Die magischraue Welt unserer keltisch-germanischen Vorfahren
Nach vorchristlich-heidnischem Glauben sitzt die Fruchtbarkeitsgöttin Ceridwen in den rauen, nebligen Nächten an ihrem Kessel und kocht die Ursuppe, das Schicksal der Menschen. In den Rauhnächten, den Tagen des Übergangs, bereitet Ceridwen darin die Inspiration, die Initiation, die Einweihung und Transformation der Persönlichkeit zu. Dann sind die Zugänge zu dem verborgenen Reich der Erde – der Ort der Erleuchtung und Weisheit, die Welt der Ahnen, im Laufe dieses Buches auch »Anderswelt« genannt – frei, und jeder kann am Faden seines Lebens mitspinnen und mit dem magischen Zauberlöffel in der Suppe des Urkessels rühren. Er kann hineinschauen und sein Schicksal, sein Los, sehen und seine Handlungen mitbestimmen, die den Lebensweg beeinflussen. So kann jeder in den Rauhnächten Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen, die seine bisherige Richtung im Leben verändern werden.
In den gleichen Tagen feierten unsere Urahnen den Beginn des neuen Jahrs, das Samhainfest. Alle Feuer des Landes wurden gelöscht und von dem angesehensten und höchsten Priester ein neues, heiliges Feuer auf einem sakralen Festplatz entzündet. Davon nahm jede Familie eine Flamme mit nach Hause und entfachte dort wieder das eigene Herdfeuer und eine Räucherpfanne, mit welcher der Familienvater Haus und Hof nach einem bestimmten Räucherritual reinigte. Bis heute spüren wir den Zauber dieser rauen, rauchigen Nächte in jeder Zelle unseres Körpers und feiern zum Jahreswechsel mit vielen ursprünglich germanisch-keltischen Bräuchen und Ritualen die gleichen Feste im modernen Gewand.
Das Volk der Germanen und Kelten
Tief in unserer Seele sind Fragen nach der Zukunft vergraben, die besonders in der dunklen Zeit an die Oberfläche gelangen. Was wird das neue Jahr bringen? Wie dreht sich das Lebensrad weiter? Welche Ereignisse werden mein Leben entscheidend prägen? Eine Mischung aus Hoffnungen und Ängsten schlägt sich in unserer Wahrnehmung nieder. So geschehen auch schon lange vor unserer Zeitrechnung bei den Germanen und Kelten, die sich in Wesensart und Lebensform glichen, doch in ihrer Sprache unterschieden. Beide vorchristlichen Volksgruppen, bestehend aus vielen Stämmen, besiedelten West-, Mittel- und Nordeuropa. Bei den Germanen handelt es sich um die Ureinwohner Nordeuropas, die hauptsächlich die heutigen Länder Skandinavien, Südschweden, Jütland, Dänemark und Schleswig-Holstein besiedelten, bevor sie weiter nach Westen und Süden drangen, wo sie auf ihre Nachbarn, die Kelten, trafen. Deren Kernland war ursprünglich das Gebiet rund um die Alpen, Ungarn, Böhmen, Frankreich, Belgien, Norditalien und England. Erst später kamen Griechenland und Kleinasien dazu.
Diese beiden Volksgruppen prägten von circa 800 v. Chr. bis etwa 800 n. Chr. unsere heutige Kultur. Die heulenden Winterstürme in den rauen Nächten versetzten sie in Angst und Schrecken. Sie fürchteten sich vor dem nächtlichen, gespenstigen Höllenlärm der dunklen Totenheere, die aus den dampfenden Nebeln mit lautem Geschrei auftauchten, an den Holztüren der Hütten rüttelten, um die Bewohner mitzunehmen nach Walhall, dem Paradies der gefallenen Krieger. Obwohl sie einem glücklichen Jenseits entgegenblickten, wohin sie von Walküren, den Seelenführerinnen, geleitet wurden und wo sie an reich geschmückten Festmählern teilnahmen, hatten sie große Angst vor den Totengeistern. Diese erschienen besonders in der dunklen rauen Zeit, wenn die Tage kürzer wurden und die rauen Winde an den Wolken zerrten und ihnen gespenstige Gesichter verliehen. Dann brach die schaurige Zeit an, die Grenzen zu anderen Welten fielen, und die Zeit der Totengötter und Totengeister nahm ihren Lauf. Dann saß die Sippe um das Herdfeuer zusammen und erzählte sich von ihren Erlebnissen mit den Göttern, Geistern und Naturwesen und wie diese schon von ihren Vorfahren erlebt wurden.
Schriftliche Aufzeichnungen gab es keine, alles wurde mündlich weitergegeben. Bruchstücke ihrer Erzählungen finden sich heute noch in den Märchen der Brüder Grimm oder in den keltisch-germanischen Göttersagen und Legenden wieder, die uns einen Schimmer von den Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen übermitteln, wie sie vermutlich vor fast dreitausend Jahren empfunden wurden. Es sind Botschaften aus der Seelenwelt unserer Ahnen, deren übersinnliche Erfahrungen aus der Anderswelt, dem Reich der Götter, Geister, Elfen, Feen, Zwerge und Verstorbenen.
Das Geheimnisvolle der rauen, magischen Nächte dieser beiden versunkenen Völker lebt bis heute in unseren Genen fort. Es lässt uns die Seele der dunklen Wälder spüren, die Stimme der nebeldurchdrungenen Wiesen hören und uns mit den Geistern der Anderswelt verbinden, die uns ein Hauch von jenem Fantastischen einflößen, das uns in der Zukunft erwartet und schon im Hier und Jetzt durch das Leben führt, wenn wir unsere Sinne schärfen für die offenen Pforten der geistigen Welt.
Da das Leben unserer keltischen und germanischen Vorfahren von der Fruchtbarkeit der Natur und optimalen Wetterbedingungen abhing, versuchten sie, anhand verschiedener Naturphänomene das Wetter im Jahresverlauf vorauszusagen. So entwickelten sich die Bauernregeln auf Grundlage einer ehemals existenziell notwendigen Naturverbundenheit. In der geheimnisvollen, stillen und dunklen Zeit führten sie Rituale ein, um die Gunst der Natur für sich zu gewinnen.
Naturkräfte, Geister und Götter – Natürliche Erscheinungen im täglichen Leben
In der germanisch-keltischen Glaubenswelt spielten die Geister der Ahnen und Naturwesen (Elfen, Feen, Kobolde und so weiter) eine zentrale Rolle. Nach altem Glauben ziehen verstorbene Seelen so lange als Geister umher, bis sie ihre Aufgabe auf Erden erfüllt haben und nicht mehr an ungelösten Problemen festhalten. Gute Geister weisen auf die Existenz des Jenseits hin und unterstützen die rechtschaffenen Zeitgenossen bei der Erfüllung ihrer Ziele und Wünsche. Den Unholden zeigen sie sich als strafende und rächende Wesen. Ferner geben sie jedem die Gelegenheit, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, um jedem Menschen mehr Sicherheit, Vertrauen und Selbstbewusstsein zu vermitteln.
Leider verschließen sich viele von uns dieser fantastischen Möglichkeiten, da solche Wahrnehmungen nach offizieller Redensart Humbug sind. Hier ist jeder selbst gefordert, seine Wahrnehmung zu schärfen und auf Erscheinungen zu achten, die nach wissenschaftlichen Aussagen völlig unmöglich sein sollen.
Unsere heidnischen Vorfahren lebten noch vollständig im Einklang mit der Natur und nahmen alle Erscheinungen wahr, die ihnen die geistige Welt zur Lösung der irdischen Herausforderungen zur Seite stellte. Bis heute leben Naturvölker mit dieser Wahrnehmung und führen ein gutes und glückliches Leben, das die Bewohner der zivilisierten Welt oft fälschlicherweise geringschätzen und als rückständig bezeichnen. An die Stelle der Geister und Götter sind die Wissenschaften getreten, die ohne Zweifel sehr viele Erkenntnisse gebracht haben. Doch haben sie es in den letzten drei Jahrhunderten versäumt, die mystische Welterfahrung mit ihren Forschungen zu verknüpfen, und dadurch laut dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann (1906–2008) ein einseitig materialistisches Weltbild entstehen lassen. Alle geistigen Dimensionen der Wirklichkeit fehlen darin, Bereiche also, die vor dem Zeitalter der Aufklärung im 18. Jahrhundert zu bahnbrechenden Erkenntnissen in den Naturwissenschaften geführt haben.
Naturerscheinungen wie Sonne, Mond, Stürme, Donner, Schnee und das Erwachen der Natur regten frühere Völker zur Schöpfung von Wesen an, die sich in Göttern verkörperten. Sie erschienen in menschlicher Gestalt und menschlichem Aussehen, besaßen einen idealen Körperbau, waren hochgewachsen und führten ein langes Leben, waren jedoch nicht unsterblich. Sie führten Kriege, befragten das Orakel und feierten festliche Gelage.
Auch wenn die Wissenschaften die Existenz von Göttern verneint, so leben sie doch bis heute in allen Naturerscheinungen weiter. In tiefer Meditation können wir bis heute ihre Seelenkräfte spüren, sie existieren in all den Göttersagen unserer Vorfahren und haben bis dato unsere Sichtweise der Natur, unseren Glauben, unsere Gefühle und Denkweise maßgeblich beeinflusst. Immer wieder spüren wir ihren Zauber und ihre Magie, die alle Pflanzen, Steine, Berge, Meere, Flüsse, Bäche und so fort ausstrahlen.
Um die heilenden Kräfte der Erde zu spüren, werden bis heute Orte aufgesucht, die den Geist des Ortes (Genius Loci) besonders stark ausstrahlen. So können in Wäldern, auf Wiesen, an Steinen oder aus Wasserquellen Inspirationen aus den Tiefen unseres Planeten hervorsprudeln, die den Suchenden auf seinem Weg der Erkenntnis eifrig unterstützen. An solch energiereichen Orten haften unsichtbare Erinnerungen an längst vergangene Geschehen,...