Natürlich, so eine Gebrauchsanweisung möchte Hintergründe zeigen, Seltsamkeiten erklären, vor Fettnäpfchen warnen. Sie soll Ihnen am besten einen ganzen Bund Schlüssel zum tieferen Verständnis von Land und Leuten an die Hand geben. So eine Gebrauchsanweisung kommt also auf keinen Fall ohne Klischees aus.
Ich meine nicht die Spanienklischees, die manche Touristen mit nach Katalonien bringen und dann hier zu ihrer Enttäuschung nicht bestätigt finden. Die Klischees, um die es in diesem Kapitel gehen soll, sind welche, die sich wirklich auf Katalonien beziehen. Zum Beispiel Eigenschaften und Macken, die Spanier ›den Katalanen‹ nachsagen. Oder typische Attribute, Bilder und Phrasen, mit denen Katalonien sich selbst in Szene setzt. So wie der folgende Satz.
»Catalonia is not Spain«
Ein katalanisches Lieblingsgraffito, kommt immer wieder auch als Aufschrift von Bannern in Fußballstadien vor, wenn der FC Barcelona spielt. Die katalanischsprachige Version, »Catalunya no és Espanya«, findet sich heute kaum noch, denn hier haben den Satz längst alle verstanden. Nun schreibt man ihn auf englisch, für den Rest der Welt. Und oft wundert sich der Rest der Welt darüber. Für viele Ausländer ist die kämpferische Klarstellung, daß dies hier nicht Spanien sei, die erste Begegnung mit dem Wort Katalonien.
Daran sind die Spanier schuld, würden die Leute sagen, die den Satz gepinselt haben (wir dürfen sie uns als leicht entflammbare junge Separatisten vorstellen): die übermächtigen Vereinheitlicher in Madrid ließen Katalonien keinen Platz, sich nach außen hin in seiner Eigenständigkeit zu präsentieren. Zweifellos hält sich die Bereitschaft des spanischen Staats, bei seinen Imagekampagnen auf die Sonderfälle in seinem Hoheitsgebiet hinzuweisen, nach wie vor in Grenzen. Andererseits ist es auch noch nicht lange her, daß berühmte katalanische Kellereien ihren Sekt im Ausland mit Flamenco-Gitarre und Slogans wie Cava de pura raza bewarben. Als wären in den Flaschen Körperflüssigkeiten andalusischer Zuchtpferde abgefüllt. Für solche Marketingentscheidungen läßt sich die Verantwortung nur schwer auf Madrid schieben.
Doch zurück zu »Katalonien ist nicht Spanien«. Wie soll man mit diesem Satz umgehen, zumal als Außenstehender oder jedenfalls von außen Gekommener? Selbst wenn man hier ständig Unverwechselbares entdeckt, sich für die katalanische Kultur begeistert und sie in all ihren Facetten kennenlernen möchte: die Übereinstimmung mit Spanien bleibt doch zumindest größer als mit jedem anderen Land. Von Eß- und Ausgehgewohnheiten über die Sitte, den Mädchen schon im Säuglingsalter Ohrringe zu verpassen, bis zur Überzeugung, daß gegen hartnäckigen Schmutz nur Chlorlösung hilft. So wichtig es ist, die Unterschiede zwischen Katalonien und Spanien zu beachten, so widersinnig wäre es, die Gemeinsamkeiten zu leugnen. Diese Meinung teilen übrigens die meisten Katalanen, auch viele derer, die davon träumen, daß ihr Land sich vom spanischen Staat lossagt. »Catalonia is not Spain« drückt eine politische Haltung aus, aber keinen Appell, sich einen Teil der eigenen Wahrnehmungen zu verbieten.
Zudem ist man als Ausländer ja fast immer über Spanien auf Katalonien gekommen, vom Allgemeinen aufs Spezielle sozusagen – was Sie patriotischen Graffitimalern gegenüber natürlich anders formulieren sollten. Daß Sie eine Vorliebe für Katalonien entwickeln, wird kaum dazu führen, daß Sie Spanien nicht mehr mögen. Und das wird auch niemand von Ihnen verlangen. Nur wird man Ihnen vielleicht von einem verschrobenen Schotten oder von einer charmanten Ungarin erzählen, die herkamen und angeblich perfekt Katalanisch, aber kein Wort Spanisch sprachen.
Findet man den Satz »Catalonia is not Spain« nun richtig oder nicht, er wirft jedenfalls die Frage auf, was Katalonien denn ist. Hier fürs erste ein paar geographische Antworten.
Katalonien ist ein Stück Europa. Klingt nach Binsenweisheit, doch dahinter steckt ein großes katalanisches Anliegen: einem Kulturkreis zugerechnet zu werden, der Freigeistigkeit und Fortschrittlichkeit als seine Grundwerte begreift. Insofern läßt sich »Catalonia is not Spain« als Reaktion auf den alten Spruch »Spain is different« lesen, den das Tourismusministerium unter Franco erfand, um besorgte Gäste darüber hinwegzutrösten, daß man in Spanien auf Demokratie und Menschenrechte verzichtete. Das Ideal eines liberalen, »zivilisierten« Europas als Gegenbild zur rückwärtsgewandten Starre der Diktatur war für das Selbstverständnis katalanischer Regimegegner elementar, und diese Haltung lebt bis heute fort: etwa in Form einer robusten EU-Begeisterung, die eine Mehrheit der Katalanen an den Tag legt; aber eben auch im bleibenden Mißtrauen gegen den Staat Spanien, dem viele hier immer noch nicht glauben wollen, daß er sich von Francos vernageltem Chauvinismus ganz gelöst hat.
Zweite und gängigste Antwort auf die Frage »Was ist Katalonien?«: das Gebiet der Comunitat Autònoma de Catalunya innerhalb des spanischen Staats. Dieses Katalonien wird auch Principat genannt und besteht aus vier Provinzen, die jeweils nach ihrer Hauptstadt heißen: Girona, Barcelona, Tarragona und Lleida. Die Costa Brava gehört zur Provinz Girona, die Costa Daurada zu Tarragona. Barcelona liegt zwischen den beiden. Lleida ist die einzige Provinz ohne Strände, dafür die mit den meisten Skigebieten, denn sie umfaßt den Großteil der katalanischen Pyrenäen.
Die vier Provinzen gliedern sich wiederum in insgesamt 41 comarques, Landkreise, und diese Einteilung ist besonders wichtig. Einen ebenso hohen Stellenwert wie das Gefühl fürs Ganze – also für Katalonien – hat hier nämlich die Liebe zum Detail. Mit der Comarca verbindet sich ein spezifisch katalanischer Lokalpatriotismus, der nicht dumpf und engstirnig daherkommt, sondern geradezu enzyklopädische Züge trägt. Der Ehrgeiz jedes Landkreises ist es, sich als unverkennbares Einzelstück zu präsentieren, als Schatzkiste voller sorgsam gepflegter Eigentümlichkeiten oder Köstlichkeiten. Stichwort weltberühmte Weine und das wunderbare Siurana-Olivenöl? – Natürlich, das Priorat. Wüste Schmugglergeschichten und uralte, unzugängliche Gebirgsdörfer, die bis heute noch nicht ans Stromnetz angeschlossen sind? – Geheimnisvoller Pallars Sobirà. Dalí–Museum und Naturpark Cap de Creus? – Zwei von tausend Attraktionen des Alt Empordà.
Wenn Sie einmal nicht wissen, in welcher Comarca Sie sich gerade befinden, lassen Sie sich nichts anmerken. Ein kurzes Gespräch mit Einheimischen, egal zu welchem Thema, und der Name fällt garantiert innerhalb von Minuten. Wenn Sie dann eine Frage nach den Spezialitäten der Gegend anschließen, werden Sie einen langen und meist interessanten Vortrag zu hören bekommen.
Eine Variante von »Catalonia is not Spain« wäre: nicht nur Spanien. Ein Teil liegt ja auch in Frankreich. Er wird Catalunya Nord genannt, seine Hauptstadt ist Perpignan, auf katalanisch Perpinyà. Nach französischer Gliederung gehört er zum Département Pyrénées Orientales in der Region Languedoc-Roussillon. Katalanische Separatisten kleiden den Status von Catalunya Nord gerne in die Formulierung »zurzeit unter französischer Verwaltung«, wobei dieses »zurzeit« schon dreieinhalb Jahrhunderte dauert. Von solch drolligen Sprachregelungen abgesehen beziehen die Träume vom unabhängigen katalanischen Staat den Norden eher selten ein. Und das, obwohl zumindest eins der historischen Wahrzeichen Kataloniens im französischen Teil liegt: der Berg Canigó, den man lange Zeit für den höchsten Gipfel der Pyrenäen hielt. Zwar handelte es sich um eine optische Täuschung, er ist von mittlerer Größe und ragt nur besonders schroff gegen die Roussillon-Ebene auf. Doch ebendiesen oft bedichteten Anblick macht die Unbestechlichkeit der modernen Meßinstrumente nicht weniger beeindruckend.
Daß katalanische Nationalisten bloß verhaltene Ansprüche auf den Norden erheben, liegt daran, daß sie traditionell ein positives Frankreichbild pflegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden Zehntausende katalanische Franco-Gegner im Nachbarland Zuflucht, das hat man nicht vergessen, und bis heute steht vor allem Frankreich für das Europa, zu dem man hier lieber gehören möchte als zu Spanien. Dieses Gefühl von Verbundenheit überwiegt auch den Ärger über die Französisierungspolitik in Catalunya Nord, deren Parolen – etwa das berüchtigte »Wir wollen sauber sein und Französisch reden« an der Klassenzimmerwand – manchmal klangen, als wären sie mit Franco abgesprochen. Nach wie vor haben selbst diejenigen Einwohner des Roussillon, die Katalanisch perfekt beherrschen, oft große Hemmungen, es außerhalb des engeren Bekanntenkreises zu gebrauchen.
Und dennoch: daß in Barcelona oder Girona ein Restaurant von gebildeten Separatisten betrieben wird, erkennt man zuverlässig daran, daß es dort die Speisekarte in zwei Sprachen gibt und daß die zweite davon nicht Spanisch, sondern Französisch ist.
Die am weitesten greifende – und verfänglichste – Antwort auf die Frage »Was ist Katalonien?« lautet: die Pasos Catalans. Zu diesen katalanischen Ländern zählen neben dem Principat und dem französischen Teil alle weiteren Gebiete, in denen Katalanisch gesprochen wird. Also der Zwergstaat Andorra, in dem Katalanisch sogar alleinige Amtssprache ist. Die Franja de Ponent, der an die Provinz Lleida grenzende östlichste Streifen von Aragón. Fast die ganze Region Valencia und sogar noch ein kleiner Höhenzug in Murcia, el Carxe genannt. Dann die Inselgruppen der Balearen und Pitiusen...