Übungen, die man in den Alltag integrieren kann
In meiner Kindheit war ich während der Ferien häufig in Williamsburg, einer Stadt, die in weiten Teilen ein historisches Freiluftmuseum ist. Ich war fasziniert von den rekonstruierten Gebäuden im Stil des 18. Jahrhunderts, von den Menschen, die in dazu passenden Kostümen umherspazierten, den Hutgeschäften, den Hufschmieden und den marmorierten Papieren in einer Buchbinderei.
Aber ganz besonders gut erinnere ich mich noch an ein Textilgeschäft, das »Shoppe« hieß. Im Hinterzimmer saß eine Frau an einem großen Webstuhl und führte akribisch Schussfäden durch die vorgespannten Kettfäden. Einen nach dem anderen, immer hin und her.
Mit der Zeit entstand ein dichtes Gewebe. Für mich war das damals wie Zauberei. Meine Mutter musste mich regelrecht aus dem Raum zerren, so fasziniert war ich von diesem langsamen, aber stetigen Entstehungsprozess.
Für sich genommen wirkte jeder einzelne Faden völlig unscheinbar, und doch entstand durch das Verweben einer Vielzahl von Fäden auf wundersame Weise ein Stoff. Stellen Sie sich jede der Übungen dieses Buches als Faden vor, der sich durch Ihren Alltag webt. Mit der Zeit entsteht daraus eine feste Struktur, die Textur des inneren Friedens.
Ganz offensichtlich sind stetige Wiederholung und Kontinuität der Schlüssel zum Erfolg, sowohl beim Weben als auch bei der Verknüpfung neuer Denkmuster mit dem Alltag. Aus einem einzelnen Faden wird kein Stoff, genau wie ein Vitaminshake oder ein Yogakurs noch keinen kranken Menschen gesund macht. Für nachhaltige Erfolge müssen wir unseren neu erworbenen Gewohnheiten Zeit geben, sich zu verwurzeln, sie müssen zu einer Konstante unseres Lebens werden.
In diesem Abschnitt finden Sie zehn ausgewählte Impulse und die dazugehörenden Methoden als Basis für den Alltag. Sie sollen Beispiele dafür sein, wie man die Übungen in den Alltag integrieren kann.
Natürlich ist es Ihnen freigestellt, die Impulse und Methoden Ihren Bedürfnissen anzupassen und daraus Ihr eigenes Übungsprogramm zu gestalten. Variieren Sie, optimieren Sie, modellieren Sie die Beispiele so, dass sie für Ihr Leben passen. Eine Teilnehmerin in einem meiner Workshops hat zum Beispiel herausgefunden, dass die bei mir mit dem Zähneputzen verbundene Übung »Die Herrlichkeit des Morgens« für sie besser zum Rekeln im Bett vor dem Aufstehen passt.
Eine andere Teilnehmerin fand heraus, dass das Fahren im Aufzug der perfekte Moment für eine Gelassenheitsübung ist. Sie kreierte eine ganz spezielle Übung, bei der mit jedem Stockwerk mehr und mehr Stress von ihr abfällt. Seien Sie kreativ!
Miteinander verwoben, entsteht aus neuen Denkmustern eine strapazierfähige Struktur des Wohlbefindens. Wenn bereits eine einzige neue Gewohnheit die Chance bietet, Ihr Leben zu verändern, wie gewaltig muss dann erst die Kraft sein, wenn Sie diese miteinander verknüpfen!
»Die tägliche Dosis«
Impuls: Morgens, kurz vor dem Aufstehen.
Methode: Setzen Sie sich, noch im Bett liegend, eine Intention. Atmen Sie tief ein und sagen Sie beim Ausatmen: »Heute bin ich ganz ruhig« oder »Ich verbringe den ganzen Tag in innerem Frieden«. Benutzen Sie das Präsens, so als ob Sie Ihr Vorhaben schon umgesetzt hätten, und spüren Sie, wie der Frieden langsam in Sie einströmt. Finden Sie einen Satz, der für Sie stimmig ist, etwa: »Heute entscheide ich mich für Frieden« oder »Jeder Tag hat positive Momente« oder »Ich strahle heute Frieden aus«. Stellen Sie sich diesen Satz als eine morgendliche Vitamintablette vor, Ihre tägliche »Friedenspille«. Erlauben Sie sich, jeden Tag mit einer friedlichen Intention zu beginnen.
Irgendwann bekam ich eine E-Mail von meiner Schwester, in der sie mir einen Fragebogen mit einer Reihe von nicht ganz ernst gemeinten Fragen schickte. Sie hatte sie bereits beantwortet und bat mich, das Gleiche zu tun. Diesen Fragebogen hatte ich bereits zuvor von Freunden geschickt bekommen.
Die Fragen ließen witzige Interpretationen zu, je nach Geschmack des Befragten. Eine Frage, die mir in Erinnerung geblieben ist, war: »Was ist Ihr erster Gedanke nach dem Aufwachen?« Meine Schwester hatte geschrieben: »Am Wochenende: Juchhu!« An einem Werktag: »Oh nein!« Meine Antwort lautete: »Habe ich ausreichend geschlafen?« Da ich unter Schlafstörungen litt, machte ich mir immer Sorgen über meinen Schlaf.
Damals wurde mir klar, dass die ersten Gedanken nach dem Aufwachen auch entscheidende Verhaltensregeln sein können. In der Phase zwischen Schlaf und vollständigem Erwachen entwickeln Gedanken eine geradezu hypnotische Kraft. Wenn einem zum Beispiel als Erstes der Satz »Wie soll ich diesen stressigen Tag nur überstehen?« durch den Kopf schießt, ist das nicht gerade ein erfolgversprechender Start.
Gedanken, die geeignet sind, den inneren Frieden zu fördern, sollten Sie sich merken. Der erste Gedanke nach dem Aufwachen ist wichtig, er schafft nicht nur die Basis für den bevorstehenden Tag, sondern ist auch ein wertvoller Baustein für das Leben. Das klingt Ihnen zu dramatisch? Probieren Sie es aus und sehen Sie selbst!
Zweck: Wenn wir uns nach dem Aufwachen einen Moment Zeit nehmen, um uns in Ruhe eine Intention zu setzen, starten wir gelassen und friedlich in den Tag und durchbrechen den Kreislauf der automatischen, meist negativen Aufwachgedanken. Nach und nach bildet sich in unserem Gehirn ein neues Verhaltensmuster, und wir können mit dem allerersten Morgengedanken gezielt einen von Frieden bestimmten Tag beginnen.
»Die Herrlichkeit des Morgens«
Impuls: Während des morgendlichen Zähneputzens.
Methode: Denken Sie beim Zähneputzen an drei Ereignisse, mit denen Sie an diesem Tag konfrontiert werden. Bewerten Sie sie nicht als »gut« oder »schlecht«, als »angenehm« oder »stressig«, sondern versuchen Sie neutral zu bleiben und sich vorzustellen, sich für alle damit einhergehenden Erfahrungen wie die Blüten in der Morgensonne zu öffnen. Sagen Sie: »Heute sehe ich dem Meeting voller Neugier entgegen« oder »Heute begegne ich meinen Schülern mit Offenheit« oder »Heute stehe ich dem Ausgang der Telefonkonferenz unvoreingenommen gegenüber«. Wenn Sie den drei Ereignissen im Laufe des Tages begegnen, erinnern Sie sich an Ihre Vorsätze. Vielleicht müssen Sie das eine oder andere gedanklich festzurren: »Ach, so stellt sich das also heute dar!« Alternativ können Sie auch drei positive Werte auswählen (statt der drei Ereignisse), für die Sie an diesem Tag besonders empfänglich sein möchten, wie zum Beispiel Liebe, Geduld oder Großherzigkeit.
Die Erzieherin meiner Kinder war nicht nur eine hervorragende Pädagogin, sie war auch eine wunderbare Fotografin. Sie nahm mit ihren Bildern sogar an regionalen Wettbewerben teil, die sie oft gewann. Und wenn sie Briefe verschickte, fügte sie manchmal eine ihrer prachtvollen Naturfotografien bei, die sie auf eine dicke Pappe geklebt hatte. Eines ihrer Fotos hat mich so berührt, dass ich es gerahmt und in meinem Badezimmer aufgehängt habe: »Blue Morning Glories«, in Sonnenlicht getauchte Prunkwindenblüten.
Während ich eines Morgens noch ganz benommen meine Zähne putzte, dachte ich an die To-do-Liste, die ich an diesem Tag abzuarbeiten hatte: »Geschäftsmeeting in der City.« Uff. »Der Klient mit der schwierigen Geschichte.« Uff. »Mittagessen mit einer Freundin.« Gut. »Kinder an drei verschiedenen Orten abholen.« Na ja. »Heute Abend Theaterprobe.« Sicher ganz witzig, wenn ich nur nicht so müde wäre, uff. Mir fiel auf, dass ich die Neigung hatte, alles im Voraus als gut oder schlecht einzustufen. Immer, wenn ich darüber nachdachte, was an diesem Tag so alles zu erledigen war, fiel mir nur eine Lösung ein: »Augen zu und durch.«
Dann fiel mein Blick auf das Foto mit den Prunkwinden. Ich dachte darüber nach, wie sich diese wunderbaren Blüten jeden Morgen aufs Neue öffnen, frisch und optimistisch blicken sie dem neuen Tag entgegen. Sie werten nicht, verurteilen nicht, sie öffnen sich und lassen alles auf sich zukommen.
»Ich möchte auch so sein wie diese Blüten«, sagte ich mir und beschloss es auszuprobieren. Nicht nur, dass ich versuchte, meine täglichen Aufgaben vorurteilsfrei anzugehen, ich bemühte mich auch, den ganzen Tag über neugierig und offen zu bleiben.
Und jetzt raten Sie mal! Es funktionierte.
Zweck: Wenn wir unseren Tag mit einer empfänglichen Haltung beginnen, schaffen wir automatisch eine Energie des »Geschehen-Lassens«. Indem wir uns immer wieder an die Prunkwindenblüten in der Morgensonne erinnern, während der Tag langsam voranschreitet, richten wir unseren Geist an den damit einhergehenden positiven Gefühlen aus und kultivieren ein Gefühl der Neugier und der Akzeptanz. Diese offene Haltung nährt den inneren Frieden.
»Einfangen und loslassen«
Impuls: Unter der Dusche.
Methode: Denken Sie an Ihre drei größten Ängste, Dinge, die Sie ganz besonders stressen. »Fangen« Sie die damit einhergehenden negativen Gefühle ein und geben Sie ihnen einen Namen: zum Beispiel Angst, Verdruss, Verurteilung oder Leiden. Stellen Sie sich dann vor, wie Sie jedes einzelne Gefühl mit dem Wasserstrahl der Dusche im Abfluss verschwinden lassen. Sagen Sie zum Beispiel: »Ich lasse los und spüle meine Angst vor einer negativen Kritik meiner beruflichen Leistung weg« oder »Ich lasse los und spüle meine Angst weg, dass...