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E-Book

Gesänge der Maria Sabina

AutorChristian Rätsch, Roger Liggenstorfer
VerlagNachtschatten Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl120 Seiten
ISBN9783037882580
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Der schamanische Gebrauch von psilocybinhaltigen Pilzen ist bei den Mazateken bis heute lebendig geblieben. Erstmals wurde dieser bekannt durch: Maria Sabina (1894-1985), der Botin der heiligen Pilze. Ihr ist es zu verdanken, dass das Geheimnis um die heiligen Pilze Mexikos gelüftet wurde. In einer nächtlichen Zeremonie gab sie erstmals einem Weissen die Zauberpilze (Psilocybe) - R. Gordon Wasson (1898-1986), der die schamanischen Gesänge der Maria Sabina 1962 aufnahm und publizierte. Das Buch enthält unter anderem die deutsche Übersetzung der auf mazatekisch gesungenen Lieder. Texte aus ihrem Leben und zu den schamanischen Pilz-Ritualen wie auch 'bepilzte' Musik - speziell geeignete Musik für Rituale, von Christian Rätsch zusammengestellt - ergänzen dieses besondere und längst erwartete Buch. Mit Übersetzung Ihrer Gesänge (von CD ISBN 3-03788-110-0).

Christian Rätsch geboren 1957, Ethnopharmakologe, Referent und Autor, studierte Altamerikanistik, Ethnologie und Volkskunde. Seit über dreissig Jahren erforscht er weltweit schamanische Kulturen und deren Gebrauch psychoaktiver Pflanzen. Autor zahlreicher in viele Sprachen übersetzter Bücher, darunter 'Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen', 'Lexikon der Liebesmittel' und 'Räucherstoffe' uvm. Roger Liggenstorfer ist Inhaber des Nachtschatten Verlags. In seiner verlegerischen Tätigkeit spezialisiert er sich auf Publikationen zur Drogenaufklärung. Er ist Mitbegründer der Genossenschaft HanfPlus und verschiedener anderer Initiativen (DroLeg) für eine vernünftige Drogenpolitik. Er ist Mitglied des ECBS (Europäisches Collegium für Bewusstseinstudien) und Präsident von Eve und Rave (Schweiz). Publikationen als Herausgeber u.a. 'Maria Sabina, Botin der heiligen Pilze', 'Neue Wege in der Drogenpolitik'.

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Leseprobe

Die Pilz-Schamanin María Sabina

»Will man wissen, wie die Mazateken Zauberpilze benutzen, dann muss man erst wissen, wie das Weltbild der Mazateken aussieht. Deren Weltbild kann – im Gegensatz zu unserem mechanistischen Betrachten – als ökologisch angesehen werden. Welt, Berge, Flüsse, Brunnen und Grotten bestehen aus mächtigen Geistern, die unser Leben von Anfang bis zum Ende beeinflussen. Ein und derselbe Geist kann, abhängig vom menschlichen Benehmen, Harmonie oder auch Krankheit bringen. Im christlichen Weltbild wird das Böse vom Guten besiegt. Die Mazateken denken mehr an eine Welt, in der es sich darum dreht, Gut und Böse im Gleichgewicht zu halten. Das ist eine total andere Einstellung. Sie versuchen nicht, das Schlechte zu besiegen, sondern die Geister günstig zu stimmen und sie so zu beschwichtigen«, schreibt der holländische Archäologe Bas van Doesburg (ADELAARS 2003: 54f.).

Die Mazateken sind ein Indianervolk (35.000 bis 40.000 Mitglieder), das bis heute in den nördlichen Bergen der Sierra Madre Oriental im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca lebt, also im Kerngebiet des schamanischen Pilzgebrauches. Die Schamanen, Heiler und Kalenderpriester der benachbarten Mixe, Mixteken, Zapoteken, Chatino und Chinanteken kennen und benutzen die Zauberpilze ganz ähnlich wie die Mazateken.23 Bei diesen Völkern haben sich allerlei vorspanische Kulturmerkmale erhalten (Milpawirtschaft, Sozialstruktur, Ethnomedizin), sogar Rudimente des vorspanischen Ritualkalenders mit Kalenderpriestern. Bei den Mazateken werden Tänze mit lebenden Schlangen von einer religiösen Bruderschaft aufgeführt. Die Mazateken haben den vorspanischen Schamanismus beibehalten, aber katholische Elemente übernommen und so einen Synkretismus geschaffen.

Der schamanische Gebrauch von psilocybinhaltigen Pilzen ist bei den Mazateken bis heute lebendig geblieben. Erstmals wurde er bekannt durch eine Frau: María Sabina (1894-1985), die Botin der heiligen Pilze24, eine Schamanin und Heilerin: »Ich weiß nicht, wann ich geboren wurde. Aber meine Mutter, María Concepción, sagte mir, dass ich am Morgen des Tages zur Welt gekommen sei, an dem man das Fest der Jungfrau Magdalena gefeiert hat. Das war in Río Santiago, einem Ort des Gemeindebezirks Huautla. Keiner meiner Vorfahren kannte sein Alter.«

María Sabina wurde schon verhältnismäßig früh zur Schamanin berufen: durch die Pilze selbst. Als Mädchen von fünf oder höchstens sieben Jahren entdeckte sie die Pilze:

»Ich erkannte sie genau. Meine Hände gruben ganz behutsam einen Pilz aus und dann noch einen. Ich nahm sie nah, ganz nah zu mir heran und betrachtete sie. ›Wenn ich dich esse und dich und auch dich, ich weiß, dann werdet ihr mich schön singen lassen‹, sagte ich zu ihnen. Ich erinnerte mich, daß die Großeltern immer mit tiefer Ehrfurcht von diesen Pilzen sprachen. Deshalb wußte ich, daß sie nicht böse waren. Ich dachte nicht mehr lange darüber nach. Ich führte die Pilze zum Mund und kaute sie. Ihr Geschmack war nicht sehr angenehm. Im Gegenteil, sie schmeckten bitter und nach Wurzeln und Erde. Ich aß sie ganz auf. María Ana, meine Schwester, sah mir zu und tat das gleiche.

Nachdem wir die Pilze gegessen hatten, überfiel uns eine leichte Übelkeit und ein Schwindelgefühl, so als wären wir betrunken. Aber diese Übelkeit verging, und danach waren wir sehr zufrieden. Ein wenig später fühlten wir uns sehr wohl. Das war eine neue Kraft für unser Leben. So empfand ich es.

Wenn wir in den folgenden Tagen Hunger hatten, aßen wir die Pilze. Und wir hatten nicht nur einen gefüllten Magen, sondern auch einen zufriedenen Geist. Die Pilze bewirkten in uns, daß wir zu Gott beteten, er möge uns nicht so leiden lassen. Wir erzählten ihm, daß wir ständig Hunger hätten und daß uns ständig kalt sei. Wir hatten nichts – nur Hunger und Kälte.

Ich wußte nicht, ob die Pilze wirklich gut oder böse waren. Nicht einmal, ob man sie essen konnte oder ob sie giftig waren, wußte ich. Aber ich spürte, daß sie zu mir sprachen. Nachdem ich sie gegessen hatte, hörte ich Stimmen. Stimmen, die von einer anderen Welt kamen.«

Und von der Weisheit der Pilze lernte sie alles, was sie benötigte: »Ich brauchte nicht in irgendeine Schule zu gehen, um eine Weise [sabia = Schamanin] zu werden. Wir Weisen brauchen das, was man in der Schule macht, nicht zu lernen. Die Weisheit besitzt man von Geburt an. Und sie kommt mit einem in die Welt im Augenblick der Geburt, so als wäre es die Plazenta. Die Pilze haben mir nämlich offenbart, wie es in den Tagen war, als ich noch im Mutterleib war. Das ist eine Vision, in der ich mich in einen Fötus verwandelt sehe, in einen erleuchteten Fötus.«25

María Sabina gehört zu den seltenen Schaman(inn)en, die sich sprachlich gut artikulieren können. So erzählt sie über ihr schamanisches Weltbild und die Bedeutung der Zauberpilze: »Es liegt eine Welt jenseits der unseren, eine Welt, die weit weg, ganz nah und unsichtbar ist. Und es ist dort, wo Gott weilt, wo die Toten weilen, die Geister und die Heiligen, eine Welt, in der alles schon geschehen und alles bekannt ist. Jene Welt spricht. Sie hat eine eigene Sprache. Ich gebe wieder, was sie sagt.

Der heilige Pilz nimmt mich bei der Hand und führt mich in jene Welt, in der alles bekannt ist. Sie sind es, die heiligen Pilze, die auf eine Weise sprechen, die ich verstehen kann. Ich frage sie, und sie antworten mir. Wenn ich von der Reise zurückkehre, die ich mit ihnen unternommen habe, so erzähle ich, was sie mir erzählt haben und was sie mir gezeigt haben.«26

Die Pilze waren ihr nicht nur Lehrer, sondern dienten auch als Heilmittel. Ein echtes Heilmittel bekämpft keine Symptome, sondern ergreift den Menschen in seiner Gesamtheit und führt ihn zum Heil. Zum Beispiel, weil er die Ursache des Übels aufdeckt. Es gibt kein anderes Heilmittel, das auf so vielen Ebenen wirkt wie der Pilz, er ist ein holistisches Heilmittel. María Sabina nennt die Pilze liebevoll niños santos, »heilige Kinder«. Ja, die Pilze sind die heiligen Kinder der Mutter Erde. Durch sie ist es uns Menschen möglich, die Heiligkeit der Natur, zu der wir selbst gehören, zu erkennen.

Es ist auf jeden Fall María Sabina zu verdanken, dass wir heute soviel über die psychoaktiven Pilze wissen und dass wir aus ihrem Gebrauch soviel Nutzen ziehen können. Ihr ist es zu verdanken, dass in den fünfziger Jahren das Geheimnis um die heiligen Pilze Mexikos gelüftet wurde. Sie hat dem New Yorker Bankier R. GORDON WASSON (1898-1986) als erstem Weißen in einer nächtlichen Zeremonie (velada) die psychedelischen oder entheogenen (»das Göttliche enthüllenden«) Zauberpilze (Psilocybe) zu essen gegeben.27 Dadurch wurde der über Jahrhunderte geheim gehaltene Pilzkult nicht nur weltbekannt, sondern es wurde auch möglich, den aztekischen Teonanácatl als eine Psilocybe-Art zu identifizieren. Aus Psilocybe mexicana wurden Ende der fünfziger Jahre erstmals von ALBERT HOFMANN die psychedelischen Wirkstoffe Psilocybin und Psilocin isoliert (Hofmann 1993a).

Pilze und Gesang

Ich bin es, der das Gebirge tönen lässt.

Ich bin es, der seine Abhänge tönen lässt.

Ich bin es, der den Geist tönen lässt.

Ich werde die Berge erklingen lassen.

Ich werde ihre Abgründe erklingen lassen.

Ich werde die Morgenröte erklingen lassen.

Ich werde den Tag erklingen lassen.

Ich werde den Berg des Kruges erklingen lassen.

Ich werde den erbärmlichen Berg erklingen lassen.

Ich werde den Berg des Felsens erklingen lassen.

Ich werde Berg Vater erklingen lassen.«

(ROMÁN ESTRADA, Schamane der Mazateken)

Klang, Rhythmus und Musik begleiten den Menschen seit seiner Entstehung. Diese auditive Kreation war schon immer mit dem Schamanismus und der rituellen Einnahme von Entheogenen verbunden.

Die Musik besteht aus Tonfolgen, Rhythmus und Klang. Sie wird mit der menschlichen Stimme oder speziellen Artefakten, den Musikinstrumenten, erzeugt. Beim Singen, beziehungsweise bei gesungener Musik, kann noch sprachliche Information hinzugefügt werden, als Text (mindestens einem Wort). Gesang ist auditive und linguistische Kommunikation. »Das Wort ist ein innerer Klang.«28

Mit Musik, speziell solche mit Gesangstext, lässt sich der veränderte Bewusstseinszustand gezielt stimulieren, strukturieren, steuern. TIMOTHY LEARY (1920-1996) hat schon früh die Bedeutung der Musik zur Erzeugung religiöser oder mystischer Erlebnisse hervorgehoben (LEARY 1970). Innere Musik kann in verändertem Bewusstseinszustand wahrgenommen werden. Der Hörer kann ihr lauschen oder sie ausagieren, zum Beispiel durch Singen oder mit Hilfe eines Instrumentes. Diese innere und eigene Musik kann ein Führer durch die inneren Räume...

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