Am Anfang war die ganz normale Meinung…
Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute;
seht euch an, wohin uns die normalen gebracht haben.
(George Bernard Shaw)
Bevor ich mich mit dem Gedanken an eigene Kinder trug oder gar selbst schwanger wurde, hatte ich kaum feste Vorstellungen über Babys, Kleinkinder und alles, was damit zusammenhängt. Wie die meisten jungen Menschen in unserer westlichen Welt hatte ich mit Babys bisher nicht sehr viel zu tun gehabt. Im Wesentlichen nahm ich einfach vieles als gegeben hin. Das Bild, das allerorten präsent ist und das mit viel Interesse und Expertise – und leider auch sehr wirkungsvoll – von der Babyversorgungsindustrie propagiert wird, war in groben Zügen auch mein Bild.
Babys sollten den Familienablauf ergänzen, aber nicht weiter stören, dachte ich. Und die wirklich coolen Eltern sind die, die sich von ihrem Baby nicht zu sehr verändern lassen.
Auf Spaziergängen, wähnte ich, sei es optimal, Babys im Kinderwagen zu schieben. Ab und an weinen sie, dann muss man den Wagen etwas schuckeln oder dem Kind den verlorenen Schnuller wieder in den Mund schieben. Denn es ist ja normal, dass Babys quengelig sind… Meine Cousine trug ihre Kinder im Tragetuch und schwärmte davon, aber mir war das nicht recht geheuer. Ich fühlte mich, obwohl sie wirklich sehr dezent und vorsichtig war, irgendwie gedrängt und manipuliert und wollte eigentlich schon deswegen aus Prinzip kein Tragetuch haben. Außerdem fand ich es extremst öko-wurschtelig, und es sah arg kompliziert aus. Bei weitem nicht so hip wie ein schicker Kinderwagen.
Stillen ist gesund, so viel hatte ich wohl schon gehört. Und dass ich, wenn ich einmal ein Kind hätte, dieses stillen würde, stand für mich außer Frage, wenn auch nur wegen der Allergieprophylaxe. Wie lange ich stillen wollte, darüber dachte ich nicht weiter nach. Ich nahm vermutlich an, man stillt eben ab, wenn das Kind 6 oder 7 Monate alt ist. Über das Danach machte ich mir keine Gedanken. Den Anblick eines gestillten Kleinkindes fand ich… nun ja, nicht direkt abstoßend, aber doch sehr sehr gewöhnungsbedürftig.
Und ich konnte mich zwar daran erinnern, dass ich es als Kind sehr genossen hatte, wenn ich einmal zu meinen Eltern unter die Bettdecke kriechen durfte, aber grundsätzlich, befand ich, sollten Babys doch wohl besser in ihrem eigenen Bett liegen. Als meine Cousine, deren Kinder im elterlichen Bett nächtigten, sich einmal über Schlafmangel beklagte, empfahl ich ihr allen Ernstes ein bekanntes Buch über ein »Schlafprogramm«… Ich erinnere mich wie heute an das Telefonat. Mein Argument damals war etwas in der Art von: »Davon hört man doch nur Gutes. Das soll doch so gut funktionieren.« Was meine Cousine entgegnete, kam nicht einmal bei mir an. Ich hörte es schlicht nicht. Es war nicht Teil meiner Realität.
Und die Windeln! Am praktischsten sind ja wohl Wegwerfwindeln, ganz klarer Fall. Dieses Getüdel mit den Stoffwindeln würde mir mal nicht ins Haus kommen. Zumal ja die Ökobilanz gar nicht mit Sicherheit besser für die Stoffwindeln ausfiel – zumindest nach neuesten Forschungen der Wegwerfwindelindustrie.
Eltern sind chronisch übermüdet und leicht genervt, dachte ich, und sie müssen es sich mit Hilfe praktischer Gerätschaften bei allem so bequem wie möglich machen und bloß nicht zu viel Aufwand betreiben.
Irgendwie war ich also relativ durchschnittlich in meinen Ansichten. Obwohl ich es als Kind in einigen Bereichen anders erlebt hatte, hatte ich die Ideale verinnerlicht, mit denen wir wieder und wieder programmiert werden – durch Zeitungen und Zeitschriften, durch Filme und Romane.
Was wir heute richtig finden
Ich möchte kurz erzählen, wie es dann mit Baby bei uns ausgesehen hat. Glücklicherweise haben mein gesunder Menschenverstand und mein Herz über die Meinung der Masse gesiegt, und glücklicherweise war der wilde, unbezähmbare Urmutterinstinkt in meiner Tiefe stark genug, um von mir wahrgenommen zu werden.
Unser Sohn hatte von Anfang an eine sehr starke Präsenz in unserer Familie. Er ist bis heute nicht grundlos quengelig, »zickig« oder nörgelig. Er weint auch – was im Übrigen für alle Kinder gilt – nie ohne Grund.
In unserem Haushalt gab es, bis er ungefähr 3 Jahre alt war, eine wachsende Anzahl unterschiedlichster Babytragehilfen für verschiedene Gelegenheiten, die gern und viel benutzt wurden. Wir alle haben das Tragen bzw. das Getragenwerden so sehr genossen, dass es uns schlicht nicht in den Sinn gekommen ist, Kinderwagen oder Karre zu nehmen. Unser Kinderwagen ist immer noch fast nagelneu, nur aus Naturmaterialien und vollkommen schadstofffrei. Das Beste vom Besten für unser Kind. Benutzt haben wir ihn, wenn es hochkommt, 10 Mal für unser Baby. (Allerdings ziemlich oft, um Einkäufe zu transportieren – sehr praktische Sache, so ein Kinderwagen!).
Stillen? So lange wie möglich! Das ist einer der Punkte, über die ich mich am meisten bei mir gewundert und gefreut habe. Ich hätte nie gedacht, dass das so nett sein könnte.
Unser eheliches Bett haben wir, als unser Baby etwa 8 Monate alt war, von 1,40m verbreitert auf königliche 2,00m. Es ist so schön, neben einem schlafenden Baby aufzuwachen oder von einem kleinen weichen Mund wach geküsst zu werden. (Und ich glaubte lange Zeit nicht, ohne Fuß im Ohr überhaupt noch schlafen zu können.) Wir haben nie ein Babybett besessen und werden das vermutlich auch nie tun. Der Stubenwagen, den ich in während der Schwangerschaft mit viel Hingabe bei meinen Eltern aus dem Keller geholt, entstaubt und mit einem violettblauen (uterusfarbenen!) Himmel versehen habe, stand dann recht schnell bei uns auf dem Dachboden. Benutzt haben wir ihn damals vielleicht zwei Mal für jeweils 30 Minuten.
Windeln: Wegwerfwindelpakete haben wir insgesamt vier verbraucht, auf Reisen. Unser Sohn trug kaum noch Windeln, seit er 11 Wochen alt war. In den seltenen Ausnahmefällen trug er Stoffwindeln. Weil es so viel angenehmer ist, Baumwolle auf der Haut zu spüren als eine Plastikhülle, so »atmungsaktiv« sie auch sein mag. Endgültig auf den Dachboden gewandert ist ein Großteil der Windeln, als der Kleine etwa 9 Monate alt war.
Dieses Buch ist unter anderem so etwas wie mein Reisebericht zu einer entspannteren Lebensweise mit Kind. Ich möchte einfach erzählen, was bei uns gut funktioniert hat – und warum es funktioniert hat. Das, was ich erzähle, will ich weder als das Nonplusultra für jeden hinstellen noch möchte ich jemandem zu nahe treten. Es geht mir lediglich darum, aufzuzeigen, wie leicht und unkompliziert und freudvoll das Leben mit einem Baby sein kann, wenn man es sich nicht unnötig schwer macht, indem man die natürlichen Bedürfnisse des Babys missachtet.
So vieles wird heute als normal angesehen, was bei genauer Betrachtung weder sinn- noch liebevoll ist. So vieles rund um Schwangerschaft, Geburt und Babyalter läuft in unserer Gesellschaft unnötig kompliziert und vollkommen widernatürlich.
Es ist manchmal anstrengend und herausfordernd, wenn man sich außerhalb des Mainstream bewegt. Aber es ist auch unglaublich bereichernd – und einfach wunderschön. Weil es authentisch und ehrlich ist und dem entspricht, was wir in der Tiefe unseres Herzens fühlen, anstatt ein gesellschaftlich vorgegebenes Muster zu erfüllen. In unserer Familie können wir nicht mehr anders. Wir könnten nicht »normal« sein, denn das würde bedeuten, dass wir unser Herz verleugnen.
Sind wir extrem?
Wir machen also mittlerweile so ziemlich alles anders, als »man« es gemeinhin tut. Für viele, auch sehr bewusste, Eltern ist das »zu extrem« oder »zu radikal«. Der Witz ist, dass wir einfach das tun, was uns am logischsten und richtigsten vorkommt, ohne irgendeine Einordnung oder Beurteilung auf einer politischen oder gesellschaftlichen Skala. Ich finde uns eigentlich völlig normal, aber wer weiß. Mag durchaus sein, dass wir extrem sind. Das liegt immer am Blickwinkel. Wenn man die verschobenen, seltsamen Maßstäbe anlegt, die vielerorts immer noch als richtig gelten, dann bin ich sehr gern radikal anders. Wenn es normal ist, dass Babys direkt nach traumatischen Klinikgeburten mutterseelenallein in sogenannte Säuglingszimmer abgeschoben werden, wenn es normal ist, dass winzige Babys chemische Nahrung aus Plastikflaschen zum Trinken bekommen anstatt die warme, süße Milch an der weichen Brust ihrer Mutter, wenn es normal ist, dass Babys in Autositzen anstatt im Arm getragen werden, wenn es normal ist, dass die zarte Haut von Babys mit Seifen, Shampoos und Cremes malträtiert wird – wenn das alles normal ist, dann, nein, dann möchte ich nicht normal sein.
Doch ich glaube gar nicht, dass wir wirklich extrem sind, wenn man als Maß der Dinge unsere menschlichen biologischen Voraussetzungen anstelle der gesellschaftlichen Erwartungen nimmt. Unsere Art des Elternseins ist nicht extrem. Das Gegenteil ist der Fall. Wir als Gesellschaft haben uns nur einfach so extrem weit weg von einem menschlichen, gesunden und lebensbejahenden Miteinander bewegt, dass das, was eigentlich natürlich wäre, sehr vielen Leuten heute seltsam und übertrieben vorkommt.
Ein Plädoyer für ein offenes Herz
Dieses Buch ist, wie erwähnt, nicht objektiv. Nichts ist wirklich objektiv, und für den Intellekt ist so ziemlich alles beweisbar. Ich habe selbstverständlich genau die wissenschaftlichen Fakten und Erfahrungen von Eltern herausgesucht, die ich haben wollte. Genauso hätte ich Argumente sammeln können, die exakt das Gegenteil »beweisen«.
Denn ja, ich...