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Geschlossene Gesellschaft. Die DDR-Rockmusik zwischen Linientreue und Nonkonformismus

Die DDR-Rockmusik zwischen Linientreue und Nonkonformismus

AutorRobert Winter
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl136 Seiten
ISBN9783640487882
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Fachbuch aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Politik - Politische Systeme - Historisches, , Sprache: Deutsch, Abstract: Ob im Fernsehen, in den Zeitungen, in der Literatur oder auf diversen Internetseiten, zwei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR wird er überall mit Lobgesängen bedacht, der Ost-Rock. Über die wirklichen Tatsachen und Hintergründe wie über viele Beteiligte aber herrscht dabei Stillschweigen. Dabei waren es gerade heute fast vergessene Bands wie KLOSTERBRÜDER, KLAUS-RENFT-COMBO, JOCO-DEV-SEXTETT, FRACHTHOF, JÜRGEN-KERTH-QUINTETT, SATORI oder die BÜRKHOLZ-FORMATION, die den sogenannten 'Ost-Rock' prägten und maßgeblich beeinflußten. Die Lieder dieser Gruppen waren eigenwillig, urwüchsig und ehrlich, ein riesiges Publikum honorierte das mit Treue. Jedes Wochenende reisten Scharen von jungen DDR-Bürgern ihren Rock-Helden hinterher, per Anhalter oder oftmals schwarz mit der Bahn. Doch gerade als so etwas wie eine Szene im Entstehen begriffen war, schlugen die staatlichen Behörden zu. Es hagelte Abmahnungen, Auflagen, Spielverbote und Lizenz-Entzüge für die Bands. Fans wurden kriminalisiert und zu Staatsfeinden erklärt. Unter dem Druck der Behörden spaltete sich die Rockszene: Gruppen wie TEAM 4, PUHDYS, KARAT oder CITY arrangierten sich mit der Staatsmacht - bei Fernsehauftritten wurden lange Haare hochgebunden, auf Wunsch der Behörden Gruppennamen geändert. Als Gegenleistung durften diese Bands Platten bei der staatlichen Firma Amiga oder sogar bei westlichen Labels produzieren, im Fernsehen auftreten und sogar ins kapitalistische Ausland reisen. Auch in den Hitparaden des DDR-Rundfunks, mangels einer Verkaufsrangliste der einzige Gradmesser für den Erfolg, belegten ihre Titel vordere Plätze. Eine wirkliche Konkurrenz hatten PUHDYS & Co spätestens nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann nicht mehr zu fürchten, weil immer mehr Rockmusiker das Land entnervt Richtung Westen verließen. Die DDR blutete künstlerisch aus, die verbliebenen Gruppen badeten im eigenen Saft. Am Ende wurden die größten Stars von ihrem Publikum ignoriert oder sogar ausgepfiffen wie 1988 auf der Freilichtbühne von Weißensee. Doch sie alle kamen wieder, PUHDYS, KARAT und CITY. Nach dem Zusammenbruch der DDR wurden aus den Staatsrockern die Erbverwalter des 'Ost-Rock', denen die Fans nun plötzlich wieder zujubelten.

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Leseprobe

1.Im Osten nichts Neues


 

Ostalgie und Verklärung nach der Wende


 

Fast zwanzig Jahre nach der Wende ist vieles wie früher. Der Ost-Rock  lässt sich feiern und er wird gefeiert, ob im Fernsehen, im Rundfunk, in der Presse, oder im Internet. Nie gegeben zu haben scheint es die schweren Jahre, als Rockmusik die fünfte Kolonne des Klassenfeindes war. Überall herrscht eitel Sonnenschein, der Planet DDR-Rock leuchtet im Nachglühen wie ein Paradies für Kreative. Jeder Künstler durfte problemlos im Rundfunk oder bei der einzigen staatlichen Plattenfirma Amiga produzieren, Repressionen wegen kritischer Texte, wegen langer Haare oder anderer Lappalien sind vergessen. Auftritts- und Berufsverbote von Gruppen oder Interpreten hat es nie gegeben und von privilegierten Bands und Stasi-Seilschaften wollen nicht einmal mehr die Medien im Osten etwas wissen. Die Stars, die es aus den DDR-Rundfunkhitparaden und aus den Konzertsälen zwischen Greifswald und Zwickau bis hierher geschafft haben, sind Teil der Identität der Menschen, nicht Teil der mit dem Mauerfall untergegangenen realsozialistischen Realität. Wertfrei klingen die alten Lieder, Evergreens aus einer Zeit, als Fans und Musiker dieselben waren wie heute, nur eben jung.

 

Die wenigen noch verbliebenen Vertreter des echten, nicht von staatsbürokratischen Interventionen verfälschten DDR-Rock wie die KLOSTERBRÜDER, MONOKEL, SCIROCCO oder die Klaus-Renft-Combo mussten nach der Wende bei Null anfangen und kleine Brötchen backen. Sie tingeln wie eh und je über die Dörfer und treten in kleinen Sälen und Clubs auf. Die zu DDR-Zeiten privilegierten Bands hingegen sind wieder groß im Geschäft, spielen in Stadthallen und auf Open-Air-Bühnen und beschwören die untergegangene Zeit als heile Welt. Nicht weil sie künstlerisch besser sind als die anderen. Nein, sie besitzen wieder und immer noch die bessere Lobby, die größere Gelenkigkeit im Umgang mit den Medien und einen heißen Draht zu den Leuten, die damals schon Posten bei Rundfunk und Platte inne hatten. „Ich bin heute pleite“, gestand Renft-Gründer Klaus Jentzsch der Zeitschrift „Super Illu“, „während geldgeile Duckmäuser wie Puhdys und Karat die Millionen scheffelten.[1]

 

Ein Urteil, das hart klingt. Doch Jentzsch, mit seinen Bands zu DDR-Zeiten „länger verboten als erlaubt“, hat seine Erfahrungen gemacht. So traten die Puhdys vor einigen Jahren im Rahmen einer Ostalgie-Veranstaltung im thüringischen Erfurt auf. Auch die Klaus-Renft-Combo nahm an diesem Open-Air teil. Auf Grund einer verkehrsbedingten Verspätung trafen die Musiker um Klaus „Renft“ Jentzsch eine halbe Stunde später zu ihrem Auftritt ein. Wegen der Verzögerung gestanden die Organisatoren der Gruppe – unter Protest der zahlreichen Renft-Fans – nur eine halbe Stunde Spielzeit zu. Alle anderen Bands durften eine Stunde auf der Bühne stehen, als letzte Gruppe des Abends traten dann die Puhdys auf die Bühne; die dank einer Sondergenehmigung der Stadt Erfurt auch noch eine halbe Stunde dranhängen durften. [2]

 

Wie sein ehemaliger Bandchef Klaus Jentzsch nimmt auch Renft-Sänger Thomas Schoppe Bands wie den Puhdys, mit denen Renft Anfang der 70er Jahre um den DDR-Rockmusik-Thron rangelte, nichts übel. „Sie sind ihren Weg gegangen, wir unseren“, sagt Schoppe, „das muss jeder mit sich selbst ausmachen.“ Nur dafür, dass die Geschichte heute wieder nur einseitig dargestellt und verklärt wird, hat auch Schoppe kein Verständnis. In einem Interview ließ sich der gebürtige Eislebener tief ins Herz schauen: „Nun – wir als Renft sind halt damals verboten worden, und die Puhdys haben nicht dagegen protestiert, sondern in der DDR groß abgesahnt“, glaubt Schoppe. „Wir haben uns im Westen irgendwie durchgeschlagen, die haben sich hier eingerichtet. Das ist vielleicht nicht gerecht, aber so laufen die Dinge in der Welt. Da kannst du nichts gegen machen. Ich habe im Leben genug durch, um zu wissen, dass es keinen Sinn hat, sich darüber aufzuregen. Aus unserer Sicht war es damals logisch, sich verbieten zu lassen, und ich bedauere das auch heute noch nicht. Andere sehen das sicher anders.“[3]

 

Ähnlich ungehalten kommentiert die Erfurter Blueslegende Jürgen Kerth die verklärende Geschichtsschreibung etwa im Buch „Bye, Bye Lübben City“, das der DDR-Bluesszene gewidmet ist. „Zu dem Buch wurde ich ja auch persönlich befragt“, erinnert sich Kerth. Schon deshalb finde er sich in einigen Passagen durchaus wieder. Längst aber nicht in allen. „In vielen, speziell auch Erfurt betreffenden Teilen, ist es nicht mein Buch. Da kommen Leute zu Wort, die uns das Leben vor der Wende recht schwer machten. Heute möchten sie die großen Förderer gewesen sein und vergessen schon mal, dass sie uns Auftritte verweigerten, weil man den Erfurtern auch mal Reis-, statt nur Kartoffeln bieten wollte. Wir waren für diese Leute ‚Kartoffeln‘ ...Derartige Kleinigkeiten hat der eine oder andere Schreiber vergessen zu erwähnen.“ Dass das nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt sogar ein Artikel aus Vorwendezeiten, wo man diese Argumente nach einem grandiosen Konzert auf der IGA in der Erfurter Zeitung in Frage stellte. Mutig damals. „Vergessen hab ich das alles nicht, auch wenn man diese Geschichten nicht vor sich her tragen muss.“ Auf die Repressalien und Verbote bezogen, erinnert sich der Musiker heute an „wirklich schwere Zeiten.[4]

 

Doch auch in der wiederbelebten DDR-Musikzeitschrift Melodie & Rhythmus (M&R) sind so offene Worte eine Seltenheit. „Von Bands wie Karat oder City ist alles gesagt und geschrieben und der normale Bürger fühlt sich schnell gelangweilt, über Bands zu lesen, welche es doch so schwer in der DDR hatten und die nie ihre wahren Gedanken äußern durften, kritisiert ein Leser des Blattes. Musikgruppen kamen nur in das Plattenregal, welche einen ‚guten‘ Draht zum Politbüro hatten und politisch sehr korrekt waren. Ganz so unfreiwillig kann das nicht geschehen sein [...].“ Sein Anliegen sei es, dafür zu werben, mehr über die wahren Helden wie die Gruppe Scirocco oder Cäsars Rockband zu schreiben. „Gerade eine Band wie Scirocco, welche zu Ostzeiten des öfteren auf Lebenszeit verboten wurde und nur auf Druck der Bevölkerung wieder auftreten durfte, wird gänzlich übergangen [...].[5]

 

Zu Unrecht, findet ein begeisterter Fan der früheren Rocklegende Joco-Dev, der Band-Mitbegründer Jörg Schenkel wissen ließ: „So erlebte ich Euch bei Auftritten im Crimmitschauer Pleißental und in Forst/Lausitz. Dies muss so 1969/1970 gewesen sein. Auch Mülsen bei Zwickau ist mir heute noch ein Inbegriff geiler DDR-Rockmusik. Joco Dev war und bleibt für mich eine Legende im Kapitel der DDR. Und zu dieser Zeit, also 1969/70, sprach noch niemand von den Puhdys. Jedenfalls danke ich der Band noch heute, nach über 39 Jahren, für die geilen Stunden in manch einem Tanzschuppen.“[6]

 

Jedoch nicht nur der Ost-Rock und seine Stars werden heute mit Ehren überhäuft, auch die Schallplattenfirma Amiga, die einst das Monopol besaß, Musik zu veröffentlichen, lässt sich feiern, wie unlängst beim 60. Geburtstag. Seit 1994 hat das Label einen Umsatz von mehr als 13 Millionen Euro gemacht. Die DDR-Geschichte, als es nur privilegierten Bands wie Puhdys, Karat oder City vorbehalten war, Platten zu produzieren, ist längst vergessen. Vergessen wie die vielen Gruppen und Solisten, die um jede Single hatten betteln müssen. Norbert Schmitt, Sänger des Joco-Dev-Sextetts, zieht eine bittere Bilanz über „23 Jahre Musik in der DDR, die nicht immer zum Lächeln war. Letztendlich aber haben die Fans dazu beigetragen, dass wir doch sehr viel Spaß miteinander hatten.“ Sein langjähriger Musikerkollege Jörg Schenkel äußert zurückschauend: „Auch wenn wir die Verlierer waren in der Berliner Musikszene, hatten wir doch immer unseren Spaß. Ich jedenfalls möchte die Zeit nicht missen, trotz aller Unannehmlichkeiten. Viele Musiker stellten Ausreiseanträge.“ Die oberen Bands hätten unter anderem von seiner Gruppe gelernt, wie man es nicht machen sollte. „Sie kungelten mit der Partei, so dass sie sich linientreu einreihten, um bloß mal im Palast der Republik oder im Westen aufzutreten.“[7]

 

Heute ist das Programm des öffentlich-rechtlichen Senders MDR das Ziel aller Wünsche. Die Drei-Länder-Anstalt aus Leipzig lässt den Ost-Rock gern und häufig auf die anvisierte Zielgruppe der ehemaligen DDR-Bürger los, am liebsten setzen auch die Programmmacher hier auf die bewährten Kräfte von Puhdys & Co. Über die später auch im MDR-Fernsehen ausgestrahlte Veranstaltung Ost-Rock-Klassik, bei der sich die Stars von einst in Brigadestärke präsentierten, sagt André Herzberg, Sänger und Kopf der Band Pankow: „Beim großen Finale werden die Sänger alle zusammen noch einmal auf der Bühne stehen und eine Rose schwenken, unsere Familie der Unterhaltungskunst, das große, bunte Programm, seit vielen Jahren gleich im Geschmack, Ost oder West. Es ist wie beim Kessel Buntes oder bei einer der beliebten Ostalgie-Shows.Beim letzten Ost-Rock auf dem...

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