Auf dem Gebiet des heutigen Frankreich siedeln seit dem 1. Jahrtausend v. Chr. Gallier, die zum Volksstamm der Kelten gehören. Im ersten Jahrhundert v. Chr. wird Gallien von Caesar unterworfen. Dabei wird die heimische keltische Sprache sehr schnell zugunsten der Sprache der Eroberer aufgegeben, da das Lateinische über ein sehr hohes Prestige verfügt. Das von den Besatzungssoldaten in Gallien verbreitete Latein, also die gesprochene Sprache des römischen Volkes, wird Vulgärlatein genannt. Es unterscheidet sich stark vom klassischen Latein der Philosophen und Poeten, das uns schriftlich in vielen Zeugnissen überliefert wurde. Wie das Vulgärlatein ausgesehen hat, wissen wir hingegen nicht genau, da es sich weitgehend auf die gesprochene Sprache beschränkt.
Genauso wenig wissen wir, wann genau die Menschen aufhörten, Vulgärlatein zu sprechen. Der Übergang fand sicher nicht plötzlich und von einem Tag auf den anderen statt, sondern vollzog sich langsam über mehrere Jahrhunderte. Der Zusammenbruch des Weströmischen Reiches um 400 mit dem einhergehenden Verlust des kulturellen Prestiges hat sicher Anteil daran. Auf dem Gebiet Galliens gibt es bereits im 5. Jhd. keine Rhetorikerschulen mehr. „Zwischen dem 5. und 9. Jh. [hat] jede Generation etwas weniger Lateinisch bzw. etwas mehr Französisch gesprochen (...) als die vorausgehende Generation.“[4] Fassbar wird die Veränderung schließlich in den ersten Texten, die als „französisch“ gelten. Als frühester französischer Text gelten die Straßburger Eide von 842. Dabei handelt es sich um eine Urkunde in lateinischer Sprache mit volkssprachlichen Eidesformeln[5]. Diese frühe romanische Sprache nennt man Rustica romana lingua. Im 9. Jhd. war man sich also der Tatsache bewusst geworden, dass die Volkssprache sich bereits so sehr vom Lateinischen wegentwickelt hat, dass es bereits zu Verständigungsproblemen kommt. Während des Konzils von Tours beschließt man beispielsweise im Jahre 813, dass Predigten von da an nur noch in Volkssprache abgehalten werden sollen. Weitere frühe volkssprachliche Texte sind die Eulaliasequenz (ca. 880), La Vie de Saint-Léger (nach 950) und La Vie de Saint-Aléxis (ca. 1040). Bei all diesen Texten handelt es sich um Heiligenviten. Mit dem Rolandslied setzt ab etwa 1095 die Tradition der Chansons de geste ein, welche die Literatur des 12. und 13. Jhds. dominieren, allesamt in Volkssprache überliefert sind und überwiegend von Ereignissen der Karolingerzeit handeln. Der bedeutendste französische Autor des Mittelalters ist Chrétien de Troyes (ca. 1140 – 1190), der mit seinen Schilderungen vorbildhafter Heldentaten von König Artus und den Rittern der Tafelrunde die gesamte europäische Literatur nachhaltig beeinflusst. Im sprachhistorischen Teil werde ich sowohl das Rolandslied als auch zwei Werke von Chrétien de Troyes in Hinblick auf die verwendeten Farbenbezeichnungen untersuchen. Alle früheren Texte sind teils nur als Fragmente überliefert oder aber nur sehr kurz, weshalb sich eine Untersuchung erst ab dem Rolandslied als ergiebig erweist.
Im Lateinischen gibt es zwei Primärfarbwörter für Weiß: das universell einsetzbare albus sowie candidus, dessen Bedeutung „glänzend weiß“ ist. Die ursprüngliche Bedeutung von candidus ist „in Flammen stehen“, da diese Bedeutung aber nicht ins Vulgärlatein einging, sondern auf das klassische Latein beschränkt bleibt, wird sie in den romanischen Sprachen nicht fortgeführt. Bereits in lateinischer Zeit wird candidus zudem immer mehr von albus verdrängt. In der Poesie bedienen sich die Autoren lieber der Metaphern wie argenteus, lacteus und marmoreus, die ebenfalls die Bedeutung „glänzend“ wiedergeben und sogar noch verstärken. Candidus wird so immer mehr zu einem – selten gebrauchten – Synonym für albus und verliert nach und nach die ursprünglich charakteristische Bedeutung „glänzend“.
Albus wird gebraucht, um beispielsweise das Weiß der Maler zu beschreiben, kommt in Sprichwörtern zum Einsatz, bei Pflanzennamen, etc. und findet Eingang in die Fachsprachen. Auch in der Toponymie wird albus gebraucht, allerdings ist dabei anzumerken, dass „à l’origine, il faut voir non une épithète, mais le substrat pré-indo-européen qui se relève dans la toponymie avec le sens de « hauteur, mont » comme dans les Alpes. Mais les Latins avaient le sentiment d’avoir affaire à l’adjectif, tout comme dans les noms de villes.“[6]
Innerhalb des Bereichs der Farbe Weiß kann albus „sehr hell“, „blaß, bleich“[7] und „grau“ bedeuten. So wird z. B. die Farbe des Fells eines Esels immer mit albus wiedergegeben, aber auch für die prestigeträchtigen weißen Pferde der Könige und Generäle wird albus gebraucht. Im Gegensatz zu candidus kann albus auch gräuliche oder gelbliche Gegenstände bezeichnen.
Da, wie bereits erwähnt, candidus fast vollkommen von albus verdrängt wurde, wenn es um die Beschreibung weißer Gegenstände ging, wird candidus bald fast ausschließlich zur Beschreibung von Dingen verwendet, bei denen es mehr auf den Glanz als auf die weiße Farbe ankommt. Dies ist z. B. der Fall bei Mond und Sternen. Manchmal wird candidus in der Poesie durch nitidus ersetzt, wenn das Versmaß die Verwendung von candidus unmöglich macht. Bei Vergleichen mit Schwarz (niger „glänzendes Schwarz“) wird ausschließlich candidus gebraucht und auch bei der Verwendung im übertragenen Sinn (Reinheit, Unschuld, Glück, etc.) ist es ungleich häufiger als albus, obwohl albus auch im Sinne von „hell“ gebraucht werden kann.
Neben den beiden genannten Primärfarbwörtern gibt es noch einige Sekundärfarbwörter, die hauptsächlich der Sprache der Poesie zuzuordnen sind:
1) Da Weiß schon immer mit Schnee assoziiert wurde, ist niveus, nivalis („schneeweiß“) eine relativ geläufige Metapher. Es bezeichnet ein noch strahlenderes Weiß als jenes, das üblicherweise mit candidus wiedergegeben wurde, und gilt als Symbol für Reinheit.
2) Lacteus („milchweiß“) steht für ein besonders weißes Weiß und wird vorwiegend zur Beschreibung der menschlichen Haut (ohne Einfluss von Emotionen) gebraucht.
3) Die Metapher marmoreus („Marmorweiß“) mutet etwas seltsam an, da Marmor in Wirklichkeit gar nicht weiß ist, sondern immer auch von dunkleren Farben durchzogen ist. Daher kommt auch der Ausdruck „marmoriert“, was bedeutet, dass eine Fläche abwechselnd helle und dunkle Farben aufweist. Allerdings gibt es auch eine sehr kostbare und seltene Art von Marmor, die ausschließlich weiß ist. Es ist wohl diese Marmorart, auf die die Metapher sich bezieht. Sie wird ebenfalls verwendet, um die menschliche Haut zu beschreiben, und dabei v. a. die Schönheit der weiblichen Haut.
4) Argenteus wurde vermutlich in Analogie zu der erfolgreichen Metapher aureus („goldgelb“) gebildet. Es wird verwendet, um ein metallisches Silberweiß auszudrücken.
5) Schließlich ist noch eburneus/eburnus („weiß wie Elfenbein“) zu nennen, das ein Synonym zu marmoreus ist und daher ebenfalls zur Beschreibung der menschlichen Haut verwendet wurde.
Während niveus und lacteus noch relativ häufig vorkommen, spielen die anderen Metaphern eine eher marginale Rolle.
Für den speziellen Kontext „weißes Haar“ können im Lateinischen zwar auch albus und candidus verwendet werden, allerdings gibt es zusätzlich dazu noch das Wort canus / canutus.
Wenn man sich das altfranzösische Primärfarbwort blanc ansieht, stellt man auf den ersten Blick fest, dass sich hier beim Übergang in die romanischen Sprachen eine tiefgreifende Veränderung vollzogen haben muss. Weder albus noch candidus spielen im Altfranzösischen eine Rolle und das aus dem Fränkischen stammende blanc gibt „in den altfranzösischen Übersetzungen lateinischer Vorlagen (...) sowohl albus als auch candidus wieder (...). Die Differenzierung, die das Lat. zwischen albus ‚weiß’ und candidus ‚glänzend weiß’ vornimmt, ist im Afr. offenbar völlig aufgehoben.“[8] Reste von albus finden sich nur noch in Toponymen oder Ableitungen, als Farbbezeichnung hat es sich lediglich im Rumänischen oder Rätoromanischen halten können. Dies ist nicht erstaunlich, denn die Randgebiete der Romania erweisen sich prinzipiell als eher konservativ. In den übrigen Gebieten hat sich aufgrund der semantischen Überladung von albus (es gab zahlreiche sekundäre Bedeutungen wie z. B. „blass“, „gelblich“ oder...