Jeden Tag ist mündliche Prüfung, und jeder Auftritt gibt Ihnen eine Aufgabe. Sie sollen etwas darlegen, „Informationen geben“, etwas erläutern oder begründen. Wie in der Schule. Wir kennen die Ankündigung: „Frau X wird Ihnen jetzt Einzelheiten erläutern.“ Wenn wir zu reden beginnen, kommt die Aufgabe wieder zum Vorschein, ganz authentisch kommt nur aus uns heraus, was in uns reingetan wurde. Wir wollen unbedingt die mündliche Prüfung bestehen. Und dann kommt es: „Ich bin gebeten worden, Ihnen zu erläutern.“ Oder: „Ich darf Sie hier alle recht herzlich zu unserem XY begrüßen.“ Wir machen uns klein. Die Wirkung ist durchschnittlich bis verheerend. Vor allem erreicht das kein Level, von dem aus sich Menschen begeistern lassen. Keine Flughöhe, aber dazu später.
Ihr Vertrag als Managerin oder Manager verlangt aber genau das. Darin steht: Sie sollen wirksam führen. Und das unabhängig davon, ob es Ihnen als Typ liegt oder eher nicht so liegt. Sie müssen in einer wirkungsvollen Weise auf die Dinge schauen und auf die richtige Weise drüber reden, Herzen und Seelen ansprechen oder, um es gleich pointiert zu sagen, manchmal auch Stimmung machen. Es genügt nicht, einen Vertrag zu haben; Sie müssen ihn auch erfüllen.
Ich fasse das in ein Bild: Wenn es darauf ankommt, und wenn Sie etwas erreichen wollen, nützt es nichts, zu wissen, wo die richtige Schraube liegt. Sie müssen nicht die Schraube und ihre Wirkweise erklären, das tun Experten. Es kommt darauf an, darüber zu sprechen, dass da unten genau die richtigen Schrauben liegen, und dass dort unten alles ganz wunderbar sortiert ist. Oder auch das Gegenteil, dass gerade dort unten etwas anbrennt. Je nach Ihrem Wirkungsziel. Executive Communication, oder Führungskommunikation, ist durch und durch rhetorisch.
1.2 | The Board Meeting Trap – Rhetorische „First Mover“ |
Ein Meeting. Einer setzt etwas wuchtig in den Raum, einen Spruch, eine Behauptung. Das geht weiter, er schafft sich Komplizen, es gibt Zustimmung. Aber auch auf Ihrer Ecke des Tisches verändert sich etwas, und das ist: erstens schweigen. Und dann zweitens: verstärkte Anstrengung. Sie setzen in Beziehung, sie suchen Standpunkte oder sie sehen, dass sie welche mitgebracht haben, die aber nicht passen wollen zu der oder dem, der eben sprach. Während die auf der anderen Seite schneller waren: Die haben vorgelegt, sie gehen hinterher. „First Mover“ gibt es nicht nur bei Produktinnovationen, es gibt auch rhetorische first mover. Den anderen bleibt dann oft nur Rechtfertigung, hilflose Erklärung, ohnmächtiger Protest, meist nach der Situation. Wir sind alle manchmal solche late mover. Wir versuchen, etwas dagegenzusetzen: „Aber du musst doch auch bedenken“. Aber solche Phrasen sind vergebens. Totally lost, vergiss es.
Besonders oft scheint das so zu kommen in Calls mit Übersee-Hauptquartieren. Jenseits des Atlantiks nuschelt jemand aus einer größeren Flughöhe kommend, meist einnehmend oder mitnehmend, dann wuchtig und kategorisch argumentierend, sehr vereinfachend. Ein deutschsprachig Sozialisierter will dazwischengehen, hebt an, versucht sich in gutem Englisch, formt etwas grammatisch Korrektes, wird unterbrochen, lost again. Es ist wie im Western. Wer zuerst zieht, überlebt.
Nur ein pointiertes Schlaglicht. Aber ich frage Sie: Wer hat die größere Führungswirkung? Ich frage nicht, und niemand tut das: Wer hatte Recht? Der first mover, der früh in der größeren Flughöhe begann, vielleicht ja nicht einmal Recht, er hatte nur mehr Wirkung. Nehmen wir an, das ist auch Ihr Auftrag.
Wir sprechen über rhetorische Wirkung, dafür bietet dieses Buch Methoden an. aber nicht nur. Vorher etwas Grundsätzliches: Die Wirkung gehört der Organisation, für die Sie arbeiten. Es geht nicht um eine Präparierung von Topmanagern als Marken. Es geht nicht um Sie, es geht um die anderen. Es geht um jenes perfect match aus Menschen, die im Auftrag handeln, mit den Zielen ihrer Auftraggeber, und am Ende um das Einpassen in eine Organisation – die immerhin Gehalt oder Bezüge und Altersvorsorge zahlt. Was ist das Ziel? Das Ziel ist Wirkung durch Rede und Gespräch im Auftrag. Wir reden nicht über individuelles Auftreten nach Gusto; wir reden über Auftragskommunikation. Es muss einfach klar sein, dass niemand, der führt, sich aufführen darf, als stünde er nur für sich selbst.
Sie handeln im Auftrag Ihrer Organisation. Achten Sie darauf, dass Ihr Handeln im Einklang mit der Organisation steht.
Das gilt nicht nur für Angestellte. Wenn Sie das Ganze oder Teile besitzen, gilt das auch; ich schließe Unternehmer ein, obwohl es einen gewaltigen Unterschied gibt – Höhe gelingt leichter, wenn einem die Organisation gehört. Immer ist das Ziel dasselbe: Menschen durch Auftritt und Eindruck zu überzeugen.
Sie haben jetzt so eine Ahnung. Dass das alles etwas mit Rhetorik zu tun haben muss. Das ist nun etwas, mit dem Sie wieder nichts zu tun haben wollen. Sie überlegen kurz. Auch in der Stellenbeschreibung stand nichts davon. Da stand aber auch nicht, dass nur „Fachliches“ gefragt ist. Sie sollten deshalb wie alle eher „deutschen“ Manager lernen, was die angelsächsischen Kollegen schon in der Schule gelernt haben. Ein CEO von SAP, ein Amerikaner in einem deutschstämmigen Unternehmen, über deutsche Executives: „Weniger Wörter, mehr Fakten. Manchmal weniger Energie, mehr Argumente. Ich glaube, die amerikanische Geschäftswelt braucht weniger Show – vielleicht braucht die deutsche aber ein bisschen mehr.“
Aber woran sieht man, von welcher Seite jemand kommt? An Äußerlichem, und oft auch deutlich. Uns muss klar sein, dass wir am Ende nur Äußeres beurteilen. Wirkung besteht aus Eindrücken, deren Grundlage leider nicht irgendeine Einstellung sein kann, sondern nur das Handeln, das wir wahrnehmen.
Reden Sie sich niemals damit heraus, dass Sie kein Naturtalent seien. Genauso gut könnten Sie sagen, dass Sie für Führung unterqualifiziert seien. Dann hätten Sie den Vertrag nicht unterschreiben dürfen. Sie können talentiert sein – aber wenn nicht: Sie können Wirkung lernen.
Vor allem alle, die aus zahlenlastigem Umfeld kommen. Ein Beispiel: Finanzvorstände sind selten per se gute Redner, keine Naturtalente also. Eine eigene Erhebung von ExpertExecutive bei IPOs von 1998 bis 2001 hatte schon damals gezeigt, dass von sieben berücksichtigten Börsengängen nur zwei Vorstände auf Anhieb in kurzer Zeit – im TV-Interview circa 25 Sekunden – ihr Geschäft und den Markt erklären konnten. Noch einmal: Man kann es lernen. Wie viele Finanzvorstände sind in den vergangenen Jahren CEO geworden? Das Lernniveau ist gestiegen, und die Ergebnisse auch.
Sie sollten auf Ihr Umfeld achten, das kommt oft nicht nach. Das sind oft Menschen um Sie herum, die Ihnen sagen, Sie seien ja schon ganz großartig, und es gäbe Wichtigeres. Als ich einmal mit dem Büro eines Finanzvorstandes ein Coaching vereinbart hatte, er ist heute CEO dieses DAX-30-Unternehmens, wollte sein Büro den dafür geplanten Tag verkürzen. „In ein paar Tagen ist doch Bilanzpressekonferenz!“, sagte die Vorstandssekretärin, deshalb sei so wenig Zeit. Aber genau deshalb wollte er ja Rede und Antwort proben! Dahinter wird eine Frage sichtbar: Sind Auftritte, Reden und Antworten bloßes Beiwerk des Führens? Und kostet deren Vorbereitung nur Zeit? Natürlich nicht. Persönliche Wirkung hängt eben nicht als Furunkel am Managen dran. Deshalb tun Sie gut daran, nicht Primärleistung und Sekundärleistung zu trennen, nach dem deutschen Klischee, man könne, wenn es einem nicht so liegt, „fachlich gut“ managen. Das ist falsch. Es gibt keine gute Führung ohne guten Auftritt.
Nehmen wir noch ein reales, anonymisiertes Beispiel. Über den alten CEO heißt es: „brave Ansprache“, über den Neuen: nimmt Mitarbeiter mit, redet frei, interessant, mit Action in seinen Auftritten, aber auch staatsmännisch – „redegewandt“ und „elegant gekleidet“. Mit einem Wort: mit Performance. Eine Geschichte, wie sie sich oft ereignet. Einer geht, ein anderer ergreift das Ruder. Oft sind es Wechsel, die durch Zahlen allein nicht erklärbar sind. Hinter manchem Wechsel steht einfach die Art zu sprechen und aufzutreten.
1.4 | Einstellungen und Fähigkeiten |
Ein paar Jahre lang habe ich in Kitzbühel an einem jährlichen Leadership Event einer Strategieberatung mitgewirkt. Die ausrichtende Practice hieß mindsets and capabilities. Wer Führungswirkung entwickeln möchte, geht diese zwei Wege. Erstens von innen, über Einstellungen. Zweitens von außen, als erlernte rhetorische Fähigkeiten. Die zwölf Gesetze dieses Konzeptes sind beides: Einsichten – und die Umsetzung in Fähigkeiten.
Uns muss klar sein, dass wir als Wirkung nur Äußerlichkeiten beurteilen können. Einstellungen können wir nicht sehen. In welchem Modus jemand ist, sehen wir nur am Ergebnis. Anderenfalls müssten wir uns, mit einem Wort Georg Büchners, „die Schädeldecken aufbrechen und...