„Wir brauchen eine bewegende Einfachheit.“[51]
Klaus Michael Grüber
„Klaus Michael Grüber, geboren am 4. Juni 1941 in Neckarelz, Vater Pfarrer. Studium an der
Schauspielschule in Stuttgart, u.a. bei Siegfried Melchinger.“[52]
„Nach zweijährigem Schauspielunterricht in Stuttgart erlernte Klaus Michael Grüber sein Metier als Regieassistent und Mitarbeiter von Giorgio Strehler am Piccolo Teatro di Milano. Sein Regiedebüt gab er dort 1967 mit Brechts „Der Prozess der Jeanne d`Arc zu Rouen“. Anschliessend inszenierte er u.a. am Schauspielhaus Zürich, in Freiburg, Bremen, Stuttgart, Düsseldorf und Frankfurt sowie in Berlin an der Freien Volksbühne und der Schaubühne (Werke von Horváth, Euripides, Hölderlin, Shakespeare, Kleist und Goethe). In Bremen inszenierte er [...] seine ersten Opern. Es folgte [...] Frankfurt, „Die Walküre“ in Paris, „Tannhäuser“ in Florenz, „Parsifal“ in Amsterdam, [...] Florenz, Paris, Brüssel, Madrid und zuletzt in London [...]. In Paris inszenierte er „Faust-Salpêtrière“, an der Comédie Française Racines „Bérénice“, am Théâtre Bouffes du Nord „Zerline“ nach Hermann Broch und in Nanterre „Dantons Tod“. 1986 brachte er am Münchner Residenztheater Eduardo Arroyos „Bantam“ zur Uraufführung. Im gleichen Jahr inszenierte er für die Salzburger Festspiele Peter Handkes Aischylos-Bearbeitung „Prometheus, gefesselt“. Weitere Operninszenierungen [...] für die Salzburger Festspiele, [...] in Paris, [...] in Brüssel, [...] in Amsterdam, [...] und [...] am Zürcher Opernhaus. Klaus Michael Grüber drehte den Film «Fermata Aetna», und er wirkte als Schauspieler in Léos Carax´ Film „Les Amants du Pont Neuf“ mit.“[53]
„Sein Name ist aber besonders mit der Schaubühne am Halleschen Ufer verbunden. Neben Peter Stein prägte Grüber den Stil dieses Ensembles und forderte alle künstlerischen Kräfte durch seine hochartifiziellen Inszenierungen heraus.“[54] “Hier beginnt, zusammen mit den Malern Gilles Aillaud, Eduardo Arroyo und – wenig später – Antonio Recalcati das Erschließen von Räumen außerhalb der Theater.“[55]
Grüber gilt als bedeutender deutscher und internationaler Regisseur, sein Werk wurde preisgekrönt (zuletzt durch den Konrad-Wolf-Preis 2000), war und ist aber stets auch Stein des Anstoßes für Kritik und Publikum gleichermaßen. In seinen oft umstrittenen Arbeiten bricht Grüber mit den Regeln theatral-situativer Konzeption. Indem er gewohnte Vorstellungen zerstört, gelingt ihm der Zugang zu alternativen, gleichzeitig so faszinierenden wie verstörenden Theatererlebnissen. Die Frage „Was ist Theater?“ findet bei Grüber neue, bisher unbekannte Antworten
Uwe B. Carstensen porträtiert den außergewöhnlichen Regisseur, der wie kein anderer Kritik und Publikum in zwei Lager spaltet, als „Ruinenbaumeister“ des Theaters.[56] Um zu erschaffen, muß er erst zerstören. Grübers Theaterruinen verlangen ihren Betrachtern nicht selten ein gewisses Maß an Kraft und Geduld ab. Das ist nur in seinem Sinne. Er inszeniert für ein Konsum gewöhntes Publikum, dem man, wie er selbst sagt, im Theater „kaum noch beikommen kann.“[57] Um es doch zu einer Reaktion zu bewegen, sucht der Meister der Schlichtheit nach neuen Aufführmethoden. Kritiker kommentieren hingegen: „Je weniger man sieht und hört, um so besser.“[58] Tatsächlich ist es auf den Bühnen, die in langjähriger Zusammenarbeit vor allem mit Gilles Aillaud entstehen, nur zu oft reichlich dunkel. Grüber will derartige Reduktionen allerdings als Focussierung verstanden wissen. Mit seinem Prinzip einer „bewegenden Einfachheit“ versucht er den Blick wieder auf das (ihm) Wesentliche zu lenken. Indem Grüber in seiner Eigenschaft als Regisseur einen Schritt zurückgeht, rückt er das dramatische Werk in den Vordergrund. So spielt er seinen Schauspielern ihre Rollen nicht vor, sondern läßt sie diese selbst entwickeln. Nicht alle kommen mit dieser Arbeitsmethode zurecht.[59] Andere danken ihm den Freiraum.[60] Im Verlauf seines Werdegangs stellt Grüber die eigene Person immer mehr in den Hintergrund seiner Bühnenarbeit. Seit mehr als zehn Jahren äußert er sich gar nicht mehr öffentlich zu seinen Inszenierungen. „Ich weigere mich grundsätzlich über meine Arbeit zu sprechen.“[61] Peter von Becker, ehemaliger Herausgeber der Zeitschrift Theater heute, nennt ihn 1996
„eine[n] der letzten großen Theatererfinder. Seine Bilder und Inbilder entspringen nicht der Technik, nicht der elektronischen Welt, sondern ganz altehrwürdig der Inspiration. Manchmal gar: einem visionären Traum vom Theater. Vom Leben.“[62]
Grübers jüngste Inszenierung ist Mozarts Don Giovanni im Rahmen der Ruhrtriennale im Oktober 2002 in Recklinghausen.
Klaus Michael Grübers zweite Faust Inszenierung[63] gelangt am 23. März 1982 an der Freien Volksbühne Berlin unter dem schlichten Titel „Faust“ zur Erstaufführung. In der Titelrolle ist der damals bereits 77 jährige „Gipfelschauspieler“[64] Bernhard Minetti zu sehen. Das Premierendatum markiert gleichzeitig den 150. Todestag des Autors der dramatischen Vorlage, Johann Wolfgang von Goethes. Der festliche Anlaß des Goethejahres 1982 gereicht Regisseur Grüber für seine Faust Neuinszenierung gleichermaßen zu Ehren und Bürden. Das Ausnahmewerk Faust macht sich bereits im Vorfeld der Premiere in seiner Eigenschaft als identitätsstiftende Säule des deutschsprachigen Bildungsbürgertums bemerkbar: Beim Zweiten Deutschen Fernsehen wird eine Live-Übertragung der Premiere im Eurovisionsformat geplant. Man entschließt sich kurz zuvor aber, auf Grund von Befürchtungen „negative[r] Reaktionen des Publikums“[65], wohlweislich für eine zeitgleich zur Premiere ausgestrahlte, aber vorher produzierte Aufzeichnung des Stücks. Die Angst der ZDF-Redakteure erweist sich als durchaus begründet, denn die Aufführung wird am Premierenabend vom Berliner Publikum mehr als kritisch aufgenommen. Zahlreiche Zwischenrufe, „Lauter!“, „Mehr Licht!“ oder gar „Es ist noch Publikum da!“ stören die Aufführung. Am Ende gibt es gellende „Buhs“ aber auch einige „Bravos“. Das Berliner Publikum erwartete womöglich ein Goethe-Festspiel, vielleicht hätte man auch eine „modern-kritische Neuinszenierung“ akzeptiert, wohl kaum aber konnten die Zuschauer den scheinbar völligen inszenatorischen Ausschluß von der Bühnendarstellung „ihres“ Faust akzeptieren. Genau das hatte Grüber getan. Der Regisseur sah im festlichen Rahmen der Inszenierung nicht den geringsten Anlaß zu Ehrfurcht vor bürgerlichem Erwartungsdruck und auch seine Aufführung zeigte sich am elementaren Bedürfnis eines Theaterpublikums, nämlich ein Stück mitzuerleben, nicht unbedingt interessiert. Das hatte einige Volksbühnen-Abonnenten offenbar verärgert. Auch die Presse beurteilte die Aufführung zwiespältig, tendierte insgesamt aber doch zu anerkennender Akzeptanz der Premiere. So wurde in der WELT zwar von einem „qualvollen Abend“[66] berichtet, in der ZEIT wird daraus immerhin „ein quälender, [aber] ein befreiender Abend“[67]. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG attestierte Grüber sogar eine „überwältigend sensible [...] Hellhörigkeit“[68] im Umgang mit dem Faust. Aber auch da, wo die Inszenierung respektierende Worte findet, man möchte fast sagen, da, wo sie verstanden wird, stellen die Autoren stets den extrem publikumsfeindlichen Charakter der Berliner Aufführung fest. „Requiem auf ein Stück“ hieß es in der FRANKFURTER RUNDSCHAU[69] und Joachim Kaiser nannte die gar zu unfestliche Goethe-Feier an der Volksbühne in der SÜDDEUTSCHEN eine „Anti-Festaufführung“.[70] Trotz negativer Presse wird die Aufführung aber zum Berliner Theatertreffen eingeladen und von den Autoren der Zeitschrift Theater heute als eine der außergewöhnlichen und besten Inszenierungen des Jahres 1982 vorgeschlagen. Klaus Michael Grüber wird als „überragende[r] ´Regisseur´ des deutschsprachigen Theaters“[71] gelobt und Bernhard Minettis darstellerische Leistung wird als „einzig“ anerkannt.[72] Am Premierenabend ließ sich der Regisseur allerdings nicht auf der Bühne blicken, aber das ist in Grübers Fall wohl nicht unbedingt außergewöhnlich. Beim Publikum durchgefallen, in der Fachpresse gefeiert. Wie kam es zu den extrem unterschiedlichen Bewertungen dieser Aufführung?
Wenn zu Beginn der Aufführung Kurt Hübner, Intendant des Hauses, mit gemessenen, hallenden Schritten die Bühne betritt und „betont undeklamatorisch“[73] aus dem Reclam-Heft die Zueignung vorliest, stößt das beim Volksbühnenpublikum noch auf allgemeine Akzeptanz. Das der Aufführung entgegengebrachte Wohlwollen soll...