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Finnland im Zweiten Weltkrieg: Zwischen Winterkrieg, Waffenbrüderschaft und Neutralität

AutorBjörn Kohlsdorf, Harald Freter, Matthias Sühl
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl109 Seiten
ISBN9783656617242
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Schon 1939 trägt eine russische Offensive den Zweiten Weltkrieg nach Finnland. Das skandinavische Land gerät in eine isolierte und bedrohte Lage zwischen deutschen und sowjetischen Großmachtinteressen. Dieser Band analysiert Finnlands 'Sonderweg' im Zweiten Weltkrieg und stellt dessen geschichtliche Hintergründe dar. Welchen Handlungsspielraum hatte Finnland tatsächlich im Verlauf des Krieges - und wie konnte es nach Kriegsende seine Unabhängigkeit wahren? Aus dem Inhalt: Der Kampf um Karelien Kriegsverlauf in Finnland: Winterkrieg, Fortsetzungskrieg, Lapplandkrieg Finnland im Spannungsfeld deutscher und sowjetischer Bestrebungen Finnische Außen- und Neutralitätspolitik am Vorabend des Zweiten Weltkriegs Die Finnlandpolitik Hitlers und die deutsch-finnischen Beziehungen

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Leseprobe

Interessenlage der beteiligten Mächte bezüglich Finnland


Finnlands Interessen nach Erstem Weltkrieg, Bürgerkrieg und Ostkriegszügen


Im Zuge der Oktoberrevolution, der Machtübernahme der Bolschewiki und des beginnenden russischen Bürgerkrieges erklärte Finnland, das seit 1809 als Großfürstentum zum Zarenreich gehörte[2], am 6. Dezember 1917 seine Unabhängigkeit. Diese wurde im Januar 1918 auch von Lenin anerkannt, der in der finnischen Selbständigkeit keine Bedrohung der sowjetischen Herrschaft sah. Es folgte die Anerkennung durch die skandinavischen Nachbarstaaten, Deutschland und Frankreich. (Lehmann, 1989, S. 4)

Kurz darauf kam es in Finnland zwischen Januar und Mai 1918 zum Bürgerkrieg zwischen sozialistischen („Rote Garden“) und konservativen („Weiße Garden“) Kräften. Dabei wurden die „Roten Garden“ von noch in Finnland stationierten revolutionären Soldaten der russischen Armee unterstützt. Insofern ergab sich eine Verflechtung mit dem beginnenden russischen Bürgerkrieg. Letztlich gelang es den bürgerlichen Kräften unter Führung von Carl Gustav Mannerheim, mit deutscher Hilfe den Krieg für sich zu entscheiden[3]. Wegen der Verflechtung mit dem russischen Bürgerkrieg deuteten die Sieger diesen Krieg nicht in erster Linie als finnischen Bürgerkrieg, sondern als einen Freiheitskrieg gegen Russland („Unabhängigkeitskrieg“). Deshalb blieben die Beziehungen zwischen Finnland und der Sowjetunion in den folgenden Jahren weiter spannungsreich. (vgl. Bohn, 2005, S. 206ff.). Zwischen 1918 und 1920 versuchten halboffizielle finnische Verbände in mehreren sogenannten Ostkriegszügen erfolglos, die sowjetischen Teile Kareliens[4] an Finnland anzuschließen.

Mit dem Frieden von Dorpat (Tartu) wurden schließlich 1920 die Feindseligkeiten beendet. Der Vertrag legte im Wesentlichen die Grenzen des zaristischen Großfürstentums Finnland als Grenze des nunmehr unabhängigen Finnland fest. Mit Petsamo (russisch: Petschenga) erhielt Finnland zudem einen eisfreien Hafen am Eismeer, gab aber Ansprüche auf die Kreise Repola und Porajärvi in Ostkarelien auf, die es 1918 bzw. 1919 seinem Gebiet angeschlossen hatte. Die zwischen Finnland, Schweden und Russland umstrittenen Ålandinseln am Eingang des Finnischen Meerbusens wurden vom Völkerbund Finnland zugesprochen, jedoch demilitarisiert (Lehmann, 1989, S. 14f., Bohn, 2005, S. 213) (siehe Karte 1).

Karte 1. Finnland und Russland nach dem Frieden von Dorpat (1920) (aus: Wikipedia, Finnische Ostkriegszüge)

Die territorialen Regelungen des Friedens von Dorpat waren die Ausgangslage für die weitere Entwicklung der finnischen, sowjetischen und deutschen Interessen.

Die finnische Interessenlage bestand insbesondere aus dem Wunsch nach Sicherheit gegenüber der Sowjetunion. Das betraf sowohl die territoriale Integrität als auch den Fortbestand der demokratischen und marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung. „Der große östliche Nachbar galt gleichermaßen als Gefahr für das kapitalistische System wie für die nationale Selbständigkeit“ (Menger, 1988, S. 17).

Vor diesem Hintergrund wurden von finnischer Seite vor dem Krieg unterschiedliche Strategien verfolgt:

  • Aufbau guter Beziehungen zu Deutschland
  • Politik der „Skandinavischen Neutralität“
  • Befriedung des Verhältnisses zur Sowjetunion

Nachdem in den 1920er und 1930er-Jahren eine betont deutschfreundliche Stimmung vorherrschte (s.u.), kam es 1936/37 in Finnland zu einem Regierungswechsel. Ziel der finnischen Außenpolitik unter dem neuen Präsidenten Kallio, Ministerpräsident Cajander und Außenminister Holsti war eine Zusammenarbeit mit dem Völkerbund, namentlich Großbritannien und Frankreich, und mit den skandinavischen Staaten und eine Entspannung des Verhältnisses zur Sowjetunion. (Menger, 1988, S. 37; Lehmann, 1989, S. 11).

Eine Orientierung der Gesamt- und Außenpolitik auf die skandinavischen Staaten, vor allem Schweden, sollte einen Ausweg aus dem sicherheitspolitischen Dilemma zwischen Deutschland und der Sowjetunion bieten. Konkretere Absprachen über eine solche „skandinavische Neutralität“ scheiterten aber an der reservierten Haltung Schwedens (Schweitzer, 1993) und der mangelnden Bereitschaft zu einem „länderübergreifenden militärischen Vorgehen in unterschiedlichen geographischen Räumen“ (Lehmann, 1989, S. 9).

Vor diesem Hintergrund hatte sich Finnland weitgehend allein im machtpolitischen Spannungsfeld zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion zu orientieren. Hierauf wird in den beiden folgenden Abschnitten eingegangen.

Finnisch-Deutsche Zusammenarbeit vor dem Krieg


Insgesamt war in den 1920er und 1930er Jahren in Finnland eine antisowjetische und prodeutsche Stimmung tonangebend (Lehmann, 1989, S. 6ff.) Dies führte zu einer intensiven finnisch-deutschen Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet. Deutschland wurde ab 1921 zum wichtigsten Importland für Finnland (Menger, 1989, S. 17). Dies setzte sich auch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland fort, auch wenn es in Finnland kaum Befürworter der Nationalsozialisten gab.

Menger (1988) gliedert die Beziehungen zwischen Finnland und dem nationalsozialistischen Deutschland in zwei Phasen: die Phase der traditionellen Freundschaftlichkeit (1933-1936) und die Phase deutscher Aktivitäten gegen einen finnischen Kurswechsel (1937 – 1939).

In der ersten Phase, die vom deutschfreundlichen Präsidenten Svinhufvud, Ministerpräsident Kallio und Außenminister Hackzell auf finnischer Seite bestimmt wurde, wurde „Deutschland als stärkster Garant finnischer Unabhängigkeit“ (Menger, 1988, S. 29) gesehen, die Sowjetunion hingegen als deren größter Gegner. Deutschland konnte umfangreiche wehrwirtschaftliche Interessen mit finnischen Rohstofflieferungen (Kupfer, Eisen und Nickel aus der Petsamoregion, siehe Menger, 1988, S. 25 und S. 69) befriedigen.

Finnland wurde von Anfang an in die deutschen Kriegsplanungen als „antisowjetischer Brückenkopf“ (Menger, 1988, S. 35) bzw. als „Flankenpartner, Aufmarsch- und Nachschubbasis“ (Menger, 1988, S. 79) einbezogen. Es kam zu einer noch intensiveren Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet (Lehmann, 1989, S: 6ff.). Die einzige „Gefahr“ wurde in dieser Seite deutscherseits in einer Annäherung Finnlands an Großbritannien gesehen (Menger, 1988, S. 35).

Hinsichtlich der deutschen Interessen an Finnland ist also mit Salewski (1979) festzustellen, dass

  • Finnland für Deutschland Hauptlieferant kriegswichtiger Rohstoffe war,
  • Deutschland strategische Interessen im Ostseeraum und im Nordpolarmeer verfolgte,
  • Deutschland die Gefahr englisch-französischer Interventionen in Nordeuropa abwenden wollte.

Diese Interessen waren durchaus teilweise gemeinsame, da Finnland von Deutschland die Garantie des politischen Status Quo erwartete und in Deutschland einen wichtigen Abnehmer seiner Rohstoffe, aber auch Lieferanten von Lebensmitteln und Waffen sah. Während Deutschland Finnland in das eigene Lager für den Angriffskrieg gegen die Sowjetunion ziehen wollte, erhoffte sich Finnland durch die deutsche Unterstützung eine mäßigende Wirkung auf die Sowjetunion.

Sowjetische Interessen an Finnland


Von russischer Seite wurde Finnland seit jeher als Gefahr für die Sicherheit gesehen. Schon Peter der Große wird mit den Worten „Russland ist erst dann sicher, wenn seine Grenzen am Bottnischen Meerbusen liegen“ zitiert (Lehmann, 1989, S. 3). Auch seitens der Sowjetunion wurde Finnland als strategisch wichtig betrachtet. So galten der Finnische Meerbusen und die Küste als potentielles Einfallstor zur zweitgrößten Stadt der Sowjetunion, Leningrad. Für den Fall eines Landkrieges sah die sowjetische Führung den finnischen Teil Kareliens als mögliches Aufmarschgebiet für einen Angriff gegen Leningrad ebenso wie das gesamte finnische Territorium als mögliche Basis von Luftangriffen auf sowjetisches Gebiet.

Vor diesem Hintergrund erfolgten sowjetische Forderungen an Finnland, so im April 1938 nach Garantien, dass Finnland Deutschland bei einem Krieg gegen die Sowjetunion nicht unterstützen werde (Mannerheim, 1952, S. 322; Lehmann, 1989, S.10). Hierzu wäre Finnland unter der Voraussetzung der Garantie seiner territorialen Integrität zwar bereit gewesen, nicht jedoch zur langfristigen Verpachtung von Inseln im Finnischen Meerbusen oder ersatzweise eines Landgebietes nördlich des Ladogasees an die Sowjetunion zur Errichtung militärischer Stützpunkte (Mannerheim, 1952, S. 322ff.).

Zwischenzeitlich kamen die Sowjetunion und das nationalsozialistische Deutschland im geheimen Zusatzprotokoll zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23.8.1939[5] (Hofer, 1957, S. 230f.) zu einer Regelung ihrer wechselseitigen Interessensphären, wonach Finnland der Interessensphäre der Sowjetunion zugeordnet wurde[6].

Im Oktober 1939, mit dem Hitler-Stalin-Pakt im Rücken forderte die Sowjetunion von Finnland einen „Beistandspakt“, der aber auch konkrete territoriale Forderungen[7] enthielt (Mannerheim, 1952, S. 335). Angesichts der...

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