Kindheit in einer Marineoffiziersfamilie
Francisco Franco Bahamonde erblickte am 4. Dezember 1892 in der an der zerklüfteten Küste Galiciens gelegenen Garnisonsstadt Ferrol, die später zu Ehren dieses Sohnes der Stadt den Beinamen » del Caudillo« erhalten würde, das Licht der Welt. Die fjordartige Bucht war ein aufgrund der geographischen Lage und natürlichen Gegebenheiten herausragender Standort der spanischen Kriegsmarine. Der Flottenstützpunkt und die dazu gehörige Schiffswerft bestimmten das Leben in der damals auf dem Landweg nur schwer zugänglichen Kleinstadt. Franco war Spross einer Marineoffiziersfamilie, die seit Generationen für die Kriegsmarine tätig gewesen war; sein Vater war in der Intendantur tätig. Das weitgehend geschlossene militärische Milieu, in dem er aufwuchs, hat ihn auch eigenen Angaben zufolge tief geprägt. In diesem Sinne wird gerne herausgestrichen, dass Franco zeitlebens dem Meer eng verbunden blieb, mit seiner Jacht Azor leidenschaftlich der Sportfischerei frönte und vor allem als Diktator besonders gerne in der prachtvollen Uniform eines Admirals in Erscheinung trat.
Ganz in diesem Sinne war es sein ursprünglicher Berufswunsch, ebenfalls die Marineoffizierslaufbahn einzuschlagen. Doch zerschlug sich das Vorhaben in der Folge des Ereignisses des Jahres 1898, das das nationale Selbstverständnis tief erschütterte: Der chancenlos geführte Krieg gegen die machtvoll aufstrebenden Vereinigten Staaten endete mit dem Verlust von Kuba, Puerto Rico, der Philippinen sowie der weitläufigen Archipele der Mariannen und Karolinen, der letzten Reste des einst weltumspannenden Kolonialreiches. Diese Niederlage führte schmerzhaft vor Augen, dass Spanien letztlich nur noch in der Wunschvorstellung gelebt hatte, nach wie vor eine imperiale Macht zu sein. Nun wurde über den Zustand der Nation schonungslos deutlich, was Intellektuelle schon länger bitter beklagt hatten: in einer Selbstbeschau erstarrt und unfähig zu sein, den Anschluss an die geistigen Strömungen und die wirtschaftliche Innovationskraft Europas zu finden. Aus der Erfahrung des verlorenen Krieges erwuchs die sogenannte Generation von 1898, die Politiker, Intellektuelle und Künstler vereinigte, welche sich einer geistigen und materiellen Erneuerung Spaniens verschrieben hatten und den gesellschaftlichen Diskurs in den krisengeschüttelten kommenden Jahrzehnten prägten. Während die einen eine Modernisierung und Europäisierung Spaniens forderten, sahen andere die Lösung in der Rückbesinnung auf die Werte eines verklärten kastilischen Idealbildes. Sozialistische und anarchistische Organisationen wiederum traten machtvoll auf die politische Bühne und forderten in Wort, Tat und nicht zuletzt mit dem Einsatz von Gewalt einen Neuanfang auf der Grundlage der eigenen Gesellschaftsmodelle. Im Baskenland und vor allem in Katalonien verstärkte sich wiederum ein eigenständiges nationales Bewusstsein, das immer stärker auf Distanz und Konfrontation zum zentralistischen Verwaltungsstaat ging. Dem traten wiederum jene entgegen, denen die Einheit der Nation innerhalb der katholischen Tradition heilig war. Und schließlich begehrte auch das städtische und unternehmerische Bürgertum gegen die unverändert dominierenden Interessen des Großgrundbesitzes auf.
Franco selbst war sicherlich zu jung, um die Dimension des Ereignisses im Moment des Geschehens zu begreifen. Gerade als Spross einer Offiziersfamilie im abgeschotteten und auf sich bezogenen Milieu einer Garnisonsstadt der Kriegsmarine erlebte er jedoch, wie er in späteren Jahren rückblickend betonte,1 die Nachwirkungen der als Desaster in die Geschichtsbücher eingegangenen Niederlage besonders intensiv: Ferrol war nämlich der Heimathafen eines Teiles der Flotte gewesen, die nun auf dem Meeresgrund lag, und der Krieg hatte damit das Leben vieler dort ansässiger Familien ganz unmittelbar zerrissen. Für Franco hatte der Verlust der überseeischen Besitzungen aber auch unmittelbare persönliche Konsequenzen, denn damit war der Personalbedarf für die Kriegsmarine schlagartig gesunken; entsprechend wurde die Aufnahme neuer Kadetten drastisch reduziert. In der Folge blieb Franco, anders als seinem älteren Bruder Nicolás, dem der Eintritt gelungen war, die Marineoffizierslaufbahn verwehrt.
In den Streitkräften, die durch die Niederlage im eigenen Selbstverständnis tief getroffen waren, zeigte sich eine große Verbitterung. Dort herrschte die Überzeugung vor, dass die Armee und insbesondere die Kriegsmarine mit einer völlig unzureichenden Ausrüstung in den Krieg geschickt worden seien und nun als Sündenbock herzuhalten hätten. In Offizierskreisen wurden dagegen die Politik und vor allem die bestehende liberale Gesellschaftsordnung sowie eine allein an kurzsichtigen Partikularinteressen orientierte Politikerkaste als Ursache für die Niederlage und den Verlust der Überseeterritorien ausgemacht. Der Liberalismus habe sukzessive das spanische Imperium ruiniert und bedrohe die Nation in ihren Grundfesten. Demgegenüber verstand ich das Offizierskorps als einziger patriotischen Belangen und dem nationalen Ehrgefühl verpflichteter Teil der Gesellschaft – eine Vorstellung, die besonders bildhaft in Francos Familiensaga Raza zum Ausdruck kommt.
Das mit der Niederlage tief getroffene Ehrgefühl der Streitkräfte entlud sich im Jahr 1905 an einer aus heutiger Sicht harmlosen, aber symptomatischen und folgenreichen Begebenheit. Die katalanische Satirezeitschrift ¡Cu-Cut! hatte vor dem Hintergrund des Sieges eines katalanischen nationalistischen Wahlbündnisses auf kommunaler Ebene eine Karikatur veröffentlicht, in der ein spanischer Offizier seine Verwunderung über die zu einer Veranstaltung strömenden Menschenmassen äußert. Ein Passant entgegnet ihm, es handle sich um eine Festveranstaltung zur Feier des Sieges, worauf wiederum der Offizier feststellt, dass es sich ja dann um Zivilisten handeln müsse. Als Reaktion auf diese auf die Niederlage von 1898 gemünzte Provokation stürmten und verwüsteten in Barcelona stationierte Offiziere die Redaktionsräume zweier katalanischer Zeitungen.
Das Madrider politische Establishment duldete wiederum nicht nur die Übergriffe, sondern beschloss in einer Aufwallung verletzten Nationalstolzes ein Gesetz, das der Militärgerichtsbarkeit jenseits rein innermilitärischer Angelegenheiten auch die Zuständigkeit für Delikte übertrug, die sich gegen die Ehre der Streitkräfte und darüber hinaus der spanischen Nation richteten. Damit wurden die Streitkräfte zur rechtlichen und vor allem moralischen Instanz in Fragen des nationalen Empfindens erhoben. Für Zeitgenossen, wie dem Philosophen Miguel de Unamuno, war in einer Zeit grundlegender sozialer Veränderungen das Eingreifen des Militärs zur »Errettung des Vaterlandes« lediglich eine Frage der Zeit.
Ein Blick auf die frühen Jahre im Leben Francos ist aber nicht nur unter der Perspektive einer Generation von Interesse, für die diese als historischer Wendepunkt in die Geschichte eingegangene Katastrophe von 1898 tiefe Spuren hinterlassen hat. Die Kindheit Francos wird in Biographien darüber hinaus gerne beleuchtet, um sich der Persönlichkeit und dem Charakter zu nähern, oder, präziser formuliert, um psychologische Erklärungsmuster zu finden, die das spätere Verhalten als Diktator plausibilisieren.2 In diesem Sinne erweisen sich Kindheitsbegebenheiten als sehr illustrativ und entfalten eine hohe Suggestivkraft. Eine gewisse Problematik bergen solche Darstellungen aus dem familiären Umfeld, verfolgen sie doch einen ex-post Betrachtungsansatz, der das Wahrnehmungsfeld unwillkürlich einengt. So beruhen die meist anekdotischen Begebenheiten im Wesentlichen auf Erinnerungen von Familienangehörigen, die im Regelfall erst nach dem Tod Francos verfasst worden sind, damit auf dessen Gesamtleben ausgerichtet sind und entsprechend nicht zuletzt zur Bestätigung vorab bestandener Zuschreibungen dienen. Zudem erfolgt die Wahrnehmung und Zuweisung von Bedeutung im Sinne von Wilhelm Dilthey unwillkürlich auf der Grundlage des Verlaufs der eigenen Biographie und des persönlichen Verhältnisses zu Franco.
Besonders gerne wird eine Begebenheit nacherzählt, wonach Francos Schwester Pilar dem achtjährigen Bruder eine glühende Nadel auf das Handgelenk gepresst habe. Dieser habe die Zähne zusammengepresst und dazu lediglich gesagt: »Verdammt noch mal! Verbranntes Fleisch stinkt abscheulich!«3 Mit dieser Anekdote wird auf Francos Fähigkeit der Selbstkontrolle sowie auf seine Gefühlskälte verwiesen, von der dem späteren Diktator nahe stehende Personen übereinstimmend berichten. Diese Kälte, von der es hieß, dass sie sogar die Seele gefrieren lasse, war legendär;4 sie bekam letztlich jeder im Umfeld Francos zu spüren.
Zur...