2. Wir heben ab
Schnell vergingen die Monate. Der Herbst ließ mit einem Ende Oktober unverhofften Wintereinbruch die Kältemuskeln spielen. In der Zeit, wo man sonst noch die letzten späten Äpfel pflückte, fuhren Schneepflüge durch die Stadt und beseitigten den über Nacht gefallenen über 20 cm nassen Schnee.
Fluchend unterbrach ich die Herbstarbeiten, verschob das Pflanzen der Rosen. Ungemach für den kommenden Winter ahnend, denn schon der Letzte fügte uns große Pflanzenverluste zu. Wir ließen uns nicht entmutigen, nutzten die nächsten doch noch recht milden Tage und Wochen zu den ausstehenden Gartenarbeiten. Bald war alles winterfest, und wir informierten Ralf über unsere bevorstehende Abreise.
Überrascht schaute er uns an und sagte: „Ihr traut Euch was. Natürlich passe ich auf. Gute Reise.“
Er ist kein Mann großer Worte, jedoch sehr zuverlässig. Die Weihnachtsfeiertage, diesmal ohne Schnee, dafür blühte die Zaubernuss, vergingen wie im Fluge. Mit den Kindern noch die Fahrt zum Flughafen in Frankfurt/Main abgesprochen und dann begann das Packen der Koffer. Ein Novum nahm seinen Lauf, denn solange hatten wir unser Zuhause noch nie verlassen. Über sieben Wochen – für uns eine sehr lange Zeit.
Ilona kam in Panik, denn das zulässige Reisegepäckgewicht musste eingehalten werden. Sie funkelte mich an, wenn ich immer wieder darauf hinwies, dass uns in Costa Calma auch eine Waschmaschine erwartet und natürlich schönes warmes T-Shirt-Wetter.
„Wenn es nach Dir geht, brauchen wir nur eine Reisetasche und ich soll dann immer waschen. Die Leute sollen wohl denken, wir haben nichts zum Anziehen, wenn wir ständig mit den gleichen Sachen herumlaufen.“ Was können Worte eines Mannes gegen eine solche Argumentation ausrichten?
Ich verzog mich schnell, denn ich wusste, dass es eine endlose Diskussion werden würde und ich am Ende doch den Kürzeren ziehe. Der Hinweis, dass nach dem Urlaub die Koffer immer 50 % unbenutzte Sachen enthielten, wurde nur mit einem strafenden, missbilligenden Blick beantwortet.
An die 40 kg kostenfreies Reisegepäck denkend, das uns von der Fluggesellschaft bewilligt wurde, legte ich den Rückwärtsgang ein. Ich ging ins Arbeitszimmer, kümmerte mich um das, was für mich wichtig war: Laptop, Kamera, Handy und alles was dazugehört, die Reiseunterlagen, Sonnenbrillen usw. Diese Arbeitsteilung hat sich bei uns bewährt.
Ab und zu kam eine Frage, welche Shirts oder Hosen ich mitnehmen möchte. Doch eine Antwort erwartete Ilona nicht, da sie meine Meinung kannte.
Ich sprach diese aus: „Du musst mich ansehen und mit mir herumlaufen. Ich sehe mich kaum, außer ein Spiegel oder Schaufenster lässt mich unverhofft einem attraktiven Mann gegenüberstehen.“
Ich hörte ein kurzes, doch lautes und hämisches Lachen und irgendetwas von Einbildung. So ging ich zurück ins Arbeitszimmer, kümmerte, wie Ilona meinte, mich um meinen Kram.
Doch zunächst sah ich aus dem Fenster, beobachtete einige Wacholderdrosseln, die von den leckeren Vogelbeeren naschten. Sie mussten gut genährt sein, um den vielleicht harten Winter zu überstehen. Schnell widmete ich mich wieder meinen Aufgaben.
Wer nun denkt, dass diese Situation während der Urlaubsvorbereitung nur einmalig ist, den muss ich enttäuschen. Diese Prozedur und Diskussion wiederholten sich jedes Jahr, wird zur Routine – nur ich werde ruhiger, widerspreche weniger. Weise nur darauf hin, dass ich die Koffer tragen und das eventuelle Übergewicht mit der Dame am Check-in diskutieren muss.
Das Packen des Autos gehörte auch zu meinem Verantwortungsbereich, wie auch das letztmalige Durchchecken der Vollständigkeit der Reiseunterlagen.
Und schon konnte es losgehen. Zuerst zum Wohnort der Kinder, dann in Richtung Flughafen. Unser Sohn Michael half uns, im Labyrinth des Frankfurter Flughafens die Check-in-Schalter von Condor schnell zu finden.
Dort erwartete uns ein erstaunliches Ergebnis – das Check-in war in zehn Minuten erledigt und zwei Stunden Wartezeit lagen vor uns. Auch die Dame am Schalter nahm mit einem fragenden, eher weniger vorwurfsvollem Blick, die 1,5 kg Gepäckübergewicht ohne Sanktionen zur Kenntnis.
Ich murmelte zuvor schnell etwas von geringem Handgepäck, aber das interessierte die Dame schon nicht mehr. Schnell und erleichtert verließen wir den Schalter.
„Ich wollte später fahren, aber Ihr wusstet es wieder besser. Nun müsst ihr länger warten“. Das musste Michael uns noch mit auf den Weg geben, standen uns nun noch zwei Stunden Wartezeit bevor. Dann eine kurze Umarmung, ein herzliches „Auf Wiedersehen und bis bald,“ ein letztes Winken und schon war er zwischen den vielen eilig hastenden Menschen verschwunden. Er musste pünktlich an seinem Arbeitsplatz erscheinen.
Unsere Schritte lenkten wir zum Flugsteig B1, setzten uns und schon wanderten unsere Gedanken zu dem, was uns wohl erwarten würde. Zumindest der Wetterbericht im Internet prophezeite uns für die nächsten zwei Wochen Sonne pur, also Strand- und Badewetter.
Bald saßen wir im Flugzeug. Zuvor ließen wir uns ausreichend mit Lesematerial versorgen, heute meist als Service gestrichen, und sahen gespannt im voll besetzten Ferienflieger mit den anderen erwartungsvollen, sonnenhungrigen Fluggästen dem Start entgegen. Die Abflugzeit war schon verstrichen. Nach wie vor stand das Flugzeug mit uns auf der Rollbahn – reglos.
Plötzlich wurde es dunkel, die Notbeleuchtung ging an, die Lüftung aus und die nette vertrauensvolle Stimme des Flugkapitäns verkündete: „Ein elektrotechnisches Problem verzögert den Start. Es muss ein Ersatzgerät zum Starten der Triebwerke herbeigeschafft werden. Der Start verspätet sich um etwa 30 Minuten.“
Ergänzend zur Beruhigung der verschreckten Passagiere: „Ist nichts Beunruhigendes. Die Verspätung holen wir wieder auf. Es herrscht Rückenwind.“
Und so geschah es. Unpünktlich startend, die Boeing 757-300 schien anfangs auch verärgert, denn sie rumpelte polternd, vibrierend und dröhnend über die Rollbahn, hob die Maschine namens „Janosch“ endlich ab.
Vermutlich empfanden wir das Geräusch auch lauter, weil wir erstmalig in einer der letzten Reihen einen Platz erhalten hatten.
„Vielleicht als Denkzettel wegen des Übergepäcks gedacht,“ meinte ich scherzhaft zu Ilona. Doch diese war noch mit dem Verstauen der warmen Sachen im Gepäckfach beschäftigt. Also doch noch ein problemloser Start, wenn auch mit Hindernissen.
Die Stewardessen servierten bald das Essen und die Getränke, was heute leider nicht mehr jede Airline ihren Gästen (kostenlos) bietet. In unserer Reihe saß eine junge Frau. Diese war, wie sich später im Small Talk herausstellte, eine angehende Abiturientin aus Nordhessen.
Sie sah die Flugbegleiterin erwartungsvoll an und wünschte sich ein vegetarisches Essen. Diese schaute die junge Frau überrascht an, antwortete freundlich aber bestimmt: „Das Essen ist vegetarisch – Spinat, Maultaschen und Krautsalat.“
Dachte sich aber: „Die Zeiten mit Wahlessen sind schon lange vorbei.“ Sprachs und ging freundlich lächelnd weiter.
Wir meckerten nicht; wir aßen und es schmeckte uns auch. Plötzlich wieder eine Frage der jungen Frau, diesmal an uns gerichtet.
Sie bemühte sich gerade um den Joghurt und fragte: „Ist das Joghurt oder Eis?“ Ihre mehr an sich selbst gerichtet Frage untermalend, klopfte und schabte sie mit dem Löffel auf dem Joghurt herum.
Wir bedauerten sie, denn unser Joghurt war wohltemperiert, nur ihr Becher muss gerade der Kühltruhe entnommen worden sein.
„Ungenießbar, vielleicht für Pinguine gedacht,“ hörten wir sie noch flüstern, aber auch wieder mehr zu sich sprechend.
Wortlos reichte sie beim Abräumen der Stewardess das Tablett und versuchte die Zeit mit „Augenpflege“ und Musik aus ihrem MP3-Player zu überbrücken. Die Laune schien ihr gründlich verdorben worden zu sein.
Nach angenehmem Flug landeten wir mit „Janosch“ in Puerto del Rosario, wo uns warmes sonniges Wetter und azurblauer Himmel begrüßten. Dies erforderte noch im Flugzeug sofortiges Einpacken der warmen Jacken.
Am Gepäckförderband waren wir „Happy“ - unser erster Koffer kam recht schnell. Doch der Glücksmoment verflüchtigte sich schnell, da der zweite Koffer auf sich warten ließ; er kam erst im letzten Viertel. Wichtig für uns – er kam und präsentierte sich uns unbeschädigt.
Wir und das Gepäck sind angekommen auf unserer Insel Fuerteventura, weit weg vom thüringischen Winter und dessen feuchten und kalten Klima, auf das wir gern verzichten.
Problemlos erledigten wir die Formalitäten mit dem Mietauto am Schalter des Autovermieters. Den PKW reservierten wir bereits einige Monate vor dem Reisetermin im Internet.
Eine für die Touren völlig ausreichende Gratis-Straßenkarte erhält man am Flughafen und vom Autovermieter. Wir kannten den Weg und...