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E-Book

Graz abseits der Pfade

AutorEvelyn Schalk
VerlagBraumüller Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783991002376
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Graz hat es in sich. Hinter postkartengerechten Altstadthäusern, lauschigen Parkbänken, roten Dachschindeln und kunstsinnigen Galerieparketten lauern raue Hausmauern und widerständige Satzgebilde. Hier leben unbeugsame KulturaktivistInnen ebenso wie flatterhafte Freigeister. Um die Ecke der Oberfläche schauen und ein Graz entdecken, das underground oder überdreht ist, oft wirbelnd und öfter entspannt, aber immer bunt und grün. So eng manche Gasse scheint, dahinter öffnet sich mit ziemlicher Sicherheit ein freier Platz, ein Hof, der Blick. Finden muss man diesen Luxus schon selber. Genüsslich. Schritt für Wort für Schluck. Kaffee zum Beispiel. Oder Bier. Oder Sturm. Der bringt die Beschaulichkeit, in der man sich zwischen Adelsschloss und Arbeiterbezirk eingerichtet hat, so beharrlich wie notwendig durcheinander. In diesem Sinne ist Graz wirklich Weltstadt. Oder Stadtwelt. Denn GrazerInnen kommen von überall her und bleiben - einen Tag oder ein Leben.

EVELYN SCHALK, geboren 1981 in Graz, Studium der Romanistik, Germanistik und Medienfächerkombination, lebt und arbeitet als freie Autorin und Journalistin in Graz, Wien, Berlin und wo immer es sie hinverschlägt. Mitgründerin und -herausgeberin des ausreißer - Die Wandzeitung. Reisende durch Sprachen, Städte und literarische Experimente.

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Leseprobe

1.


Abheben, ankommen, raus aus der Kapsel!


Es ist heiß, unglaublich heiß. Mit jedem Meter und jeder Minute scheint die Temperatur weiter zu steigen. Die Glaskuppel zwei Zentimeter über mir wird zum Brennglas. Ich öffne das winzige Schiebefenster, Luft strömt herein, ich atme gierig. Über mir das gleißende Blau eines nahezu wolkenlosen Himmels, unten Wasserflächen, Spielzeughäuser, grüne Bergkuppen. Alles schwebt. Kein Windhauch, libellengleich stehen wir in der Luft. Doch eine winzige Berührung des Steuerknüppels genügt, um das Bild zu kippen, die Perspektive dreht, öffnet sich neu, gibt den Blick frei und schickt ihn auf Entdeckungsreise.

Genau das gilt auch für die Stadt da unten. Spannend wird es dort, wo die vielen Postkartenmotive, die Graz zu bieten hat, ausfransen und damit zum Leben erwachen – an den Grenzen, Bruchlinien, Untergründen. Also überall dort, wo zutage tritt, was man der Stadt nicht zutraut, nicht ansieht, was man in ihr wohl kaum vermutet hätte. Nicht auf den ersten oder zweiten Blick und meist nicht mal beim vielfachen Hinschauen. Vielleicht, weil diese Seiten immer schon Teil des Bildes waren, das man in jener vermeintlich selbstverständlichen Unveränderbarkeit aufgenommen hat, die Graz zu oft von sich selbst behauptet. Vielleicht aber auch, weil sie gerade in dieser Sekunde des Hinschauens entstanden sind.

Jetzt und hier, mehr als 1.300 Meter über dem Boden und bereits einige Kilometer südlich des Hangar West hinterm Flughafen Graz Thalerhof, gibt das helle Licht jedenfalls einen Blick auf die Stadt frei, der zuerst jede einzelne Dachschindel erkennen ließ und nun, je höher wir steigen, aus den Gassen, Plätzen, Straßen, Grün- und Wasserflächen ein Puzzlespiel mit ungezählten Teilchen macht, eingerahmt von Bergen, überspannt von wolkenloser Matrix.

Abgehoben sind wir mit einer EB28 edition – einem „High-End-Modell“ von Segelflieger, wie mir Viktor Steiner, Obmann der Steirischen Flugsportunion, etwa eine Stunde zuvor noch am Boden bei der Besichtigung des Geländes begeistert erklärt hat. Inzwischen ist es zwar eher mein Magen, der sich von dem Geschaukel und der Hitze ein wenig high anfühlt, aber der Ausblick und die grazile Leichtigkeit des Flugzeugs, die Intensität von Luft und Farben machen die Enge der Kapsel nahezu vergessen, der Glassturz um mich herum scheint sich für Sekundenbruchteile im Luftflirren aufzulösen, was bleibt, sind Schwerelosigkeit und Weite.

Am I sitting in a tin can / Far above the world … eine Space Oddity made in Graz …

… warum auch nicht, schließlich wurde 2017 bereits der dritte Kleinsatellit für die ESA an der hiesigen Technischen Universität (TU) gebaut. PRETTY heißt der Zwerg und soll zur Erforschung des Klimawandels beitragen.1 Aber auch Bestrebungen zur Realisierung eines Kunst-Nano-Satelliten gab es an der Mur schon, mit dem Ziel „‚the‘ space as ‚public‘ space“ zu behaupten, „in which other projections, wishes, concerns, desires, purposes and undertakings of different matter have authority and entitlement.“2 Das All und den Himmel zu öffentlichem Raum erklären, wo unterschiedliche Projektionen, Wünsche, Bedenken, Verlangen, Ideen und Unternehmungen Platz und Berechtigung finden. Klingt wie Utopie, ist es auch, und ist gerade deshalb so wichtig – Luftschlösser, die die realen Verhältnisse beherbergen, hinterfragen, verändern. Dafür sind die Leute vom Verein mur.at immer ein Garant. Ebenso wie für jede Menge weitere technische und künstlerische Höhenflüge …

Eines steht fest: Auf zahlreichen anderen Wegen lässt sich dieses Graz leichter, schneller, bequemer und auch sicherer erreichen. Landet man beispielsweise mit einer Linienmaschine auf dem kleinen Airport, geht das in der Regel rasch und wenig spektakulär über die Luftbühne. Auf der weiten, dennoch versteckt gelegenen Wiese abseits des üblichen Flughafenrummels aufzusetzen bedeutet jedoch, dass man zuvor zumindest eine Stunde lang in der Luft gehangen ist und gefühlt alle Zeit der Welt hatte, die Stadt und ihr Umland aus den schrägsten Blickwinkeln zwischen Himmel und Erdboden zu betrachten. „Das muss man mögen“, so Viktor, dieses „Schwimmen in der Luft“, das das Segelfliegen so charakteristisch macht. Dasselbe gilt für die Stadt darunter – Thomas Bernhard monierte einst, er „verstehe nicht, dass es Leute gibt, die von Graz begeistert sind.“ Das verstehen diese tatsächlich oft selbst nicht – und kommen nach ihrem ersten Besuch dennoch wieder. Und wieder. Und wieder.

So begann ein paar Stunden zuvor auch dieses Flugabenteuer mit Skepsis und Neugierde. Letztere bei mir, erstere beim Taxifahrer vor dem Flughafenhauptgebäude, der bei der Adressnennung gezwungen war, etwas zu tun, was Grazer Taxler generell als unter ihrer Würde betrachten: das Navi einschalten. Ergo näherten wir uns zögerlich und leicht grummelnd unserem Ziel, bis es dann doch soweit war: Zwischen Schwarzlsee und Flughafen, hinter Kukuruzfeldern und Gstettn, aber immer in Sichtweite des Towers, fand ich den Eingang zum Abheben.

Vor der Tür sind unter schattenspendenden, ausladenden Bäumen Tische und Bänke aufgestellt, ein paar Leute unterhalten sich lachend, hinter dem grün überwachsenen Zaun mache ich größere Bewegungssilhouetten aus und im Büro sitzt ein junger Mann an einem Tisch in der Mitte des Raumes über einen Stapel Papiere gebeugt, schreibt, zeichnet, während andere ein und aus gehen. Es ist Wochenende, kurz nach Mittag, einer der heißesten Sommertage dieses Jahres. Viktor Steiner nimmt mich in Empfang. Dunkle Shorts, lachsfarbenes Hemd, Sonnenhut, ein verschmitztes Grinsen, verbreitet er joviale Lässigkeit. Rasch wird klar, hier draußen, das ist eine eigene kleine Welt und er gibt jetzt den stolzen Gastgeber. Zum Gelände haben nur Mitglieder Zutritt, die gute Zusammenarbeit mit dem Flughafen ist dem Verein logischerweise wichtig, und ohne die Austro Control, an deren Anweisungen sich die SportfliegerInnen wie alle anderen zu halten haben, geht auch kein Segelflieger in die Luft. Draußen auf dem Flugfeld treffe ich dann den Startleiter, mit dem sämtliche PilotInnen per Funk verbunden sind und der für die reibungslose Kommunikation zum Tower sorgt. Das alles ganz entspannt von seinem Platz vor dem kleinen Getränkestand unterm Sonnenschirm aus, mitten auf dem Grün, während rundum die Flieger abheben und landen.

Fast eine Million Passagiere wurden im Jahr 2016 am Flughafen Thalerhof abgefertigt3, gerade mal über 100 Mitglieder zählt hingegen der Verein, die meisten HobbyfliegerInnen, aber auch einige Berufspiloten sind dabei, die selbst in ihrer Freizeit nicht anders können, als in die Luft zu gehen. Viktor ist außerhalb des Flugplatzes Chef eines Malerbetriebs, „wir kommen dort ins Spiel, wo der Restaurator nichts mehr anrührt, man aber auch keinen Nullachtfünfzehn-Maler dranlassen kann.“ Momentan sind er und seine Leute im Foyer des Grazer Opernhauses zugange. Jetzt aber ist er ganz Flieger. Von Donnerstag bis Sonntag ist am Hangar West Flugsportbetrieb, ausschließlich in den Sommermonaten und vorausgesetzt, das Wetter spielt mit. So wie heute. Gleich links vom Eingangstor erstreckt sich die flache, blau gestrichene Halle, die Flugzeugen und FliegerInnen ganzjährig ein Dach über Kopf und Propeller bietet. Schritt für Schritt enthüllt sich hier, was der Traum vom Fliegen von seinen Anfängen bis heute hervorgebracht hat. Motorflieger sind ebenso untergestellt wie Segelflugzeuge, winzige Einsitzer und größere Doppelsitzer mit fast dreißig Metern Flügelspannweite, und sogar ein Ultraleichtflieger ist darunter. Viktor ist in seinem Element. Rasch umreißt er die Grundlagen des Fliegens, Steuerelemente, Navigation, Höhenmessung, Thermik. Einige der BesucherInnen von den Tischen draußen haben sich uns angeschlossen, die Sonne knallt aufs Flachdach und ein Flugzeugtyp nach dem anderen wird präsentiert. Mit ein paar geübten Bewegungen zieht Viktor ihnen ihre Pyjamas aus – so werden die Schutzhüllen über den Tragflächen liebevoll genannt. Nun schiebt er etwas, das wie ein Miniaturmodell eines Flugzeuges wirkt, ein Stück nach vorne, öffnet das Verdeck, ähm, die Kabinenhaube und – „bitte einsteigen!“ Da rein? Na denn … Zuerst heißt es Fallschirm anlegen, das Ding ist schwerer als gedacht, zieht nach hinten und trägt nicht unbedingt zur Abkühlung bei. Dann winde ich mich auf den engen Sitz, rutsche so gut es geht in Position, über den Schirm noch die Sicherheitsgurte, wie soll man sich da bloß bewegen? Ist sowieso nicht nötig. Jetzt schließt Viktor auch noch die Kabinenhaube. „Wie fühlt sich das an“, fragt er durch die kleine Öffnung. Nicht so schlecht wie gedacht, an die Sitzposition gewöhne ich mich nach wenigen Minuten, irgendwie vergesse ich sogar die Enge, während ich auf die Anzeigen vor meiner Nase schaue. Nur, in so einem...

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