Besser wird’s nicht
Paarundvierzig und immer noch Probleme
Da denkt man, im nicht mehr ganz so zarten Alter von paarundvierzig hätte man all die blödsinnigen Selbstzweifel und den Selbstoptimierungwahnsinn erfolgreich hinter sich gelassen, mit dem sich Frauen gern mal die erste Lebenshälfte versauen, und wäre endgültig bei seinem Lieblings-Ich angekommen. Bei dem Ich, das man schon immer sein wollte. An dem es im Großen und Ganzen nichts mehr auszusetzen gibt. Aber dann wird man auf einmal aus seinen Träumen gerissen und muss feststellen: Nur, weil man auf einige berufliche Erfolge zurückblicken kann, ein Reihenhaus samt Familie sein Eigen nennt und zudem endlich eingesehen hat, dass man nie mehr in eine Hose mit Größe 38 mit Größe 40 passen wird (ganz ehrlich? 42 wäre schon ein Wunder!), heißt das noch lange nicht, dass man keine Probleme mehr hat.
Ich habe definitiv jede Menge Probleme. Das wurde mir klar, als ich den Hörer aufgelegt hatte und einen Moment in dem wunderlichen Schwebezustand zwischen Lachanfall und Heulkrampf schwebte. Ich starrte das Telefon an, als ob es mir sagen könnte, in welche Richtung meine Stimmung jetzt schlagen sollte.
»Was ist?«, fragte Anja, die gerade in unser Büro gekommen war.
»Ich habe eine Einladung zu einer Lesung bekommen«, sagte ich, und dann prustete ein Lachen aus mir raus, das mehr ein Bersten war.
»Das scheint ja wirklich eine tolle Einladung zu sein«, grinste Anja. »Glückwunsch, freut mich für dich!«
Ich wischte eine Träne aus dem Augenwinkel und japste: »Nee, wenn du mir gratulieren kannst, dann zum schlechtesten Verkaufsgespräch aller Zeiten.«
Das Telefonat mit dem Veranstaltungsleiter vom Schlosshotel Kreiming war nämlich folgendermaßen verlaufen. Der Veranstaltungsleiter sagte, wie interessant und lustig er meinen Sachbuch-Bestseller finde und wie toll eine Lesung in das Kulturprogramm des Schlosshotels passen würde. Ich sagte ihm, wie sehr ich mich über die Einladung freuen würde. Verhängnisvollerweise hörte ich dann nicht auf zu reden. Verhängnisvollerweise quasselte ich weiter. Und dann fielen plötzlich von meiner Seite folgende Sätze: »Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich kein Comedian bin.«
(Abgesehen davon, dass es eine offensichtliche Tatsache ist, da ich ja als Journalistin und Autorin arbeite und nicht als Comedian, hat der gute Mann das überhaupt nicht wissen wollen. Und ich weiß auch gar nicht, wie ich darauf gekommen bin.)
»Und man müsste ja schon ein bisschen was um den Text herumschmücken.«
(Wurde niemals gefragt oder gefordert.)
»Ist ja kein Roman, den man so hintereinander weg lesen kann.«
(Da der Mann wegen des Sachbuchs angerufen hat, könnte man vermuten, dass er das wusste.)
»Am besten wäre so ein ganzes Comedy-Programm für einen Abend.«
(Man stelle sich vor, ein Maler würde sagen: »Anstatt Ihnen nur die Wand da zu streichen, renoviere ich besser die ganze Bude für den gleichen Preis.«)
»Aber, wie gesagt, ich bin ja kein Comedian. Also weiß ich überhaupt nicht, ob das was bringt.« Ich lachte, um ihn zur Gegenrede zu animieren. Dann fiel mir auf, dass auch dem Mann die Argumente ausgegangen zu sein schienen, warum die Lesung eine gute Idee war. Plötzlich dämmerte mir, dass ich dabei war, mich um Kopf und Kragen zu reden. Ich stellte nicht nur mein Licht unter den Scheffel, sondern war dabei, es gleich höchstselbst auszupusten! Das wollte ich natürlich nicht so stehen lassen. Ich musste den negativen Eindruck wettmachen. Ich musste ihn davon überzeugen, dass er recht gehabt hatte, mich zu einer Lesung einzuladen. Und zwar sehr schnell! Bevor der Mann merkte, dass er es mit einer kolossalen Stümperin zu tun hatte. Also beendete ich meine autoaggressive Rede und fügte triumphierend den Satz hinzu: »Aber lesen kann ich!«
Erstaunlicherweise brach der Mann nicht in Jubel aus. Er gratulierte mir auch nicht zu meinen herausragenden Fähigkeiten. Nein. Er sagte: »Ich melde mich wieder.« Und legte auf.
Als ich es zwischen weiteren Lachanfällen geschafft hatte, das Anja zu erzählen, lachte auch sie aus vollem Hals. Dazu muss ich sagen: Anja ist nicht nur meine Kollegin, sondern auch eine meiner besten Freundinnen. Sie ist supernett, lustig, zuverlässig und total süß mit ihrer Unsicherheit und manchmal auch Naivität. Was ich ja wirklich sympathisch finde. Und das nicht nur, weil ich mich in ihrem Beisein mit meinen ganzen Macken irgendwie wohler fühle. (Wenn man mal ehrlich ist, hält man sich doch am liebsten in Gruppen auf, in denen eine Person dabei ist, die dicker ist oder noch weniger Ahnung hat als man selbst.)
Wir lachten immer noch, als Schlips-Dirk reinkam. Schlips-Dirk ist auch freier Mitarbeiter bei dem Lokalfernsehen, für das ich als Reporterin arbeite. Seit er Suits guckt, macht er einen auf Harvey Specter. Allerdings sind seine Anzüge ganz sicher nicht vom Maßschneider. Und er selbst sieht auch kein bisschen specter-kulär aus, da kann er sich noch so viel Gel in die Haare schmieren. »Was ist denn hier los?«, fragte er. »Habt ihr schon wieder zu viel Kräutertee getrunken?«
Noch bevor ich was sagen konnte, platzte es schon aus Anja heraus: »Nein. Hanna hat sich gerade selbst um einen tollen Auftrag gebracht.«
Und dann musste ich mir das Ganze nochmal aus ihrem Mund anhören, und ich brauchte noch nicht mal Schlips-Dirks hämisches Grinsen zu sehen, um das Ausmaß meines Versagens zu begreifen. Jede Heiterkeit verschwand und ich blickte in das schwarze Loch meiner eigenen Dämlichkeit, das sich scheinbar endlos vor mir ausbreitete. (Wenn ich überhaupt in etwas gut bin, dann in Selbstgeißelung. Wenn es darum geht, mich selbst für meine Fehler fertig zu machen, bin ich ausdauernder als ein fanatischer Mönch im Mittelalter. Nur gut, dass heutzutage Neunschwänzige Katzen nicht mehr so angesagt sind wie damals.)
Ich war noch völlig von der Rolle, als wir zur Redaktionskonferenz stiefelten, auf der die Aufträge des Tages vergeben werden. Auf die heutige Konferenz war ich sehr gespannt, weil Matt Damon zu einer Kinopremiere nach Köln kam. Er war nicht nur Hauptdarsteller, sondern hatte auch das Drehbuch selbst geschrieben. Als weltgrößter Hollywood-Fan musste ich da natürlich hin. Normalerweise läuft die Redaktionskonferenz so ab, dass die Chefin die wichtigsten Termine aufzählt, dann nach weiteren Themen fragt und entscheidet, was von wem gemacht wird. Aber die Chefin saß kaum auf ihrem Platz und nahm einen Schluck aus ihrer Ich möchte einmal mit Profis arbeiten-Tasse, da posaunte Schlips-Dirk schon: »Ich mache die Kinopremiere. Es geht ja in dem Film um eine Firma, die gegen Umweltschützer kämpft. Das ist genau mein Thema. Ich habe mit den Vorfällen im Hambacher Forst, über die ich berichtet habe, einen super Aufhänger.«
Diese Erklärung war natürlich völlig unsinnig, aber Schlips-Dirk guckte so zufrieden, als wäre damit eindeutig bewiesen, dass es keine andere Lösung gäbe. Anja schaute mich erschrocken an. Sie wusste, wie gern ich über die Premiere berichten wollte. Wir hatten seit Tagen von kaum was anderem gesprochen. Die Chefin setzte die Tasse ab und nickte schon fast, aber sie hatte noch Keks im Mund, weswegen mir der Bruchteil einer Sekunde blieb, um dazwischen zu gehen, bevor sie Schlips-Dirk den Auftrag zusprach.
»Aber ich wollte doch eigentlich die Premiere machen«, rief ich und fand selbst, dass ich weinerlich klang (lag vielleicht daran, dass ich eben so viel gelacht hatte, dass ich jetzt heiser war). Ich räusperte mich und fügte hinzu: »Ich dachte, das wäre klar gewesen. Ich meine, ich hab doch auch schon vor Wochen wegen des Interview-Termins angefragt.«
»Hast du einen Termin bekommen?«, fragte mich Schlips-Dirk ungerührt. Dieser Arsch. Das wusste er doch genau.
»Nein, das nicht«, beeilte ich mich zu sagen, »aber das war ja auch nur deswegen, weil da schon so viele andere gefragt hatten, die wichtiger sind als wir, also für den Filmbetrieb, meine ich. Und normalerweise machen wir ja bei so Premierenfeiern nur das Drumherum, die wartenden Fans und die Stimmung auf dem roten Teppich, und ich will ja jetzt nicht sagen, dass ich das immer mache, aber eigentlich ist das doch eher mein Gebiet. So die bunten Sachen.«
»Ich habe einen Ansatz, der zeigt, dass wir nicht nur eine unwichtige Lokalredaktion sind, wie Hanna es nennt«, sagte Schlips-Dirk. Dieser Oberarsch. Das hatte ich auch gar nicht gesagt. Oder doch?
»Okay«, sagte die Chefin. »Dirk, du machst die Premiere. Und Hanna, für dich habe ich auch was Passendes.« Und dann reichte sie mir die Unterlagen zu einem internationalen Dermatologen-Kongress.
Ich schlich in mein Büro, starrte trübsinnig auf das gähnend langweilige Programm der Hautärzte und dachte auf einmal: Das bin ich? Wirklich? Eine Frau, die sich eine schöne Lesung mit einer schwachsinnigen Verkaufsstrategie verbockt, sich Matt Damon vor der Nase wegschnappen und sich stattdessen einen Dermatologen-Kongress aufbrummen lässt? Und die jetzt ernsthaft darüber nachdachte, inwiefern ein Dermatologen-Kongress »für mich passend« war. Weil ich immer so rot werde? Oder weil »hektische Flecken« mein zweiter Vorname ist? Oder habe ich gar noch andere Hautprobleme, von denen ich nichts weiß?
Elternabend des Grauens
Das nächste Erlebnis, das mir klarmachte, dass in Sachen »Lieblings-Ich« doch noch ganz viel Luft nach oben ist, geschah am nächsten Tag. Genauer gesagt: am Elternabend. Bei...