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E-Book

Erleuchtung verzweifelt gesucht

AutorGaby von Thun
Verlagnymphenburger Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl222 Seiten
ISBN9783485061278
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Sphärisches Rauschen beim Abendessen. Als sie in einer Lebenskrise nicht mehr weiter weiß, begibt Gaby von Thun sich auf Sinnsuche. Sie landet bei einer Hexe, deren Prophezeiungen ins Schwarze treffen. Neugierig geworden, testet sie nun alles, was ihr auf ihrem spirituellen Weg helfen könnte. Sie lernt Numerologie und Hellsehen, praktiziert Ayurveda und Hirnwellentraining, besucht ein Medium und eine indische Palmblatt-Bibliothek - weil sie mehr wissen will von dem, was sich hinter der sichtbaren Welt verbirgt. Dass sie bei ihrer Suche auch auf Scharlatane trifft, hält sie nicht davon ab, weiterzusuchen. Bis sie merkt, dass es nicht die eine Wahrheit gibt, sondern viele. Und dass sie ihrem eigenen Gefühl auch vertrauen kann. Auf dem Weg zu sich selbst: eine Frau und ihre abenteuerliche Erlebnisreise, witzig und selbstironisch erzählt.

Gaby von Thun, geboren 1952, befasst sich seit fünfzehn Jahren mit spirituellen Themen. Sie hat den Dalai Lama interviewt und zwei Bücher geschrieben: 'Auf der Suche nach Gott: Gespräche mit Senta Berger, Carl Friedrich von Weizsäcker, Xavier Naidoo, u.a.' und 'Der liebe Gott sieht aus wie ein Elefant, oder? Kinder machen sich ein Bild von Gott'. Gaby von Thun war mit dem Schauspieler Friedrich von Thun verheiratet.

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Leseprobe

1

ERSTER KONTAKT ZUR WELT DER SPINNER:

Wie ich im Giesinger Hexenladen erfahre, warum mein Vater mich enterbt hat

»Vergiss alles, was du über Hexen weißt, und lass dir von ihr helfen. Was hast du schon zu verlieren?«

Die Worte noch im Ohr, die Katharina mir auf den Weg gegeben hat, stehe ich vor einem etwas heruntergekommenen Geschäft, das sich in violetten, schief auf die Schaufensterscheibe geklebten Buchstaben munter »Hexenladen« nennt.

Was das sein soll?

Keine Ahnung.

Hexen kommen in meinem Leben höchstens mal als Hexenschuss vor. Ansonsten weiß ich nur, dass ich völlig durcheinander bin, weil vor ein paar Wochen mein Vater gestorben ist und ich gestern erfahren musste, dass er mich in seinem Testament noch nicht einmal erwähnt hat.

»Du bist im Schock!«, hat Katharina mir gesagt.

Darum stehe ich jetzt vor diesem obskuren Hexenladen und studiere das Schaufenster. Auf schwarzem Samt, von Lichterketten beleuchtet, liegen allerlei Utensilien, die von Schildern in krakeliger Handschrift näher erläutert werden:

Germanische Räucherkräuter im Säckchen, Kostenpunkt: 6 Euro 50. Ritualöl mit dem Verweis: »Nur für weiße Magie!!!« für 9 Euro. Die bei Vollmond ausgegrabenen Zauberwurzeln sind im Sonderangebot erhältlich für nur 19 Euro à 100 Gramm.

Wo bin ich hier nur gelandet?

Ich, die ich am liebsten auf Roten Teppichen wandle, vornehmste Haute Couture auf dem Leib, eingehakt bei meinem eleganten und vor allem hundertprozentig seriösen Gatten – was suche ausgerechnet ich bei einer halbseidenen Hexe in München-Giesing?

Die Antwort ist jämmerlich:

Meine Perle schickt mich.

Dazu muss man wissen, dass Katharina, die zweimal die Woche mit sizilianischem Temperament unser Haus zum Glänzen bringt, immer ein paar Lebensweisheiten für mich übrig hat. Die ich natürlich niemals befolge.

Aber diesmal bin ich am Boden. Schuld daran ist niemand anders als mein Vater, ein außergewöhnlich energischer Mann, der nach dem Krieg die Ärmel hochgekrempelt und ein ordentliches Vermögen hinterlassen hatte, einige Mietshäuser und ein zauberhaftes Seegrundstück bei Starnberg mit Tennisplatz und Motorboot. Er hatte es weit gebracht, er war der Typ Mann, der auf den Tisch schlug und rief:

»Hier wird gemacht, was ich sage!«

Widerspruch zwecklos.

Und so saß ich, aufgewühlt und traurig über seinen Tod, bei der Eröffnung seines Testaments und wartete auf meinen Namen. Aber da kam nichts. Meine Stiefmutter war zur Alleinerbin bestimmt. Ich fühlte tiefsten Schmerz und war wie gelähmt. Erst stirbt er ohne Ankündigung. Und dann das! Mein geliebter Vater hatte mich, seine kleine Prinzessin, sowie meine beiden Schwestern enterbt. Einfach so, ohne Kommentar. Das muss man erst mal verkraften!

Als ich vom Notar heimkam, waren meine Hände so zittrig, dass ich kaum die Haustür aufschließen konnte. Katharina hat mich sofort aufs Sofa verfrachtet, Tee gekocht und sich alles angehört. Als ich zwei Stunden später immer noch Herzrasen hatte, präsentierte sie mir feierlich einen Zettel – mit der Telefonnummer von Elena, Beruf: Hexe. Die Hände mit den gelben Putzhandschuhen in ihre runden Hüften gestemmt, hat Katharina mich beschworen:

»Gaby, du musst den Grund rausfinden. Warum er dir das angetan hat.«

Und weil sie wohl ahnte, dass mich keine zehn Pferde dazu bringen würden, eine Hexe anzurufen, hat sie mir in herrischem Befehlston mitgeteilt:

»Du musst schon machen, was ich dir sage. Sonst komme ich nicht mehr!«

Wer mich kennt, weiß, dass ich unter einer ausgeprägten Vorliebe für Sauberkeit und Ordnung leide. Gleichzeitig bin ich meistens unfähig, selbst das Chaos, das ich produziere, in Schach zu halten oder gar zu beseitigen. Weshalb ich Katharina auf Gedeih und Verderb ausgeliefert bin.

Die Antwort auf die Frage, warum ich vor diesem abstrusen Hexen-Schaufenster stehe, ist also ganz banal: Ich kann nicht riskieren, dass meine Hausperle mich verlässt!

Der Regen wird stärker und hinterlässt hässliche Ränder auf meinen empfindlichen Wildleder-Ballerinas. Meinen Schirm habe ich wie immer vergessen. Ich drücke mich näher an die schmutzige Scheibe und frage mich, wie viele von den australischen Liebeskerzen (das Stück zu 6 Euro) nötig wären, um die Wunde zu heilen, die der Axthieb der väterlichen Missachtung in meinem Herz angerichtet hat.

Mir ist einfach nur elend zumute. Katharina hat recht: Ich brauche dringend Hilfe! Und habe ich nicht neulich irgendwo gelesen, dass selbst das Pentagon einen ständigen Stab von Hellsehern und Wahrsagern zurate zieht, um gegen die Kräfte des Bösen gewappnet zu sein?

Als ich die Türklinke des Hexenladens nach unten drücke, fühle ich mich sehr unwohl. Drinnen ist es düster und riecht modrig. Anscheinend halten Hexen sich heutzutage, anders als im Märchen, keine fleißigen Heinzelmännchen mehr, die alles gründlich durchputzen.

Hinter einem alten Schreibtisch sitzt – unverkennbar – die Hexe: Elena, mit Hakennase, blassen, eingefallenen Wangen und stechenden braunen Augen. Ihre Haare sind genauso tiefschwarz wie ihre Kleidung, die an ihrem Körper herabhängt. Sie trägt große, klimpernde Silberohrringe und um ihren mageren Hals ein Lederband mit moosgrünem Amulett. Ohne den Blick von mir zu wenden, streichelt sie eine rot getigerte Katze, die so reglos über ihrem Arm liegt, dass man meint, sie sei ausgestopft.

Ich hole tief Luft, nenne meinen Namen und dass ich einen Termin hätte. Elena nickt feierlich und sagt mit ihrer krächzenden Stimme, die ich schon vom Telefon kenne:

»Da bist du.« Und mit ironischem Unterton: »Du hast dich also doch entschieden, reinzukommen.«

Ich sehe zum Fenster und begreife, dass sie mein Zweifeln draußen beobachtet haben muss. Sofort habe ich das Gefühl, mich verteidigen zu müssen:

»Ich habe mir nur das Schaufenster angeschaut.«

»So?« Ihr Röntgenblick dringt durch mich hindurch. Dann wird ihr Lächeln nachsichtig, fast tröstlich fügt sie hinzu: »Andere trauen sich nicht mal über die Schwelle. Du willst wohl mehr wissen von all dem …«

Ihre Augen blitzen verheißungsvoll.

»Du wusstest nur nicht, an wen du dich wenden sollst. Setz dich!«

Ich lasse meine Kostümjacke an und setze mich ihr gegenüber auf einen abgewetzten roten Samthocker.

»Du warst noch nie bei einer Hexe. Ich werde dir erklären, wer wir sind.«

Verschwörerisch rückt sie näher an mich heran und ich erfahre, dass das Wort »Hexe« von dem althochdeutschen »Haga-zussa« stammt, was so viel bedeutet wie »Zaun-Sitzerin«.

Elena kichert:

»Weil wir mit einem Bein hier sitzen, mit dem anderen dort.«

Mit ihrem linken Arm beschreibt sie einen Halbkreis in der Luft und zeigt auf das geheimnisvolle Dort, das irgendwo zwischen ihrer linken Achsel und den von der Decke herabhängenden Lichterketten liegen muss.

»Wir reiten nicht auf Besen. Wir sind Wesen, die auf Zäunen sitzen. Sinnbildlich, natürlich. Wir sitzen auf der Grenze, wir schauen hinüber, wir sehen mehr! Bist du bereit?«

Die Frage überrumpelt mich.

»Wozu denn jetzt?«

»Um die Verbindung aufzunehmen zum großen kosmischen Zusammenhang.«

»Ja, gut …«, stammle ich. Dabei wollte ich eigentlich nur wissen, was meinen Vater dazu getrieben hat, meine Stiefmutter zur glücklichen Alleinerbin zu bestimmen. Aber kosmischer Zusammenhang – klingt auch gut. Außerdem hat Elena etwas an sich, das keinen Widerspruch zulässt. Ich nicke brav und erfahre, dass sie numerologisch vorgehen wird. Numero… was?

Bei der Numerologie, so Elena, handle es sich um eine jahrtausendalte, magische und absolut zuverlässige Zahlenmystik.

Absolut zuverlässig klingt überzeugend, denke ich und bin einverstanden. Als Nächstes muss ich ihr verraten, wann ich geboren bin. Sie notiert es und zieht ihre Stirn in Falten, während sie weitere Zahlen in ihr kariertes Schreibheft kritzelt.

Ich sehe mich um. Vor mir auf dem Tisch liegt eine staubige Kristallkugel, daneben abgegriffene Tarotkarten, verschiedenfarbige Steine und ein Mörser aus Granit. Dazwischen Wurzeln, Baumrindenstücke und Kräuter. Auf dem dunklen Holzdielenboden finden sich wild verstreut alte Bücher mit Goldschnitt, überzogen mit Spinnweben. Ich rümpfe die Nase und überlege, wie ich hier unauffällig wieder rauskomme. Diesen Gedanken lasse ich dann aber wieder fallen. Elena könnte sich über mich ärgern. Wer weiß, was eine gereizte Hexe mit einem anstellt? Vielleicht verwünscht sie mich? Mit bei Mondlicht geernteten Zauberwurzeln, 19 Euro à hundert Gramm. Wer weiß das schon?

»Eine Doppelzwei. Deshalb bist du hier.«

Elena hat ihre Berechnungen beendet und teilt mir mit, dass es die doppelte Zwei ist, die mein Schicksal prägt. Die Zwei als Grundzahl für Zweifel, Zweisamkeit und Entzweiung.

»Da ist eine schmerzliche Trennung, die du noch nicht überwunden hast.«

Stimmt genau! Mein Vater hat mich durch seinen Tod nicht nur verlassen, sondern sich durch dieses lieblose Testament gleich doppelt von mir getrennt. Die Hexe sieht das ganz genauso, und zunehmend gebannt höre ich ihr zu, wie sie von meinen verletzten Gefühlen spricht und von meiner Sehnsucht, mit ihm doch noch, quasi postmortal, ins Reine zu kommen.

Dabei ist Elena mit beeindruckender Inbrunst von der Wahrheit ihrer Worte überzeugt. Nicht die Spur eines Zweifels trübt ihre Einschätzungen. Und ihre Stimme nimmt geradezu prophetische...

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