Der gestörte Schlaf
Die häufigsten Formen der Schlafstörung sind Ein- und Durchschlafstörungen, diese werden als chronische Insomnie bezeichnet. Dabei gibt es die sogenannte psychophysiologische Insomnie, bei der die Betroffenen über Ein- und Durchschlafstörungen klagen, die erstmals zeitlich mit einem belastenden Lebensereignis auftraten und nach Wegfall dieses auslösenden Ereignisses aber andauerten. Charakteristisch dafür ist ein oft besserer Schlaf im Urlaub oder in anderer Umgebung oder das Einschlafen im Sessel beim Lesen oder Fernsehen; die betroffenen Personen sind oft schon seit ihrer Jugend bei Belastungen leicht störbar, schlafen selten mehr als sechs Stunden, oft bei leicht beschleunigtem Puls.
Ein weiteres Kriterium ist die Dauer der Schlafstörung: Eine akute Schlafstörung liegt bei bis zu vier Wochen vor, eine subakute bei einer Dauer von bis zu sechs Monaten und eine chronische Schlafstörung bei mehr als sechs Monaten.
Die internationale Klassifikation der Schlafstörungen (ICSD)[11] definiert den Schweregrad der Schlafstörung basierend auf der Häufigkeit der Beschwerden und auf dem Grad der Beeinträchtigung:
Kriterien | Schweregrad der Schlafstörung |
Beschwerde des nicht erholsamen Schlafes | nahezu allnächtlich | allnächtlich | allnächtlich |
Beeinträchtigung des Befindens in Form von Reizbarkeit, Ruhelosigkeit, Angst, Müdigkeit, Erschöpfung | häufig | allnächtlich | immer |
Soziale und berufliche Beeinträchtigung | keine oder geringe | gering bis mäßig | schwer |
Die Schlafstörung beginnt meist mit einem belastenden Lebensereignis und bleibt bestehen, auch wenn das Ereignis nicht mehr da ist. Das heißt, Schlafstörungen haben in der Regel etwas damit zu tun, was wir am Tag erleben, und sind eine Reaktion auf Belastungen des Tages. Sie neigen dazu, sich zu verselbständigen.
Das ist in gewisser Weise unfair. Man hat schon etwas Schwieriges überstanden und kämpft dann mit den Resten, den Trümmern oder dem Gerümpel, das zurückgeblieben ist. Aber leider ist das Leben nicht immer gerecht, und es macht Sinn, sich an die Beseitigung dieses Gerümpels zu machen. So wie wir manchmal in der Wohnung, dem Keller oder dem Dachboden lauter alte Sachen oder Gerümpel aufbewahren, so ist es psychisch mit schwierigen Gefühlen, Verhaltensmustern und Gedanken. Sie sammeln sich an und verschwinden nicht von allein, sondern brauchen wie das Gerümpel in der Wohnung eine bewusste Aufräumaktion. Danach können wir wieder geordnet leben und ruhig schlafen. Es ist hilfreich, zu verstehen, was in einem vorgeht, und es ist genauso wichtig, daran konkret etwas zu ändern. Mit der Entrümpelungsanleitung können Sie das Problem direkt angehen. Mit dem Folgenden können Sie es ein bisschen besser verstehen. Wie also ist es zu erklären, dass eine Schlafstörung als Folge einer schwierigen Lebenssituation bestehen bleiben kann?
Sollten Sie keine Lust auf Erklärungen haben, können Sie auch gleich zur Entrümpelungsanleitung (S. 107) weitergehen. Vielleicht sind Sie ja ein ungeduldiger und eher tatkräftig zupackender Mensch, dann lesen Sie zunächst dort und kommen später an diese Stelle zurück. Es bleibt Ihnen überlassen, welchen Weg Sie gehen. Der Erfolg ist der einzige Maßstab, der zählt. Schauen Sie, was Ihnen guttut, und fangen Sie damit an.
Kommen wir jetzt zum Verstehen.
Der Teufelskreis von gereizter Stimmung und Schlafstörung
Beim chronisch schlafgestörten Menschen findet im Tiefschlaf etwas Problematisches statt: Das Großhirn wird nicht genügend von äußeren Reizen abgeschirmt. Das heißt, das Großhirn muss dauernd Informationen verarbeiten, anstatt in den Energiesparmodus zu gelangen. Ein echtes Abschalten ist so nicht möglich. Die Erholungsfunktion des Tiefschlafs ist somit deutlich gestört. Man nimmt an, dass durch den Stress am Beginn der Schlafstörung eine sich immer wiederholende Erregungsschleife in Gang gesetzt wird. Hierbei spielt die Amygdala, auch Mandelkern genannt, eine wichtige Rolle. Sie ist eine Hirnregion, in der innerhalb von 200 Millisekunden in rasender Geschwindigkeit erlebte Begebenheiten gefühlsmäßig bewertet werden. Die Amygdala wird beim Beginn der Schlafstörung überaktiviert, sie wird sozusagen überreizt. Schlafmangel und Müdigkeit verringern die Aufmerksamkeitsspanne. Dadurch werden der Stress und die Belastung des Tages stärker gespürt. Jetzt geht eine Kopie jedes Erlebnisses innerhalb von 200 Millisekunden an die Amygdala und wird dort als potenziell stressig abgespeichert. Danach erst erreicht die bewusste Wahrnehmung dieses Ereignisses erneut die Amygdala, welche nun schon vorurteilsbeladen dieses Ereignis als Stress an das Großhirn weitergibt. «Der negative Kreislauf von gereizter Stimmung und Schlafstörung verstärkt sich selbst.»[12]
Anders ausgedrückt: Ich erlebe Stress in meinem Alltag, mein Gehirn überreagiert, sozusagen allergisch; nachts kommt es nicht mehr zur Erholung im Tiefschlaf, beim Wachwerden grüble ich, daraufhin erlebt mein Gehirn am nächsten Tag alles noch mehr als Anstrengung und als Zuviel. Meine Erholung der nächsten Nacht ist wieder gefährdet. Dies wird zum Selbstläufer, auch wenn die Ursache für den Stress gar nicht mehr existiert.
Typische Verhaltensweisen bei einem gestörten Schlaf sind: verstärktes, zwanghaftes Grübeln, nicht abschalten können, Probleme in sich hineinfressen.[13] Belastungen des Tages werden so in die Nacht hinein verschoben und führen zu einer Erhöhung der psychischen und körperlichen Anspannung, welche das Ein- und Durchschlafen erschwert.
Folgewirkungen der Schlafstörung
Wer an einer Schlafstörung leidet, kann erhebliche Probleme am Arbeitsplatz bekommen: Reizbarkeit, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen sind resultierende Faktoren. Die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, weil die Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, ist häufig quälend und verstärkt wiederum das Problem. Manager mit hohem Entscheidungsdruck und Verantwortung leiden nicht selten an einer Schlafstörung. Aber auch Hausfrauen mit Kleinkindern sind betroffen. Ebenso Studenten im Examen oder Menschen mit schwierigen Kollegen oder Chefs.
Die Lebensqualität sinkt erheblich. Anfangs versucht man, die mangelnde Leistungsfähigkeit mit noch mehr Arbeit, längerer Verweildauer am Arbeitsplatz und noch schlechterem Abschalten zu lösen. Irgendwann können aus der Erschöpfung andere Symptome erwachsen, wie z.B. Depressionen bis hin zur erhöhten Selbsttötungsgefährdung.[14] Aber auch psychosomatische Beschwerden, wie z.B. Hauterkrankungen, Atemwegserkrankungen, Erkrankungen von Herz und Kreislauf, Magen- und Darmbeschwerden, Kopfschmerzen bis hin zur Migräne und Schwindel, können als Folge einer Schlafstörung auftreten. Außerdem zeige sich zunehmend, dass Schlafstörungen die Funktion des Gedächtnisses beeinträchtigen sowie wahrscheinlich die Entstehung von Übergewicht und Diabetes mellitus fördern.[15]
Daher ist es sinnvoll, die Schlafstörung kurzfristig zu beheben, damit Folgesymptome gar nicht erst auftreten. Deshalb schlagen wir Ihnen den Weg der Entrümpelung Ihres Schlafes vor. Schauen Sie schon mal jetzt oder später in die Anleitung (S. 107) hinein, um sich einen Eindruck zu verschaffen, wie ein Aufräumen aussehen könnte, damit Sie wieder zu einem ruhigen Schlaf gelangen.
Auslösende Lebensbelastungen
Es gibt unendlich viele Lebensbelastungen, die individuell sehr unterschiedlich als seelische Belastungen erlebt werden und eventuell zu einer Schlafstörung führen. Diese Belastungen können Probleme am Arbeitsplatz mit Kollegen oder Chefs sein, oder zu viel Arbeit, die auf immer weniger Mitarbeiter übertragen wird. Es kann die Geburt eines Kindes genauso wie der Tod eines nahestehenden Menschen sein. Es kann die Abwesenheit einer geliebten Person oder die Angst um einen Menschen sein. Es kann eine Prüfungssituation oder ein Auftritt vor großem Publikum sein, ebenso wie die Notwendigkeit, eine Kündigung aussprechen zu müssen oder diese zu erhalten. Es kann die Angst vor Trennung von einem geliebten Menschen sein oder das Problem, einem anderen Menschen diese Trennung zumuten zu müssen. Eigene Krankheiten oder die von Angehörigen gehören genauso dazu. Es kann die traumatisierende Erfahrung sein, Zeuge von Gewalt an anderen oder selbst Opfer von Gewalt geworden zu sein. Es kann Schuld sein, die wir auf uns geladen haben, oder Leidtragender der Schuld von anderen zu sein.
Betrachten Sie einmal die Entwicklung Ihrer persönlichen Schlafstörung. Wie ist es dazu gekommen? Nutzen Sie dafür die Herangehensweise in der Entrümpelungsanweisung (S. 133f.). Da Schlafstörungen dazu neigen, chronisch zu werden, kann das auslösende Thema auch viele Jahre zurückliegen.
Diese auslösenden Situationen belasten uns als ganzen Menschen. Tagsüber nehmen wir unsere ungeklärten Themen, Probleme, unsere Baustellen als Belastung wahr, aber irgendwie müssen wir ja weitermachen, funktionieren und versuchen, mit der schwierigen Situation umzugehen. Wir haben...