Teil 2: Sich das Leben zurückerobern
Dieser zweite Teil des Buches bietet Ihnen eine Reihe von praktischen Strategien, Methoden und Übungen, die Ihnen dabei helfen, mit belastenden Erinnerungen besser zurechtzukommen. Dies macht nichts ungeschehen, Sie werden auch nicht angeleitet, zu vergessen oder etwas auszulöschen, vielmehr vollzieht sich Zug um Zug ein Denk-, Fühl- und Verhaltenswechsel und Sie können schließlich das Geschehen mit einem neuen Blick betrachten. Hilfreich dazu sind die folgenden 7 Impulse:
- Achtsamkeit üben
- Dem inneren Geschehen Ausdruck geben
- Zur Ruhe kommen
- Sich mit der eigenen Geschichte versöhnen
- Überzeugungen ändern und neue Ziele finden
- Vertrauen neu lernen
- Die Lebenszufriedenheit stärken
Indem Sie Erfahrungen mit den nachfolgenden Übungen zu diesen 7 Feldern der Selbstentwicklung und Selbstsorge sammeln, schulen Sie sich darin, Ihre Gefühle bewusster wahrzunehmen, sie ohne abwertende Interpretationen zu akzeptieren. Gleichzeitig entdecken Sie auch neue Denk- und Verhaltensweisen für sich selbst. Generell hängen Aufwand und Lernerfolg dabei vom jeweiligen Stand der Dinge ab: Wie stark sich Ihr tägliches Denken und Fühlen auf die Vergangenheit oder auch auf die Zukunft bezieht, wie alt Sie sind – was heißt, wie lange bestimmte Muster des Denkens und Fühlens gepflegt werden, wie hoch Ihre Motivation zur Veränderung ist und so weiter.
Verschiedene Entspannungstechniken unterstützen Sie dabei, zur Ruhe zu kommen – gerade dann, wenn vergangenes Geschehen und die damit verbundenen Emotionen sich ins Bewusstsein drängen. Mit kreativen Ausdrucksformen gelingt es, das, was Sie innerlich bewegt, auf eine entlastende Weise zu artikulieren. Indem Sie Ihre Achtsamkeit konsequent schulen, werden die gedanklichen Ausflüge in die Grübelei seltener und das bewusste Wahrnehmen und Erleben des Hier und Jetzt intensiver.
Versöhnungsrituale helfen Ihnen dabei, Frieden mit der Vergangenheit zu schließen und die im Hadern mit dem Gewesenen gebundene Energie nun für die Gestaltung Ihres momentanen Lebens freizusetzen. Dies bereitet den Boden dafür, innere Überzeugungen wirksam verändern zu können, und auch dafür, wieder Vertrauen in andere Menschen zu fassen.
Puh, sagen Sie jetzt vielleicht, das ist aber ein Aufwand! Ja, das stimmt einerseits, denn es gibt ganz unterschiedliche Ansatzpunkte, an denen es aktiv zu werden gilt. Andererseits: Nein, verglichen mit dem, was die bisherigen Bewältigungsversuche Sie an Zeit und Energie gekostet haben. Denken Sie nur etwa an die ständige Grübelei oder den Kampf gegen unerwünschte Erinnerungen und Emotionen, die kaum eine Perspektive aufweisen, etwas zu verändern.
Es gilt also: Energie aufwenden, um das weiterzumachen, was schon bisher nicht wirklich funktioniert hat – oder: Energie aufwenden mit der Aussicht, dass die Dinge sich zum Besseren wenden und ihre Lebensfreude und Lebenszufriedenheit sich erheblich vergrößern: Mit dieser Betrachtungsweise dürfte die Entscheidung nicht allzu schwerfallen, oder?
1. Impuls: Achtsamkeit üben
Nicht nur in spirituellen Traditionen gilt Achtsamkeit als Schlüssel, um die Wahrnehmung von sich selbst und dem persönlichen Lebensumfeld zu verändern. Vielmehr hat man in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr erkannt, welch wichtige Rolle dem Üben der Achtsamkeit beim Bewältigen von Stress und Belastungen sowie der (Weiter-)Entwicklung persönlicher Stärken und Ressourcen zukommt. Gleichzeitig ist Achtsamkeit auch der Gegenpol zum Aufmerksamkeitsdefizit – und damit ein effektives Mittel gegen Unkonzentriertheit und Verzettelung.
Bei den 7 Impulsen steht Achtsamkeit an erster Stelle, denn sie ist die Grundlage, auf die die nachfolgenden Impulse aufsetzen können. Sie fördert Kreativität, unterstützt Entspannung, erleichtert Versöhnungsprozesse, hilft dabei, die richtigen Ziele zu finden, gute Kontakte zu anderen Menschen aufzubauen und die Lebenszufriedenheit zu stärken.
Was ist Achtsamkeit?
Achtsam sein bedeutet, mit der Aufmerksamkeit ganz in der Gegenwart zu sein – mit allen Sinnen bei dem zu sein, was gerade geschieht. Mit einer Haltung der Achtsamkeit begegnen wir allem, was wir erleben, genauso, wie es sich im gegenwärtigen Moment darstellt. Das heißt, offen zu sein für das genaue Wahrnehmen gegenwärtiger Erfahrungen. Wenn wir achtsam sind, sind wir wach und konzentriert.
Dies lässt automatisch ablaufende Gedanken- und Gefühlsmuster in den Hintergrund treten und verhindert, uns gedanklich und gefühlsmäßig in ihnen zu verheddern. Manchmal ist es vergangenes Geschehen, das uns vereinnahmen will – wenn wir bestimmte Ereignisse immer und immer wieder innerlich durchleben –, manchmal plagen uns Sorgen um mögliche Ereignisse in der Zukunft. Beides verhindert, das wahrzunehmen, was gerade geschieht. Allzu leicht vergessen wir, dass wir tatsächlich nur in der Gegenwart existieren und nur den jeweils gegenwärtigen Augenblick unmittelbar erleben können, während Vergangenheit und Zukunft sich nie direkt erfahren lassen.
Wer sich von der Vergangenheit oder der Zukunft gefangen nehmen lässt, dem fehlt es häufig an der Fähigkeit dazu, das wahrzunehmen und zu erleben, was im Hier und Jetzt geschieht – in uns und um uns herum. Dann kann es leicht passieren, dass die Gegenwart an uns vorbeijagt und schon zur Vergangenheit geworden ist, ohne dass wir überhaupt einen Moment davon bewusst registriert haben.
Die Konzentration auf das Jetzt hilft auch dabei, eingespurte Reaktionsmuster auf äußere Reize oder auf Gedanken und Gefühle zu unterbrechen, uns nicht in Gedanken und Verhaltensweisen hineinzukatapultieren, die Angst, Selbstzweifel, Niedergeschlagenheit und Stresszustände schüren. Gelassenheit anstelle von »Kampf oder Flucht« zu entwickeln, darum geht es dabei.
Achtsamkeit ist die innere Erlaubnis dafür, das Gegenwärtige einfach nur wahrzunehmen und nichts weiter. Ziel ist es, sich rein auf das Registrieren dessen zu beschränken, was gerade da ist, und den Drang loszulassen, das Wahrgenommene reflexhaft bewerten oder verändern zu wollen.
Wie wir wissen, lassen sich Gedanken und Gefühle nicht voneinander trennen. Indem wir achtsam sind, üben wir gleichzeitig, bewusster auf unsere Gefühle zu achten, und erhöhen damit die Möglichkeit, uns von belastenden Emotionen und den damit verbundenen Denkmustern zu lösen. Wir beobachten, wie Gefühle und Gedanken an vergangenes Geschehen auftauchen – und wie sie, wenn wir sie einfach nur wahrnehmen, sie weder bewerten noch bekämpfen wollen, auch wieder in den Hintergrund treten, wie sie vorüberziehen, ohne dass wir uns gedanklich und gefühlsmäßig darin verwickeln.
Wahrnehmen, was ist
Achtsamkeit setzt keine komplizierten Vorbereitungen, Anleitungen oder Regularien voraus. Wir bemühen uns, innezuhalten und jeweils den gegenwärtigen Moment ganz zu erfassen. Der Moment, den wir wahrnehmen, gehört im nächsten Moment schon der Vergangenheit an und lässt sich zudem nicht wiederholen. Die Aufmerksamkeit für das Gegenwärtige ist also stets eine einmalige Chance. Gewissermaßen ist es ein Geschenk, wenn wir »ganz da« sind. Denn dann sind wir frei von Verstrickungen ins Gestern und von Spekulationen in Bezug auf das Morgen.
Um die Kraft des Augenblicks auf ganz einfache Weise zu erfahren, führen Sie bitte folgende Übung zur Selbstwahrnehmung durch:
Übung 1: Ich bin
Sorgen Sie dafür, für etwa zehn Minuten ungestört zu sein, und wählen Sie dafür einen geeigneten Ort.
- Setzen Sie sich bequem auf einen Stuhl oder Sessel, atmen Sie einige Male tief durch und schließen Sie die Augen. Geschlossene Augen haben den Vorteil, dass Sie nicht durch optische Eindrücke abgelenkt werden.
- Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Körper. Spüren Sie Ihre Füße, wie sie den Boden berühren. Spüren Sie Ihren Po und die Sitzfläche, die er ausfüllt. Nehmen Sie Ihren Rücken wahr, spüren sie, wie er die Lehne berührt. Gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit zu Ihren Händen und spüren Sie, wo und wie sie aufliegen.
- Richten Sie nun Ihre Aufmerksamkeit auf das, was Sie gerade fühlen. Nehmen Sie wahr, wie es Ihnen geht und in welcher Stimmung Sie sind. Nehmen Sie zur Kenntnis, was da los ist, bewerten Sie nicht, was Sie wahrnehmen, und denken Sie auch nicht darüber nach, warum jetzt gerade dieses Gefühl da sein könnte und warum nicht ein anderes. Registrieren Sie einfach nur, was ist.
- Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit dann auf Ihre Gedanken. Stellen Sie sich dabei vor, Sie hätten die Aufgabe, auftauchende Gedanken aufzuschreiben. Dazu müssen Sie natürlich ganz genau beobachten, welche Gedanken auftauchen. Beobachten Sie, welche Gedanken erscheinen, ohne sie zu bewerten oder sie wegdrängen zu wollen. Lassen Sie sie kommen und gehen.
- Nehmen Sie dann einige tiefe Atemzüge und spüren Sie bei jedem einzelnen, wie der Atem ein- und ausströmt. Konzentrieren Sie sich ganz auf das Ein- und Ausatmen.
- Öffnen Sie dann wieder die Augen und lockern Sie Ihre Muskeln. Seien Sie auch dabei ganz präsent. Und fahren Sie mit dem fort, womit Sie vor der kleinen Bewusstheitspause beschäftigt waren.
Dies ist eine Übung, die Sie im Alltag immer mal wieder ohne viel Aufwand zwischendurch machen können. Innehalten, wahrnehmen, sich selbst spüren. Mal wird es gut gelingen, mal weniger gut, mal sind Sie konzentriert dabei, mal wollen die Gedanken...