HALBZEIT: SCHICKSAL ODER CHANCE?
Nein, es leiden keineswegs alle Frauen unter den Wechseljahren. Es gibt auch viele Frauen, die diesen natürlichen Prozess, der mit dem Älterwerden einhergeht, kaum als Beeinträchtigung empfinden. Tatsächlich haben ein Drittel wenig oder gar keine Beschwerden wie Schweißausbrüche, Stimmungsschwankungen & Co. und ein Drittel klagt über mäßige Beschwerden, die aber zu managen sind. Unser Buch ist vor allem für das Drittel der Frauen geschrieben, die stark beeinträchtigt sind und ihren Alltag kaum noch bewältigen können. Aber auch Frauen mit mittleren Beschwerden können erheblich profitieren und mehr Lebensqualität gewinnen.
Ein »Frauenschicksal«
Wechseljahre gab es (natürlich) immer schon. Nur waren sie früher kein großes Thema. Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einen: Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts lag die allgemeine Lebenserwartung noch bei 45 Jahren. Viele Frauen erreichten also gar nicht erst das Alter, in dem die Wechseljahre eintraten. Grund zwei: Gegen Wechseljahre und die einhergehenden Beschwerden, die aus manchen Frauen einen Schatten ihrer selbst machten, ließ sich lange Zeit nichts tun. Frauen, die früher die 50 überschritten, stellten genauso fest, dass ihre Periode ausblieb und ihre Fruchtbarkeit versiegte. Und wahrscheinlich litten sie auch unter Hitzewallungen, Schlafstörungen und ähnlichen Beschwerden. Nur wurde all das damals unter der Rubrik »Frauenschicksal« verbucht und so mit dem Stempel »unabänderlich« versehen. Gegen das Schicksal lässt sich nichts tun. Das muss man geduldig ertragen. Zumal die Medizin diesbezüglich nichts anzubieten hatte.
INFO
MENOPAUSE? KLIMAKTERIUM?
Mit der letzten Menstruation, der sogenannten Menopause, beginnen die Wechseljahre. Auf der ganzen Welt sind die Frauen dann im Durchschnitt 51 Jahre alt. Insgesamt kann das Klimakterium, wie die Wechseljahre auch heißen, etwa zehn Jahre dauern.
»Muss ich da wirklich durch?«
»Da muss man durch«, hieß dementsprechend der lakonische Ratschlag von Gynäkologen bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, wenn es um die Wechseljahre und die damit verbundenen Beschwerden ging. »Man« war dabei natürlich Frau.
»Wechseljahre sind keine Krankheit, sondern ein natürlicher hormoneller Umstellungsprozess.« Hört man immer wieder. Ist prinzipiell auch richtig. Nicht zutreffend ist allerdings die Tatsache, daraus ableiten zu wollen, die Wechseljahre mit ihren Malaisen müssten einfach so hingenommen werden. Denn in der Tat geht dieser »normale hormonelle Umstellungsprozess« bei vielen Frauen doch mit erheblichen Beschwerden einher. Diese Beschwerden nicht zu behandeln, käme einer unterlassenen Hilfestellung gleich und verursacht viel unnötiges Leid.
Alles nur die Natur
Und auch eine zweite Frage muss gestellt werden: Wie natürlich ist dieser natürliche Umstellungsprozess überhaupt? Werfen wir dazu einen kurzen Blick auf unsere tierischen Verwandten. Biologisch gehören wir zur Gattung der Säugetiere. Schauen wir uns bei denen einmal um, so stellen wir erstaunt fest: Wechseljahre gibt es dort, bis auf wenige Ausnahmen, gar nicht. Ob Hunde, Katzen, Pferde oder Schweine – die weiblichen Säugetiere bleiben bis ins hohe Alter hinein fortpflanzungsfähig. Das gilt übrigens auch für unsere eher weitläufigeren Verwandten wie Reptilien, Vögel, Fische und was da sonst noch so kreucht und fleucht. Erstaunt stellen wir fest: Die »natürlichen Wechseljahre« kommen sonst in der Natur nicht vor. Warum macht der Mensch hier eine Ausnahme?
Eine Frage der Gattung
Die Antwort finden wir bei unseren Verwandten. Alle Säugetiere – also auch wir –zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass ihre Jungen einer besonders intensiven Pflege bedürfen. Sie müssen gestillt, gehegt und behütet werden, bis sie schließlich selbstständig sind. Bei den meisten Säugetieren dauert das Wochen bis Monate, bei einigen auch zwei bis drei Jahre.
Der Mensch als Unterspezies der Gattung Säugetiere macht hier eine große Ausnahme. Menschenbabys kommen nach einer relativ langen Tragezeit extrem unreif und hilflos zur Welt. Um sie großzuziehen und sie zu selbstständigen Lebewesen werden zu lassen, braucht es im Vergleich einen enormen Aufwand und sehr viel Zeit. 14 bis 16 Jahre sind die Regel. (Von den vielen Fällen, die nie richtig erwachsen werden, wollen wir hier gar nicht reden.)
Der Mensch benötigt unter allen Säugetieren am längsten, um den Nachwuchs großzuziehen.
Die Rolle der Mutter
Heute weiß man durch zahllose Beobachtungen in freier Natur, dass die Bindung von Säugetierjungen an ihre Mutter ungeheuer wichtig, ja essenziell ist. Stirbt eine Mutter, bevor die Jungen selbstständig sind, haben diese kaum eine Überlebenschance.
Für den Menschen bedeutet das: Es ist sinnvoll, die Fortpflanzungsfähigkeit der Mutter zu begrenzen, damit diese die Möglichkeit hat, auch den letztgeborenen Nachwuchs noch großzuziehen. Deshalb gibt es die Wechseljahre. Deren biologischer Sinn besteht also in der Begrenzung der weiblichen Fortpflanzungsfähigkeit. Das ist sowohl für die Gesundheit der Mutter als auch für das Leben ihres Kindes überaus zweckmäßig. Und genau aus diesem Grunde verabschieden sich die Eierstöcke vorzeitig in den Ruhestand. Da die Lebenserwartung der Frau heute weitaus höher ist als noch vor 100 Jahren, erlebt fast jede diesen Wechsel, der mit einer hormonellen Umstellung verbunden ist. Das bedeutet gravierende Veränderungen, denn Hormone spielen eine bedeutende Rolle in unserem Leben.
Hormone, unsere (fast) unsichtbaren Dirigenten
Diese Substanzen werden im Gehirn, in den endokrinen Drüsen sowie in den Geschlechtsorganen gebildet. Kaum losgelassen, flitzen sie an ihre Zielorte. Das sind immer spezielle Körperzellen, wo sie ihre Befehle hinterlassen. Die betreffen im Grunde alles, was eine Frau (und natürlich auch einen Mann) angeht: die Entwicklung, den Stoffwechsel und wie man sich gerade fühlt. Erst seit etwa 100 Jahren weiß man, dass der Körper diese Substanzen überhaupt bildet, und noch längst nicht alle sind entschlüsselt. Seitdem sind Hormone eines der spannendsten Forschungsgebiete der modernen Medizin.
Was diese (Boten-)Stoffe so alles treiben
Wenn ein Hormon seine Botschaft weitergibt – ein anderer Name für Hormon ist Botenstoff –, geschehen erstaunliche Dinge: ein Baby entwickelt sich, ein Kind wächst im Schlaf, zwei Menschen verlieben sich, man fühlt sich sexy, wird wütend, ist gestresst, kommt ins Schwitzen, hat Heißhunger auf Eiscreme, fängt aus unerfindlichen Gründen zu schwitzen an oder kann nicht mehr durchschlafen. Hormone sind im Spiel, wenn gut gelaunte Frauen plötzlich von Depressionen heimgesucht werden oder aus lässigen Müttern tobende Furien werden. Ohne Hormone gäbe es den Reichtum unserer Gefühlswelt nicht, alle Organfunktionen kämen zum Erliegen und menschliches Leben mit all seinen Entwicklungs- und Reifephasen wäre ohne diese winzigen Kommunikatoren undenkbar. Ohne Hormone gäbe es keine Pubertät, keine Entwicklung zur Frau (oder zum Mann), keine Schwangerschaft und keine Wechseljahre.
Wenn Hormone versiegen
Die Eierstöcke haben zwei Funktionen. Sie stellen befruchtungsfähige Eizellen zur Verfügung. Das dient der Herbeiführung einer Schwangerschaft. Zum anderen produzieren sie Geschlechtshormone. Die stehen zwar im Dienste von Sexualität und Fortpflanzung. Sie haben aber auch vielfältige Wirkungen auf die Gesundheit des weiblichen Organismus. Mit den Wechseljahren soll aus biologisch sinnvollen Gründen erreicht werden, dass keine Eizellen mehr produziert und damit auch keine Schwangerschaft mehr möglich ist.
Das Versiegen der Hormonproduktion ist eher ein Nebeneffekt der Wechseljahre. Und nicht unbedingt einer, der sich auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der betroffenen Frau positiv auswirkt, wie wir in diesem Buch noch sehen werden.
Eine Überlegung wert
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich durchaus, noch einmal darüber nachzudenken, ob der Ersatz der fehlenden Hormone in und nach den Wechseljahren nicht doch eine sinnvolle Maßnahme darstellt. Keiner Frau sollen dabei Therapien aufgeschwätzt werden, die sie nicht möchte oder die unter Umständen sogar gefährlich sind. Niemand sollte aber auch aufgrund übertriebener Ängste und falscher Informationen auf Behandlungen verzichten, die letztlich die Gesundheit und das Wohlbefinden steigern und dabei helfen, die Lebensqualität und vor allem ein gutes Lebensgefühl bis ins höhere Alter zu erhalten.
Die Entscheidung, ob Hormone sinnvoll sind oder nicht, trifft jede Frau – in Absprache mit ihrem Gynäkologen oder ihrer Gynäkologin – letztendlich selbst. Das nächste Kapitel wird dazu einige Entscheidungshilfen geben.
INFO
KANN MAN DIE WECHSELJAHRE HINAUSSCHIEBEN?
Statistisch liegt der Zeitpunkt der letzten Regelblutung bei 51 Jahren. Dennoch gibt es Frauen, bei denen schon mit 45 oder früher die Regel aussetzt. Andere menstruieren bis Mitte 50 munter weiter. Beides liegt im Rahmen der üblichen Normabweichungen. Gesichert ist die Erkenntnis, dass Raucherinnen etwa zwei bis drei Jahre früher in die Wechseljahre kommen. Rauchen schädigt die Blutgefäße und beeinträchtigt die Durchblutung. Vermindert durchblutete Organe altern vorzeitig. Für die Eierstöcke heißt das: schneller in den Ruhestand.
Umgekehrt existieren leider wenig gesicherte Maßnahmen, um ihn hinauszuzögern. Allerdings gibt es eine Methode, um im Vorfeld eventuellen Beschwerden vorzubeugen: Sport treiben. Der Organismus sportlicher Frauen ist offensichtlich besser auf Temperaturschwankungen...