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Ich bin die echte Erin Brockovich, und mein Leben ist kein großes Kinomärchen
Glauben Sie mir: Ich habe noch nie etwas Seltsameres und zugleich Wunderbareres erlebt, als mich selbst in idealisierter Form in einem Kinofilm zu sehen. Es ist ein wenig befremdlich, wenn ein Film den eigenen Namen trägt und die Hauptdarstellerin auch noch keine Geringere als die fabelhafte Julia Roberts ist. Sie bekam für diese Rolle einen Academy Award, und die Art, wie sie mich spielte, war wie das Sahnetüpfelchen auf dem Schokoladenkuchen, zu dem mein Leben geworden ist. Und dieses Leben war ganz bestimmt nicht immer süß und sahnig!
Der Film handelt in erster Linie von meiner Arbeit an der Klage gegen Pacific Gas and Electric (PG&E) Utility Corporation in der Anwaltskanzlei Masry & Vititoe, die wir im Namen der Bürger von Hinkley, Kalifornien, führten. Gemeinsam konnten wir nachweisen, dass PG&E über Jahre hinweg das Trinkwasser der Stadt mit hexavalentem Chrom verseucht hatte, welches in der Fabrik als Rostschutzmittel für die Kühlwasser-Pumpanlangen verwendet wurde. Das Abwasser aus der Fabrik wurde in offene Becken mitten im Wüstenboden abgelassen, von wo es ungehindert ins Grundwasser sickerte, aus dem die Stadt ihr Trinkwasser gewann. Die Einwohner von Hinkley atmeten die giftigen Dämpfe beim Duschen, Baden und über die Wasserkühlung ihrer Klimaanlagen ein. Ihre Kinder plantschten den Sommer über im verseuchten Wasser. Infolge des verschmutzten Wassers häuften sich in der Stadt die Fehlgeburten, und die Menschen litten an chronischem Nasenbluten und Hautausschlägen. Die Haustiere gingen auf mysteriöse Weise ein oder brachten verkrüppelte Junge zur Welt. Binnen weniger Jahre mehrten sich die Fälle von Darmerkrankungen und Krebs unter den Einwohnern.
Nach vier langen und harten Jahren (die der Film in kurze zwei Stunden zusammenschrumpfen ließ) hielt ich 1996 einen Scheck über 2,5 Millionen Dollar in Händen – meinen Anteil an den Schadensersatzleistungen in Höhe von einer Viertelmilliarde Dollar. Schon 1995, ein Jahr vor dem Vergleich, vermittelte meine Freundin Pamela Dumond die Geschichte an Jersey Films. Der Film, den sie dort daraus machten, sollte die erste öffentliche Anerkennung für das werden, was ich durchgemacht hatte. Dass es überhaupt zu diesem Kinofilm kam, lag vor allem daran, dass Julia Roberts sich bereit erklärte, mich zu spielen. Und sie bekam den Oscar als „beste Schauspielerin“ dafür, wie sie mich dargestellt hatte. Das ist gar nicht schlecht, oder? Aber glauben Sie bloß nicht, dass das schon alles war, was dieser Fall an Positivem nach sich zog.
Nachdem ich jahrelang in einer kakerlakenverseuchten Baracke gehaust hatte (sie sah wirklich genauso aus wie Julias Haus in dem Film), war ich nun dank meines Bonus in der Lage, mir mein Traumhaus zu kaufen – oder zumindest das, was ich dafür hielt. Und nicht genug damit, sondern ich hatte nach zwei gescheiterten Ehen in Eric endlich den perfekten Mann für mich gefunden. 1997 schien es, als hätte sich mein Leben endgültig in ein riesiges Stück Schokoladensahnetorte verwandelt – wenn man mal davon absah, dass dieses Kuchenstück verdächtig danach aussah, als hätte jemand den Teller im Regen stehen gelassen!
Das fing damit an, dass ich kurz nach meinem Einzug ins neue Haus feststellen musste, dass viele Teile aus toxischen Materialien gebaut waren. Beinahe überall mussten Wände, Fußböden und Decken herausgerissen und erneuert werden. Neben der unmittelbaren Gesundheitsgefährdung meiner Familie war da noch das Problem, dass ich das Haus in diesem Zustand auf gar keinen Fall Weiterverkäufen konnte, um mir ein anderes zu suchen. Welcher halbwegs zurechnungsfähige Mensch würde schon ein Haus kaufen, das ein ernstes Gesundheitsrisiko darstellt? Außerdem wäre ich nicht bereit gewesen, es jemandem so zu verkaufen, wie es war. Das ist einfach nicht mein Stil. Stattdessen biss ich in den sauren Apfel und renovierte das gesamte Gebäude, vom Keller bis unters Dach. Das Ganze kostete mich ungefähr noch einmal so viel wie das Haus selbst.
Und wissen Sie was? Es machte mir nichts aus! Es hat mich nicht weiter gekümmert, weil ich keine übertriebene Bindung zu meinem Haus habe. So wie es jetzt ist, ist es okay – eben ein Ort zum Schlafen, mit vier Außenwänden und einem Dach. Mehr nicht. Was immer am Ende aus dieser Sache werden mag, selbst wenn ich niemals einen Penny von den Verkäufern sehen werde, es ist und bleibt ein Haus. Auch wenn die Totalsanierung mich irgendwann eine Million Dollar gekostet haben wird – und das ist mehr als wahrscheinlich –, ist das nicht weiter schlimm. Dann werde ich mir halt etwas suchen müssen, womit ich ein bisschen dazuverdienen kann. Die Hauptsache für mich ist, dass meine Kinder ein sicheres Dach über dem Kopf haben. So viel werde ich immer sicherstellen, sei es in einem Palast oder in einer Baracke – und wir haben in beidem schon gewohnt.
Schließlich bin ich für meine Kinder verantwortlich. Deshalb habe ich meinem dritten Mann Eric von Anfang an gesagt, dass die Kinder jetzt und in alle Zukunft einzig meine Sache sind. Sie sind meine Kinder, für die ich allein die Verantwortung übernehme, und zwar seit geraumer Zeit. Dies habe ich erkannt, als ich noch hinter dem Unterhalt herrannte, um immer wieder bloß zu hören: „Ich bin blank.“
Ein paar Jahre habe ich dieses Theater mit meinen Ex-Männern mitgemacht, doch dann beschloss ich eines Tages, dass ich meine Zeit nicht länger damit verschwenden wollte, sie wieder und wieder vor den Kadi zu zerren. Also entschied ich, meine Energie ganz und gar darauf zu verwenden, mich um meine Kinder zu kümmern – allein. Das heißt zwar nicht, dass ich es in Ordnung finde, wie sich die Väter meiner Kinder um die Unterhaltszahlungen gedrückt haben, aber ich konnte und wollte es mir nicht mehr leisten, hinter ihnen herzujagen. Eines habe ich in meinem Leben gelernt: Dass ich auf das Schicksal anderer keinerlei Einfluss habe – jedenfalls nicht auf das Schicksal dieser beiden Männer –, aber mein eigenes Schicksal hatte ich durchaus in der Hand.
Auch wenn ich auf das Schicksal anderer keinen Einfluss habe – auf jeden Fall nicht auf das Schicksal dieser beiden Männer –, mein eigenes Schicksal hatte ich durchaus in der Hand.
Es dauerte lange, bis ich das erkannt hatte, doch als es so weit war, erschien es mir wie eine Befreiung. Mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, war Teil einer ganzen Reihe von Entscheidungen, die ich während der vergangenen zehn Jahre getroffen habe und die allesamt mein Leben verändern sollten.
Diese Veränderungen waren Folge einer Erkenntnis, die ich durch verschiedene Geschehnisse gewonnen habe. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass Gewinnen oder Verlieren im Leben weniger mit dem zu tun hat, was um uns herum geschieht, sondern viel mehr mit dem, was in uns passiert. Und wie es dazu gekommen ist, möchte ich Ihnen in diesem Buch erzählen.
Seit der Film in die Kinos gekommen ist, kommen wildfremde Leute auf mich zu und sprechen mich an. Manchmal sagen sie außergewöhnliche, manchmal aber auch nur außergewöhnlich dämliche Sachen. Andere schreiben absurde Dinge über mich, wobei es meistens darum geht, wie viel „Glück“ ich gehabt habe, wie sehr ich vom Schicksal begünstigt sei oder dass mein Leben wie eine Art Aschenputtelmärchen verlaufe. Weil das so ist, möchte ich gleich an dieser Stelle klarstellen: Niemandes Leben – und schon gar nicht meines – ist ein Märchen, egal wie sehr wir daran glauben wollen.
niemandes Leben – und schon gar nicht meines – ist ein Märchen, egal wie sehr wir daran glauben wollen.
Ich zum Beispiel könnte schreien, wenn jemand in meiner Gegenwart etwas von „Märchenprinzessin“ faselt und davon, was das Schicksal für solch eine Prinzessin bereithält. Dazu fällt mir sofort Lady Diana ein. Sie war für jedermann das perfekte Modell der Märchenprinzessin. Doch dann starb sie viel zu früh, und auf einmal entdeckten alle, dass sie möglicherweise gar keine so verteufelt glückliche Prinzessin gewesen war.
All ihr Reichtum, ihre Schönheit und ihre Stellung konnten sie nicht vor der bisweilen grausamen emotionalen Wirklichkeit des Lebens schützen. Für eine frühere Generation stellte die First Lady Jackie Kennedy Onassis die „Märchenprinzessin“ dar, und für wieder andere war es die Leinwandgöttin Marilyn Monroe. Alle drei, und unzählige mehr, dienen unserer Phantasie vom makellosen Glück als Illusionsfutter, während ihr Leben in Wahrheit viel zu kompliziert und zu arm an Gefühlen ist oder war, als dass man es als glücklich bezeichnen könnte.
Wir sollten uns also nicht vorschnell von dem Bild der perfekten Märchenprinzessin blenden lassen. Mir ist es eigentlich egal, wie reich, wie schön, wie berühmt oder wie genial jemand ist. Jeder von uns gerät...