[25|26] [26|27] Burcu Dogramaci
Filmkostüme für OUT OF AFRICA
Das von weißen Europäern kolonisierte Protektorat Britisch-Ostafrika, nach 1920 die britische Kolonie Kenia,1 ist der Schauplatz des Melodrams OUT OF AFRICA (JENSEITS VON AFRIKA, 1985), das die unglückliche Liebesgeschichte der dänischen Schriftstellerin und Farmerin Karen Blixen mit dem englischen Großwildjäger Denys Finch Hatton erzählt. Basierend auf Blixens gleichnamigen, autobiografisch gefärbten Erzählungen von 1937 konzentriert sich Sidney Pollacks Film auf die dort geschilderte Beziehung des Paares, das von den Schauspielern Meryl Streep und Robert Redford verkörpert wird. Pollack filmte an Originalschauplätzen in Ostafrika,2 das production design von Stephen Grimes und die Filmkostüme von Milena Canonero waren dem kolonialen Kenia in der Zeit kurz vor und nach dem Ersten Weltkrieg verpflichtet. Die Filmkostüme als bedeutende Träger und Mittler der filmischen Handlung und Ästhetik – »a critical element of the storytelling process«3 – trugen nicht unwesentlich zum Erfolg des Films bei. Canonero wurde für den Academy Award nominiert, insgesamt erhielt OUT OF AFRICA sieben dieser Auszeichnungen. Der Film löste eine umfassende Begeisterung für eine längst vergangene Epoche und ihre Moden aus – vermutlich auf ähnliche Weise wie der im selben Jahr uraufgeführte britische Kinofilm A ROOM WITH A VIEW (ZIMMER MIT AUSSICHT, 1985) von James Ivory, der die Mode und den Habitus reisender Engländer im Italien um 1900 in den Blick rückte. In beiden Filmen führten Filmkostüme, Frisuren und Accessoires zur Wiederentdeckung vergangener Mode- und Kleidungsstile. Doch wie konstituiert sich ein Kostümbild im Verhältnis zu historischen Moden, zumal wenn der Filmstoff wie bei OUT OF AFRICA und A ROOM WITH A VIEW in der Literatur präfiguriert ist?
Auf den Spuren von Milena Canoneros Filmkostümen für Pollacks Kinofilm widmen sich die folgenden Überlegungen den vielfältigen Überlagerungen von historischem Wissen und zeitgenössischen Neuschöpfungen im Kostümbild. Filmkostüme sind in ein dichtes Beziehungsnetz zwischen historischer Kleidung, aktueller Mode und Fiktion verstrickt. Das Kostüm für einen period film ist keine direkte Übersetzung [27|28]historischer Kostüme, die sich durch Fotografie, Malerei oder Literatur überliefern. Vielmehr collagiert die Kostümbildnerin für gewöhnlich in einem aufwendigen Entwurfsprozess verschiedene Quellen und Ideen, um sie letztlich in Bezug zum Film und zu seiner Dramaturgie zu setzen. Filmkostüme werden dafür geschaffen, gefilmt zu werden, das heißt der Werkprozess wird von einer mehrfachen Übersetzung vom Zwei- ins Dreidimensionale und zurück in die Zweidimensionalität begleitet. Aus einer Ideensammlung, die sich aus Zeitschriftenausschnitten, Lexikoneinträgen, Kostümhandbüchern oder privaten Fotografien generieren kann,4 wird ein gezeichneter Entwurf, der anschließend in ein genähtes Kleidungsstück übersetzt wird. Dieses wird dann am Körper der Schauspieler verlebendigt und von einer Kamera gefilmt. Diese Konzeption des Kostüms auf seine filmische Wirkung ist von großer Bedeutung. Später kann das Filmkostüm Einfluss auf die zeitgenössische Mode entwickeln, ebenso wie die Idee zu einem Kostümbild von Moden inspiriert sein kann. Diese vielfältigen Verflechtungen zwischen Mode, Kulturgeschichte und Film wie auch zwischen den Medien der Kunst (Zeichnung, Collage, Kostüm, Film) sollten bei einer Auseinandersetzung mit Filmkostümen bedacht werden. Die Entwürfe von Milena Canonero für OUT OF AFRICA konstruieren ein imaginäres, vestimentäres, koloniales Afrika, das auf einer Synthese von historischen Kostümen und zeitgenössischen Inventionen beruht.
Für das Folgende wird die These formuliert, dass Filmkostüme in historischen Filmen keine Kopien originaler Vorbilder sind. Das Gefundene und Recherchierte wird vielmehr in einem komplexen Prozess der vielschichtigen Übersetzung und Umformung zu etwas Neuem. Dennoch beruhte der Erfolg von OUT OF AFRICA und die weite Rezeption bis in die zeitgenössische Mode nicht zuletzt auf dem als wahrhaftig und atmosphärisch richtig wahrgenommenen Setting – ebenso wie Pollacks Film als vermeintlich authentische Blixen-Biografie rezipiert wurde.5
I. Ein Film stoff und sein Kostüm bild: Karen Blixens Out of Africa
OUT OF AFRICA geht zwar wesentlich auf einen in dänischer und englischer Fassung geschriebenen Erzählband von Karen Blixen zurück, die unter diesem und anderen Namen – Tania Blixen oder Isak Dinesen – publizierte. Sie schrieb die Erzählungen nach der Rückkehr von ihrem 17-jährigen Aufenthalt in Ostafrika in ihrer dänischen Heimat, wobei sie [28|29]teilweise professionelle Übersetzungen des Manuskripts in Auftrag gab.6 Die dänische Fassung Den Afrikanske Farm erschien 1937, die englische Fassung Out of Africa ein Jahr später.7 Für die Verfilmung war jedoch vor allem die Blixen-Biografie Isak Dinesen. The Life of a Storyteller von Judith Thurman aus dem Jahr 1982 grundlegend.8 Dieser Orientierung an einer Biografie mögen die komplexe Erzählstruktur wie auch die vielschichtigen Narrative und Schwerpunkte von Out of Africa geschuldet sein – lange Zeit galt Blixens Werk als nicht verfilmbar.9 Blixen ist in ihrem Buch Erzählerin und Protagonistin in einer Person. Der erste Satz im Roman betont die Rückschau und den Ort der Handlung: »I had a farm in Africa, at the foot of the Ngong Hills.«10 Dieser schlichte Satz markiert die Rückschau, den Verlust des Besitztums, ebenso wie er das Bild Afrikas aufruft und damit auf kollektive Imaginationen eines kolonisierten Kontinents und exotischen Fremden verweist.11 Der Film begleitet die Schriftstellerin 1914 bei ihrer Ankunft in Britisch-Ostafrika, wo sie den Zwillingsbruder ihres Geliebten heiratet, um mit ihm eine Kaffeefarm zu bewirtschaften. Das schwere Gepäck enthält Haushaltsartikel aus der Heimat, darunter auch dänisches Porzellan und Möbel: Blixen entwirft sich ihr zukünftiges Zuhause als Kolonie in der Kolonie; sie selbst ist die Andere der Anderen, weder gehört sie zu den britischen Kolonisatoren – Zutritt zum Club ist ihr als Frau verwehrt –, noch ist sie Teil der nativen ostafrikanischen Bevölkerung. Ohne Unterstützung ihres unzuverlässigen und untreuen Ehemannes versucht Blixen, in unwirtlichen Höhen eine Kaffeeplantage zu etablieren. Sie kämpft gegen Vorurteile und übersteht Anfeindungen bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, denn Dänemark scheint den Engländern ein möglicher Verbündeter der Deutschen zu sein. Sie nähert sich emotional den für sie tätigen Arbeitern an, ihre Affäre mit dem musischen Großwildjäger Denys Finch Hatton endet in einer Katastrophe, da er bei einem Flug abstürzt. Auch die Farm kann nach vielen Jahren nicht mehr bewirtschaftet werden. Karen Blixen verlässt Afrika. Die Verfilmung dramatisiert, verkürzt zeitlich Entferntes und konzentriert sich vor allem im zweiten Teil auf die Liebesgeschichte, die in Blixens Erzählungen ein Leitthema neben anderen ist.
Im Film übernimmt die Kleidung zunächst eine Funktion der gesellschaftlichen, kulturellen und ethnischen Distinktion: Das Weiß der Blusen, die Karen Blixen trägt, die streng gebundene Krawatte um ihren Hals und die hellen Kleider stehen im Kontrast zu der traditionellen Kleidung der nativen Bewohner, die auf den Feldern der Farm arbeiten oder die Blixen in ihren Dörfern aufsucht.12 Fremd, aber ungleich stolzer und kämpferisch werden im Film die Massai präsentiert, deren Körperhaltung und Körperschmuck an historischen Aufnahmen wie W. D. Youngs Fotografien aus dem frühen 20. Jahrhundert orientiert zu sein scheinen.13 Der Film arbeitet mit visuellen Antagonismen und der trennscharfen Abgrenzung zwischen nativer Kleidung und europäischer Kolonialmode. Es ist indes schwer vorstellbar, dass in den 1910er Jahren, nach Jahrhunderten des Kontakts und wirtschaftlichen Austauschs zwischen Europäern und Afrikanern, die Kleidung der Nativen noch derart rein und von Einflüssen unberührt war, wie sie zumindest in der ersten Filmhälfte inszeniert wird. Denn eigentlich bestimmten auch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Praktiken des Samplings und Collagierens die Kleidung der afrikanischen Bevölkerung: Importierte neue und gebrauchte europäische Textilien wurden mit traditionellen Kleidungsstücken kombiniert.14 Doch die im Film durch Kleidung markierte Differenz ist ein wichtiges dramaturgisches Mittel, das »fremd« und »eigen«, »Afrika« und »Europa« als Kategorien definiert – und überdies ein Dazwischen anbietet. Die Kleidung der Bediensteten, die Zugang zum Haus gefunden haben, wirkt hybrid: So serviert der Diener in weißen Handschuhen, weil es seine Herrin so möchte – doch behindern ihn diese bei der Arbeit. Prozesse der Akkulturation sind jedoch in beide Richtungen zu verfolgen: Während Blixen ihre Angestellten durch Eingriffe in ihr Erscheinungsbild europäisiert und zivilisiert, wandern zaghaft textile Versatzstücke mit afrikanischer Referenz in die Kleidung Blixens. So trägt sie im weiteren Verlauf der Filmhandlung – sie ist inzwischen eine von ihrem untreuen Mann getrennte, auf sich selbst gestellte Besitzerin der Kaffeeplantage – ein gewebtes Tuch mit...