Teufels(Schuh)werk
Ohne Schuhe läuft scheinbar nichts
Rund 10 Milliarden Euro gaben die Deutschen im Jahr 2012 für Schuhe aus. Damit ist Deutschland einer der wichtigsten Schuhabsatzmärkte weltweit. Mehr und mehr Schuhkäufe werden inzwischen auch online getätigt. Waren es 2010 noch 10 Millionen Menschen, die Schuhe per Mausklick geordert haben, so erhöhte sich diese Zahl im Jahr 2012 schon auf 19 Millionen. Tendenz weiter steigend. Hier wird bevorzugt bei Billigware zugegriffen, die überwiegend aus China, Vietnam, Bangladesch und Indien kommt. Ein deutscher Importeur bezahlt in der Regel weniger als 5(!) Euro für ein paar Schuhe aus China.
Der Preis, den wir bzw. unsere Gesundheit dafür zahlt, wenn wir so einen Billigschuh erwerben und tragen, ist dagegen extrem hoch: Es herrschen meist katastrophale Arbeitsbedingungen, Arbeitnehmerrechte werden buchstäblich mit Füßen getreten, Fragen des Umweltschutzes ignoriert. Und sogar in europäischen Ländern wie Italien, Spanien und Portugal, aus denen viele Schuhe importiert werden, nimmt man es oft nicht so genau mit den EU-Umweltvorschriften und den Mindestlohnzahlungen.
Darüber hinaus ist den wenigsten Konsumenten bekannt, dass 95 Prozent aller Schuhe aus Leder hergestellt sind, die durch den Produktionsprozess mit Chrom VI (Chromat) belastet sind. Und das, obwohl das Bundesinstitut für Risikobewertung bei Lederwaren des täglichen Bedarfs die Verwendung von Chrom VI verbietet, da es nachgewiesenermaßen Allergien auslösen kann und krebserregend ist. Selbst Hersteller von Naturschuhen verarbeiten mit Chrom gegerbtes Leder. Die Produzenten sind nicht verpflichtet, den Einsatz von Chrom VI zu deklarieren. Bei den Herstellern von Ökoschuhen kann man allerdings sicher sein, dass sie zumindest für das Innenfutter pflanzlich gegerbtes Leder verwenden. Erschreckend ist in diesem Zusammenhang ein Bericht der Zeitschrift Stiftung Warentest in ihrer Ausgabe 7/2013, wonach jeder fünfte getestete Kinderschuh so große Mengen Chrom VI enthielt, dass er gar nicht hätte verkauft werden dürfen. Absichern kann man sich im Grund nur, indem man auf die freiwilligen Prüfsiegel für chromfrei gegerbte Lederwaren achtet, zum Beispiel das ECARF-Siegel und das IVN-Zertifikat.
Letztendlich obliegt es natürlich jedem Menschen selbst, für welchen Schuh er sich entscheidet und wie wichtig ihm diese einzelnen Kriterien sind. Aber können wir mit dem Wissen, dass 95 Prozent aller Schuhe kontaminiert sind, dass sie Farbstoffe enthalten und eine potenzielle Gefahr für uns Menschen darstellen, sorglos durch das Leben gehen? Und noch etwas: Ein online bestellter Schuh wird (in der Regel) nur nach seinem Aussehen, nicht nach der Passform gekauft und auch selten zurückgeschickt, weil man ihn natürlich schon im Voraus bezahlt hat. Ich will eigentlich gar nicht wissen, wie viele Menschen ihre Füße mit zu engen, schlecht sitzenden Schuhen quälen – und doch werde ich in meiner Praxis tagtäglich damit konfrontiert.
Es gibt Untersuchungen, denen zufolge vier von zehn Schuhen, die der Mensch trägt, viel zu klein sind. In meiner Praxis zeigt sich ein anderes Bild – da ich meine KlientInnen immer bitte, die Schuhe, die sie häufig tragen, zu unserem ersten Gespräch mitzubringen, kann ich nach den vielen Jahren sagen: 90 Prozent der Damenschuhe sind zu klein. Bei den Männern sieht es etwas besser aus, bei ihnen liegt der Schnitt ungefähr bei 50 Prozent. Vielleicht meinen die Untersuchungen, die von 40 Prozent sprechen, solche Schuhe, die sogar schon mit dem Wissen, dass sie zu klein oder zu eng sind, gekauft werden. Also nur, weil sie so gut aussehen. Jedenfalls belegt das eine Studie des britischen Podologenverbands. Bei den Männern sind es etwa 25 Prozent, die ihre Schuhe nach dem Aussehen kaufen und nicht, weil sie gut passen. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass 80 Prozent der Befragten angaben, unter Problemen mit den Fußballen, unter Blasen, Hühneraugen oder anderen „Fußthemen“ zu leiden.
In einer Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in München wurde durch eine Untersuchung überprüft, ob eine Änderung der Fußkontaktfläche Auswirkungen auf die Haltungseigenschaften hat. Dabei wurde festgestellt, dass die Kniestabilität eindeutig mit der Gangstabilität in Verbindung gebracht werden kann. Eine größere Fußfläche ergibt auch mehr Stabilität für die Knie. Durch die Verbesserung der Kontaktfläche, bedingt durch die Entspannung des Fußes in größeren Schuhen, ergibt sich automatisch eine bessere Haltung beim Gehen. Seitliche Bewegungen des Beckens werden minimiert, die dort sonst zu Veränderungen und Verschleißerscheinungen führen könnten. Je mehr Raum die Zehen haben, um sich gerade ausrichten zu können, desto besser ist auch der Verlauf der Beinachse und somit die Entlastung des Knies und der Hüfte. Der Fluss des Gangs wird also ökonomischer, stabiler, leichter und freier. Und außerdem gewebeschonender, weil sich das Gewicht auf eine größere Fläche verteilt und nicht nur auf einer kleinen Fläche lastet, was automatisch zur Bildung von Hornhaut beiträgt.
Bitte keine falsche Bequemlichkeit!
Eine meiner Grundregeln lautet: Kaufen und tragen Sie keine Schuhe, die tragende oder stützende Elemente wie beispielsweise eine Fußbettung (Gesundheitsschuh) haben, denn der Schuh sollte sich dem Fuß und seiner Form anpassen, nicht umgekehrt!
Gut ist ein sogenannter Nullabsatz. Der Fuß im Schuh sollte hinten genauso weit vom Boden entfernt sein wie vorn. Die Sohle sollte möglichst dünn sein und wenig dämpfen. Möchte man mehr Komfort, empfiehlt sich eine dünne Poron-Einlegesohle, da Poron ein bei geringem Volumen extrem gut dämpfendes Material ist.
Je mehr Hightech desto schlechter
Nun meinen viele, sie täten ihren Füßen etwas Gutes, wenn sie sie in Hightech-Turnschuhe stecken. Davon kann ich nur dringend abraten, denn es ist nicht nur der Alltagsschuh, der unsere Füße deformiert. Seit Jahrzehnten ist die Verletzungsrate bei Hobbysportlern, speziell bei Läufern, konstant hoch. Das betrifft die Knie, die Sprunggelenke und vor allem die Achillessehnen. Daran haben anscheinend auch viele Jahre der Schuhentwicklung nichts verbessert. Im Gegenteil: Biomorphic-Konzepte, Heel-Clutching-Systems, Torsion-Systems, Gelair-Crash-Pad, Cushlon-Mittelsohle, Pronationsstützen – all das hat nichts daran geändert, dass immer mehr Sportler und auch solche Menschen, die im Alltag Sportschuhe tragen, über Beschwerden klagen. Das heißt, die konstant hohe Verletzungsanfälligkeit gibt eine Antwort auf die Frage, ob all diese Entwicklungen, die mit großen Werbeversprechen auf den Markt geworfen werden, den Sportler vor Verletzungen schützen. Die Antwort ist ein klares Nein.
Links: Damit das Joggen auf festem Untergrund erträglich ist, tragen die meisten Läufer stark gepolsterte Schuhe. Mit Folgen, die der Läufer meist erst bemerkt, wenn sie Schmerzen verursachen. Gegen die Laufrichtung rammt sich die Ferse weit vor dem Körper in Verlängerung des Unterschenkels in den Schuh. Fatal: der Schritt wird viel zu lang, der Körper nimmt eine gebeugte Haltung ein. Weil die Schultern nach vorn fallen, wird der Brustraum eingeengt. Ein Teil der Bewegungsenergie geht in der Schuhsohle verloren. Der lange Ausfallschritt führt zu einer starken Auf- und Abwärtsbewegung des Körpers, statt dass er sich zielgerichtet nach vorn bewegt. Übrigens: Joggen ist im Gegenteil zum Gehen und Laufen kein natürlicher Laufstil.
Rechts: Barfuß oder mit minimalistischem Schuhwerk ist ein harmonischer Laufstil möglich, egal auf welchem Untergrund. Statt der Polsterung übernehmen die Fußgewölbe die Abfederung der Stoßwirkung. Dafür sind sie gemacht. Der Laufschritt ist deutlich kürzer, gleichzeitig ist der Körper aufrechter. Das Bein setzt nur minimal vor dem Körperschwerpunkt mit dem Vorfuß auf und verhindert damit das dumpfe Aufsetzen der Ferse. Das bedeutet: weniger Belastung für die Gelenke und Muskeln. Der Brustraum ist offen, die Lunge kann durchatmen.
Interessanterweise sind die meisten Beschwerden selten akut, sondern entstehen durch chronische Belastung. Die Marketingkampagnen rund um die Schuhe suggerieren dem Laien jedoch immer nur das Positive: mehr Gesundheit, weniger Verletzungen, mehr Leistung auf Dauer. Und schmerzt es dann doch irgendwo, dann hat der Kunde offenbar den falschen Schuh gewählt oder falsch trainiert.
„DER FUSS IST EIN KUNSTWERK AUS 26 KNOCHEN, 19 MUSKELN UND 107 BÄNDERN. EIN KUNSTWERK BRAUCHT EINEN RAHMEN, KEINEN KÄFIG.“
LEONARDO DA VINCI
Sie können sich eine einfache Faustregel merken: Je besser der Schuh gedämpft ist, desto stärker rammt der Läufer seine Ferse in den Boden. Das ist nur möglich, weil das Gehirn durch die starke Fersendämpfung zu wenige Informationen über den Aufprall bekommt, zum Schaden des Körpers.
Hier fehlen schlichtweg die Propriozeption und die Arbeit der Mechanorezeptoren, die Sie bereits aus dem Abschnitt „Sensomotorik“ kennen. In Wissenschaftskreisen behauptet heute niemand mehr, dass eine starke Dämpfung vor Verletzungen schützt. Hier herrscht Konsens darüber, dass mehr Dämpfung mehr Instabilität und damit ein höheres Verletzungsrisiko bedeutet. Also wofür braucht der Fuß denn Dämpfung? Stützende und stoßabsorbierende Bereiche am Fuß, die durch die Quer- und Längsgewölbe gegeben sind, und der Aufbau der Muskulatur, die bewirkt, dass der „Schock“ des Bodenkontakts...