätzlichen Nutzen, womit sich die Frage klären lässt, ob und wie viel ein Mehr an Kosten einer Intervention auch ein Mehr an Qualität bzw. Nutzen erbringt.
Bei der gesundheitsökonomischen Evaluation werden die medizinischen Interventionen vorwiegend im Rahmen einer Kosten-Effektivitäts- oder einer Kosten-Nutzwert-Analyse verglichen. In der Regel stellt der Analytiker die gegenwärtige Standardleistung – dies kann die am häufigsten eingesetzte (weil bewährteste) Intervention oder das Abwarten als Entscheidungsoption sein – einer neuen, medizinisch wirksameren aber auch kostenintensiveren Versorgungsleistung gegenüber. Eine Kosten-Effektivitäts-Analyse gibt die Behandlungsergebnisse, die der Ökonom in der gesundheitsökonomischen Evaluation als Outcome bezeichnet, in der gleichen natürlichen Einheit an. Outcomemaße dieses Analysetyps sind z.B. gewonnene Lebensjahre oder Anzahl symptomfreier Tage. Bei einer Kosten-Nutzwert-Analyse wird die Effektivität dagegen in Nutzwerte ausgedrückt (z.B. QALYs, HYEs, SAVEs), die die Patientenpräferenzen reflektieren.[4]
Mit der Bestimmung der (inkrementellen) Kosten-Effektivität als ein Entscheidungskriterium zur optimalen Allokationsentscheidung hinsichtlich medizinischer Interventionen ist ein Anwendungsfeld der formalen Entscheidungsanalyse definiert. Die Entscheidungsanalyse lässt sich in der klinischen Entscheidungsfindung (Clinical Decision Making) sowie in Kosten-Effektivitäts/Nutzwert-Analysen einsetzen. Allerdings ergänzen Ökonomen – im Unterschied zur klinischen Modellierung von medizinischen Entscheidungsproblemen – in der gesundheitsökonomischen Modellierung das Krankheitsmodell um ein Kostenmodell.
Die gesundheitsökonomische Evaluation nutzt im Vorfeld der Analyse von medizinischen Interventionen hinsichtlich ihrer Kosten-Effektivität ein Entscheidungsmodell[5]. Dieser Ansatz zum Vergleich konkurrierender Public-Health-Interventionen wird als formale Entscheidungsanalyse oder als entscheidungsanalytische Modellierung bezeichnet, die auf den Grundlagen der präskriptiven Entscheidungstheorie basiert[6]. Die formale Entscheidungsanalyse (Decision Analysis) ist ein systematischer, expliziter und quantitativer Ansatz zur Entscheidungsfindung unter Unsicherheit und beschäftigt sich speziell mit der Frage, wie medizinische Entscheidungen verbessert werden können[7].
Die Aufgaben der formalen Entscheidungsanalyse liegen primär
in der Darstellung des Entscheidungsproblems einschließlich der alternativen Handlungsverläufe mit den jeweiligen potentiellen Umwelteinflüssen und der erwarteten Konsequenzen und
in der Untersuchung der Auswirkungen der Alternativen durch Berechnung des Erwartungsnutzens der einzelnen Alternativen.
Charakteristisch für ein Entscheidungsproblem ist einerseits, dass dem Arzt zur Behandlung einer spezifischen Erkrankung mit einem bestimmten Symptomenkomplex verschiedene Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Alternative Behandlungsmethoden sind bei dem indikationsspezifischen Erkrankungsbild anwendbar und unterscheiden sich in ihrem jeweiligen Nutzen-Risiken-Verhältnis sowie ggf. in ihrer Kosten-Effektivität. Unter diesen Bedingungen konkurrieren die betreffenden Alternativen miteinander.
Zum anderen charakterisiert sich ein Entscheidungsproblem durch Unsicherheit und Komplexität. Unsicherheiten bestehen generell hinsichtlich des gegenwärtigen Zustandes des Patienten (z.B. ungenaue Treffsicherheit des diagnostischen Tests) sowie über den gesamten Krankheitsverlauf (individuell verschiedene physische Reaktion des Patienten auf Behandlung, Compliance des Patienten, potentielle Komplikationen). Insbesondere der künftige Krankheitsverlauf formiert sich allgemein durch Umwelteinflüsse, die der behandelnde Arzt nicht kontrollieren kann. Unter diesen Bedingungen ist der Mediziner gezwungen, Entscheidungen zu treffen, die primär auf die Erhaltung und Verlängerung des Lebens seiner Patienten abzielen. Dabei ist im Ergebnis ungewiss, ob sich der Erfolg der angewandten Public-Health-Intervention einstellt und ggf. in welchem Maße. Allein unter Berücksichtigung der Tragweite medizinischer Entscheidungen erscheint die Anwendung der Entscheidungsanalyse bei klinischen Entscheidungsproblemen als äußerst sinnvoll.[8]
Darüber hinaus können sich bestimmte Entscheidungssituationen als äußerst komplex gestalten. So nimmt die Komplexität beispielsweise mit der Zahl der Alternativen oder mit einem langfristigen Zeithorizont zu. Eine solche Entscheidungssituation verschleiert ein klares eindeutiges Vorgehen, das den größten klinischen Nutzen für Patienten stiftet. Angesichts der Komplexität spezifischer medizinischer Entscheidungssituationen scheint zweifellos festzustehen, dass den Akteuren des Gesundheitswesens das Treffen von Entscheidungen nicht einzig und allein der Intuition überlassen werden kann. Der Mensch mit einem gesunden Menschenverstand scheint mit der vollständigen Erfassung und Verarbeitung der Komplexität schlichtweg überfordert zu sein und daher unfähig, rationale Entscheidungen hervorzubringen[9].
Die Darstellung der Entscheidung erfolgt in einem sog. Entscheidungsmodell, dessen Struktur die Modellierung des Krankheitsverlaufs im Rahmen der einzelnen Alternativen determiniert. Ein Entscheidungsmodell besteht neben den Alternativen aus drei weiteren Elementen: den Konsequenzen, den Wahrscheinlichkeiten und den Outcomes. Der Behandlungsverlauf sowie ggf. der natürliche Krankheitsverlauf kennzeichnet sich durch krankheitsspezifische Ereignisse oder klinische Zustände, deren Auftreten unsicher aber in Form von Wahrscheinlichkeiten, Anteilen, Häufigkeiten oder Odds Ratios quantifizierbar ist – häufig operieren die Anwender jedoch mit Wahrscheinlichkeiten[10]. De facto erlebt der individuelle Patient diese Ereignisse oder Zustände oder nicht; allerdings ist die exakte Vorhersage unmöglich. Mit jeder Behandlungsoption und den jeweiligen krankheitsspezifischen Ereignissen oder Zuständen determinieren sich Konsequenzen (Outcomes). Outcomes beschreiben in der Gesundheitsökonomie Behandlungsergebnisse bzw. allgemein Ergebnisse einer Intervention im Zusammenhang mit der Mortalität, Morbidität und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität wie z.B. gewonnene Lebensjahre, Anzahl symptomfreier Tage oder QALYs[11].
Durch ein Entscheidungsmodell werden die Komplexitäten und Unsicherheiten des Entscheidungsproblems handhabbar, da sich ein Modell durch seine Repräsentationsfunktion, durch Vereinfachung und durch Pragmatismus...