3. Grundlagen der amerikanischen Handelspolitik
3.1. Aussagen der Verfassung
Die amerikanische Verfassung[31] gibt in ihrem ersten Artikel dem Kongress die ausschließliche Zuständigkeit für die Handelspolitik. In Abs. 8, S. 3 heißt es dazu: „The Congress shall have the power…to regulate commerce with foreign nations…”. Der Präsident hat zwar ein Vetorecht gegen alle Entscheidungen des Kongresses, das dieser aber mit 2/3-Mehrheit wieder zurückweisen kann (Art. 1, Abs. 7, S. 2); darüber hinaus sieht die Verfassung in der Handelspolitik keinerlei Eingriffsrechte der Exekutive vor. Die Verfassung ermächtigt den Präsidenten nicht, internationale Abkommen im Rahmen der Handelspolitik auszuhandeln.[32] In keinem anderen Bereich hat sie somit das Primat der Legislative so eindeutig festgelegt.[33]
3.2. Das Zollgesetz von 1930 und seine Folgen
Bis in die 1960er Jahre waren Zölle das grundlegende Instrument der Außenhandelspolitik.[34] Das Recht des Kongresses, Zölle festzulegen und den Handel zu regeln, macht ihn besonders anfällig für Protektionismus, also für eine Politik, die heimische Industrien schützt. Das Zollgesetz von 1930, besser bekannt als der nach seinen Initiatoren benannte „Smoot-Hawley-Act“, war das Produkt dieser Tendenz und der Beweis für die Entschlossenheit des Kongresses, die ihm von der Verfassung erteilte Macht auch zu nutzen. Im „Smoot-Hawley-Act“ legte der Kongress spezifische Zollregeln für über 20.000 Güter und Waren fest, die fast alle auf Zollerhöhungen hinaus liefen. Damit wurde die komplexeste und protektionistischste Zollstruktur eingeführt, die es in den USA jemals gab. Das Ergebnis war, dass Handelspartner als Maßnahme der Vergeltung ihrerseits die Zölle anhoben und in der Folge der Welthandel stagnierte (sog. „trade retaliation“). Das Gesetz war gerade vor dem Hintergrund der sich anbahnenden Großen Depression verheerend.[35] Importe in die USA fielen von 4,4 Milliarden Dollar im Jahr 1929 auf 1,3 Milliarden Dollar 1932, die Exporte sanken von 5,2 Milliarden auf 1,6 Milliarden Dollar im selben Zeitraum. Die damit verbundenen Exportverluste der anderen Nationen führten darüber hinaus dazu, dass diese ihre Schulden an die USA nicht mehr begleichen konnten.[36]
Der „Smoot-Hawley-Act“ war das letzte so umfassende allgemeine Zollgesetz, das der Kongress seitdem in Kraft gesetzt hat. Die dramatische wirtschaftliche Krise, die auch auf dieses Gesetz zurückgeführt wurde, zog ein rasches Umdenken in der Handelspolitik nach sich. Bereits 1934 wurde auf Initiative von Präsident Franklin Roosevelt ein neues Handelsgesetz verabschiedet, das in die umgekehrte Richtung zielte: Durch den „Reciprocal Trade Agreement Act“ (RTAA) von 1934 konnte der Kongress den Präsidenten autorisieren, bilaterale Abkommen mit anderen Staaten auf der Basis von Wechselseitigkeit (Reziprozität) auszuhandeln. Dabei konnte er jeden U.S. Zoll in einem vom Kongress festgelegten Rahmen reduzieren, ohne während oder nach den Verhandlungen den Kongress zu konsultieren oder seine Zustimmung zu benötigen. Die Möglichkeit zur Kontrolle bestand lediglich darin, dass die Autorisierung alle drei Jahre durch den Kongress erneuert werden musste.[37] 1945 hatten die USA bereits 32 dieser Abkommen geschlossen, in denen die Zölle um durchschnittlich 44 Prozent gesenkt wurden.[38] Das RTAA autorisierte den Präsidenten ebenso, multilaterale Handelsabkommen zu schließen, die der Kongress dann allerdings ratifizieren musste. Auf dieser Grundlage initiierten die USA 1947 die Verhandlungen zum GATT („General Agreement on Tariffs and Trade“), welches Richtlinien für nationale Handelspolitiken festlegte und die Basis für globale Verhandlungsrunden darstellte, in denen der Abbau von Handelshemmnissen beschlossen wurde.[39] Die Tatsache, dass zwischen 1931 und 1980 U.S. Zölle auf abgabepflichtige Güter von 60 Prozent auf 5,7 Prozent reduziert wurden, zeigt die Bedeutung des RTAA und des GATT.[40]
Mit dem RTAA delegierte der Kongress einen Teil seiner von der Verfassung vorgesehen Rechte an den Präsidenten und legte damit den Grundstein für eine Kompetenzverlagerung in der Handelspolitik zugunsten der Exekutive. Zölle als zentrales Element amerikanischer Handelspolitik waren nun Verhandlungssache des Präsidenten anstatt Gegenstand von Gesetzgebung („Bargaining Tariff“).[41] Dieser freiwillige Verzicht auf handelspolitische Macht nützte beiden Seiten: Der Kongress konnte zwar weiterhin protektionistische Forderungen formulieren, schützte sich aber vor dem Druck heimischer Industrien, die nun ihre Bemühungen auf den Präsidenten lenkten. Dem Präsidenten hingegen gab der RTAA maximale Glaubwürdigkeit in bilateralen Zollverhandlungen, weil er hier der Initiative oder der Zustimmung des Kongresses –im Gegensatz zu multilateralen Verhandlungen- nicht bedurfte.[42]
Der „Reciprocal Trade Agreement Act“ kann als Beginn der Ära des Freihandels in den USA bezeichnet werden.[43] Nach dem zweiten Weltkrieg verdoppelte sich der Anteil der USA an weltweiten Importen auf 36 Prozent. In der amerikanischen Gesellschaft herrschte Konsens darüber, dass Freihandel zu Wachstum und Wohlstand führt, und im Zusammenhang mit dem beginnenden Kalten Krieg und der Bipolarität zwischen freier Welt und Kommunismus wurde Freihandel so zur dominierenden wirtschaftspolitischen Ideologie in den USA.[44] Dieser Konsens umfasste nicht nur den Kongress und die beiden Parteien, sondern auch Wirtschaft und Arbeiter, die beide zunächst sichtbar von den Auswirkungen der Marktöffnung (beispielsweise durch niedrigere Preise) profitierten.[45] Die Zustimmung des Kongresses für die Verhandlungsrunden des GATT stand damit nie Frage. So lösten nach 1947 multilaterale Abkommen im Rahmen des GATT bilaterale Übereinkünfte als Grundlage amerikanischer Handelspolitik ab.[46]
3.3. „Fast-Track“: Das Handelsgesetz von 1974
Mit der Weiterentwicklung des Freihandels wurden jedoch zunehmend die Probleme der mit dem RTAA verbundenen Kompetenzverteilung deutlich: Weil spätestens während der fünften Verhandlungsrunde des GATT, der Kennedy-Runde (1964-1967), die Reduzierung der Zölle zwischen den Mitgliedstaaten weitgehend abgeschlossen wurde, konzentrierten sich die internationalen Verhandlungen vermehrt auf die Abschaffung nicht-tarifärer Handelshemmnisse wie Quoten, Subventionen oder Dumping.[47] Abkommen, die diese Bereiche der „Non-Tariff Trade Barriers“ (NTBs) umfassten, mussten –ebenso wie die früheren GATT-Verhandlungsrunden- vom Kongress ratifiziert werden. Im Gegensatz zu Verhandlungen über Zölle, bei denen es lediglich um deren prozentuale oder numerische Zurückführung geht, gestalten sich Verhandlungen über NTBs jedoch wesentlich komplexer und vielschichtiger, weil sie nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Produktionsprozesse verschiedenster Sektoren unmittelbar berühren.[48] Sie fördern daher auch den Wettstreit verschiedener Interessen und mithin ein gespaltenes Abstimmungsverhalten im Kongress. Die Folge war, dass die Gefahr der Nicht-Ratifizierung einzelner Bereiche eines Abkommens wuchs und sich die Verhandlungspartner nicht darauf verlassen konnten, dass das erreichte Verhandlungsergebnis in den USA auch tatsächlich die notwendige Mehrheit finden würde. Offenkundig wurde dieses Dilemma zum Ende der Kennedy-Runde, als Präsident Lyndon Johnson den GATT-Partnern zusagte, einer internationalen Anti-Dumping-Konvention beizutreten und der Kongress anschließend seine Zustimmung verweigerte.[49] Dieser Präzedenzfall stellte die Glaubwürdigkeit der U.S.-Regierung bei internationalen Verhandlungen im Bereich der Handelspolitik massiv in Frage.[50] Die Kompetenzverteilung in der Handelspolitik wurde daraufhin reformiert und mit dem Handelsgesetz von 1974 ein Verfahren eingeführt, das das Verhandlungsmandat der Exekutive auf internationaler Ebene wieder stärken sollte, ohne dem Kongress seine legislativen Kompetenzen gänzlich zu entziehen.
In diesem so genannten „Fast-Track“-Verfahren autorisiert der Kongress den Präsidenten, ein Handelsabkommen mit der Regierung eines oder mehrerer Staaten innerhalb von zwei Jahren auszuhandeln. Der Kongress muss dem Abkommen dann als Ganzes zustimmen oder es ablehnen und hat somit nicht die Möglichkeit, einzelne Bestandteile des Abkommens zu verändern. Mit dem „Omnibus Trade and Competitiveness Act“ von 1988 wurde das „Fast-Track“-Verfahren dahingehend erweitert, dass es auf Antrag des Präsidenten für weitere zwei Jahre verlängert werden kann. Der genaue Ablauf sieht vor, dass ein Drittstaat formell beim amerikanischen Präsidenten beantragt, ein Freihandelsabkommen auszuhandeln. Diesen Antrag leitet der Präsident dann an den Kongress weiter, der innerhalb von sechzig Sitzungstagen die Aufnahme von Verhandlungen autorisieren oder diese ablehnen muss. Diese Frist gilt auch für eine Verlängerung des „Fast-Track“-Verfahrens. Sowohl der Finanz- und Steuerausschuss des Repräsentantenhauses („Ways and Means Committee“) als auch der Finanzausschuss des Senates („Finance Committee“) haben dabei ein Vetorecht: Schon ihre Ablehnung...