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Sodomiten, Tribaden, Lesbierinnen
Bereits im Mittelalter und der frühen Neuzeit wurde über weibliche Homosexualität gerätselt. Da in einer phallozentrischen Gesellschaft Sexualität nur aus einem männlichem Blickwinkel möglich schien, war es die Tribade, der Hermaphrodit, die männliche Frau, die des gleichgeschlechtlichen Verkehrs verdächtigt wurde. Ihr konnte am ehesten angelastet werden, worum es im männlichen Selbstverständnis ging: nämlich um Penetration – entweder durch verschiedene Gegenstände oder durch eine abnorme körperliche Ausstattung.
Der phallozentrische Blick vergangener Jahrhunderte richtete sich nicht nur auf sexuelle Praktiken, sondern auch auf den Körper der Frau. So etwa sah man in ihren Geschlechtsorganen die nach innen gekehrten Organe des Mannes: Die Gebärmutter oder auch die Vagina entsprachen dem Penis, die Eileiter den Hoden. Auch produzierte sie in dieser Vorstellung so wie der Mann einen eigenen Samen, der zur Empfängnis beitrug. Die innere Lage der weiblichen Genitalien – so meinte bereits der griechisch-römische Arzt Galen (vgl. Schmölzer, Die abgeschaffte Mutter, 2005) – sei auf eine gehemmte Entwicklung zurückzuführen, sie seien sozusagen unvollkommen, während der Mann die vollkommene Geschlechtlichkeit besitze. Diese Ansicht wurde bis Mitte des 18. Jahrhunderts vertreten, beeinflusste jedoch die allgemeine Vorstellung von der „sexuellen Gier des Weibes“ nicht. Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, als Frauen ihre Sexualität abgesprochen wurde, galten sie in der frühen Neuzeit und auch später noch als wollüstig, sexuell unersättlich und waren deshalb Angst einjagend. Ihre gefährliche Sexualität war einer der Gründe für die Hexenverfolgungen, denn ihre übergroße „Begierde“ – wie im „Hexenhammer“ nachzulesen ist – konnte von keinem sterblichen Mann, sondern nur von „den Dämonen“ (= Teufel) gestillt werden. 1)
In den ersten pornografischen Schriften des 17. Jahrhunderts finden sich auch Sexszenen zwischen Frauen, dabei vornehmlich zwischen Prostituierten, Darstellungen von verheirateten Frauen, die junge Mädchen verführen und Nonnen, die Masturbation und Flagellation betreiben.
Es schien daher selbstverständlich, dass die Strafbestimmungen für die so genannte Sodomie im späten Mittelalter ebenso wie in der Frühen Neuzeit Frauen in gleicher Weise wie Männer trafen. Unter Sodomie fielen alle sexuellen Akte, die nicht der Fortpflanzung dienten: Selbstbefriedigung, Anal- oder Oralverkehr, Sex mit Tieren, Leichen, dem Teufel und gleichgeschlechtliche Handlungen. Sie galt als schweres Verbrechen und wurde meist mit dem Tod bestraft. Die „Peinliche Gerichtsordnung“ Karls V. etwa, die berühmte „Constitutio Criminals Carolina“ aus dem Jahr 1532, verfügte für „unkeusch treiben“ von „mann mit mann, weib mit weib“ die Todesstrafe durch das Feuer.
Erst im Zuge der Aufklärung wurden diese harten Strafen etwas „abgemildert“, der „Codex iuris bavarici criminalis“ von 1751 sieht den Tod durch Enthauptung vor, was als leichtere und ehrenvollere Todesart galt. Die österreichische „Constitution Criminalis Theresiana“ von 1768 hingegen bestimmte immer noch den Flammentod für „Personen einerley Geschlechts, als Mann mit Mann, Weib mit Weib, oder auch Weib mit Mann wider die Ordnung der Natur Unzucht getrieben wird“. 2) Erst Joseph II. erließ 1787 ein neues Gesetz, in dem „Entwürdigung der menschlichen Natur“ durch „fleischliche Begierden nach dem eigenen Geschlecht“ zu einem „politischen Verbrechen“ erklärt wurde, das mit Kerkerhaft, Zwangsarbeit und Prügel bestraft wurde. Auch Friedrich der Große, der selbst homosexuell gewesen sein soll, ersetzte im „Allgemeinen Preußischen Landrecht“ 1794 die Todesstrafe für Sodomie durch Kerkerhaft, Prügel und Verbannung auf Lebenszeit. 3)
Die praktische Auswirkung dieser Gesetze ist bis heute unklar, es gibt kaum Berichte über Frauen, die wegen Sodomie vor Gericht standen. Eine deutlich mildere Beurteilung als Männer erfuhren sie jedoch erst im 19. Jahrhundert, als ihnen sexuelle Lust abgesprochen wurde und man sie damit derartiger Vergehen für unfähig erklärte. Das „Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten“ von 1851 beschränkte zum ersten Mal „widernatürliche Unzucht“ auf „Personen männlichen Geschlechts“. In Österreich hingegen blieb die Strafverfolgung von Frauen aufrecht und wurde erst in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts aufgehoben.
Der männlichen Logik zufolge war es also das Mannweib, das am ehesten des Vergehens gleichgeschlechtlicher Handlungen fähig war. In den wenigen bekannten Prozessen ging es daher auch um Frauen, die sich als Männer ausgegeben, Frauen geheiratet und mit ihnen Sex gehabt hatten. Sie benutzten häufig Dildos aus Leder oder anderen Materialien oder waren mit einer übergroßen Klitoris ausgestattet, die sie auf dieselbe Weise wie Männer den Penis benutzten. Die von medizinischen Autoren des Mittelalters ignorierte Klitoris war im 16. Jahrhundert „wiederentdeckt“ worden, wobei man sich auf die griechische Tribade berief, deren große Klitoris als Penisersatz diente. Während ursprünglich der Gebrauch einer vergrößerten Klitoris lediglich Frauen aus fernen, als exotisch geltenden Kontinenten wie Asien und Afrika unterstellt wurde, tauchte die Tribade ab dem 17. Jahrhundert auch in europäischen Texten auf. Der italienische Rechtsgelehrte Lodovico Maria Sinistrari etwa behauptete, nur mit einer penisähnlichen Klitoris sei es Frauen möglich, miteinander zu verkehren, wobei die durch die Sünde der Masturbation überentwickelten Kitzler noch vergrößert würden, was den männlichen Gelehrten Angst einflößte. Überführte Tribaden, so die Folgerung, müssten hingerichtet werden. In England forderten im 18. Jahrhundert James Parsons und Robert James die Amputation einer angeblich zu großen Klitoris, um den sodomitischen Missbrauch zu verhindern. 4)
Der Schriftsteller Henry Estienne berichtet 1566 von einer als Mann verkleideten Frau, die 30 Jahre zuvor in Fontaine bei lebendigem Leib verbrannt wurde. Sie hatte sieben Jahre als Stallbursche gearbeitet, war dann Weinbauer gewesen, hatte schließlich eine Frau geheiratet und einen Dildo benutzt, „um die Aufgabe des Ehemannes nachzuahmen“. Auch Montaigne schreibt 1580 im „Journal de voyage“ von der Hinrichtung einer Transvestitin, die in Montirandet als Mann gelebt und eine Frau geheiratet hatte, wobei sie ebenfalls einen Dildo für den Geschlechtsverkehr benutzte. 5)
Strafwürdig war es auch, wenn Frauen als Männer auftraten, wenngleich es nicht unbedingt die Todesstrafe zur Folge hatte. Doch nahmen sie sich damit Rechte, die ausschließlich dem männlichen Geschlecht vorbehalten waren. So lange sie sich in ihre Geschlechterrolle fügten, Frauenkleider trugen und ein geschlechtsspezifisches Verhalten zeigten, blieben sie meist unbehelligt. Todeswürdig hingegen war der Gebrauch des Phallus – ob es sich um eine angeblich vergrößerte Klitoris oder aber um ein Instrument handelte.
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der phallische Vollzug ausschlaggebend für das Strafmaß. Unzucht zwischen Frauen war nur vorstellbar als Imitation des mann-weiblichen oder mann-männlichen Aktes.
Quellen zufolge gab es seit dem 16. Jahrhundert eine große Zahl von Frauen, die sich als Männer verkleideten und Frauen heirateten. 6) Sie übten einen männlichen Beruf aus, zogen in den Krieg, unternahmen ausgedehnte Reisen. Möglicherweise galt die allgemeine Aufmerksamkeit weniger anatomischen Feinheiten wie der Stimme oder den Gesichtszügen, sondern vor allem der Kleidung, der ein hoher Symbolwert zugesprochen wurde. Tatsache ist, dass Frauen oft jahrelang als Männer lebten, auch mit Frauen Sex hatten, bis durch irgendeinen Umstand ihr wahres Geschlecht bekannt wurde. Anzunehmen ist, dass nicht nur sexuelles Interesse an anderen Frauen so manche Frau dazu brachte, sich als Mann auszugeben, sondern auch die Lust am Abenteuer und die damit verbundene Freiheit, die Frauen verwehrt war.
Die ausführlichsten Dokumente entstammen den Prozessakten der Catharina Margaretha Linck, die 1721 in Halberstadt hingerichtet wurde. Auch bei ihr war Sodomie – begangen mit einem aus „Leder gemachten ausgestopfften Männlichen Glied“ – der Grund für die Hinrichtung.
Linck war in einem Waisenhaus aufgewachsen, tauschte nach einer Lehrzeit im Knopfmacher- und Kattundruckerhandwerk ihre Frauenkleider gegen Männerkleider und schloss sich einer christlichen Sekte an. Als Anastasius Lagrantinus Rosenstengel zog sie zwei Jahre betend und lehrend durch Deutschland, kämpfte anschließend sieben Jahre als Soldat in verschiedenen Armeen und heiratete schließlich in Halberstadt die zwanzigjährige Catharina Margaretha Mühlhahn. Deren Mutter allerdings...