Wir klärten in den vorangehenden erkenntnistheoretischen Reflexionen zunächst, was Begriffe und Kategorien sind, erörterten danach im Zuge einer ausführlichen Diskussion des Formproblems das allgemeine Verhältnis zwischen Erkennen und Sein und wendeten uns schließlich einer Untersuchung des mathematischen Erkennens zu, wobei wir auch in diesem besonderen Fall wieder die Relation zum Sein bestimmten.
Bevor wir in Teil 8 unsere Betrachtungen auf die Logik ausdehnen, um eine transzendentale Analyse der Verknüpfung von Begriffen und Kategorien im Rahmen von Urteilen und Schlüssen durchzuführen, ist die schon in Teil 6 immer wieder aufgetauchte Frage nach dem Bezug zwischen den begrifflich-kategorialen Bausteinen des Erkennens und der Sprache zu beantworten, sind doch alle aus jenen Bausteinen bestehenden Urteile und Schlüsse, wie man weiß, ganz bestimmte Arten von sprachlichen Handlungen. Wir werden die genannte Frage anhand der umgangssprachlichen Begriffe und Kategorien diskutieren, behalten dabei aber im Auge, daß gemäß einem der Hauptresultate der vorangehenden Abschnitte die Zahl, als das wichtigste Erkenntnisinstrument der Mathematik, nur eine Sonderform dessen ist, was wir allgemein als einen Begriff bezeichnen.
Das Sprechen ist eine im Medium der Sprachzeichen stattfindende Praxis der Verständigung, die oft als die höchste Stufe der Interaktion angesehen wird, weil in ihr eine Fähigkeit zum Ausdruck kommt, die unter allen Geschöpfen dieser Erde allein dem Menschen eigen ist. Diese besondere Stellung des Sprechens als Inbegriff des spezifisch humanen Kommunikationsmusters hat zu der Vermutung geführt, daß es möglich sein müßte, die gesamte Palette aller übrigen Formen des sozialen Handelns von der Praxis des Sprechens her zu begreifen.
Einen diesbezüglichen Versuch unternimmt etwa Habermas, wenn er bei der Skizzierung seines philosophischen Programms im Rahmen eines Aufsatzes mit dem Titel „Was heißt Universalpragmatik“ zunächst feststellt, daß er „den Typus des auf Verständigung abzielenden Handelns für fundamental“ hält (was offenbar gleichbedeutend damit ist, daß für ihn die anderen „Formen sozialen Handelns, z.B. Kampf, Wettbewerb, überhaupt strategisches Verhalten, Derivate des verständigungsorientierten Handelns“ sind), um anschließend zu präzisieren, daß er einen ganz speziellen Typ des verständigungsorientierten Handelns zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen machen will: „Da auf soziokultureller Entwicklungsstufe zudem Sprache das spezifische Medium der Verständigung ist, möchte ich noch einen Schritt weitergehen und unter den kommunikativen Handlungen explizite Sprechhandlungen auszeichnen; nicht-verbalisierte Handlungen und leibgebundene expressive Äußerungen werde ich vernachlässigen.“[184]
Wir werden im weiteren Verlauf unserer Reflexionen feststellen, daß derartige Bemühungen, den Kosmos des sozialen Handelns von der Praxis des Sprechens her aufzurollen, erkenntnistheoretisch in Teufels Küche führen. Die Kritik an den entsprechend argumentierenden Positionen wird nämlich zeigen, daß sie letztlich die konstitutive Einbettung des Erkennens in die gesellschaftliche Praxis aus dem Blick verlieren, worauf in weiterer Folge entweder ein Abgleiten in den inhaltsleeren Konventionalismus der Konstruktivisten oder ein Rückfall in das ontologische Abbildmodell droht.[185]
Um solche Probleme zu vermeiden, wollen wir bei unserer Annäherung an das Sprechen den umgekehrten Weg einschlagen und nicht das soziale Handeln vom Sprechen, sondern das Sprechen vom sozialen Handeln her zu begreifen versuchen. Es gilt also zu fragen, wie das Sprechen in dieses soziale Handeln eingebettet ist, wobei wir unsere bereits mehrfach erörterte Einsicht berücksichtigen müssen, daß die Akteure gemäß dem Äquivalenzprinzip auch ihre Gegenstände als virtuelle Subjekte auffassen. Wenn wir daher die Stellung der Tätigkeit des Sprechens im Netz der Interaktionen untersuchen, haben wir davon auszugehen, daß an letzterem auch die Objekte als virtuelle Interaktionspartner beteiligt sind.
Am Beginn unserer Analyse der Einbettung des Sprechens in dieses Kommunikationsgefüge müssen wir überlegen, welche Funktionen es für die im Rahmen jenes Gefüges ablaufende gesellschaftliche Praxis hat. Gehen wir bei der Beantwortung der genannten Frage davon aus, daß mit dem zielorientierten Tun und dem Ausdruckshandeln zwei Grundformen dieser Praxis existieren[186], so kommen wir zu der Einsicht, daß zwei entsprechende Hauptaufgaben des Sprechens zu unterscheiden sind:
Im Hinblick auf das Ausdruckshandeln hat Sprechen die Aufgabe, unter bestimmten Bedingungen bzw. aus bestimmten Gründen an die Stelle des eigentlichen Verhaltens zu treten und fungiert damit als ein symbolisches Ersatzhandeln. Bezüglich der zielorientierten Praxis übernimmt es dagegen eine Steuerungsaufgabe, die sich ihrerseits in die drei Teilaufgaben der Reflexion, der Koordinierung und der Regulierung gliedert. Während es bei der Erfüllung der ersten der drei primär als ein Probehandeln fungiert und in dieser Gestalt dazu beiträgt, Handlungsziele festzulegen, sowie die Wege und Mittel zu optimieren, durch die jene Ziele erreicht werden können, knüpft die zweite Teilaufgabe an dem Umstand an, daß zielorientiertes Handeln für gewöhnlich im Rahmen von Kooperationsbeziehungen erfolgt und somit eine laufende Koordinierung des Tuns der einzelnen Akteure auf Basis der gemeinsamen Pläne erfordert. Die letzte der drei bei der Steuerung des Handelns zusammenspielenden Teilaufgaben des Sprechens geht darauf zurück, daß jedes Kooperieren an Normen orientiert ist, deren gemeinsame Befolgung der sprachlichen Verständigung bedarf. Die Themen dieser Verständigung sind einerseits das Problem der Angemessenheit jener Regeln an die der jeweiligen Kooperation zugrunde liegenden gemeinsamen Anliegen der Kooperationspartner und andererseits die Frage der Korrektheit, also der Regelgerechtheit des an den betreffenden Normen orientierten Handelns, weshalb wir es in diesem Fall mit einer Regulierungsaufgabe des Sprechens zu tun haben.
Die bisher erwähnten Aufgaben und Teilaufgaben geben einen ersten groben Überblick über die Rolle des Sprechens innerhalb des Gesamtrahmens der gesellschaftlichen Praxis, es werden jedoch weitere Differenzierungen notwendig sein. Sie müssen sich vor dem Hintergrund unserer erkenntnistheoretischen Fragestellung vor allem auf die mit der Funktion des Probehandelns verbundenen Aspekte des Sprechens beziehen. Wie sich nämlich zeigen wird, handelt es sich bei allen von der Erkenntnistheorie und Logik zu untersuchenden Tätigkeiten, wie etwa beim Erkennen, Denken und Aussagen, oder auch beim Bejahen bzw. Verneinen der Geltung von Aussagen um Sprechaktivitäten, die im Rahmen dieses Probehandelns erfolgen.
Das Sprechen ist in jeder seiner vier bisher angeführten Aufgaben bzw. Teilaufgaben ein symbolisches Agieren, welches (mit jeweils unterschiedlicher, im Detail noch zu erörternder Funktion) an die Stelle des eigentlichen Verhaltens der menschlichen und virtuellen Akteure tritt. Während jenes Verhalten im ersten Fall (Ersatzhandeln) symbolisch ersetzt und im zweiten (Probehandeln) probeweise vollzogen wird, repräsentiert man in den beiden übrigen Fällen (Koordinierung und Regulierung) gewisse Aktionen auf der Zeichenebene, um sich mit jeweils unterschiedlicher Zielsetzung über sie verständigen zu können: Bei der Erfüllung der Koordinierungsfunktion geht es dabei um die Kommunikation über den Stellenwert bestimmter Einzeltätigkeiten im gesamten Kooperationsgefüge, wogegen die Symbolisierung des Verhaltens bei der Regulierungsfunktion (unter anderem) als Hilfsmittel für die Feststellung von Übereinstimmungen bzw. Abweichungen zwischen der betreffenden Aktion und den ihr zugrunde liegenden Regeln dient. Die Stellvertreterrolle ist somit der gemeinsame Kern aller genannten Grundfunktionen des Sprechens, weshalb wir auch sagen können, Sprechen ist, soweit es unmittelbar der Erfüllung dieser Grundfunktionen dient[187], ein auf der Symbolebene stattfindendes stellvertretendes Agieren.
In jedem der vier erwähnten Fälle ist eine adäquate Erfüllung dieser Stellvertreterrolle daran gebunden, daß der auf der Zeichenebene stattfindende Vorgang ein Mindestmaß an Ähnlichkeit mit dem entsprechenden Ablauf auf der Ebene des eigentlichen Handelns bzw. Verhaltens aufweist. Wir haben es daher bei der Relation zwischen Sprechen und Verhalten[188] mit dem zu tun, was wir eine Darstellungsrelation nennen. Das Sprechen ist dabei das Darstellen und das Verhalten das Dargestellte, bzw. der Inhalt der Abbildung auf der Ebene der Sprachzeichen.[189]
Wenn wir mit der Aufgabe der Stellvertretung einen gemeinsamen Kern aus den vier bisher behandelten Funktionen des Sprechens herausschälen, dann geht es uns aber nicht nur darum, den durch diese Stellvertreterrolle konstituierten Inhaltsbezug als ein verbindendes Merkmal sämtlicher Sprechaktivitäten festzuhalten. Wir wollen damit vielmehr auch...