Um die Einführung und Durchführung von ITSM zu unterstützen, empfiehlt sich in größeren IT-Abteilungen der Einsatz von Software-Tools, mit denen die zwangsläufig hohe Komplexität bewältigt werden kann (vgl. [BHJL00], S. 245). Im Umfeld des ITSMs unterscheidet Huppertz - neben speziellen ITSM-Tools - CRM-Tools, System-Management-Tools und Prozessmanagement-Tools (vgl. [Hupp06], S. 93). Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Betrachtung von Prozessmanagement-Tools (BPM-Tools). Dieses Kapitel stellt zunächst das theoretische Konzept des BPMs vor (Kapitel 3.1 und 3.2), um im Anschluss genauer auf das Potenzial von BPM-Tools in allgemeiner- und ITSM-spezifischer-Hinsicht eingehen zu können (Kapitel 3.3, 3.4 und 3.5).
Nach der Erläuterung des Begriffs „Geschäftsprozess“ werden in diesem Kapitel frühere Ansätze des BPMs vorgestellt. Anschließend erfolgt eine Darstellung der heutigen Ziele von BPM und der aktuellen Bedeutung dieses Konzepts für die Praxis.
Funktionale Organisationsstrukturen - in der Praxis weit verbreitet - gliedern Unternehmen nach Verrichtungen bzw. Funktionen (vgl. [Schr03], S. 129). Eine Funktionsorientierung verursacht im Unternehmen eine hohe Anzahl von Schnittstellen zwischen den funktionalen Bereichen. Schnittstellen stellen Brüche dar und „verursachen Koordinations- und Kontrollaufwand, erzeugen Missverständnisse und Fehler, verzögern Entscheidungen, verbrauchen Zeit, erschweren die Kommunikation, führen zu Informationsverlusten und mindern insgesamt die Ergebnisqualität sowie die Produktivität“(vgl. [ScSe04] S. 53). Der Fokus liegt auf der Ausführung von Teilaktivitäten, die das Endergebnis für den Kunden außer Acht lassen. Gadatsch spricht in diesem Zusammenhang von „Abteilungs-Silos“: Direkte Kommunikation zwischen den Abteilungen findet dabei nicht statt (vgl. [Gada03], S. 6).
Die Orientierung an durchgehenden Geschäftsprozessen kann eine Lösung für die Probleme, die die Funktionsorientierung verursacht, darstellen. Schmelzer definiert Geschäftsprozesse als „funktionsüberschreitende Verkettungen wertschöpfender Aktivitäten, die von Kunden erwartete Leistungen erzeugen und deren Ergebnisse strategische Bedeutung für das Unternehmen haben […]“(vgl. [ScSe04], S. 56). In einem Geschäftsprozess sind die Aktivitäten ferner per Definition abteilungsübergreifend, zusammenhängend und kundenorientiert.
Für die Typisierung von Geschäftsprozessen gibt es verschiedene Ansätze. An dieser Stelle wird die Einteilung von Geschäftsprozessen nach primären und sekundären Prozessen im Sinne von Schmelzer und Sesselmann (vgl. [ScSe04], S. 55ff) sowie Becker et al. (vgl. [BKR00], S. 4ff) verwendet. Primärprozesse tragen direkt zur Wertschöpfung bei und enden beim externen Kunden, der Sach- oder Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Beispiele sind Vertriebsprozesse, Produktionsplanungsprozesse und Serviceprozesse. Die genannten Prozesse benötigen zur erfolgreichen Abwicklung unterstützende Prozesse (Sekundärprozesse), die keinen Kontakt zu externen Kunden haben, sondern Leistungen für interne Zwecke erbringen. Sekundärprozesse oder „Supportprozesse“ können z.B. IT-Prozesse, Personalmanagementprozesse oder Controlling-Prozesse sein (vgl. [ScSe04], S. 55ff).
Schon in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Bedeutung von Prozessen in der Organisationsgestaltung von Unternehmen erkannt (vgl. [Körm95], S. 259; [Meis01]; [Nord31]). Eine bessere Übersicht über die betrieblichen Abläufe und eine einfachere Umsetzung einer Flussorientierung in der Organisation wurden damals als Ziele herausgestellt. Ca. 40 Jahre später greift Kosiol den Prozessgedanken wieder auf und stellt einen Ansatz vor, bei dem aus den Unternehmenszielen Aufgaben abgeleitet werden, die Abteilungen und Stellen zugeordnet werden. Diese bilden die Basis für weitere Zerlegungen, die Arbeitsgänge zum Ergebnis haben und konkreten Aufgabenträgern zugeordnet werden (vgl. [Kosi76]).
Die von Kosiol vorgestellte „Top-Down“ Vorgehensweise zur Definition von Prozessen hatte sich jedoch in der Praxis nicht etabliert. Einen entgegengesetzten Ansatz für Prozessmanagement stellte 1983 Gaitanides vor. Hier sollten „Buttom-Up“ Teilprozesse verändert werden, um in bestimmten Unternehmensbereichen Verbesserungen zu erzielen (vgl. [Körm95], S. 259; [Gait83]).
Gleichzeitig wurde der Prozessgedanke auch immer stärker in Konzepten des Qualitätsmanagements in den Vordergrund gestellt. Konzepte bzw. Standards wie „Total Quality Management“[22] (TQM) oder „ISO 9000“[23] sind ein Beispiel dafür (vgl. [Benn01] S. 4)
Anfang der 90er Jahre setzte sich mit „Business Process Reengineering“ (BPR) ein neuer Ansatz durch, der auf Hammer und Champy zurückgeht (vgl. [Gada03], S. 4]). Es wurde erkannt, dass sich die betrieblichen Funktionsbereiche zunehmend zu autonomen Einheiten entwickelten. Für jeden Bereich gab es spezialisierte Anwendungssysteme („Silo Applikationen“) (vgl. [Strn06]). Der Aufwand für die Entwicklung von Schnittstellen auf technischer und fachlicher Ebene stieg. Eine Lösung des Problems sollte der Fokus auf Prozesse sein.
Das Ziel von BPR ist dabei eine „radikale“ Neukonzeption von Kernprozessen in Unternehmen. Es werden zunächst bestehende, wertschöpfende Prozesse analysiert. Anschließend erfolgt jedoch keine Verbesserung von Prozessen, die Schwachstellen beinhalten, sondern eine komplette Neuentwicklung dieser Abläufe. Im Zuge der Etablierung dieser neuen Prozesse wird keine Rücksicht auf vorhandene Ressourcen im Unternehmen genommen. „Die Erblast jahrzehntelanger ‚Elektrifizierung der Abläufe’“(vgl. [GSVR94], S. 4) wird eliminiert. In [Hamm94], S. 48 werden die Änderungen für Unternehmen mit den Wörtern „radikal“, „dramatisch“ und „fundamental“ beschrieben. Am Ende stehen idealerweise Veränderungen, die signifikante Verbesserungen der Dimensionen Qualität, Kosten, Zeit, Services und Kundennutzen mit sich bringen.
BPR-Projekte haben die Unternehmen zwar auf eine prozessorientierte Sicht gelenkt, jedoch hat sich gezeigt, dass die „Radikalität“ des Ansatzes von BPR in Unternehmen auf große Widerstände gestoßen ist. Dies war ein Grund, warum BPR-Projekte oft gescheitert sind (vgl. [ScSe04], S. 252-254). Ein ebenso großer Nachteil des BPR, in [Salk03], S. 18 als „second wave of BPM“ bezeichnet, bestand darin, dass die Implementierung neuer Prozesse weitestgehend nur einzeln per Hand geschehen konnte. Neue Prozesse wurden meist in ERP-Systemen[24] oder in anderen Standardapplikationen realisiert, die Prozesse durch internen Programmcode abbildeten. Dadurch war es kaum möglich, erneute Änderungen an Prozessen vorzunehmen, ohne aufwendig Software zu entwickeln oder anzupassen. (vgl. [Low03], S. 73).
Heutzutage gibt es viele Entwicklungen, die den Wettbewerbsdruck auf Unternehmen gesteigert haben und weiter steigern werden (vgl. [Mise06], S. 12). Beispielsweise werden durch Globalisierung, technischen Fortschritt und wechselnde Kundenwünsche Unternehmen immer stärker gefordert, schnell und flexibel auf Veränderungen zu reagieren. Somit ist gerade die Flexibilität, durch Anpassung von Produkten und Prozessen schnellstmöglich auf Veränderungen von Kundenwünschen, Technologien und Märkte einzugehen, heute entscheidend (vgl. [ScSe04], S. 2).
BPM in der heutigen Form („the third wave“, vgl. [Salk03]) ist ein Ansatz, der den dazu notwendigen Wandel für alle Ebenen eines Unternehmens unterstützt. Es ist eine Grundlage, flexibel auf neue Rahmenbedingungen (Kundenwünsche, regulatorische Vorschriften etc.) einzugehen und Veränderungen im Unternehmen zu bewirken (vgl. [ScSe04], S. 2; [Mise06], S. 12). Die Vision von BPM, die in [Low03] und [Salk03] beschrieben wird, geht so weit, dass neue Prozessdefinitionen direkt vollautomatisch von Process-Engines ausgeführt werden können (vgl. [Strn06], S. 2). Die Folge wären erhebliche Zeit- und Kosteneinsparungen bei der Umsetzung von neuen Anforderungen. Eine Softwareentwicklung oder der Einsatz von Standard-Unter-nehmenssoftware wäre hinfällig. In [ScAE05], S. 11 wird beschrieben, wie mit Hilfe der „Service Oriented Architecture“[25] (SOA) im Kontext des BPMs eine höhere Flexibilität erreicht werden kann.
Neben den genannten Einflüssen von außen gibt es nach wie vor Herausforderungen innerhalb von Unternehmen, die auf Problemen in der Effektivität und Effizienz basieren. Ein Mangel an Effektivität kann sich beispielsweise durch wenig kundengerechte Produkte äußern. Effizienz-Defizite entstehen durch Prozesse, die viel Zeit in Anspruch nehmen, hohe Kosten verursachen und/oder zu qualitativ schlechten Ergebnissen führen.
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