Ich möchte Ihnen gern meine Geschichte erzählen. Es war einmal ein kluger und glücklicher Junge, der mit 21 Jahren zu einem fröhlichen, selbstbewussten und ausgeglichenen jungen Mann herangewachsen war. Dieser Typ war nicht ich.
Ich wurde 1970 in Singapur geboren. Damals war das winzige Singapur ein armes Entwicklungsland ohne Bodenschätze. Als ich 21 wurde, hatte sich Singapur zu einem reichen Land entwickelt mit einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Man sprach vom Wirtschaftswunder Singapur. Das Vermögen meiner Familie entwickelte sich parallel zum nationalen Wirtschaftswunder. Mein Vater hatte mit zehn Jahren sein Berufsleben als Straßenhändler begonnen, indem er seine Waren in den Straßen der City feilbot. Um der Armut zu entkommen, ging er wenige Jahre vor meiner Geburt zur Armee. In meiner Kindheit waren wir so arm, dass meine Mutter dazu überging, nur noch eineinhalb Mahlzeiten pro Tag zu essen, um das wenige Geld, das wir besaßen, zu sparen. Spulen wir nun 21 Jahre vor: Mein Vater hatte die Armee als hochdekorierter Offizier verlassen und sich zu einem reichen Unternehmensleiter entwickelt.
Im Alter von zwölf Jahren brachte ich mir in Eigenregie bei, einen Computer zu programmieren, was damals 1982 eine große Sache war. Mit 15 gewann ich den ersten von vielen nationalen Programmierpreisen. Beinahe 15 Jahre später zog ich mir dank meiner Programmierfähigkeiten im Alter von 29 Jahren eine der ersten Ingenieursstellen bei einem kleinen Start-up-Unternehmen namens Google an Land (das seit meinem Eintritt im Jahr 2000 doch noch ein wenig gewachsen ist). Bei Google war ich so bekannt für meine Fröhlichkeit und meinen Humor, dass meine Stellenbezeichnung „Jolly Good Fellow (which nobody can deny)” lautete. Es begann alles als Scherz, haftete mir dann aber weiter an, nachdem es erst einmal auf der Titelseite der New York Times1 erschienen war.
Ich entwickelte aber bei Google auch etwas, was für einen Ingenieur sehr ungewöhnlich sein dürfte: Ich war maßgeblich an der Bildung eines achtsamkeitsbasierten Seminars über emotionale Intelligenz beteiligt, das Search Inside Yourself hieß. Dieses Programm entwickelte sich bei Google zum beliebtesten Seminar, und das Thema wurde unter dem gleichen Namen Gegenstand eines internationalen Bestsellers, der vom Dalai-Lama und Jimmy Carter, dem ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, empfohlen wurde.
Beinahe über Nacht wurde ich zum anerkannten Experten für Themen, die normalerweise mit einem nerdigen Ingenieur asiatischer Herkunft nicht in Verbindung gebracht werden: emotionale Intelligenz, Achtsamkeit, Mitgefühl und innere Freude. Im Weißen Haus hielt ich einen Vortrag über die Entwicklung von Güte und bei den Vereinten Nationen einen TED-Talk über Mitgefühl2. 60 Minutes interviewte mich für eine Story zum Thema Achtsamkeit3, CNN veröffentlichte eine Geschichte über meinen „Glücksalgorithmus”4.
Wenn man diese Geschichte liest, entsteht der Eindruck, ich sei schon immer glücklich gewesen. Nun, das stimmt nicht. Tatsächlich befand ich mich den größten Teil meiner Kindheit und Jugend am falschen Ende des Glücksspektrums. Bis zu meinem 21. Lebensjahr war ich regelrecht unglücklich. Kummer war mein ständiger Begleiter, und dieser ständige Begleiter verströmte einen Geruch, als ob er seit der Präsidentschaft von Nixon nicht mehr geduscht hätte.
Ich bin nicht einfach von allein glücklich geworden – Glücklichsein war eine Fähigkeit, die ich erst erlernen musste.
DIE FÄHIGKEIT, GLÜCKLICH ZU SEIN, LÄSST SICH EXTREM GUT TRAINIEREN
Es war einmal ein chinesischer Typ, der zu einer Wahrsagerin ging. Nachdem die Wahrsagerin seine Hand sorgfältig studiert hatte, sagte sie zu ihm: „Ihnen geht es gerade nicht gut, und Sie werden weiterhin Kummer haben, bis Sie 40 sind.“ Aufgeregt fragte er: „Was passiert, wenn ich 40 geworden bin? Hört dann der Kummer auf?“ Darauf antwortete sie: „Nein, aber wenn Sie erst einmal 40 sind, haben Sie sich daran gewöhnt.“ Auch dieser Typ war nicht ich.
Meine Geschichte hatte zum Glück ein viel glücklicheres Ende. Ich war bis zu meinem 21. Lebensjahr wirklich unglücklich. In dem Jahr erfuhr ich, dass man die Fähigkeit, sich für das Glück zu öffnen, extrem gut trainieren kann. Ich lernte, mir Zugang zur Freude zu verschaffen und wurde dabei glücklich. Dieses Buch handelt von diesen Fähigkeiten, damit auch Sie sie erlernen und glücklich werden können.
Studien zufolge besitzen die Menschen das bemerkenswerte Talent, sich sowohl an Glück als auch Unglück anzupassen, und wir alle verfügen über ein relativ stabiles Glücksniveau, auf das wir letztlich selbst nach einem größeren positiven oder negativen Lebensereignis zurückkehren. Eine bekannte Studie aus dem Jahr 1978 zeigt zum Beispiel, dass sogar Menschen, die in einer Lotterie viel Geld gewonnen haben oder die infolge eines Unfalls gelähmt wurden, am Ende wieder auf das für sie übliche Glücksniveau zurückkehren5. Das Ergebnis einer Zwillingsstudie aus dem Jahr 1996 lässt vermuten, dass das Empfinden von Glück etwa zur Hälfte durch unsere genetische Veranlagung bestimmt wird6. Keiner der anderen untersuchten Faktoren, auch nicht sozioökonomischer Status, Bildung und Erziehung, Familieneinkommen, Familienstand oder Religiosität, konnten mehr als drei Prozent der Unterschiede in Bezug auf das Glücklichsein erklären. Das heißt anders ausgedrückt, dass Sie mit einem Glücks-Sollwert geboren werden, der im Wesentlichen durch Ihre Gene bestimmt wird. Ein Großteil der Zufriedenheit hängt davon ab, welches Los wir im Gen-Lotto ziehen, und ich hatte zufällig ein schlechtes gezogen. Ich besaß einen niedrigen Glücks-Sollwert. Ich stelle mir vor, wie sich ein Cartoon-Gott meine genetischen Voraussetzungen bei meiner Geburt anschaut und dann etwas sagt wie: „Sorry, Junge, ich möchte nicht in deiner Haut stecken. Leb wohl.“
Oh je! Was nun? Zum Glück habe ich eine Lösung gefunden. So wie sich körperliche Merkmale wie Stärke und Agilität gut trainieren lassen, ist dies auch für mentale Qualitäten wie Glücklichsein und Gleichmut möglich.
Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten keine Ahnung von Fitnesstraining, und stellen Sie sich nun vor, ich hätte Ihnen gerade gezeigt, wie man Bizepscurls macht, indem ich mit einer Hand eine Hantel auf- und abbewege. Dann sage ich Ihnen, dass Sie das Gleiche machen sollen. Sie könnten durchaus zu der Annahme gelangen, ich müsse irgendwie verrückt sein. Die Frage, die Sie mir stellen sollten, lautet: „Warum? Warum sollte ich Zeit und Energie darauf verschwenden, einen schweren Gegenstand auf- und abzubewegen?” (Einige Ingenieure, die ich kenne, würden von WTF sprechen. Für diejenigen, die sich fragen, was das bedeutet – WTF steht für „Was soll das?!“).
Durchschauen Sie aber erst einmal das Prinzip von Training und körperlicher Fitness, ergeben Bizepscurls durchaus einen Sinn. Jedes Mal, wenn Sie eine Hantel auf- und abbewegen, stärken Sie die Muskeln ein wenig mehr. Wenn Sie viele Bizepscurls und andere Gewichtsübungen durchführen, eignen Sie sich das körperliche Merkmal Stärke an, und wenn Sie dann stark sind, können Sie Dinge tun, von denen Sie nie zuvor geträumt haben. Sie sind zum Beispiel in der Lage, absolut widerspenstige Gurkengläser zu öffnen oder schlechte Freunde buchstäblich vor die Tür zu setzen. Sie entwickeln jedoch nicht nur Stärke (und die Fähigkeit, schlechte Freunde buchstäblich vor die Tür zu setzen), sondern noch etwas viel Wichtigeres – körperliche Gesundheit und Fitness. Mit körperlicher Gesundheit und Fitness verbessert sich wirklich alles in Ihrem Leben. Sie verfügen über mehr Energie, haben weniger krankheitsbedingte Ausfalltage und größeren Erfolg bei der Arbeit, da Sie mehr Energie und weniger krankheitsbedingte Ausfalltage haben. Ihr Spiegelbild verbessert sich, Sie erhalten mehr Selbstvertrauen und fühlen sich großartig. Falls Sie nie zuvor etwas von körperlichem Training gehört haben, dürfte Ihnen die von mir gerade gemachte Behauptung die Sprache verschlagen, denn schließlich behaupte ich ja, dass Sie mit einfachen Übungen wie etwa der wiederholten Auf- und Abbewegung eines schweren Objekts gezielt physiologische Veränderungen bewirken können und sich dies auf alle Lebensbereiche auswirkt.
In meinem langen Kampf mit dem Kummer entdeckte ich ganz zufällig das geistige Äquivalent zu körperlichem Training. Ich stellte fest, dass es möglich ist, durch einfache Übungen gezielt Veränderungen des Geistes zu bewirken, die sich auf das gesamte Leben auswirken – wenn Sie wollen, Bizepscurls für das Gehirn. Wir sind in der Lage, wichtige mentale Fähigkeiten zu entwickeln wie etwa die, Freude auf Abruf zu empfinden,...