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E-Book

Gottes unsichtbare Würfel

Die Physik an den Grenzen des Erforschbaren

AutorHelmut Satz
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783406655500
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Gott würfelt nicht - Albert Einstein Gott würfelt doch, nur wirft er die Würfel mitunter dorthin, wo man sie nicht sehen kann - Stephen Hawking Alte Märchen kennen Schlösser mit vielen Zimmern; eines davon aber darf man nie betreten, sonst wird man ein schreckliches Ende nehmen. Es könnte sein, dass auch in unserem Universum solche Zimmer existieren. In einem glänzend geschriebenen Buch erzählt der international renommierte Physiker Helmut Satz die Geschichte der Entdeckung der letzten Grenzen des Universums und gibt Antworten darauf, was hinter dem letzten Schleier verborgen sein mag.

Helmut Satz, geb. 1936, war von 1971 bis 2001 Professor für Theoretische Physik an der Universität Bielefeld. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Physik der ersten Sekundenbruchteile nach dem Urknall. Zusammen mit seinem Schüler Frithjof Karsch machte er Bielefeld zu einem der weltweit führenden Zentren für die Untersuchung von Materie bei extrem hohen Dichten und Temperaturen. Auf Höchstleistungsrechnern wird hier der Stoff erforscht, aus dem das frühe Universum ganz kurz nach dem Urknall bestand. Von 1989 bis 1995 war Helmut Satz Gastwissenschaftler am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf. Er ist Autor zahlreicher Fach- und Lehrbücher.

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Leseprobe

Von der Westküste Lusitaniens
über Meere noch niemals befahren

Luis de Camões, Die Lusiaden

          1. Horizonte


begrenzen unsere Welt, wo immer wir auch sein mögen. Selbst vom höchsten Berg oder vom Flugzeug aus endet unsere Sicht stets an einem Horizont, hinter den wir nicht blicken können. Zudem sind Horizonte nicht fassbar: Versuchen wir, sie zu erreichen, sind sie schon wieder weitergewandert. Aber trotzdem können wir uns fragen, wie es dahinter aussieht, und zu allen Zeiten haben die Menschen das auch getan. Wohl nirgendwo stellt sich diese Frage so klar wie am Meer, wo Himmel und Wasser am Horizont aufeinanderstoßen. An der Küste des Mittelmeers haben die Phönizier schon vor über dreitausend Jahren Segelschiffe gebaut und sind damit bis an die Grenzen ihrer Welt gesegelt, zu den Säulen des Herkules, unserem heutigen Gibraltar. Die Schiffe der Wikinger fuhren hinaus in unbekannte Nordmeere, und die portugiesischen Seefahrer wagten es nachzusehen, ob die Erde nicht doch irgendwo zu Ende sein würde. Horizonte haben schon immer den Wunsch erzeugt zu erfahren, was jenseits des Meeres oder hinter dem Berg ist, wie es weitergeht. Die Suche nach besseren Lebensbedingungen, nach verträglicherem Klima, nach günstigeren Verbindungen – all das hat sicher eine Rolle gespielt. Aber stets war auch eine angeborene Neugier dabei, die vielleicht sogar die treibende Kraft für die Ausbreitung der Menschheit über die gesamte Erde und darüber hinaus war. Alle Ozeane sind befahren, alle irdischen Horizonte erforscht, und im Weltall erreichen unsere Raumsonden immer fernere Sternenwelten. Auch im Mikrokosmos, auf der Suche nach den kleinsten Bestandteilen der Materie, dringen wir immer weiter vor. Hochenergiebeschleuniger gestatten eine immer feinere Auflösung. Hört das irgendwann auf, gibt es einen kleinsten Abstand? Gibt es noch Horizonte und Grenzen, im Großen oder im Kleinen, in Raum oder Zeit, die für uns unerreichbar oder unpassierbar sind?

Jeder Horizont bildet nicht nur eine räumliche, sondern auch eine zeitliche Grenze. Wenn ein Reisender in vergangenen Zeiten eine ferne Bergkette am Horizont sah, dann wusste er, dass er das dahinter liegende Land erst viele Stunden später sehen würde. Sein «Erkenntnis-Horizont» hatte also eine räumliche Dimension in Kilometern und eine zeitliche in Stunden. Auch diese Form von Horizont hat die Menschen angespornt, möglichst rasch dahinterzukommen. Schon ein Pferd brachte den Reisenden damals schneller an die Bergkette heran; lange Zeit war das die Lösung. Man richtete Poststationen ein, an denen ermüdete Reiter und Pferde durch ausgeruhte ersetzt wurden; auf diese Weise ließen sich Nachrichten mit erstaunlicher Geschwindigkeit verbreiten. Solche Systeme gab es im alten Ägypten, Persien und China schon vor mehr als dreitausend Jahren; im Römischen Reich brachten es die Postreiter auf 300 Kilometer in vierundzwanzig Stunden. Postreiter und Postkutschen bestimmten den Grad der Bequemlichkeit des Reisens und die Geschwindigkeit der Nachrichtenübermittlung bis ins 19. Jahrhundert. Der Pony-Express trug wesentlich dazu bei, den amerikanischen Westen zu erschließen; mehr als 400 Pferde waren dabei notwendig, um in zehn Tagen die Post von der Ostküste nach Kalifornien zu bringen. Noch heute wird der amerikanische Präsident, der im November gewählt wurde, erst im Januar in Washington vereidigt. Die beiden Monate dazwischen gaben damals den Kaliforniern Zeit, an die Ostküste zu reiten.

Ein Postreiter verkündet 1648 das Ende des Dreißigjährigen Krieges.

Wenn man die räumlichen und die zeitlichen Aspekte der Erreichbarkeit kombiniert, erhält man eine interessante neue Form von Horizont,

die Grenze der Erreichbarkeit.


Mit dem Postreiter als Informationsübermittler, also bei 300 km/Tag, braucht man drei Tage, um einem 900 km entfernten Ansprechpartner eine Nachricht zu senden. Bis dahin ist er unabänderlich jenseits unseres Erreichbarkeitshorizonts. Je länger wir warten, desto größer wird der Bereich, mit dem wir kommunizieren können. Die Aufteilung unserer Welt in erreichbare und nicht erreichbare Gebiete ist im Bild auf Seite 16 dargestellt. Die Aufteilung hängt natürlich von der Geschwindigkeit unseres Boten ab – je schneller er ist, desto weiter können wir in vorgegebener Zeit in den Raum vordringen.

Heute haben wir Verkehrsmittel, die uns in Stunden statt in Tagen, Wochen oder Monaten ans Ziel bringen. Eine Reise von Europa nach Fernost, die noch vor hundert Jahren mehrere Wochen dauerte, erfordert heute keine zehn Stunden. Und wenn es sich lediglich darum dreht, eine Verbindung mit der «anderen Seite der Berge» herzustellen, schaffen Telefon und Funk das fast unmittelbar. Unsere zeitliche Distanz in der Kommunikation mit entfernten Regionen hängt nur davon ab, wie schnell wir Signale dorthin entsenden oder von dort empfangen können.

Der für einen Postreiter bei 300 km/Tag mögliche Erreichbarkeitshorizont

Deshalb war ein ganz wesentlicher Schritt in unserem Verständnis der Natur die Erkenntnis, dass es auch für die Geschwindigkeit der Informationsübermittlung eine Grenze gibt, die endliche Lichtgeschwindigkeit. Auf der Erde ist die daraus folgende Verzögerung meist unwesentlich und beeinträchtigt selbst die Kommunikation auf interkontinentaler Ebene kaum. Aber was bei uns hier und heute geschieht, das werden entfernte Welten erst später erfahren, und was uns von ihnen übermittelt wird, ist ihre Vergangenheit. Das Licht der Sterne, das wir heute sehen, ist bereits vor Millionen von Jahren ausgestrahlt worden. Wir können nicht wissen, ob diese Sterne jetzt noch existieren, und wenn ja, wo sie jetzt sind. Es gibt demnach schon Horizonte, hinter die wir nicht dringen können.

Doch selbst diese Horizonte sind noch weitgehend durch uns selbst bestimmt. Wenn wir lange genug warten könnten, würde uns das Licht ferner Sterne doch noch erreichen, und so wie wir für den Postreiter ein Erreichbarkeitsdiagramm erstellt haben, so können wir das auch für Radiosignale tun, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Was für den Postreiter Tage dauerte, bringt das Licht in Sekundenbruchteilen. Über den Unterschied in der Übermittlungsgeschwindigkeit hinaus kommt jetzt allerdings noch ein neuer, ganz wesentlicher Aspekt ins Spiel. Im Falle des Postreiters konnte der Horizont erweitert werden, durch ein schnelleres Pferd oder häufigeren Wechsel, später durch den Einsatz von Motorfahrzeugen. Lichtgeschwindigkeit jedoch bleibt Lichtgeschwindigkeit – wir haben da eine absolute Grenze erreicht. Die Ausbreitung des Lichts definiert einen Raumzeithorizont, bestimmt durch den Lichtkegel in Raum und Zeit. Was jenseits dieses Horizonts liegt, das ist für uns unerreichbar.

In astronomischen Dimensionen, im Weltraum, wachsen die für uns unerreichbaren Gebiete in Raum und Zeit natürlich gewaltig an. Ein Stern, der hundert Lichtjahre entfernt ist, kann heute kein Signal mehr schicken, das wir zu unseren Lebzeiten noch empfangen, und er wird auch von uns in diesem Zeitraum nichts hören. Aber das ist unser persönliches Problem; in genügend ferner Zukunft können unsere Nachfahren durchaus das heute von besagtem Stern abgesandte Signal in Empfang nehmen. Mit Radiowellen, also mit Licht als der schnellsten Übermittlungsmöglichkeit, entsteht auf diese Weise ein neues Erreichbarkeitsdiagramm.

Der Lichtkegel bestimmt für uns, was wir in der Zukunft beeinflussen können, er definiert unseren Raumzeithorizont. Was außerhalb des Lichtkegels liegt, ist im «Jenseits», für uns jetzt außer Reichweite. Der ferne Stern ∗ liegt heute dort und ist für uns nicht zu erreichen. Aber wenn wir lange genug warten – sehr lange für Lichtjahre entfernte Sterne –, dann wird er in unserer Zukunft sichtbar, wir können ihm ein Signal senden und er uns.

Die Lichtgeschwindigkeit bestimmt den Raumzeithorizont, der für uns erreichbare von unerreichbaren Gebieten trennt.

In der Physik spielen heute hingegen absolute Grenzen eine wesentliche Rolle: letzte Horizonte, endgültige Grenzhorizonte. Sie begrenzen die Teile des Universums, von denen an unserem Ort niemals irgendjemand ein Signal empfangen kann, auch nicht in fernster Zukunft. Wie ist das möglich? Diese Frage führt auf einige der erstaunlichsten Phänomene in der heutigen Physik und Kosmologie. Wenn wir mit Bereichen des Universums auf keine Weise in Verbindung treten können, muss das heißen, dass Licht «von dort» uns nie erreichen kann. Das können nur Bereiche sein, die weit entfernt sind und sich zudem kontinuierlich weiter entfernen, oder solche, die kein Licht herauslassen. In der Tat existieren beide Formen.

Wie alt ist das Universum? Die heutige Kosmologie geht von einem Urknall aus, vor etwa 14 Milliarden Jahren, in dem unendlich heiße und dichte Urmaterie erzeugt wurde, die sich dann ausdehnte und so unser Universum schuf. Der Urknall ist zwar zeitlich festgelegt, nicht aber räumlich; vor 14 Milliarden Jahren begann er überall – die Urwelt war nicht eine kleine, heiße Kugel, die dann explodierte, sondern unendlich dichte Materie, die dann durch...

Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel2
Zum Buch3
Über den Autor3
Impressum4
Motto5
Inhalt6
Vorwort9
1. Horizonte13
Die Grenze der Erreichbarkeit15
Verbotene Räume des Universums19
Die kleinsten Bausteine der Materie21
Der Rand der Erde22
Das Dach des Himmels26
2. Die entschwindenden Sterne31
Die Lichtgeschwindigkeit32
Warum ist der Himmel nachts dunkel?43
Die Urknalltheorie48
Kosmische Inflation54
Das absolute Jenseits56
3. Das heimliche Leuchten der schwarzen Löcher61
Die Fluchtgeschwindigkeit62
Die Kraft der Tiden67
Der See der ungeborenen Teilchen72
Unsichtbares Licht am Horizont75
4. Die Visionen des beschleunigten Raumfahrers81
Schwerkraft und Beschleunigung83
Das Ende der Kommunikation87
Die Temperatur des Vakuums89
Der Blitz im leeren Raum91
Spukhafte Fernwirkung94
5. Das Ende der Teilbarkeit99
Warum scheint die Sonne?106
Die starke Wechselwirkung108
Die Quarks115
Die Quarkstruktur des Nukleons119
Der Farbhorizont124
6. Quarkmaterie129
Kollektives Verhalten137
Die höchste Temperatur142
Der Urknall im Labor145
Wie heiß ist das Quark-Gluon-Plasma?151
7. Verborgene Symmetrien157
Das Ising-Modell162
Schattenteilchen170
Lokale Symmetrien173
Der Ursprung der inhärenten Massen178
8. Der letzte Schleier185
Übergänge187
Am Anfang war alles gleich189
Grenzen im Raum193
Das Ende der Bestimmbarkeit194
Neue Dimensionen196
Einsteins Brücke199
Die Sprache der Physik205
Anmerkungen und Ergänzungen211
Personenregister221

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