Hinsichtlich verwendeter Wortarten und –formen ergibt die syntaktische Analyse von Lk 13,18-21 folgenden Befund: vorwiegend singularische, undeterminierte Nomina werden ohne adjektivische Charakterisierung über ausschließlich indikativisch-aktiv gebrauchte Verbformen miteinander verbunden. Die Analyse der Verb -Tempora legt eine Zweiteilung der Perikope nahe (V. 18–19 und V. 20–21), da jeweils einleitendem Imperfekt ein präsentisch formulierter Frageteil, sowie präsentische Antworteinleitung folgt, wohingegen die eigentliche Antwort beide Male im Aorist ausgedrückt wird. Gestützt wird diese These zusätzlich durch den Umstand, dass die einzigen beiden Präpositionen des Textabschnitts („in“ V. 19 und „unter“ V. 21) sich analog positioniert auf die beiden Antwortpassagen verteilen, wodurch die zu V. 18 parallel konstruierte Überleitung „und wiederum sprach er“ (V. 20) die Kohärenz, welche sie suggerieren soll, herzustellen nicht mehr ausreicht. Vielmehr lassen sich zusammenfassend zwei formal in sich geschlossene, parallel strukturierte Teile identifizieren, deren jeder ebenso gut für sich allein stehen könnte, ohne dass diese Beschneidung zu seiner Unvollständigkeit führen würde.
Innerhalb des so umgrenzten ersten Teils wird Kohäsion durch die Doppelung der Frage, den relativen Nebensatz, sowie mittels der auf das Senfkorn rückbezüglichen Pronominalform „es“ und mit der zweifachen possessivpronominalen Verzahnung („seinen Garten“; „seinen Zweigen“) geschaffen. Vor allem aber verleiht die dreimalige Verwendung der Konjunktion „und“ der Antwortpassage eine hohe Dichte. Auch im zweiten Teil hat der Relativsatz, sowie das auf das Mehl (nicht den Sauerteig) rückverweisende „es“ kohäsive Wirkung, die durch die temporale Konjunktion des Schlusssatzes („bis“) verstärkt und gerahmt wird.
Bezüglich der strukturellen Grundlage von Lk 13,18-21 lässt sich also schließen:
Die Perikope ist in zwei formal abgeschlossene, weitgehend parallel strukturierte Einheiten gegliedert, die jeweils dem Schema ‚Überleitung – Frage – mehrgliedrige Antwort’ folgen. Spezifika des ersten Teiles sind die eingehende Doppelfrage - die im zweiten Teil zur Einzelfrage komprimiert wird – und die Dreiteilung der Antwort, die der Subjektwechsel „es“ (also: Reich Gottes) - „Mensch“ – „es“ (also: Senfkorn) – „Vögel des Himmels“ markiert. Die zweite Einheit verkürzt den Antwortteil um seine Mittelpassage, wodurch nur zwei Subjektwechsel stattfinden: „es“ (also: Reich Gottes) – „Frau“ – „es“ (also: Sauerteig). Trotz dieser Kürzung lassen sich beide Antworten auf folgendes Schema zurückführen:
Subjekt 1 (Reich Gottes) „gleicht einem“║[12] Objekt 1, das ein Subjekt 2 „nahm und“ Präposition determiniertes Objekt 2 Verb (Indikativ Imperfekt aktiv) à Konsequenz
Zwei mal wird also in direkter Rede nach einem (bildhaften) Äquivalent für das selbe Subjekt, die Basileia Gottes, gefragt. In beiden Fällen wird diese Frage anhand eines Vergleiches, bzw. Gleichnisses[13] beantwortet.
Lässt auch die Semantik eine solche Zweiteilung zu, ohne dass dadurch unzulässige Bedeutungseinbußen in Kauf genommen werden müssten? Zur Beantwortung dieser Frage beschränken wir uns auf die beiden ‚Antwortpassagen’ – ohne jedoch damit potentielle Bedeutungsverschiebungen (aufgrund der Komprimierung des Frageteils im zweiten Gleichnis) ausschließen zu wollen. Zu dieser Beschränkung legitimiert ferner der Befund, dass der Wechsel der semantischen Ebene von der Ausgangs- zur Bildebene[14] sich bei beiden Gleichnissen erst im Antwortteil vollzieht, d. h. dass erst an der im obigen Schema markierten Stelle das jeweils relevante Bildfeld betreten wird.
Die Basileia gleicht „einem Senfkorn“ (κόκκος[15] σινάπεως) heißt es zunächst in Vers 19, womit die primäre Bezugsgröße der ersten Antwort benannt ist. Mehrere Arten der zu den Kreuzblütlern gehörenden Senfpflanze (σίναπι) waren in Palästina „lange vor der ntl. Zeit“[16] heimisch. Der wohl hier angesprochene schwarze Senf[17] (Sinapis nigra L. ≈ Brassica nigra Koch) wird dort auch heute noch angebaut und zu Speiseöl verarbeitet, bzw. findet als Küchengewürz Verwendung.[18] Aus seinen sprichwörtlich[19] kleinen Saatkörnern (0,95-1,6mm Durchmesser[20]) erwächst rasch[21] die krautartige, einjährige Senfstaude, zu einer Höhe von etwa zwei bis drei Metern heran[22]. Trotz dieser Größe, und ungeachtet der Tatsache, dass der untere Teil des Stängels verholzen kann[23] bleibt die ausgewachsene Pflanze eine Staude – kein „Baum“, zu dem Lk das Senfkorn in Vers 19 werden lässt.[24] Auch wurde der Senf rabbinischen Quellen[25] zufolge nicht im „Garten“ (ει̉ς κη̃πος, V. 19) kultiviert, sondern auf dem Feld.
Ein weiteres Mal ist im Lukasevangelium vom Senfkorn die Rede, und zwar im Logion von der Macht des Glaubens Lk 17, 6. Auch hier bedient sich der Evangelist, respektive Jesus, dem das Wort in den Mund gelegt wird, der sprichwörtlichen Winzigkeit dieses Samens: bereits ein senfkorngroßer Glaube – sofern wahrhaftig – reiche aus um einen „Maubeerbaum zu entwurzeln und ins Meer zu verpflanzen“[26]. ‚Säen’ lässt Lukas – zwar kein „Senfkorn“, sondern einen „Samen“ (Lk 8, 4) – innerhalb seines Evangeliums außerdem in Lk 8, 4-15. Auch an dieser Stelle kommt Jesus in gleichnishafter Rede zu Wort, indem er die verschiedenen Geschicke beschreibt, die dem Samen nach der Aussaat widerfahren können. Interessant ist für unseren Zusammenhang vor allem die Deutung, die der lukanische Jesus dem Samen dabei gibt: „Der Same ist das Wort Gottes“ (Lk 8, 11). Inwiefern auch das Senfkorn auf Gottes Wort hinweist, wird zu prüfen sein.
Innerhalb der zweiten Antwort ist die zentrale Bezugsgröße, mit der die Basileia Gottes verglichen wird, der „Sauerteig“ (ζύμη[27] V.21). Im palästinischen Raum war Sauerteig das konventionelle Mittel zur Brotherstellung. Hierbei handelte es sich um einen bereits fermentierten Mehlteig, der in geringer Menge der zu backenden Masse beigefügt wurde, wobei der Gärungsgrad des ersteren zum Durchsäuern der letzteren genutzt wurde.[28] Zu beachten ist hierbei, dass für diese Prozedur, die, wenn einmal zu ihrem Ende gekommen, unumkehrbar ist, „im Verhältnis zur Menge des Teiges nur wenig Sauerteig nötig ist“[29]. Die hier benannten „3 Sea, also etwa 36, 44 l, Mehl [30] gelten dabei wohl als das größte Maß, mit dem eine backende Frau etwa arbeiten konnte“[31]. Wärme beschleunigte den ohnehin raschen Gärungsprozess zusätzlich, erhöhte damit allerdings auch das Verwesungsrisiko.[32] Neben dieser wörtlichen Bedeutung wurde der Begriff ‚Sauerteig’ auch metaphorisch[33] gebraucht, und zwar zur Bezeichnung sowohl positiver, als auch negativer Durchdringungskraft (im Sinne von „Einfluss“ [34]). Dies ist auch Lk 12, 1 der Fall, wo der lukanische Jesus eine Warnung vor „dem Sauerteig der Pharisäer“ ausspricht. Hüten sollte man sich vor ihrem negativen Einfluss, der „Heuchelei“. Wichtig hierbei ist zu erkennen, dass der ‚Sauerteig’ erst durch den Kontext negativ konnotiert, per se aber neutral zu bewerten ist: nicht vor jeglichem ‚Sauerteig’, also Einfluss, soll man sich in Acht nehmen, sondern vor jenem der Pharisäer, welche ihrerseits im lukanischen Gebrauch negativ konnotiert sind und explizit mit der „Heuchelei“ in Verbindung gebracht werden.[35]
Der Ertrag der semantischen Analyse ist eindeutig: Die unter syntaktischen Maßstäben angenommene Zweiteilung wird bestätigt. Während im so identifizierten ersten Teil nämlich die Nomina vornehmlich der Pflanzen- (Senfkorn, [Garten], Baum, Zweige) und Tierwelt (Vögel) entstammen und mit Verben der Aussaat und des Wachsens und Werdens korreliert werden, wird der zweite Teil substantivisch (Sauerteig, Mehl) wie verbal vom Wort- bzw. Bildfeld des Backwesens bestimmt. Semantisch gehen die beiden Gleichnisse also deutlich getrennte Wege, allerdings mit einer Ausnahme: In beiden Antworten „nahm“ ein menschliches Subjekt das jeweilige, dem Reich Gottes gleichende Objekt, und bezog es in sein weiteres Handeln mit ein. Mit der Zweiteilungshypothese korrespondiert ferner der...