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E-Book

Gebrauchsanweisung für Südfrankreich

Überarbeitete und erweiterte Neuausgabe

AutorBirgit Vanderbeke
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783492952910
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Sonnenblumenfelder und Olivenhaine; Pont du Gard und blühender Lavendel; mediterrane Luft, die nach Thymian und Rosmarin duftet, und das Klacken der Pétanquekugeln - das ist Südfrankreich. Und noch viel mehr. Denn wussten Sie, dass »Gekochtes Wasser« zu den Spezialitäten der provenzalischen Küche gehört? Wie man sich beim »Piquenique« verhält? Dass sich die Bewohner hier seit Jahrhunderten weigern, an die Zentrale in Paris Steuern zu entrichten? Und dass noch immer über den Erfinder des Cassoulet gestritten wird? Birgit Vanderbeke führt mit dieser charmanten Liebeserklärung mitten hinein in eine der vielfältigsten Regionen Frankreichs - und zu den Menschen mit ihrer »convivialité«, ihrer Kinderliebe und leidenschaftlichen Anarchie.

Birgit Vanderbeke, geboren 1956 im brandenburgischen Dahme, lebte bis zu ihrem Tod Ende 2021 im Süden Frankreichs. Ihr umfangreiches Werk wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis und dem Kranichsteiner Literaturpreis. 2007 erhielt sie die Brüder-Grimm-Professur an der Kasseler Universität.

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Leseprobe

Vorwort Die erste Auflage dieser Gebrauchsanweisung erschien im Jahr 2002, geschrieben hatte ich sie im Frühling 2001, nachdem ich acht Jahre in Südfrankreich gelebt hatte. Inzwischen sind es siebzehn, das ist ein Drittel meines Lebens. Diese Jahre haben mich verändert, und gerade gestern, am 11.November 2010, habe ich gemerkt, wie typisch südfranzösisch diese Veränderung ist, deshalb will ich mein gestriges Erlebnis der um noch mal acht Jahre erweiterten Ausgabe dieses Buches voranschicken.   Der 11. November ist in Frankreich ein Feiertag, und zwar einer von den wichtigen, nämlich der höchste patriotische Feiertag. Begangen wird der Waffenstillstand im Ersten Weltkrieg, der das Ende der »grande guerre« bedeutet hat, zwar ein glorioser Sieg über Deutschland, aber doch bitter, wenn man bedenkt, dass der Krieg überwiegend auf französischem Territorium stattgefunden, die männliche Bevölkerung flächendeckend dezimiert und das Land im Norden und Osten so verwüstet hat, dass die Narben bis heute zu sehen sind. In jeder noch so kleinen Gemeinde versammeln sich die Bürger vor dem in jeder noch so kleinen Gemeinde zentralen Kriegerdenkmal mit den eingravierten Namen der vielen Gefallenen. Fast jede Familie liest den eigenen Nachnamen auf diesen langen Listen, die Mitglieder der Veteranenverbände erscheinen in Uniform, es werden feierliche Reden gehalten, und als Lazare Ponticelli, der letzte Überlebende aus dem Ersten Weltkrieg, 2008 starb, bekam er ein Staatsbegräbnis (auch wenn er das gar nicht gewollt hatte). Im deutsch-französischen Verhältnis ist dieser Tag begreiflicherweise etwas heikel, ebenso übrigens wie der 8. Mai. Es war eine sehr ernsthafte Versöhnungsgeste, als der frühere Präsident Jacques Chirac 1998 den Bundeskanzler Helmut Kohl zur Teilnahme an den Zeremonien nach Paris einlud, und Kohl, der sich auf deutsch-französischem Minengelände schon bewährt hatte, als er seinem damaligen Amtskollegen Mitterrand 1984 über die Gräber von Verdun hinweg sehr fotogen die Hand reichte, nahm wohlweislich die Einladung an, konnte dann allerdings nicht zu den Feierlichkeiten reisen, weil er abgewählt worden war. Sein Nachfolger Gerhard Schröder sah die Sache offenbar locker als olle Kamelle an und sagte die Teilnahme ab mit der schlampigen Begründung, er habe Terminschwierigkeiten. Damit setzte er sich gewaltig in die Nesseln, und nach dem Politikum, das er auf die Art losgetreten hatte, dauerte es weitere elf Jahre, bis sich der jetzige Präsident, Nicolas Sarkozy, zur Einladung der Bundeskanzlerin Angela Merkel entschloss, sodass also im Jahr 2009 aparterweise zunächst Sarkozy am 9. November nach Berlin reiste, um dort gemeinsam mit anderen Größen der Welt den historischen 20. Jahrestag des Mauerfalls zu begehen, und zwei Tage darauf ihrerseits Angela Merkel zum 90. Jahrestag des historischen Kriegsendes nach Paris. Sie stand nicht ganz so fotogen am Grab des Unbekannten Soldaten wie Kohl damals mit Mitterrand vor dem Beinhaus in Verdun, artikulierte zum Schluss ihrer Rede etwas unbeholfen ein »Vive la France, vive l'Allemagne, vive l'amitié franco-allemande« und geriet einigermaßen in Verlegenheit, als Sarkozy den Vorschlag machte, den 11. November auch in Deutschland zum Feiertag zu erklären und vom »Tag des Waffenstillstands« kurzerhand zum »Tag der deutsch-französischen Versöhnung« umzudeklarieren. Sie sehen, der Fettnäpfe stehen einige zwischen Franzosen und Deutschen herum, und es wird sich auch emsig hineingesetzt.   Jetzt aber nehme ich Sie mit, und wir verlassen die pompösen Feierlichkeiten in Paris, wo - weit weg von hier - historische Symbole aufgeführt und neue gestrickt werden, jetzt sind wir im Süden des Landes, in dem sehr kleinen Dorf Aubussargues, das 234 Einwohner hat, keine eigene Webseite, dafür ein entzückendes Schlösschen, auf dessen Dach eine Parabolantenne so geschickt angebracht ist, dass man sie kaum entdecken kann, alsdann engste Gässchen und pittoreske alte Gemäuer, und drum herum jede Menge Oliven und Wein. Dieser winzige Ort nun hat sich im letzten Jahr gedacht, schön und gut, dieser 11. November, man versammelt sich gegen elf Uhr morgens, man hält die Gedenkstunde ab, die Blaskapelle spielt militärisch, um zwölf ist die Sache vorbei, jeder geht nach Hause zum Mittagessen, und das soll es dann gewesen sein? In Aubussargues fand man, dass es das noch nicht gewesen sein sollte.   Für mich wiederum ist der 11. November kein Feiertag, sondern eher ein Feiertag der Franzosen, den ich aus der Distanz achte. Also ist dieser Tag für mich ein Arbeitstag. Einer, an dem ich zum Beispiel das Vorwort für diese Neuauflage meiner Gebrauchsanweisung abschließen könnte, es fehlen da nur noch ein paar Sätze. Als ich letztes Wochenende im Républicain, dem kleinen lokalen Nachrichtenblättchen unserer Region, las, dass in Aubussargues anlässlich des »jour de l'armistice« nach der Zeremonie der hundert Jahre alte kommunale Backofen angeheizt werden würde, der kürzlich restauriert worden ist, und dass die Gemeinde öffentlich dazu einlade, sich vor diesem Backofen einzufinden, ihr Brot, ihre Pizza, ihre Brioche oder Kuchen mitzubringen und dort gemeinsam zu backen, fand ich das eine der vielen guten Ideen, die in letzter Zeit hier aus dem Boden sprießen, weil sich viele Leute in der Gegend, in der ich lebe, entschlossen gegen die Abkühlung der effizienzbestimmten Welt zur Wehr setzen und sich an allen Ecken und Enden, quer durchs Jahr hindurch immer neue Anlässe ausdenken, zu denen Menschen zusammenkommen und Zeit miteinander verbringen können. Aber der 11. November ist für Deutsche nun mal ein Arbeitstag, Sarkozys Vorschlag ist bei Frau Merkel natürlich nicht durchgekommen, meine preußischen Wurzeln - oder neuerdings Gene - dagegen werden durchkommen und mich an den Schreibtisch bringen. Aber ich habe von meinen sieben Kilo Kürbis noch ungefähr drei Kilo im Kühlschrank, und ich kann sehr gutes Brot und sehr guten Kuchen daraus machen. Sicherheitshalber habe ich am Abend des 10. November ein paar Brote und einen Kuchen vorbereitet, die ja am nächsten Tag, während ich mein Vorwort zu Ende schreibe, ganz nebenbei hier in den Ofen könnten und das Haus schön warm machen würden. Und am 11. November habe ich mich, wie sich das gehört, an den Schreibtisch gesetzt. Es war ein zauberhafter Sonnentag, und es wäre die reinste Energieverschwendung gewesen, an so einem Tag bei uns in der Küche den Herd einzuheizen. Gegen Mittag würde es bestimmt um die achtzehn Grad warm werden. Im Schatten. Ein Jammer eigentlich, an einem so warmen Novembertag am Computer zu hocken. Die Chrysanthemen leuchten so besonders im Herbstlicht. Die letzten Rosen. Alles strahlt so festlich. Nichts da, dachte ich, rief mir ein energisches »au travail« zu, an die Arbeit, draußen war es still, weil alle bei den Kriegerdenkmälern waren, bei uns im Ort, in Aubussargues, natürlich auch, preußische Wurzeln hin, preußische Gene her, die Arbeit wollte bei dieser Stille nicht richtig rutschen, ist ja auch komisch, an einem solchen Tag, wenn der Ort so still ist, jetzt müssten sie langsam fertig sein mit ihrer Zeremonie, ich müsste langsam mit meinem Vorwort zum Ende kommen; wenn's aber so gar nicht laufen will ... kurz: gegen Mittag wurde es ein zauberhaftes Fest in Aubussargues. Ein paar Hundert Leute standen in der Sonne auf einem gelb glitzernden Blätterteppich herum und unterhielten sich, ein Glas in der Hand, während sie darauf warteten, dass die Unmengen Backwaren in den Ofen geschoben und später nach und nach herausgeholt und auf einem Tisch davor aufgetürmt werden würden, Pizzas wurden geviertelt, Brot und Kuchen geschnitten und auf Papptellern serviert. Die Olivenernte hat begonnen und ist ein Thema, weil die Oliven in diesem Jahr früher reif sind als sonst, wann hat man das je gehabt, Oliven am 11. November, selbst wir haben schon fast zwanzig Kilo zur Mühle gebracht, die sonst um diese Jahreszeit noch geschlossen ist; was, die Mühle ist schon offen, fragt Monsieur Echevé und ist erleichtert, weil ihm die Oliven demnächst von den Bäumen fallen, wenn er sie nicht bald herunterholt; das Bauernbrot von Madame Dumas ist ungewöhnlich knusprig und duftet; das Rezept hat sie aus einem alten Backbuch, das sie letztens auf dem Trödel gefunden hat, jemand fragt, ob wir den neuen Wein von Serge schon gekostet haben, Serge ist unser Briefträger und macht einen hervorragenden Wein, natürlich kennen wir den, hier trinken alle seinen Agarrus, den er nach Dienstschluss mit dem Motorrad in einer zweiten Runde zu seinen Kunden ausfährt, denen er vorher die Briefe eingeworfen hat, die bunten Etiketten auf den Flaschen macht ihm Manu, wussten Sie das, ja genau der, der letztens eine Ausstellung in der Galerie Martinez hatte, da ist er übrigens, Serge, und freut sich, dass die kleine Gemeinde Aubussargues für ihr Backfest etliche Flaschen Weißwein und Rosé bei ihm geordert hat, jemand fragt, was das für ein komisches gelbes Brot ist, ein Kürbisbrot ist das; na klar kann ich Ihnen das Rezept geben, der Witz daran ist, dass man ...   Der Witz daran ist, dass mein Vorwort eigentlich etwas preußisch war, es fehlte ihm eine gewisse südfranzösische Leichtigkeit, die sich - sehr weit weg von dem Pariser Pomp, in diesem Jahr wieder ohne Angela Merkel und deutsch-französische Fettnäpfe - mit wenigen Zutaten (im Fall meines Kürbisbrots 300 Gramm Mus von gekochtem Kürbis auf etwa ein Kilo Mehl, einen Teelöffel Salz und einen Würfel Hefe) preiswert, unkompliziert und anspruchslos bei jeder Gelegenheit einstellt. Von dieser Leichtigkeit - und auch von ihren Tücken - will ich Ihnen erzählen.   Birgit Vanderbeke, im November 2010   Mein Süden Der französische Süden boomt. Jahr für Jahr kommen immer mehr Menschen, um im »midi« ihre Ferien zu verbringen, am liebsten noch mehr als nur die Ferien. Sie haben Träume im Kopf, sie haben Filme gesehen, Bücher gelesen, die Literatur, die gesamte Kunst ist voll damit, sie haben eine Vorstellung von mediterraner Heiterkeit, es gibt bestimmte fixe Requisiten in dieser Vorstellung, die Bilder sind alle da, von den Sonnenblumen bis zu den Lavendelfeldern, und es sind wunderbare Bilder, jeder Reiseführer evoziert sie: das Licht, der Duft, das entspannte »laisser-vivre« in den kleinen Dörfern inmitten von Olivenhainen und Weinreben, die sommerliche Hitze, bei der es mittags ganz still wird, selbst manchmal die Zikaden ... Sie kennen diese Bilder. Jeder kennt sie. Südfrankreich ist bezaubernd. Man kann diesen Zauber konsumieren. Von Ostern bis September ziehen ganze Prozessionen von Südsehnsüchtigen durchs Land und bevölkern, als Touristen verkleidet, die Cafés, Bars, Bistros am Straßenrand, fotografieren die Sonnenblumen von den Feldern weg, schwärmen busreisend von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit, zeigen sich gegenseitig andächtig das Meer oder holen sich dort einen Sonnenbrand und sind eine sonderbare Spezies, die in Wirklichkeit keine Wirklichkeit wünscht, sondern die Bilder erleben möchte, die sie mitgebracht hat. Dieser Zustand heißt weltweit Urlaubmachen und erfordert keine Gebrauchsanweisung, weil jeder weiß, wie das geht. Interessant wird der Süden, sobald man wahrnimmt, dass dort Menschen leben und wie sie das tun. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man verfällt ihm vollkommen, oder es gibt Enttäuschungen. Ich kann mich an mehrere Erlebnisse erinnern, die mich ihm haben verfallen lassen, und es waren Erlebnisse, die nicht als Postkarte, sogar in Büchern nicht zu haben sind, deshalb erzähle ich mal zwei Beispiele:   Mein Sohn war acht Jahre alt und sprach kein Wort Französisch, als er von seinen brutalen Eltern zum Besuch einer französischen Schule und zum Erlernen der landesüblichen Sprache und Schrift gezwungen wurde. Wegen der Schrift brauchte er einen neuen Füllfederhalter. Um die Grausamkeit etwas zu lindern, kauften die Eltern einen guten Füllfederhalter mit einer sehr teuren Feder. Beim Einpacken sagte die Verkäuferin in der Papeterie: »Da musst du aber ganz schön aufpassen, nicht dass dir das Ding auf die Spitze fällt.« Genau dies geschah kaum eine Woche später. Mutter und Sohn gestanden in der Papeterie den Hausaufgabenunfall, zeigten die platte Feder und hörten verblüfft den Satz, das sei ja ganz unglaublich, das dürfe aber nicht passieren, das sei ein Materialfehler, den man nicht hinnehmen würde, und das müsse man unbedingt reklamieren und einschicken, da würde man sich drum kümmern. Das Ding wurde konfisziert, dem Kind ein neuer Füller in die Hand gedrückt, und wir mochten das nicht glauben.   Eine ganze Weile dachte ich, ihn nur geträumt zu haben: den ersten Besuch eines Arztes, den ich rief, um einem keinesfalls kranken, sondern bloß schulunwilligen Kind klarzumachen, dass Schule nur im Krankheitsfall versäumt werden darf ( eine Anfängerhaltung, die sich mit den Jahren gegeben hat ). Der Arzt sah sich den Jungen an, kam aus dem Kinderzimmer und sagte sodann mit ernster Miene: »Tja, eine eindeutige Simulitis, und wenn das Fieber nicht weiter steigt, könnte er im Grunde morgen wieder zur Schule.« Wir tranken einen Kaffee, und plötzlich sagte er besorgt: »Aber wenn er nun Fieber bekommt? Hätten Sie dann wohl Paracetamol?« Ich hatte nicht. Der Rezeptblock wurde gezückt. Bei der Gelegenheit fiel dem Arzt ein, dass ja auch Kopf-, Bauch-, Halsschmerzen oder Husten eintreten könnten, und da ich dagegen auch keine Medikamente hatte, schrieb er die also auch noch auf, und es endete so, dass ich am Schluss - weil Kinder sich leicht beim Spielen mal etwas verrenken oder verzerren - noch eine Tube Sportsalbe auf dem Rezept und eine komplette vernünftige Hausapotheke verordnet bekommen hatte und ein kleiner Junge, der das Fremdwort für seine Krankheit natürlich nicht kannte, das Gesicht hatte wahren dürfen. Solche Erlebnisse steigern den Zauber der Region ungemein, und sie waren in Südfrankreich von Anfang an häufig und kommen eigentlich täglich vor, aber viele sind unscheinbar und schwer zu entziffern von Gegenden aus, in denen die Ellenbogenkultur so altmodische Tugenden wie Höflichkeit, Wärme und Charme ziemlich rabiat verdrängt hat.

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