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Georgius Agricola

Berggelehrter, Naturforscher, Humanist

AutorFriedrich Naumann
VerlagE-Sights Publishing
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl100 Seiten
ISBN9783945189030
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,49 EUR
Georgius Agricola (1494 - 1555) gilt als herausragender europäischer Renaissancegelehrter und Humanist. In aller Welt bekannt wurde vor allem sein Lebenswerk De re metallica libri XII, das als systematische Darstellung des gesamten Berg- und Hüttenwesens jener Zeit die Herausbildung der Montanwissenschaften einleitete und über die Jahrhunderte unerreichtes Vorbild blieb. Auch auf anderen Gebieten - Pädagogik, Medizin, Metrologie, Philosophie und Geschichte - vollbrachte er Hervorragendes und bis heute Gültiges. Die Biographie gibt Einblicke in Leben und Werk und kommentiert vor allem das wissenschaftliche ?uvre Agricolas.

Der Autor (*1940) studierte an der Bergakademie Freiberg Mineralogie und wechselte nach der Promotion an die TH Karl-Marx-Stadt. 1979 wandte er sich der Wissenschafts- und Technikgeschichte zu und habilitierte sich an der TU Dresden mit einer Arbeit zur Genese der Informatik. Bis 2005 wirkte er - inzwischen Mitglied der Historischen Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften sowie weiterer wissenschaftlicher Gesellschaften - als Professor für Wissenschafts-, Technik- und Hochschulgeschichte an der TU Chemnitz. Sein wissenschaftliches ?uvre umfasst zahlreiche Arbeiten zur Informatikgeschichte wie auch zur Geschichte der regionalen Industrialisierung sowie des Montanwesens, insonderheit zu Leben und Wirken des Begründers der Montanwissenschaften Georgius Agricola (1494-1555) sowie dem Leben und Wirken des russischen Gelehrten Michail W. Lomonossow (1711-1765).

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Leseprobe

Kapitel 3


Als Baccalaureus artium ins Berufsleben


Die Stadt Zwickau, an der nach ihr benannten Mulde gelegen und zu den ältesten Orten des Meißner Landes zählend, hatte ihre wirtschaftliche Stärke insbesondere durch Bierbrauerei, Metallverarbeitung – Eisen-, Kupfer- und Messingbearbeitung, Kupferhämmer, Harnischschmieden, Zinnhaus und Silberhütte – sowie durch Tuchmacherei erlangt. Seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entwickelte sie sich zum Hauptort der westsächsischen Tuchherstellung. Als Agricola nach Zwickau kam, existierten bereits 250 Tuchmachermeister, die ihre Wolle ausschließlich aus der unmittelbaren Umgebung bezogen. Tuche hoher Qualität, für deren Einfärbung thüringischer Waid bezogen wurde, bildeten sichere Grundlage eines ausgedehnten Handels mit Abnehmern in Magdeburg, Braunschweig, Stettin, Linz, Regensburg und Krakau. Durch geschickte Veredlung und Weiterverarbeitung war man mit dem berühmten „Zwickisch Tuch“ sogar auf den Messen von Naumburg, Breslau und Frankfurt/O. präsent. Auch zu Nürnberg, zum böhmischen Eger und zu Leipzig bestanden enge wirtschaftliche, teilweise sogar familiäre Beziehungen. Die erzielten Gewinne flossen zum großen Teil in den Schneeberger Silbererzbergbau und zwar in Form eines so genannten Kuxbesitzes. Man erwarb damit einen Besitzanteil an einem Bergwerk, wobei in einer Zeche insgesamt 128 Kuxe zur Verteilung standen. Unter günstigen Umständen konnte man über die quartalsmäßig ausgeschüttete „Ausbeute“ – das war der Überschuss aus dem Ertrag eines Bergwerks nach Abzug aller Unkosten wie auch geplanter Investitionskosten – verfügen. Liefen die Dinge ungünstig, vielleicht aufgrund ungenügender Neufunde, war „Zubuße“ zu zahlen. Als Rechtsform galt die „Gewerkschaft“, die Bergbautreibenden als Mitglieder nannte man „Gewerken“.

Eine der markantesten Persönlichkeiten in der Periode zwischen 1460 und 1530, in der sich die Einwohnerzahl Zwickaus auf fast 7000 erhöhte, war Martin Römer. Man nannte ihn den „Reichen“, konnte er sich doch als erster Großunternehmer Sachsens ohne Mühe mit den süddeutschen Handelsherren messen. Als Fundgrübner, Berg- und Amtshauptmann machte er sich vor allem um die Belebung des Schneeberger Bergbaus, aber auch um die Hebung des Ansehens der Stadt – in den Augen ihres Landesherren die „Perle der sächsischen Lande“ – verdient. So brillierte sie mit prächtigen Bürgerhäusern und stattlichen Kommunalbauten, jedoch auch mit großzügigen Ratsentscheidungen. Die dafür zuständigen Repräsentanten waren fast ausschließlich Söhne einflussreicher bürgerlicher Familien, fünf davon hatten in Leipzig studiert, der Bürgermeister Laurentius Bärensprung sogar in Paris. Sie verfügten deshalb über hohe akademische Bildung und zeigten sich aufgeschlossen gegenüber den Idealen des Humanismus. Römer war es auch, der 1479 der Stadt ein neues Schulgebäude geschenkt und damit die Saat für die Entwicklung eines modernen Schulwesens gelegt hatte. Dass die Schulaufsicht allein dem Stadtrat oblag, war von großem Vorteil, denn damit war der Einfluss des Klerus nur noch gering. Allein die Besoldung der Schullehrer erfolgte noch aus kirchlichen Einkünften.

Schulhaus der Zwickauer Lateinschule im Zeitraum von 1479 bis 1548, am Marienkirchplatz gelegen. Zeitgenössische Abbildung.

Nach Erledigung letzter Lehrverpflichtungen in Leipzig kam Agricola Anfang 1518 mit Fürsprache seines Freundes Stephan Roth in die von geistigem Leben und politischen Auseinandersetzungen gekennzeichnete Stadt und übernahm an der von Roth geleiteten, renommierten Lateinschule das Amt des stellvertretenden Schulmeisters (auch supremus, hypodidaskalus bzw. Konrektor genannt). Offensichtlich empfing man ihn mit offenen Armen, denn Caspar Cruciger schrieb an seinen Freund Roth: „… dass Du Georgius Agricola gewonnen hast, darüber freue ich mich ungeheuer, weil er mein Lehrer in der griechischen Sprache war.“ Vorzugsweise vermittelte Agricola seinen Schülern als auch „etzlichen doctoribus, Priestern, Magistern“ Kenntnisse in Griechisch, das zu jener Zeit „sehr seltzam gewesen“ ist, von ihm aber offensichtlich souverän beherrscht wurde. Nach nur kurzer Zeit entschloss sich der Stadtrat sogar, eine eigene „Greckische Schul“ (Griechische Schule) zu eröffnen und deren Leitung Agricola zu übertragen. Im entsprechenden Ratsprotokoll heißt es: „Es ist beschlossen, dass man dem baccalaureus die neue Schule für die Stadtkinder zusagt und dass ihm 20 Gulden jährlich vom Rat gezahlt werden, diese 20 Gulden werden teils vom Rat, teils aus einem Stipendium gezahlt. Man soll auch mit dem baccalaureus darüber reden und verhandeln, was man für einen Knaben an Schulgeld für ein Jahr oder ein halbes nehmen werde.“ Neben diesen festen Bezügen erhielt Agricola zusätzlich Zinsen in Höhe von 30 Gulden aus Stiftungen für den Altar des Heiligen Erasmus der Zwickauer Marienkirche. Aus diesem „Lehen Erasmi“ erwuchsen jedoch keinerlei weitere Verpflichtungen, sie waren also reine Pfründe. Als Unverheirateter konnte er sich unter diesen Bedingungen doch einen recht ansehnlichen Lebensstandard leisten.

Die Schola graeca nahm 1519 ihre Arbeit auf und erfreute sich großen Zuspruchs, zumal hier auch Latein gelehrt wurde. Außerdem bestimmten ein neuer Lehrplan sowie eine neue Schulordnung das Geschehen; Agricola konnte damit seine im Studium gereiften pädagogischen Auffassungen mühelos durchsetzen. Die durch beide Schulen entstandene Zweigleisigkeit bewährte sich jedoch nicht, so dass sich der Rat nach langem Hin und Her schließlich 1520 veranlasst sah, die Schulen zu einer gemeinsamen „schul der Stadtkynder“, also einer Griechisch-lateinischen Stadtschule, zu vereinen. Da man Agricola zugleich das Rektorat übertrug – ein Grund wohl, dass Stephan Roth von Zwickau recht bald Abschied nahm und als Schulmeister nach St. Joachimsthal ging –, hatte er bei der Gestaltung von Lehrplan und Schulordnung nun vollkommen freie Hand. Zunächst wurde die Ausbildung in den Hauptsprachen um Hebräisch erweitert, dafür der Musikunterricht reduziert. Für ältere Schüler standen zudem „weltliche Fächer“ auf dem Programm, um mit diesen auf die zeitgemäßen Erfordernisse des wirtschaftlichen Aufschwungs vorzubereiten: „Ackergebeude, Jegerreyen, Fischereyen, Weberey, Baumeysterey, Kauffmannschaft, Ertzney, Kriegsleüffte, kunstreiches Rechnen, Visirung oder Messung aller höhe/dick/vnd tieff.“ Bedenkenlos verwendete Agricola antikes Schriftgut, das sich mit wissenschaftlichen Fragen auseinandersetzte, also die Lektüre von Plinius, Seneca, Aristoteles, Vitruv, Columella, Varro und anderen. Zur Freude seiner Schüler umfasste der Lehrplan jedoch auch Baden, Springen, Spielen, Ringen und Fechten, womit ihm deren Beifall sicher gewesen sein dürfte. Nicht alle vertrugen den frischen Wind derartiger Reformen und intervenierten, so dass Auseinandersetzungen nicht ausblieben. Doch Agricola erstritt und erkämpfte sich alles, was in seiner Macht stand und festigte damit den überragenden Ruf der Zwickauer Schule. In diesem Sinne riskierte er sogar, dem Bildungskanon humanistischer Universitäten folgend, mit der mittelalterlichen Scholastik zu brechen und durch Ausarbeitung effektiver Lehr- und Lernprinzipien die Reform der Schulbildung voranzutreiben. Er verfasste zu diesem Zweck – wie zu jener Zeit üblich, in lateinischer Sprache – ein 47 Seiten umfassendes pädagogisches Fachbuch mit dem Titel Libellus de prima ac simplici institutione grammatica – das „Büchlein vom einfachen grammatischen Anfangsunterricht“. Diese Erstlingsschrift empfahl neue Wege bei der Vermittlung von Grundkenntnissen wie auch neue Positionen bezüglich der Verantwortung des Lehrers. Da zu jener Zeit der Druck auf die Leistungsfähigkeit der Sprachausbildung und das Bedürfnis nach gestraffter, leicht rezipierbarer Darstellung wuchsen, war das Vorgelegte ein bedeutender Schritt, die Wissenschaft in den Dienst einer fortschrittlichen, vom Humanismus geprägten Entwicklung zu stellen.

„Libellus“ – das „Büchlein vom einfachen grammatischen Anfangsunterricht“, Agricolas erstes Lehrbuch für die lateinische Sprache. Leipzig, 1520.

Bereits im einleitenden Widmungsschreiben positioniert sich der junge Feuergeist und Reformer zu Ethik und sittlichen Idealen des Lehrerberufs. Er beruft sich dabei auf Plato und Quintilian als Kronzeugen der Pädagogik und fordert von den Lehrern „nicht nur eine beträchtliche Bildung, sondern auch einen untadeligen Lebenswandel … Mögen also die Lehrer sehen, wie groß die Verantwortung ist, die auf ihnen lastet … Man muss den Mangel an Sorgfalt bei denen tadeln, die uns ganz schlecht in der Wissenschaft unterrichtet haben.“ Besonders verachtet er die schlagfreudigen Schulmeister, „die so gegen die Jungen wüten, als ob sie eine Herrschaft gegenüber Tieren auszuüben hätten, in oft mehr als unmenschlicher Weise“ und fordert Maßhalten: „Ich will, dass ein Junge geschlagen wird, aber nicht, damit du deinen mehr als tyrannischen Stimmungen dienst, sondern gelassen und mitfühlend, schließlich in der Gesinnung eines Lehrers und Vaters, nicht eines Henkers und Folterknechtes.“ Seine Absicht war also nicht nur, ein modernes Unterrichtsbuch zu schaffen und damit die Reformierung der Sprachwissenschaft zu fördern, sondern auch „die Fehler, die in den Schulen eingerissen sind, mit der Wurzel auszureißen, und umgekehrt, die besten Gewohnheiten, die nicht ohne größten Nachteil für die Lernenden vernachlässigt gewesen sind und darniedergelegen haben, einzuführen“.

Auch für das Erlernen der lateinischen Sprache entwickelte Agricola...

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