Einleitung
Die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft mit Trauer umgeht, ist völlig zu Bruch gegangen. Ich dachte, ich wüsste einiges über Trauer, schließlich hatte ich fast ein Jahrzehnt lang als Psychotherapeutin gearbeitet. Ich hatte Hunderte von Patienten betreut – Menschen mit Suchtproblemen, Menschen, die immer wieder ihre Wohnung verloren, Menschen, die mit jahrzehntealtem Missbrauch, mit Traumata und Verlust kämpften. Ich hatte Opfer sexuellen Missbrauchs betreut und Menschen geholfen, die grässlichsten Erfahrungen ihres Lebens zu verarbeiten. Ich kannte die neueste Forschung zu den Themen emotionale Intelligenz und Resilienz. Ich war mit ganzem Herzen dabei und spürte, dass ich eine wichtige, wertvolle Aufgabe erfüllte.
Und dann musste ich an einem herrlichen, alltäglichen Sommertag des Jahres 2009 mit ansehen, wie mein Partner Matt ertrank. Matt war stark, fit und gesund. Er stand drei Monate vor seinem 40. Geburtstag. Angesichts seiner Fähigkeiten und seiner Erfahrung gab es nicht den geringsten Grund, warum er hätte ertrinken sollen. Es traf ihn willkürlich, völlig überraschend, und meine Welt zerbrach in tausend Teile.
Nach Matts Tod spürte ich den Drang, all meine Patienten anzurufen und mich bei ihnen für meine frühere Ahnungslosigkeit zu entschuldigen. Ich hatte geglaubt zu wissen, wie man mit tief gehenden Gefühlen umgeht. Doch Matts Tod zeigte mir eine völlig neue Welt. Nichts von dem, was ich wusste, galt bei Verlusten solcher Größenordnung. Dabei hätte ich mit meiner Ausbildung und Erfahrung doch besser imstande sein müssen als irgendjemand sonst, einen solchen Verlust zu bewältigen.
Doch nichts hätte mich darauf vorbereiten können. Meine ganze Ausbildung half mir nichts.
Glücklicherweise war ich nicht allein.
In den Jahren nach Matts Tod entdeckte ich allmählich eine ganze Gemeinschaft trauernder Menschen. Autoren, Aktivisten, Professoren, Sozialarbeiter und Wissenschaftler, Menschen, die in jungen Jahren ihren Partner, sowie Eltern, die ein Kind verloren hatten – die gemeinsame Erfahrung von Schmerz führte unsere kleine Gruppe zusammen. Doch wir teilten nicht nur den Verlust, sondern auch die Erfahrung, von der Umwelt wegen unserer Trauer verurteilt oder gerügt worden zu sein. Wir erzählten einander davon, wie wir aufgefordert wurden, »uns zusammenzureißen«, die Vergangenheit hinter uns zu lassen und nicht länger von denen zu reden, die wir verloren hatten. Man ermahnte uns, wieder unser normales Leben aufzunehmen, und behauptete, aus den Unglücksfällen ließen sich wichtige Lektionen fürs Leben lernen. Selbst diejenigen, die nur helfen wollten, vergrößerten unser Leid letztlich. Plattitüden und gut gemeinte Ratschläge vermittelten den Eindruck, unsere Gefühle würden abgetan. Doch unser gewaltiger Schmerz ließ sich nicht mit Grußkarten-Weisheiten lindern.
Wir alle fühlten uns genau in jener Phase, in der wir am dringendsten Liebe und Unterstützung gebraucht hätten, alleingelassen, missverstanden, beschämt und nicht ernst genommen. Dabei war niemand absichtlich gemein zu uns – die anderen wussten einfach nicht, wie sie uns wirklich hätten helfen können. Und so hörten wir – wie die meisten Trauernden – auf, mit unseren Freunden und Verwandten über unser Leid zu sprechen. Lieber taten wir so, als wäre alles prima, als ständig unsere Trauer vor Menschen zu rechtfertigen, die nichts davon verstanden. Also redeten wir mit anderen Trauernden; sie waren die Einzigen, die wussten, wie Trauer sich anfühlte.
Jeder Mensch erfährt irgendwann Trauer und Verlust. Wir alle fühlten uns wohl in Zeiten großer Pein schon einmal missverstanden. Oder mussten hilflos zusehen, wie andere litten. Wir alle haben schon vergebens nach den richtigen Sätzen gesucht, im Wissen, dass Gerede sowieso nichts wiedergutmachen kann. Und alle verlieren in diesen Situationen: Die Trauernden fühlen sich missverstanden, Freunde und Angehörige fühlen sich angesichts der Trauer hilflos und dumm. Wir Trauernde wissen, dass wir Hilfe brauchen, aber nicht recht, worum wir bitten sollen.
Angehörige und Freunde versuchen, Trauernden zu helfen, die die schlimmste Zeit ihres Lebens erfahren, und machen oft alles noch schlimmer. Sie sind besten Willens, doch irgendwie kommt alles falsch raus.
Das ist nicht ihre Schuld. Wir möchten uns in Zeiten der Trauer geliebt und unterstützt fühlen, und wir alle wollen den Menschen helfen, die wir lieben. Das Problem besteht darin, dass uns die falsche Methode beigebracht wurde, wie man das macht.
In der westlichen Kultur wird Trauer als eine Art Krankheit betrachtet, eine erschreckende, chaotische Emotion, die geordnet und möglichst bald überwunden werden muss. Folglich haben wir absurde Vorstellungen davon, wie Trauer sich äußern und wie lange sie anhalten sollte. Wir sehen Trauer als etwas, das man überwinden und abstellen muss, nicht als etwas, das man pflegen und hegen sollte. Selbst Therapeuten betrachten Trauer oftmals als Störung statt als natürliche Reaktion auf einen gewaltigen Verlust. Wenn nicht mal die Profis wissen, wie man mit Trauer umgeht, was darf man dann von Normalsterblichen erwarten? Etwa Geschick und Eleganz?
Es klafft ein riesiger Abgrund zwischen dem, was sich Trauernde am meisten wünschen, und der aktuellen Situation. Die Instrumente, die wir derzeit zur Bewältigung von Trauer in Händen halten, reichen nicht, um diesen Abgrund zu überbrücken. Die kulturellen Vorurteile darüber, wie Trauer auszusehen habe, halten uns davon ab, uns um unser trauerndes Selbst zu kümmern oder denen zu helfen, die wir lieben. Schlimmer noch: Durch diese überholten Vorstellungen entsteht nur noch weiteres Leid.
Es geht aber auch anders.
Seit Matts Tod habe ich auf meiner Website Refuge in Grief Tausende Trauernde betreut. Über die Jahre sammelte ich sehr viele Erfahrung damit, was auf dem qualvollen Weg der Trauer wirklich hilft. Inzwischen gelte ich in Amerika als führende Expertin in der Trauerbegleitung und als Vorkämpferin für einen einfühlsameren, bewussteren Umgang miteinander.
Meine Theorien zu Trauer, Verletzlichkeit und emotionaler Intelligenz entwickelte ich aufgrund meiner persönlichen Erfahrung und den Erzählungen Tausender Menschen, die sich nach Kräften durch die Landschaft der Trauer kämpften. Aus den Aussagen der Trauernden selbst und ihrer Angehörigen filterte ich das wahre Problem heraus: Unsere Kultur hat uns einfach nicht beigebracht, hilfreich mit Trauer umzugehen.
Wenn wir besser füreinander sorgen wollen, müssen wir die Trauer wieder als zutiefst menschliches Gefühl akzeptieren lernen. Wir müssen über sie reden. Wir müssen sie als natürlichen, normalen Prozess verstehen, nicht als etwas, das vermieden, rasch abgehakt oder gar verteufelt werden sollte. Wir müssen anfangen, über die wahren Fähigkeiten zu reden, die wir zum Umgang mit einem Leben brauchen, das von einem Verlust völlig auf den Kopf gestellt wurde.
Dieses Buch soll Ihnen neue Perspektiven auf Trauer verschaffen. Und es stammt nicht von einem Professor, der einsam in seinem Kämmerlein sitzt, sondern von jemandem, der selbst tiefe Trauer erfahren hat. Auch ich habe mich heulend am Boden gewälzt, war unfähig zu essen und zu schlafen, unfähig, das Haus für mehr als ein paar Minuten zu verlassen. Auch ich lag auf der Couch eines Therapeuten und musste mir überholten und irrelevanten Quatsch über Trauerphasen und die Macht des positiven Denkens anhören. Ich habe die körperlichen Folgen der Trauer am eigenen Leib verspürt – Gedächtnisschwächen, kognitive Veränderungen, Angst – und herausgefunden, was dagegen hilft. Dank meiner beruflichen und persönlichen Erfahrungen erkannte ich den entscheidenden Unterschied: Es kann bei der Trauerbewältigung nicht darum gehen, Schmerzen zu nehmen. Nein, es gilt, den Schmerz zu pflegen. Aus eigener Erfahrungen weiß ich, dass es Menschen nur verletzt, wenn man sie aus ihrer Trauer »herausreden« will. Wirkliche Hilfe für Trauernde sieht anders aus.
Dieses Buch zeigt einen Weg auf, unser aller Beziehung zur Trauer zu überdenken. Es ermuntert den Leser, Trauer als natürliche Reaktion auf Tod und Verlust zu betrachten, nicht als zu behebende Störung. Trauer ist kein Problem, das abgestellt gehört, sondern eine Erfahrung, die man würdigen muss. Mit dieser Einstellung bekommen wir alle, was wir uns am meisten wünschen: Verständnis, Mitgefühl und Bestätigung. Sie weist uns einen Weg durch den Schmerz.
Dieses Buch zeigt, wie man klug und mitfühlend mit Trauer umgeht. Es handelt davon, wie man das Leben von Trauernden und ihrem Umfeld verschönert. Irgendwann erleben wir alle einen schmerzlichen Verlust. Und jeder wird miterleben, wie nahestehende Menschen schmerzliche Verluste erfahren. Verlust ist eine universelle Erfahrung.
Ich möchte der Weltsicht, die Trauer um einen geliebten Menschen sei eine zu behandelnde Krankheit,...