1. Ursprünge und Entwicklung Portugals im Mittelalter
Portugal ist wohl das älteste europäische Staatswesen, das seit dem Mittelalter keine nennenswerten territorialen Veränderungen erlebt hat. Dank seiner geographischen Lage hatte es sich lediglich über längere Zeit seines mächtigen Nachbarn Kastilien, später Spanien, zu erwehren. Dieser Nachbar versuchte mehrfach, sich die ehemals römische Provinz Lusitanien einzuverleiben, die unter besonderen Umständen im Mittelalter zu einem eigenen Königreich aufgestiegen war. Portugals Festlandterritorium bildet ein Rechteck von etwa 540 km Länge und 200 km mittlerer Breite. Nach Osten und Norden, zu den ehemaligen spanischen Königreichen Kastilien und Galicien, begrenzen Gebirgszüge und tief eingeschnittene Flußtäler das genannte Rechteck, Grenzgebiete, die von alters her dünn besiedelt waren. Klimatisch ist das Land in eine nördliche, atlantisch geprägte Zone mit häufigen Niederschlägen und eine südliche Hälfte mit mediterranem Klima gegliedert. Beide Zonen weisen die für sie jeweils charakteristische Vegetation mit den dazugehörigen typischen landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf. Diese natürlichen Gegebenheiten haben die Geschichte des Landes nachhaltig beeinflußt und dazu geführt, daß Portugal schon aufgrund seiner Geographie stets stärker dem Ozean zugewandt war als dem kontinentalen Hinterland mit seinen eher unwirtlichen Grenzregionen zu Spanien.
Die seit der Mitte des 8. Jahrhunderts einsetzende, von den kantabrischen Gebirgsregionen ausgehende christliche Reconquista erreichte bereits im späteren 9. Jahrhundert Portugal. Im Jahre 868 eroberte König Alfons III. die an der Mündung des Duero/Douro gelegene Stadt Portucale, die dem Land den Namen geben sollte und heute als Oporto (Porto) die zweitgrößte Stadt des Landes und Hauptstadt des „atlantischen“, nördlichen Portugal bildet. Alfons III. verlagerte die Hauptstadt des asturischen, christlichen Reiches in das südlich des kantabrischen Gebirgsmassivs gelegene León, förderte die Wiederbesiedlung des rechten, nördlichen Ufers des Duero/Douro und begünstigte entscheidend den Kult um den Apostel Jakobus im galicischen Santiago de Compostela.
Das rückeroberte Portugal entwickelte sich zu einer eigenen Grafschaft, deren Grafenfamilie mit der König Alfons’ III. verschwägert war. Mit den südlich des Duero/Douro in jenen Jahrzehnten entstandenen Grafschaften Kastilien und Portugal wird bereits die politische Gliederung der Mitte und des Westens der Iberischen Halbinsel im weiteren Verlauf der Reconquista erkennbar. Diese Grafschaften bildeten die eigentlichen Grenzregionen zu den islamischen Herrschaftsgebieten, und jeder weitere Vorstoß nach Süden, der durch erfolgreiche christliche Wiederbesiedlung gesichert werden konnte, mußte so zur Vergrößerung des Herrschaftsgebietes beider Grafschaften führen. Die die spanische Hochebene im Westen begrenzenden Gebirgszüge sollten künftig zumindest grob die Scheidelinie zwischen den Einflußbereichen und den Expansionsgebieten der beiden Grafschaften darstellen, so daß schon im frühen Mittelalter die Grenzen des römischen Lusitanien annähernd wieder zur Geltung kamen und erkennbar wird, daß diese weit zurückreichenden Gegebenheiten folgten. Während des 10. und 11. Jahrhunderts spielten beide Gebiete wiederholt eine wichtige Rolle in den dynastischen Konflikten des Königreiches León, das zunehmend Probleme hatte, beide Grafschaften unter seiner Botmäßigkeit zu halten.
Bereits 1086/87 hatte sich Raymond, Graf von Armous, der vierte Sohn Wilhelms I. von Burgund, nach Portugal begeben, wo er schließlich die Tochter und Erbin des leonesischen „Kaisers“ Alfons VI., Urraca, heiratete. König Alfons hatte versucht, durch Annahme des Kaisertitels seine Vorherrschaft in Portugal und Kastilien zu sichern, die beide zunehmend eigenständiger und mächtiger geworden waren. Graf Raymond, der 1093 die Herrschaft in Galicien übertragen bekommen hatte, unternahm von dort aus Feldzüge gegen die Mauren, was ihm wohl auch die damals das Gebiet zwischen den Flüssen Minho und Mondego umfassende Grafschaft Portugal eintrug. Es gelang ihm sogar, in Lissabon einzuziehen, nachdem der muslimische König von Badajoz, zu dem Lissabon gehörte, sich gegen das Versprechen christlicher Militärhilfe gegen die Invasion der Almoraviden aus Nordafrika König Alfons unterworfen hatte. Graf Heinrich, ein Cousin Raymonds, ebenfalls ein nachgeborener Sohn und naher Verwandter der burgundischen Herzöge, wurde zur Hochzeit mit König Alfons’ illegitimer Lieblingstochter veranlaßt und erhielt im Gegenzug Portugal übertragen. Er empfing das gesamte Gebiet südlich des Minho als erbliches Lehen. Heinrich von Burgund und Graf von Portugal scheint häufig am imperialen Hof seines Schwiegervaters anwesend gewesen zu sein und dessen kaiserliche Urkunden bestätigt zu haben.
Nachdem Heinrich 1112 gestorben war, führte seine Witwe die Politik ihres verstorbenen Gatten mit einigem Erfolg weiter, begünstigt durch das Interregnum in León-Kastilien, das erst 1126 mit der Thronbesteigung Alfons VII. endete. Dieser konnte schon 1127 in einem Feldzug gegen den jungen Afonso Henriques, den Sohn Graf Heinrichs und seiner Gattin Theresia, siegen und Portugal seiner Oberherrschaft unterstellen.
Afonso Henriques befand sich in der Folgezeit fast ununterbrochen in Konflikt mit seinem Cousin Alfons VII., der sich 1135 feierlich auf einer Reichsversammlung in León zum Kaiser proklamiert hatte. Damit war für Afonso Henriques der Weg zum Königtum frei. 1137 einigte er sich mit Alfons VII. vorübergehend und scheint kurz nach einem Sieg gegen die Muslime im Jahre 1139 den Königstitel angenommen zu haben. Nach einem erneuten Konflikt mit Alfons vermittelte ein päpstlicher Legat ein Friedensabkommen zwischen beiden, in dem Afonso Henriques der Königstitel zugestanden wurde. Dies bedeutete freilich noch nicht die Unabhängigkeit Portugals, da die Zugehörigkeit zum leonesischen Kaisertum bestehenblieb. Da das Papsttum aber bestrebt war, die Iberische Halbinsel politisch geeint zu sehen, unterstützte es fortan Alfons VII. und bezeichnete Afonso Henriques in allen Urkunden lediglich als „dux portugalensis“, als Herzog Portugals. Erst aufgrund erheblicher Zugeständnisse an die Kirche und Erhöhung der Tributzahlungen an Rom anerkannte ihn Papst Alexander III. im Jahre 1179 als König von Portugal. Begünstigt wurden die Erhebung Portugals zum Königtum und die Erlangung einer freilich nach wie vor prekären Unabhängigkeit dadurch, daß nach dem Tod Alfons’ VII. im Jahre 1157 sich seine beiden Söhne das Erbe geteilt hatten: Ferdinand II. erbte León und Galicien, Sancho III. Kastilien, es gab nun zwei Königreiche, zugleich wurde der Kaisertitel aufgegeben. Da allerdings der Erzbischof von Toledo nicht bereit war, seine Oberhoheit über Portugal als Primas der iberischen Kirche aufzugeben, bestanden auf kirchlicher Ebene Probleme fort. Erst im Jahre 1103 erkannte Papst Paschalis II. Braga als kirchliche Metropole Portugals und den Erzbischof als Primas der portugiesischen Kirche an. Von diesem Zeitpunkt an kann man die Unabhängigkeit eines portugiesischen Königreiches als einigermaßen gesichert bezeichnen.
Das neue Königreich umfaßte von der Grenze zu Galicien bis zum nach wie vor umstrittenen Gebiet um Lissabon den gesamten Norden des Landes und hatte eine Fläche von etwa 34.000 km2. Es war damit ein vergleichsweise kleines Land, von ähnlicher Ausdehnung wie Aragonien, Navarra oder die islamischen Reiche der Taifas, die sich nach dem Zerfall des Kalifats von Córdoba die Herrschaft über das islamische Spanien teilten. Da es mehr oder weniger zusammenfiel mit dem atlantisch geprägten Teil des modernen Portugal, war es nicht nur klimatisch, sondern auch demographisch wie wirtschaftlich ein relativ homogenes Gebiet, in dem dieselbe, dem Galicischen sehr ähnliche und bereits in jener Zeit schriftlich dokumentierte Sprache gesprochen wurde, aus der das moderne Portugiesisch hervorgegangen ist. Gleichzeitig bildete jene Region schon damals und bis hin in die Moderne den am dichtesten besiedelten Bereich Portugals. Wenn es auch keine genauen Bevölkerungsdaten aus jener Zeit gibt, so wissen wir doch aus Kirchenregistern, daß das Erzbistum Braga am Ende des 11. Jahrhunderts etwa 667 Pfarreien zählte, so daß wir aus der mittleren Verteilung von 2,5 Pfarreien pro 10 km2 auf eine vergleichsweise hohe Bevölkerungsdichte schließen können. Man schätzt für das Königreich Portugal in seiner Frühzeit eine Bevölkerungszahl von etwa 400.000 Einwohnern, was einem Durchschnitt von 16 Einwohnern pro km2 entsprechen würde und für damalige Verhältnisse auch im europäischen Durchschnitt als hohe Einwohnerzahl anzusehen ist.
Das Bevölkerungswachstum führte zu Teilungen der bewirtschafteten Landstücke, zu Wanderungen in bis dahin wenig landwirtschaftlich genutzte Regionen und – nicht zuletzt – zum Druck auf den noch maurischen Süden des Landes. Die landbesitzende Herrenschicht, teils weltlicher Adel, teils kirchliche...