Zu Beginn eine Warnung: Dieses Buch ist nichts für Warmduscher, Wiederkäuer oder Traditionalisten, sondern etwas für Querdenker, Abenteurer und Lebenshungrige. Es kann dich ganz schön herausfordern. Falls du das möchtest. Es handelt von einer der tollsten Frauen des ganzen Universums: Esther. Sie brachte die Menschen zum Nachdenken, eckte an und veränderte die Welt. Nicht von Anfang an. Aber sie hatte das Glück, dass Gott hinter ihr her war.
Du hast auch Glück. Gott ist auch hinter dir her.
Aber lass uns ganz von vorne anfangen. In diesem Buch geht es, wie gesagt, um Esther. Sie ging noch ohne Gott durchs Leben, als er schon längst einen Plan mit ihr hatte.
Ein Buch ohne Gott
Esther ist neben Ruth eine der beiden einzigen Frauen, nach denen ein biblisches Buch benannt ist. Herzliche Gratulation! Zehn Kapitel lang wird uns die Lebensgeschichte dieser herausragenden Frau berichtet. Ein Statement von Gott in der Bibel! Auch in einer extrem patriarchalischen und Testosteron-geschwängerten Kultur, in der sich alles um Muckis, Errungenschaften und die Ehre von Männern drehte (und Frauen höchstens als Bett-Zubehör galten), konnten der Glaube, der Mut und das Opfer einer einzigen Frau alles verändern!
Gott höchstpersönlich sorgte dafür, dass ihre Geschichte bis heute Beachtung findet und weitererzählt wird – und dass Menschen bis heute durch Esther ermutigt und herausgefordert werden.
Es ist allerdings alles andere als selbstverständlich, dass es diese fantastische Story bis zu uns geschafft hat – es hätte gut sein können, dass uns der Name Esther als biblische Figur heute völlig unbekannt wäre. Denn der Bericht über Esther gehört historisch-theologisch zu den umstrittensten Büchern der ganzen Bibel.
Schon im Judentum war das Buch Esther in verschiedenen Kreisen lange Zeit äußerst unbeliebt. Es ist das einzige Buch des Alten Testaments, von dem kein Fragment in den berühmten Qumran-Bibelhandschriften1 zu finden war.
Auch die Christen hatten über Jahrhunderte hinweg ihre liebe Mühe mit dem Buch. In den ersten 700 Jahren der Kirchengeschichte wurde weder ein Kommentar zum Buch Esther geschrieben noch eine Predigt über sie gehalten. Selbst der große Reformator Johannes Calvin, der uns Tausende von Predigten überliefert und die gesamte Bibel ausführlich kommentiert hat, hat nichts zum Buch Esther geschrieben. Ich vermute mal, er hat die Seiten rausgerissen und damit Papierflieger gebastelt, als es ihm bei der Übersetzung der Namensregister in den Chronikbüchern langweilig wurde.
Auch Martin Luther mied das Buch Esther so strategisch wie ich die Salat-Bar. Schließlich fängt keine gute Geschichte mit einem Salat an, oder? Luther wagte sogar zu sagen, es sei ein unbrauchbares Buch, das man besser gar nicht geschrieben, geschweige denn in den offiziellen Kanon der Bibel aufgenommen hätte … Starker Tobak!
Warum aber ist das Buch im Juden- und Christentum über lange Zeit hinweg so beliebt wie Kamillentee? Das hat vor allem mit einer Besonderheit dieses Textes zu tun, einem einzigartigen Merkmal. Und dies ist quasi das Monsterproblem des Buches, aber zugleich ein wichtiger Schlüssel zu seinem Verständnis: Im Buch Esther hat es scheinbar keinen Platz für Gott. Esther ist das einzige «gottlose» Buch der Bibel, da es den Namen Gottes nicht ein einziges Mal erwähnt. Der ganze Bericht kommt ohne Bezug auf Gott aus. Und darum hielten es viele für eine religiös unbrauchbare, ungeistliche Überlieferung, die uns höchstens als unterhaltsame Seifenoper zur Bettlektüre dienen konnte. Wenn der Name Gottes in einem biblischen Buch nicht ein einziges Mal vorkam, dann war dies in den Augen der Kritiker Grund genug dafür, das Teil zu knicken und es nicht als inspiriertes Gotteswort anzuerkennen. Es verlor für sie jede Existenzberechtigung und war in etwa so gehaltvoll einzustufen wie der Kioskroman «Bianca & Dr. Frank».
Aber steigen wir doch einfach mal in diese angeblich gottlose Geschichte ein. Dann wird uns deutlich werden, warum unsere hochgeschätzten Reformatoren und andere Ächter in Bezug auf dieses Buch Tomaten auf den Augen hatten und die Kernaussage der Geschichte verpassten. Pech gehabt, Jungs! Aber unterdessen habt ihr das ja wohl selber rausgefunden und Esther in der Ewigkeit bei einer Tasse himmlischem Chai-Tee höchstpersönlich kennen gelernt. War wohl ziemlich peinlich, die erste Begegnung mit ihr. Tja, jeder greift mal daneben.
Also: Wir sind grob im Jahr 500 v. Chr., und wir befinden uns nicht in Israel, in dem Land, das Gott seinem Volk versprochen hat und in dem es lange Zeit gewohnt hat. Nein, wir befinden uns in Susa, der Hauptstadt des damaligen Persischen Weltreiches. Susa liegt im Gebiet des heutigen Iran, weit weg von Jerusalem, weit weg vom Tempel, vom alttestamentlichen Ort der Gegenwart Gottes.
«Wo ist der Gott Israels?», werden sich die Juden in Persien gefragt haben. «Hat er sich von uns abgewandt? Hatte er keinen Bock auf den Reisestress und ist in Israel geblieben, als wir unsere Heimat verlassen mussten?» Die Israeliten waren nämlich mehrere Generationen davor von den Babyloniern hierher verschleppt worden.
Doch in der Zwischenzeit hatten sich die Herrschaftsverhältnisse verändert. Die Perser hatten unterdessen den Babyloniern tüchtig den Hintern versohlt und waren nun am Drücker. Das Persische Großreich erstreckte sich über die gesamte damals bekannte Welt. An der Spitze dieses Reiches stand ein Mann, der uns gleich im ersten Vers des Esther-Buches begegnet. Er war der Barack Obama der damaligen Zeit, will heißen: der mächtigste Mann der damaligen Welt.
ESTHER 1,1–2: «Zu der Zeit, als Xerxes König von Persien war, gehörten zu seinem Reich 127 Provinzen; sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich von Indien bis nach Äthiopien. Er regierte von der Residenz Susa aus.» (Hfa)
Xerxes, der Party-King
Alle, die den Film «300» kennen, wissen jetzt, von wem ich spreche. Ich kann den Film nicht wirklich empfehlen, weil die Frauen so viel Stoff tragen, wie man für ein Hamster-Komplett-Outfit braucht und die Männer schon zum Frühstück hektoliterweise Blut vergießen. Aber in dem Film ist Xerxes der Gottkönig, der in einem prunkvollen Tempel lebt, das Geld seines Volkes verprasst und eine grausame Herrschaft ausübt. Dieses Bild trifft den Nagel auf den Kopf: Wir wissen, dass er sich als Gott verehren ließ, dass er unglaubliche Reichtümer angesammelt hatte und mit seinen Untergebenen willkürlich und blutrünstig umging.
Unsere Geschichte beginnt mit einem Fest. Xerxes war zu diesem Zeitpunkt etwa Mitte dreißig und bekannt für seine rauschenden Partys; alleine acht finden im Buch Esther Erwähnung. Eine Warnung an dieser Stelle an alle Party-Veranstalter, die was von sich halten: Wenn du hier weiterliest, könntest du in eine mittelschwere Depression verfallen.
ESTHER 1,3–4.7–8: «In seinem 3. Regierungsjahr gab er ein rauschendes Fest für seine hohen Beamten und Würdenträger. Eingeladen waren die Heerführer von Persien und Medien, der Hofadel und die Statthalter der Provinzen. Sechs Monate lang stellte Xerxes die unvergleichliche Pracht seines Königreichs und seine große Macht zur Schau […] Man trank aus goldenen Gefäßen, von denen keines dem anderen glich. Der König ließ edlen Wein in Hülle und Fülle ausschenken. Jeder konnte trinken, so viel er wollte. Denn der König hatte angeordnet, dass seine Diener sich ganz nach den Wünschen der Gäste richten sollten.» (Hfa)
Das nenn ich mal ’ne Party; ’ne nette, fette Fete! Mit den Militärgenerälen, dem Adel und den Statthaltern, die zum Fest eingeladen sind, kommen da gut und gerne 15.000 High-Society-Gäste zusammen.
Jetzt stell dir mal vor, was das für die Logistik dieses Anlasses bedeutet! Für die Organisation des Transports, der Unterkünfte, der Sicherheit. Woher kommen all die Getränke, das Essen, die Blumen? Wer hängt bitteschön die Girlanden und Lampions auf, wer schreibt die 15.000 Tischkarten? Wo werden die Schreiberlinge danach wegen Fingerarthrose behandelt? Wie viele Künstler braucht es, um 15.000 Menschen zu unterhalten, wenn es keine Veranstaltungstechnik, geschweige denn Strom gibt? Finde mal 1000 DJ Ötzis, die noch selber für ihren Strom sorgen, indem sie singend Fahrrad fahren und so den Dynamo antreiben. Nach fünfzehn Minuten haben die einen Herzinfarkt. Und woher die neuen Ötzis nehmen? Und der Programmverantwortliche, der für die Buchung der Musiker zuständig ist, muss schon bald wegen Burnout ausgewechselt werden.
Und wie lange dauert Xerxes’ Party? 180 Tage! Ein halbes Jahr All-inclusive-Party im Palast des Königs. Ein halbes Jahr Kaviarschlemmen und Komasaufen! Da kann jeder Party-Veranstalter auf Ibiza sein Köfferchen packen und den nächsten Kindergeburtstag von Peter im «Heidiland» organisieren. Was Xerxes hier bietet, hat dem Wort Party eine neue Definition gegeben und ist, was die Länge anbelangt, wohl bis heute unerreicht.
Aber Xerxes macht das nicht aus purer Großzügigkeit oder weil ihm etwa die Menschen so am Herzen liegen und er ihnen etwas Gutes tun will. Es heißt, dass er seine Macht zur Schau stellen wollte – er wollte zeigen, was für ein krasser Hengst er ist.
Und dazu gehört jetzt eben auch, dass er seine Frau Wasti vorführt. Gegen Ende des Festes lässt Xerxes seine Gemahlin rufen, um sie den Gästen zu präsentieren. Dabei ging es nicht um ihre intellektuellen Fähigkeiten, ihre starke Persönlichkeit oder die inneren Werte. Ihr Cholesterinspiegel und ihr Blutdruck waren schwer in Ordnung. Nein. Hier ging es um ihre Schönheit, um nackte...