Die Rolle der Mitarbeitergespräche in einem systematischen Verständnis von Führung
Sie als Führungskraft interessieren sich vor allem dafür, was Ihre Mitarbeiter zur Aufgabenerledigung und zum Arbeitserfolg beitragen. Das ist letzten Endes, wofür Sie verantwortlich sind. Um Ihre Mitarbeiter zum Erfolg zu führen, stehen Ihnen diverse Führungsinstrumente und -techniken zur Verfügung. Da diese unterschiedlichen Logiken folgen, macht es Sinn, wenn Sie sich Ihr Führungsinstrumentarium als ein mehrstöckiges Gebäude vorstellen. Jedes Stockwerk erzeugt einen anderen Aspekt von Führung. Jedes hat seine spezifischen Erfordernisse und trägt auf seine Weise zu erfolgreichen Mitarbeitergesprächen bei (vgl. Abbildung).
Erdgeschoss: Beziehungsmanagement
Als Führungskraft sind Sie der primäre Ansprechpartner des Mitarbeiters für seine Beziehung zum Unternehmen. Dafür stehen Ihnen entsprechende Gesprächsformate zur Verfügung. Das beginnt bei der Begrüßung, wenn ein Mitarbeiter in Ihre Organisationseinheit eintritt. In vielen Organisationen sind strukturierte Jahresgespräche zur Beziehungspflege üblich. In tariffreien Organisationen sind individuelle Gehaltsgespräche erforderlich, im Tarifbereich steht die tarifliche Eingruppierung der Mitarbeiter im Zentrum der Aufmerksamkeit. Es kann passieren, dass ein Mitarbeiter sich bei Ihnen beschweren möchte. Damit haben wir einige erste Anlässe von Mitarbeitergesprächen identifiziert.
Erster Stock: Direkte Steuerung
Die direkte Steuerung von Mitarbeitern besteht im Erteilen von Anweisungen, weiter in Interventionen mit dem Ziel einer Verhaltensänderung, sowie in direktem Feedback zur Umsetzung dieser Steuerungsimpulse, z.B. »Schon ganz gut, jetzt bitte noch etwas mehr nach links…«. Die direkte Steuerung ist in ihren Möglichkeiten begrenzt, z.B. ist Ihre persönliche Präsenz erforderlich. Im Führungsalltag haben die verschiedenen Techniken der indirekten Steuerung in den zurückliegenden Jahrzehnten enorm an Bedeutung gewonnen. Für viele Chefs »alter Schule« war und ist das eine schwierige Umstellung. Deshalb konzentrieren sich Managementgurus und –Trainer auf die Vermittlung der indirekten Steuerungstechniken. Doch auch wenn sie heute viel zurückhaltender eingesetzt wird: Die direkte Steuerung ist nicht tot. Als Chef benötigen Sie weiterhin die Fähigkeit, hier und jetzt eine Anweisung zu erteilen oder zu intervenieren, um einen Fehler zu verhüten. Und Sie müssen in der Lage sein, zu dem was Sie bei der direkten Steuerung erleben, Feedback zu geben. Damit haben wir drei weitere Gesprächsanforderungen identifiziert, die Sie im Praxisteil des Buches wieder finden.
Zweiter Stock: Indirekte Steuerung durch punktuelle Regeln und Pläne
Die einfachste Form der indirekten Steuerung bilden punktuelle Regeln und Pläne. Die Delegation von Aufgaben an Mitarbeiter zur eigenverantwortlichen Umsetzung gehört hier hin, ebenso das Aufzeigen von Regeln. Die Regeln und Pläne sollen auch dann handlungsleitend sein, wenn derjenige, der sie beschließt oder genehmigt, nicht anwesend ist. Leider funktioniert das nicht immer. Deshalb muss, wer Regeln erlässt, sie auch durchsetzen. Hierzu dient die Intervention, die Ermahnung und in hartnäckigen Fällen die Abmahnung. Punktuelle Regeln und Pläne sind das bevorzugte Jagdrevier der zentralen Organisationseinheiten (Controlling, Revision, Organisation, Personal usw.). Machen Sie als operative Führungskraft durchdachten und sparsamen Gebrauch davon!
Dritter Stock: Indirekte Steuerung durch Geschäftsprozesse
Eine höhere Stufe indirekter Steuerung bildet das Arbeiten mit Geschäftsprozessen. Ein Geschäftsprozess ist ein idealtypisches Abbild eines realen oder geplanten Arbeitsablaufs. Eine Abfolge der vorgesehenen Arbeitsschritte wird festgelegt und den involvierten Mitarbeitern werden jeweils Arbeitsschritte zugeordnet, so dass sich alles in einander fügt um das gewünschte Arbeitsresultat zu erzeugen. Im Unterschied zur »wissenschaftlichen Arbeitsorganisation« Frederick Taylors sowie der daran anschließenden Fließbandarbeit, müssen die Einzelaktivitäten eines Geschäftsprozesses nicht bis auf die Ebene jeder Handbewegung geplant sein. Sie können für sich durchaus komplex und anspruchsvoll bleiben.
Ein Beispiel hierfür sind Service-Hotlines. Die Aufgabe, mit leidgeprüften Kunden adäquat zu kommunizieren, lässt sich auf kein Script reduzieren. Sie erfordert kommunikatives Geschick im Umgang mit der konkreten Situation. Viele Organisationen versäumen es, zum Leidwesen der Kunden, die Lösungskompetenz ihrer Hotline-Mitarbeiter zu nutzen, indem sie ihnen zu geringe Entscheidungskompetenzen zuweisen. Frederick Taylor lässt grüßen.
Geschäftsprozesse haben den Vorteil, dass man erfolgreiche, ganzheitliche und zielorientierte Vorgehensweisen in organisierter Arbeitsteilung wieder und wieder anwendet. Die rigorose Treue zum einmal definierten Vorgehen gibt Anlass zu der Hoffnung, dass in effizienter Weise ein Arbeitsresultat von gleicher, hoher Qualität erzielt wird. Der Prozess kann beobachtet und gemessen werden. Man kann iterative Prozessverbesserungen durchführen oder ihn beizeiten durch einen anderen Prozess ersetzen. In beiden Fällen kommt es zu Veränderungen und dabei kommt die »unsichtbare Rückseite« zum Vorschein: Damit ein Geschäftsprozess wie geplant ablaufen kann, muss gewährleistet sein, dass die betrauten Mitarbeiter die wesentlichen Aktivitäten regelmäßig erfolgreich durchzuführen vermögen. Das erfordert spezifisches Wissen und spezifische Fähigkeiten, oft in Verbindung mit der eingesetzten Technologie, die ich Job-Kompetenzen nenne. Wenn der Geschäftsprozess oder die Technologie geändert wird, muss die Änderung auf der Ebene der Job-Kompetenzen von den Mitarbeitern mitvollzogen werden, sonst wird die Veränderung scheitern. Betriebliche Verbesserungsmöglichkeiten werden meist in technologischen Fortschritten und Prozessverbesserungen gesucht. Alternativ kann man der Frage nachgehen, in wie weit die Job-Kompetenzen der Mitarbeiter auf einem optimalen Stand sind und hier Verbesserungen anstreben. Hierbei ist Feedback für den Mitarbeiter durch nichts zu ersetzen. Wer im direkten Kontakt mit Leistungsempfängern ist (Kunden, Patienten usw.), erhält auch von dort direktes Feedback. Erfahrene Kollegen geben hilfreiches Feedback. Für die Führungskräfte ist das Feedback der Mitarbeiter instruktiv.
Führungstechnisch bringen Geschäftsprozesse die Arbeit in geregelter, oft automatisierter Weise zum Mitarbeiter, was die Führungskraft von dispositiven Aufgaben entlastet. Die sich öffnende Welt der Job-Kompetenzen schafft eine neue Führungsaufgabe: Das Zusammenwirken von Geschäftsprozessen und Job-Kompetenzen zu verfolgen und die Mitarbeiter bei der Entwicklung ihrer individuellen Job-Kompetenzen zu begleiten. Das ist Thema eines Personalentwicklungsgesprächs, das Bestandteil des oben schon identifizierten Jahresgesprächs sein kann. Weitere Führungsgespräche stehen bei Veränderungen an.
Vierter Stock: Führen über Ziele
Indirekte Steuerung, im Unterschied zur direkten Steuerung, beginnt mit dem Führen über Ziele. Ziele werden dem Mitarbeiter vorgegeben oder verbindliche Vereinbarungen über die Ziele ausgehandelt, die er im Anschluss in eigenverantwortlichem Handeln anstrebt. Führen über Ziele wird in vielen Unternehmen in Form von Jahreszielvereinbarungen praktiziert. Nach meiner Ansicht noch wichtiger ist das Führen über Ziele im operativen Tagesgeschäft. Der Mitarbeiter operiert im Tagesgeschäft eigenständig und stimmt sich über Ziele und Vorgehensweisen und bei unerwarteten Schwierigkeiten fortlaufend in verabredeter Weise mit der Führungskraft ab. Das entspricht der heutigen betrieblichen Realität in vielen Unternehmen. In Bereichen mit hochqualifizierten und eigenverantwortlich tätigen Mitarbeitern, etwa im Vertrieb oder im Projektgeschäft ist das Führen über Ziele alternativlos. Die Führungskraft ist verantwortlich, dass die mit den verschiedenen Mitarbeitern vereinbarten Ziele zusammen passen und in Summe zum Erfolg der geführten Organisationseinheit führen. Gesprächstechnisch sind beim Führen über Ziele jährliche Zielvereinbarungen zu treffen, regelmäßige Statusgespräche zu führen, mit operativen Zielvereinbarungen oder Zielvorgaben und bei akuten Schwierigkeiten sind Eskalationen zu meistern.
Auch Projekte werden über Ziele geführt. Die Projektziele sind für das Projektteam handlungsleitend. Die damit...