Als ich meinen Hebammenberuf lernte, war der Ablauf einer Geburt in vier Phasen aufgeteilt. Heute sind es (international angepasst) noch drei Phasen, in die je nach Gebärfortschritt an den meisten Orten eine Geburt eingeteilt wird. Daher gehe auch ich in diesem Buch von dieser Unterteilung aus, obwohl dir das nicht deutlich machen kann, wie sich Wehen anfühlen oder wie du dich fühlen wirst. In meinen Berufsjahren habe ich sehr viel mehr Phasen und »typische« Gefühlswelten von Frauen beim Gebären ihrer Babys kennengelernt. Aber dazu später!
Der Anfang des großen Ereignisses wird als Latenzphase bezeichnet, und diese »Vorarbeit« wird noch nicht zu der Drei-Phasen-Einteilung gezählt. In dieser meist längsten »Vorarbeitszeit« des Gebärens (12 bis 48 Stunden) beginnen die Kontraktionen* deiner Gebärmutter, der Gebärmutterhals verkürzt sich und der Muttermund öffnet sich.
Wenn du so weit gekommen bist, dass deine Muttermundöffnung circa fünf Zentimeter ist, beginnt die aktive, erste Phase des Gebärens. Ist dein Muttermund dann so weit geöffnet, dass der vorangehende Teil deines Babys hindurchpasst (je nach Größe des Babys neun bis dreizehn Zentimeter), wird dies als die zweite Phase des Gebärens bezeichnet. In ihr schiebst du das Baby in die Welt, das dann geboren wird. Und in der dritten Phase wird die Plazenta geboren. Diese eher abstrakten Kategorien für Fachleute werden für dich keine wirkliche Rolle beim Erleben des Gebärens spielen, da jede Geburt so einzigartig ist, wie du es bist, aber du wirst die Begriffe eben immer wieder hören. Du selbst wirst die Übergänge von einer Phase in die nächste nicht unbedingt wahrnehmen. Deutlich spürbar wird es aber für dich sein, wenn der Pressdrang am Ende der ersten Phase beginnt. Und später dann, wenn du noch einmal mitschieben sollst, um die Plazenta zur Welt zu bringen.
Die Dauer der Geburt wirst du nicht wie sonst in deiner normalen Zeitwahrnehmung erleben. Vor der Geburt höre ich häufig von werdenden Müttern, dass sie alles »je schneller, desto besser« hinter sich bringen möchten, und hinterher sagen sie mir oft, dass sie im Nachhinein glücklich waren, dass ihnen »alle Zeit der Welt« gegeben wurde, um ihr Baby zur Welt zu bringen. Wehen brauchen Zeit, also gib sie ihnen. Schaue nicht auf die Uhr und bleibe geduldig und zuversichtlich. Dein Körper weiß, was zu tun sein wird.
Die Gefühle der Warte- und Vorbereitungszeit
In den letzten Tagen, bevor es wirklich losgeht, beschreiben mir die Frauen recht verschiedene Gefühlszustände. Einige sind genervt, weil alle Lieben und auch nicht so Lieben nachfragen, ob denn »schon etwas zu spüren« sei. Andere Frauen fühlen sich schwer und unbeweglich und beschreiben ihren Zustand als Unwohlsein im Körper und in der Seele. Wieder andere Frauen sind besonders energievoll und stellen ihre Wohnung noch einmal komplett um. Wie du dich auch fühlen magst – es passiert Einiges in dir, was diese Empfindungen ausgelöst haben kann. Deine Hormone tanzen sich ein, dein Baby begibt sich in seine Startposition und das Gewebe deines Gebärmutterhalses wird dünner. Vielleicht spürst du, dass es gut für dich ist, mehr zu schlafen und auch etwas aus der Alltagsroutine auszusteigen. Das solltest du dir auf jeden Fall gönnen!
Nach diesem Befindlichkeitszustand kommt häufig eine Phase, in der mir Frauen beschreiben, dass sie ihre Braxton-Hicks-Kontraktionen* deutlicher und häufiger wahrnehmen. Der Bauch fühlt sich dann »enger« an, und deine Aufmerksamkeit richtet sich mehr in Richtung Baby. Die erhöhte Oxytocinausschüttung in dieser Phase kann dich positiv stimmen und auch etwas verschmuster sein lassen. Bei vielen Frauen steigen Nervosität und Aufregung, weil ja nun wirklich etwas spürbar wird, wenn der Bauch öfter hart wird. Es zeigt dir, dass dein Körper Bescheid weiß. Er weiß, was zu tun ist. Wie wundervoll, dass du dich auf ihn schon einmal verlassen kannst!
Wenn die Kontraktionen sich in ihrer Dauer verlängern, und du dich aufgeregt und fokussiert fühlst, Rückenschmerzen im unteren Rücken und periodenartige Schmerzen auftreten, kann dieser Zustand gerne einmal ein bis zwei Stunden andauern und dann wieder stoppen. Das ist häufig so und eine wunderbare Vorarbeit, auch wenn du leicht genervt sein solltest, dass du immer noch darauf warten musst, bis es endlich losgeht. Nun dauert es bestimmt nicht mehr lange!
Die erste, frühe Vorarbeit (Latenzphase)
Und dann geht es endlich los: Dein Baby macht sich auf den Weg! Als Erstes erlebst du die sogenannte Latenzphase. Diese für dich wahrscheinlich längste Phase des Gebärens entwickelt sich oft in Etappen, sie wird gern mit einer Tour in die Berge oder auch mit einem Marathon verglichen. Mit diesem Bild im Kopf wirst du, als Wanderin oder Läuferin, die gesund und ausdauernd ist und sich seit Monaten gut vorbereitet hat, nun eine gewisse Zeit brauchen, um dich auf deinen persönlichen Laufrhythmus einzustellen. Du startest natürlich nicht mit ganzer Kraft, sondern langsam, weil du weißt, dass du noch eine längere Strecke vor dir hast. Manchmal wirst du kleine Pausen brauchen und dich ein wenig ausruhen wollen. Und so geht es auch deinem Körper.
In dieser Phase fühlt sich der Gebärfortschritt noch unsicher an. Die Kontraktionen lassen vielleicht über einige Stunden noch einmal nach, und du hast Zeit, dich zu erholen und deine Kräfte zu sammeln. Das ist bei vielen Gebärabenteuern so. Also hab Vertrauen in den Prozess – vielleicht muss das Zusammenspiel aller helfenden Faktoren in deinem Körper noch abgestimmt werden. Und selbst wenn unplanbare Ereignisse wie Regen oder holprige Pfade deinen Wanderweg oder deine Marathonstrecke erschweren, hast du ja ein wunderbares Ziel vor Augen! Du kannst darauf bauen, dass es immer Menschen an deiner Seite geben wird, die dich nicht allein lassen – auch wenn dir niemand den Weg zum Ziel abnehmen kann.
In dieser Phase ist deine Geduld ein wichtiger Faktor. Die Wehen brauchen ihre Zeit, wenn dein Körper diesen natürlichen Prozess durchläuft. Bleibe so lange wie möglich zu Hause, wenn du eine Geburt in der Klinik geplant hast, und beschäftige dich mit »normalen« Dingen wie Essen und Trinken, Lesen und Aufräumen. Auch Bewegung, wie Spazierengehen oder Kreisen auf einem großen Gymnastikball, kann angenehm sein. Höre auf deinen Körper. Wenn er dir sagt, dass Ausruhen das Richtige ist – sammle deine Kraft für später.
Melde dich bei deiner Begleitung für die Geburt. Auch wenn du noch zu Hause bleibst, können diese Personen schon den Alltag übernehmen, damit du dich auf das Gebären konzentrieren kannst. In dieser Phase nicht mehr allein zu sein und von liebenden, unterstützenden Menschen umgeben zu sein, kann sehr guttun.
Was passiert dabei mit dir und mit deinem Baby?
Zunächst muss sich dein Gebärmutterhals verkürzen und weich werden. Ein Gewebe, so fest wie dein Nasenrücken, wird bei dieser Gebärarbeit so dehnbar wie deine Lippen. Das braucht natürlich seine Zeit. Bei jeder Kontraktion wird sich der Gebärmuttermuskel nach oben zusammenziehen, und der Muttermund wird sich wie bei einem Rollkragenpullover langsam, ganz langsam über den vorangehenden Teil deines Babys schieben. Du spürst dabei einen wachsenden Druck im oberen Teil deiner Gebärmutter, genauso wie Rückenschmerzen oder periodenartige Schmerzen. Wenn alle unterstützenden Faktoren in deinem Körper gut zusammenspielen, beginnen rhythmische Kontraktionen.
Falls du zu den Frauen gehörst, die ihre Kontraktionen vor allem als Schmerz im unteren Rücken fühlen, und für dich dadurch der Eindruck entsteht, dass die Wehen überhaupt nicht mehr nachlassen wollen, kannst du Folgendes versuchen:
•Bade in einer warmen Badewanne (38 bis 39 °C) oder lege dir eine in ein Tuch gewickelte warme Wärmflasche auf den schmerzenden Bereich.
•Lasse einen warmen Wasserstrahl über den Rücken laufen, während du auf einem Gymnastikball in der Dusche sitzt.
•Bewege auf allen Vieren Becken und Rückgrat auf und ab. Übe die Yogaübung »Katzenbuckel« und »Hängematte« (siehe den folgenden Kasten).
•Knie dich vor einen mit...