Deuteronomium 4,10-12.15-16.19-20
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Liebe Gemeinde, wenn das Bilderverbot im Alten Testament so entschieden ausgesprochen und jede Herstellung und Verehrung von Gottesbildern als ein Frevel betrachtet wird – warum stehen hier trotzdem Bildwerke auf dem Altar und hängen solche an den Wänden? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir eine ganze Reihe von anderen Fragen beantworten. Die erste lautet natürlich, warum im Alten Testament das zum Dekalog, zu den Zehn Geboten zählende Bilderverbot so nachdrücklich ausgesprochen worden ist. Anschließend müssen wir uns der Frage stellen, warum sich die Alte Kirche und die Kirche des Mittelalters über das Bilderverbot hinweggesetzt haben und welche Grenzen der Verehrung der Bilder gezogen wurden. An sie schließt sich ganz organisch die weitere Frage, warum Luther nicht auf die Seite der Bilderstürmer getreten ist. Und schließlich müssen wir fragen, welche Bedeutung das Bilderverbot für uns besitzt.
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Das alttestamentliche Bilderverbot. Das biblische Bilderverbot bezieht sich zunächst allein auf die Herstellung von Gottesbildern. Es besitzt eine lange Vorgeschichte, denn es war ausweislich der archäologischen Befunde von Hause aus weder bei den Arabern, noch bei den Phöniziern, Kanaanäern oder Israeliten üblich, ihren Göttern, bzw. ihrem Staatsgott Jahwe in ihren Heiligtümern Bilder aufzustellen. Stattdessen dienten ihnen große Steine oder Stelen dazu, deren Anwesenheit zu repräsentieren. Noch in der Geschichte von dem Traum, den der Erzvater Jakob auf seiner Flucht nach Mesopotamien in Bet-El (Genesis 28) geträumt hat, wird ohne jede Kritik berichtet, dass der Erzvater den Stein, auf dem er in der Nacht geschlafen und in einer Traumoffenbarung eine Schutzzusage Gottes erhalten hatte, am nächsten Morgen feierlich salbte, damit der profanen Benutzung entzog und dann als Stele aufrichtete. Gleichzeitig habe er gelobt, im Falle der glücklichen Rückkehr von seiner Reise diesen Stein zu einem »Bet El«, zu einem Gotteshaus zu machen (vgl. Genesis 28,20-21 mit 35,14-15). Solche Heiligtümer, in denen eine unterschiedliche Zahl von Stelen standen, wurden auf offenen Plätzen und zumal auf Höhen gelegentlich noch im 8. und 7. Jahrhundert vor Christus in Juda errichtet. Die bildlose Verehrung Gottes scheint also von Anfang an in Israel üblich gewesen zu sein. Im Tempel in Jerusalem repräsentierten allein die Cheruben als Personifikationen der Gewitterwolken und die Lade die Gegenwart des unsichtbar über ihnen thronenden Gottes. Und die Stiere in den Grenzheiligtümern des Nordreiches, in Bet-El und Dan, dürften wohl ebenfalls nicht mehr als Gottesbilder, sondern als Träger des unsichtbaren Gottes gemeint gewesen sein, wobei allerdings gerade in diesem Fall das Missverständnis nahelag, weil man Jahwe, den Gott Israels, auch als den Stier oder Starken Jakobs bezeichnen konnte. Aber im Laufe des 7. Jhs. war in Juda eine »Jahwe-Allein-Bewegung« entstanden, die den Gott Israels trotzig dem Anspruch des Gottes Assur und seines Königs auf die Weltherrschaft gegenüberstellten und seinem Volk einprägten, keinen anderen Gott als ihn anzuerkennen und zu verehren. Die geistigen Anführer dieser Bewegung, denen wir das Buch Deuteronomium verdanken, müssen in der bildlosen Verehrung ihres Gottes das wirksamste Mittel gesehen haben, die Sonderstellung Israels unter den Völkern herauszustellen und es vor dem Abfall zu anderen Göttern zu sichern. Daher haben sie ihrem besiegten und zunehmend unter die Völker zerstreuten Volk eingeprägt, dass es seine Befreiung nicht von einem ihren Augen prinzipiell abergläubischen Bilderdienst, sondern allein von seinem Gehorsam gegen den Willen seines Gottes erwarten könnte: Er selbst habe ihn am Sinai oder Horeb unter Blitz und Donner die Zehn Gebote offenbart. Nun liege es an ihnen, dem Willen ihres Gottes zu gehorchen und ihn dadurch zu ihrer Erlösung aus der Knechtschaft zu bewegen. Ein Gott, der wie der Gott Israels den Anspruch erhebt, Schöpfer der Welt und Lenker der Völker zu sein, ist aller Welt überlegen und kann also weder in Menschen-, oder in Tiergestalt abgebildet und darum verehrt werden: Er ist seinem Wesen nach der ganz Andere. Daher führt auch der Weg zu Gott nicht über die Verehrung von Bildern, sondern er besteht in einem unbedingten Gottvertrauen, das uns Menschen zur Nächstenliebe befreit. In diesem Sinne hat auch Jesus die Frage des Schriftgelehrten, was er tun solle, um das ewige Leben zu erlangen, auf die Gottes- und die Nächstenliebe als die beiden höchsten Gebote (Dtn 6,4-5; 10,12-13; Lev 19,18.34) und damit die Summe der ganzen Tora, der ganzen göttlichen Weisungen verwiesen und konsequent über alle Opfer gestellt (Mk 12,28-34). Die Nähe Gottes und ein festes Herz lassen sich nicht erkaufen oder einhandeln, sondern sie erfährt nur, wer ihm unbedingt vertraut.
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Bilder von Göttern und Heiligen entwickeln im Volksglauben schnell ein Eigenleben, das zu bändigen auch den christlichen Theologen nicht immer leicht fiel. Man denke nur an den Heiligen Januarius, den Schutzpatron von Neapel: Von ihm erwartet man, dass sich sein in einer Ampulle aufbewahrtes Blut alljährlich an seinem Gedenktag verflüssigt. Bleibt dies Wunder aus, gilt das als schlechtes Vorzeichen für das Jahr. Daher soll es vorgekommen sein, dass die aufgebrachte Menge sein Bild mit faulen Tomaten beworfen hat, um ihn für sein Versäumnis zu bestrafen.
Damit sind wir auch schon bei dem Thema »Die Kirche und die Bilder« und damit bei einer langen und verschlungenen Geschichte angekommen. Die erste Christenheit beschränkte sich auf die Benutzung von wenigen Symbolen, wie z.B. die Einritzung eines Fisches als eines Kryptogramms. Es enthielt ein nur den Eingeweihten durchsichtiges Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Sohn Gottes und Heiland, weil jeder Buchstabe des griechischen Wortes »Fisch«, der Reihe nach genommen und richtig ergänzt, diese Formel enthielt. Ebenso konnte man als geheimes Erkennungszeichen ein griechisches P (Rho) mit einem X (Chi) kreuzen, dann hatte man das Monogramm des Erlösers ChR(istus). Es sollte zum festen Bestandteil der Standarten der römischen bzw. byzantinischen Kaiser und ihrer Truppen werden, nachdem es Kaiser Konstantin 302 vor der Entscheidungsschlacht gegen seinen Gegenspieler, den Kaiser Maxentius, im Traum erscheinen war und er dazu die Stimme gehört hatte: »Unter diesem Zeichen wirst du siegen!« So kam es, dass hinfort das auf einem Schild angebrachte und als Standarte dienende Kaiserbild von dem Christusmonogramm und später einem Christusbild überragt wurde. Was man aber dem Bild des Kaisers schuldete, schuldete man erst recht Christus, dem himmlischen König: fußfällige Verehrung. So wurde es schon im 4. Jahrhundert üblich, Kerzen vor den Bildern aufzustellen, vor ihnen zu räuchern, sie zu küssen und zu verehren. Man kann sich die Bedeutung berühmter, auf einen Augenzeugen wie den Evangelisten und Arzt Lukas zurückgeführter oder als vom Himmel gefallen geltender Ikonen nicht groß genug vorstellen. Bewährte, wundertätige Ikonen wurden von den Kaisern als Schutz über den Stadttoren angebracht, um die Stadt für die Feinde uneinnehmbar zu machen; ja, die Kaiser bzw. die Generalität führten Ikonen wie die der wegweisenden und der siegbringenden Gottesmutter mit in die Schlacht. Diese Nicopoia oder siegbringenden Ikonen können Sie heute in St. Marco in Venedig im linken Querschiff entdecken: Die Venezianer haben sie bei dem fünften Kreuzzug 1204 auf dem byzantinischen Generalswagen gefunden und in ihre Heimatstadt als neue Beschützerin überführt. Trotzdem haben die Byzantiner eine Grenze sorgfältig eingehalten und auf diese Weise dem Bilderverbot genügt: Sie haben niemals Gott Vater, sondern nur Gott den Sohn, der nach den großen Konzilsbeschlüssen des vierten und fünften Jahrhunderts als wahrer Gott vom Vater in Ewigkeit geboren und als wahrer Mensch von der Jungfrau Maria geboren galt, bildlich dargestellt. Die Menschwerdung Gottes in seinem Sohn stellte den Rechtfertigungshintergrund dafür dar, ihn in Szenen aus seinem Leben und weiterhin natürlich auch zusammen mit seiner Mutter, der Gottesgebärerin Maria, wie sie jetzt dogmatisch korrekt genannt wurde, darzustellen. Der Goldgrund der Ikonen, den auch die abendländische Malerei bis über die Mitte des 15. Jahrhunderts hinaus bevorzugte, deutete an, dass sich die abgebildeten Gestalten inzwischen im Himmel und nicht mehr auf dieser Erde befinden. So waren die Bilder für die Menschen dieser Jahrhunderte ihrem Wesen nach keine Kunstwerke, sondern eine Art Brücke zwischen den beiden Welten. Trotz des Bilderstreits, der 727 durch das Verbot des Bilderdienstes des byzantinischen Kaisers Leo III. ausgelöst worden war und definitiv erst 826 beendet werden sollte, hielten die Kirchen im Endergebnis an der Verehrung der Bilder fest: Auf dem zweiten, 778 in Nicaea abgehaltenen ökumenischen Konzil beschlossen sie, dass die Bilder zwar zu verehren, aber nicht anzubeten seien. Denn die ihnen gezollte Verehrung gelte nicht ihnen selbst, sondern allein ihren himmlischen Urbildern.
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Luthers Einstellung zu den Bildern hat sich in den Jahren zwischen 1522 und 1528 abgeklärt: Als die Bilderstürmer durch die Kirchen der protestantisch gewordenen Länder zogen und alle Bildwerke zerstörten, kehrte Luther im Frühjahr 1522 unverzüglich von der Wartburg (auf der ihm sein Kurfürst Schutz und Asyl gegen die kaiserlichen Häscher geboten hatte) nach Wittenberg zurück, um in seinen berühmt gewordenen »Invocavit-Predigten« beruhigend auf die Gemeinde einzuwirken und dadurch den Schwärmern das Handwerk zu legen. Dabei war die Predigt vom Dienstag nach Invocavit hauptsächlich der Bilderfrage gewidmet....